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Abschiebungsmoratorium jetzt! Lage in vielen Herkunftsstaaten durch Corona stark verschlechtert
PRO ASYL, Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern anlässlich der IMK ein bundesweites Abschiebungsmoratorium während der COVID-19-Pandemie – Abschiebungen sind angesichts der drastischen Auswirkungen in vielen Herkunftsländern nicht zu verantworten! Dies zeigt PRO ASYL an sieben Beispielen.
Im März 2020 änderte sich in Deutschland wegen der Ausbreitung des neuen Corona-Virus auf einen Schlag sehr viel: Grenzkontrollen zu manchen EU-Nachbarstaaten wurden eingeführt, seit dem 17.03.2020 galten strenge Einreisebeschränkungen und kaum ein Flugzeug hob noch ab – Einreisen nach und Ausreisen aus Deutschland kamen nahezu zum Erliegen. Eine Konsequenz hiervon war, dass auch Sammelabschiebungen nach und nach abgesagt wurden, wie PRO ASYL im Corona-Ticker dokumentierte.
Politik steckt während Hochphase den Kopf in den Sand
PRO ASYL forderte direkt zu Beginn der Pandemie einen Abschiebungsstopp. Auch wenn u.a. Bundesinnenminister Horst Seehofer am 18. März zugab, dass wohl de facto keine Abschiebungen stattfinden würden, wurde weder vom Bund noch von einzelnen Bundesländern ein formaler Abschiebungsstopp erlassen. Tatsächlich versuchten das Bundesinnenministerium und die Bundespolizei immer wieder, mit extra gecharterten Flugzeugen doch noch Personen abzuschieben, wie von PRO ASYL im Fall zweier Iranerinnen und einer Frau aus dem Togo öffentlich gemacht wurde. In beiden Fällen wurden die Abschiebungen schließlich aufgegeben. Wie mittlerweile bekannt ist, wurden aber vereinzelt auch während der Corona-Hochphase Menschen aus Deutschland abgeschoben.
Für die Betroffenen heißt das Fehlen eines klaren Abschiebungsstopps ein Leben mit ständiger Angst und Rechtsunsicherheit.
Für die Betroffenen heißt das Fehlen eines klaren Abschiebungsstopps ein Leben mit ständiger Angst und Rechtsunsicherheit. Auch wurden von Amtsgerichten mangels eines solchen Stopps Abschiebungshaftanträgen noch stattgegeben, da eine Abschiebung absehbar sei – nur um Tage oder Wochen später festzustellen, dass dies nicht der Fall war. Damit wurden die Betroffenen eingesperrt, obwohl eine Abschiebung absehbar nicht möglich war. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass Abschiebungshaft nur angewandt werden darf, wenn die Abschiebung innerhalb einer kurzen Zeit auch tatsächlich durchführbar ist. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, hatte Ende März die europäischen Staaten dazu aufgefordert, während der Corona-Pandemie noch inhaftierte Personen aus der Abschiebungshaft zu entlassen.
Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt wurden erste Sammelabschiebungen bereits durchgeführt, darunter Ende Mai die einer achtköpfigen Roma-Familie mit einem behinderten Kind nach Serbien.
PRO ASYL, Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern stattdessen ein Abschiebungsmoratorium! Dies fordert auch der europäische Flüchtlingsrat ECRE für die gesamte EU in einem neuen Policy Paper, das den passenden Titel trägt: »Abschiebungen sind während einer Pandemie keine notwendigen Reisen«.
Die Urlaubsflieger starten – damit auch grünes Licht für die Abschiebeflieger?
Seit dem 15. Juni gelten für EU-Länder keine Reisebeschränkungen mehr, die Reisewarnung für Drittstaaten soll bis Ende August bestehen bleiben. Es steht zu befürchten, dass in der Politik trotz der drastischen Konsequenzen der Pandemie in vielen Ländern nun auf ein schnelles »business as usual« in der Abschiebungspolitik gedrängt wird. Nicht umsonst steht das Thema Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Abschiebungen auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz, die vom 17.–19. Juni in Erfurt stattfindet. Das Land Berlin hat zudem angekündigt, dass ab dem 15. Juni keine Beschränkungen mehr für Abschiebungen weltweit bestehen würden (siehe Meldung im PRO ASYL Corona-Ticker vom 29.05.2020).
»Abschiebungen sind während einer Pandemie keine notwendigen Reisen«
Drastische Auswirkungen der Corona-Pandemie in anderen Ländern
Denn auch wenn in Deutschland die Infizierungszahlen stabil sind und Beschränkungen gelockert werden, heißt das nicht, dass die Pandemie bald vorbei ist. Im Gegenteil: Manche Länder, besonders im globalen Süden, stehen erst am Beginn einer möglichen Ausbreitung des Corona-Virus. Im Iran und Nordmazedonien droht laut Berichten je eine zweite und größere Infektionswelle, da Maßnahmen zu früh gelockert wurden. Außerdem hat die Pandemie in vielen Ländern viel weitreichendere Auswirkungen als in Deutschland.
Auch EASO legt in seinem ersten »Special Report: Asylum Trends and COVID-19« vom Mai 2020 dar, dass viele Herkunftsländer von Asylsuchenden in Europa sowohl sehr anfällig für eine Verbreitung des Virus sind als auch schlecht dafür aufgestellt sind, dieses zu bekämpfen und ihre Bevölkerung zu schützen. Als besonders problematisch sieht EASO die Lage im Fall der Ausbreitung der Pandemie in den Ländern Afghanistan, Somalia, Bangladesch, DR Kongo, Eritrea und Syrien. Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 können in solchen Ländern dramatische soziale Auswirkungen haben, da den Menschen plötzlich jedes Einkommen wegbricht, Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen und es keine staatliche Unterstützung gibt. Dazu kann eine solche Gesundheitskrise auch zu politischer Instabilität und Aufständen führen.
Manche Länder, besonders im globalen Süden, stehen erst am Beginn einer möglichen Ausbreitung des Corona-Virus.
Bereits Ende April warnte David Beasley, Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogrammes bei einer virtuellen Sitzung des UN-Sicherheitsrates mit eindringlichen Worten vor einer Corona-bedingten »Hungerpandemie«. Schon vor COVID-19 waren 135 Millionen Menschen mit schwerem oder extremem Hunger konfrontiert. Aufgrund der Pandemie geht das Welternährungsprogramm davon aus, dass diese Zahl bis Ende des Jahres 2020 auf 265 Millionen Menschen anwachsen wird und sich damit fast verdoppelt. So bestünde »die reale Gefahr, dass vielleicht mehr Menschen an den wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 sterben könnten als am Virus selbst«.
Die gravierenden Auswirkungen in Herkunftsländern zeigen sich auch an folgenden Beispielen:
Weitere Eskalation der Gewalt
Auch ohne COVID-19-Pandemie ist die Situation in Afghanistan dramatisch. Trotz dem Abschluss eines Abkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar sind Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban bis heute nicht zustande gekommen. Stattdessen eskaliert der Krieg, die Intensität der Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen ist stark gestiegen: Alleine im April wurden nach Angaben der UN-Mission in Afghanistan 380 Zivilist*innen im Rahmen von Kampfhandlungen getötet – rund ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Nach Angaben des afghanischen Innenministeriums haben die Taliban zwischen Februar und Mai landesweit 3.700 Angriffe durchgeführt, anderen Quellen zufolge liegt die Zahl der Taliban-Angriffe sogar noch höher. Zusätzlich überzieht der sogenannte Islamische Staat-Khorasan Provinz (ISKP), der mit den Taliban konkurriert, das Land mit Terroranschlägen. Einen traurigen Höhepunkt der Gewalt stellte der Angriff auf eine Geburtsstation im Mai dar.
Corona verschärft die humanitäre Notlage
Darüber hinaus ist die humanitäre Lage in Afghanistan katastrophal: OCHA, das zuständige Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, geht in einer Prognose für das Jahr 2020 davon aus, dass in den ersten Monaten des Jahres 14,28 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelknappheit betroffen sind. Das entspricht bei einer Gesamtpopulation von 37,6 Millionen Menschen 38% der Bevölkerung, die an Hunger und Mangelernährung leiden.
Trotz alledem gilt beim BAMF und deutschen Gerichten bisher, dass Rückkehrer nach Afghanistan – allen voran leistungsfähige Männer – in der Lage seien, dort ein Leben über dem Existenzminimum sichern zu können. Das war bisher schon realitätsfremd. Angesichts der Verbreitung des Coronavirus in Afghanistan und der damit einhergehenden Folgen kann jedoch spätestens jetzt keine Rede mehr davon sein. Laut aktuellen UN-OCHA-Zahlen (Stand 7. Juni) sind in Afghanistan 20.342 Personen an COVID-19 erkrankt, 357 Menschen sind bisher gestorben. Das entspricht einem Anstieg der bestätigten Erkrankungen innerhalb eines Monats um 470%. Eine Studie, die von der Johanniter Unfallhilfe mit ihren afghanischen Partnerorganisationen Ende April durchgeführt wurde, geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten- und Todesfälle deutlich größer ist. Dabei trifft das Coronavirus in Afghanistan auf ein Land, dessen Gesundheitssystem nicht einmal ansatzweise auf die Behandlung von an COVID-19 erkrankten Menschen vorbereitet ist. Nach Recherchen der Wissenschaftlerin Friederike Stahlmann standen im März im Afghan-Japan-Krankenhaus in Kabul, das zur nationalen Anlaufstelle für behandlungsbedürftige Corona-Patient*innen bestimmt wurde, lediglich 100 Betten zur Verfügung. Zudem sei es nur möglich, vier (!) Patient*innen gleichzeitig mit Sauerstoff zu versorgen.
Abschiebungen nach Afghanistan waren schon vor COVID-19 durch nichts zu vertreten. Angesichts der nun hinzukommenden Pandemie gilt die Forderung nach einem Abschiebungsstopp umso mehr.
Immer mehr Arbeitslose während des Lockdowns
Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, hat die afghanische Regierung einen landesweiten Lockdown beschlossen, der zunächst bis Ende Mai befristet war. Am 6. Juni wurde der Lockdown um drei Monate verlängert und gilt also bis zum September. Dies bedeutet, dass u.a. Schulen und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen bleiben und auch die Nutzung von Transportmitteln eingeschränkt ist. Der Lockdown hat zur Folge, dass auch NGOs und humanitäre Organisationen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und daher ihre dringend benötigte Unterstützung – rund ein Viertel der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen – nicht ankommt oder für die Betroffenen nicht erreichbar ist. In Folge der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben 2 Millionen Afghan*innen ihre Jobs verloren, der Arbeitsmarkt für Tagelöhner, auf die das BAMF und deutsche Gerichte afghanische Asylsuchende gerne verweisen, ist kaum existent. Hinzu kommt, dass von Januar bis Anfang Mai 278.100 Afghan*innen aus dem Iran zurückkehrt sind, die auf humanitäre Ankunftshilfe angewiesen sind und durch die die Situation am Arbeitsmarkt weiter verschärft wird. Nach Angaben des Welternährungsprogramms sind die Preise für Grundnahrungsmittel seit Ende März teils deutlich angestiegen, wohingegen die durchschnittliche Kaufkraft im gleichen Zeitraum gesunken ist. Selbst wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gelockert oder sogar ganz aufgehoben werden sollten, werden die unmittelbaren Folgen für die Bevölkerung noch lange andauern, da nicht damit zu rechnen ist, dass sich die Wirtschaft in Afghanistan in absehbarer Zeit stabilisieren wird. Für ein Konjunkturprogramm wie beispielsweise in Deutschland fehlen dem afghanischen Staat schlichtweg die finanziellen Mittel.
Hoffnung Abschiebungsverbote?
Eine Reihe an deutschen Verwaltungsgerichten hat bereits auf die durch die Corona-Pandemie drastisch verschlechterte Lage in Afghanistan reagiert und in mehreren Urteilen auch leistungsfähigen, alleinstehenden Männern Abschiebungsverbote zugesprochen (VG Meiningen, Urteil vom 30. April 2020, 8 K 21866/17 Me, VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020, A 19 K 7283/17, VG Stuttgart, Urteil vom 18. Mai 2020, A 1 K 18261/17, VG Sigmaringen, Urteil vom 19. Mai 2020, A 2 K 4941/19, VG Sigmaringen, Urteil vom 22. Mai 2020, A 2 K 7775/17, VG Freiburg, Urteil vom 22. Mai 2020, A 10 K 573/17, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Mai 2020, 4 A 123/20 MD).
Abschiebungen nach Afghanistan waren schon vor der Corona-Pandemie durch nichts zu vertreten, weshalb sich PRO ASYL immer für einen generellen Abschiebungsstopp nach Afghanistan eingesetzt hat. Angesichts der durch die Corona-Pandemie verschlechterten Lage in Afghanistan gilt diese Forderung umso mehr.
(ame)
Heuschreckenplage am Horn von Afrika
Äthiopien (wie auch Somalia, s.u.) kämpft seit Ende 2019 wie die anderen Staaten am Horn von Afrika gegen die schlimmste Heuschreckenplage, die es seit Jahrzehnten gegeben hat. Das Epizentrum der Plage liegt in Kenia, auch der Norden Tansanias, der Osten Ugandas und der Süden Südsudans sind betroffen.
Allein im April bedeckten Schwärme von Wüstenheuschrecken eine Fläche von insgesamt mehr als 2.000 km² (zum Vergleich: das Saarland hat eine Fläche von 2.570 km²). Das Wachstum verläuft exponentiell, die Population kann sich innerhalb von drei Monaten verzwanzigfachen. Die Insekten verschlingen alles Grüne auf ihrem Weg und können innerhalb von wenigen Minuten ganze Felder und Weideflächen kahl fressen. Sie bedrohen die Ernten und damit Lebensgrundlagen von Landwirt*innen und Viehzüchter*innen und schließlich auch die Ernährung der gesamten Bevölkerung. Aufgrund der saisonalen Regenfälle werden für die nächsten Monate neue Heuschreckenschwärme erwartet.
Coronavirus macht alles noch schwieriger
Aufgrund von COVID-19 wurde in Äthiopien im April der zunächst fünftmonatige Ausnahmezustand ausgerufen. Dadurch wurde auch die Bekämpfung der Heuschreckenplage erschwert. Reisen innerhalb des Landes wurden verboten, was es für Trupps, die versuchen die Heuschrecken mit Pestiziden zu bekämpfen, unmöglich macht an ihre Einsatzorte zu kommen.
Aktuell (Stichtag: 07.06.2020) hat Äthiopien 2020 bestätigte Corona-Infizierte – die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen. War bis vor kurzem ausschließlich die Hauptstadt Addis Abeba betroffen, hat sich das Virus mittlerweile in fast alle Regionen Äthiopiens ausgebreitet. Die Schulen sind geschlossen, Veranstaltungen ab vier Personen und sogar Handschläge zum Gruß sind verboten. Bei Verstoß drohen Geld- und Freiheitsstrafen. Die für August geplanten Parlamentswahlen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Trotz der von der Weltbank bereitgestellten 82 Mio. USD zur Bekämpfung der Pandemie wird die Wirtschaft Äthiopiens hart getroffen werden. Schon vor Corona war eins der zentralen Probleme im Land die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Erwachsenen. Darüber hinaus ist auch Äthiopiens Gesundheitssystem nicht für das Virus gewappnet. Es gibt nur einige Hundert Beatmungsgeräte und weniger als 500 Plätze in Intensivstationen. Arbeits- und Lebensbedingungen in Äthiopien stellen trotz der getroffenen Maßnahmen gute Voraussetzung für die Verbreitung des Virus dar: Eine weitgehend informelle Wirtschaft macht »social distancing« unmöglich. Viele Menschen leben in überfüllten Mehrgenerationenhäusern, in denen es oftmals kein fließendes Wasser gibt. In Äthiopien leben zudem viele Binnenvertriebene und Flüchtlinge aus Eritrea, Sudan und Somalia dicht an dicht in überfüllten Camps, wo sich das Virus leicht ausbreiten kann.
Arbeits- und Lebensbedingungen in Äthiopien stellen gute Voraussetzungen für die Verbreitung des Virus dar.
Problematischer Ausnahmezustand
Äthiopien – ein Land, welches aufgrund der Verleihung des Friedensnobelpreises an seinen Premierminister Abiy Ahmed kürzlich an medialer Aufmerksamkeit gewonnen hat – hat zwar nach jahrzehntelanger Feindschaft mit der benachbarten Autokratie Eritrea offiziell Frieden geschlossen, doch intern bleibt die Lage trotz einiger Verbesserungen angespannt. Erst letztes Jahr kam es zu einem Putschversuch und Aufstände wie Proteste sind an der Tagesordnung. In den Grenzgebieten des Landes kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen.
Human Rights Watch beobachtet aktuelle Entwicklungen vor dem Hintergrund von COVID-19 kritisch. Die Organisation schätzt den verhängten Ausnahmezustand und die damit verbundenen Sonderbefugnisse der Regierung als Vorwand ein, um die Redefreiheit einzuschränken. Die beiden vorherigen Ausnahmezustände Äthiopiens, einer von Oktober 2016 bis August 2017, brachten Massenverhaftungen und politisch motivierte Festnahmen mit sich, erweiterten die Überwachung und zahlreiche Einschränkungen der Bewegungs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Die Notstandserklärung von 2018 enthielt auch Bestimmungen, die die Verbreitung von Informationen unter Strafe stellten. Es wird befürchtet, dass auch der jetzige Ausnahmezustand als Unterdrückungsinstrument benutzt wird.
(jlr)
Ebenso wie Äthiopien ist auch Somalia von der Heuschreckenplage betroffen (siehe entsprechenden Abschnitt bei Äthiopien). In Somalia gehen mit der Heuschreckenplage auch starke Überflutungen einher, die bereits ganze Städte unter sich begraben haben. Die somalische Zentralregierung hat deswegen bereits im Februar 2020 den nationalen Notstand ausgerufen – und das, nachdem Somalia und das gesamte Horn von Afrika seit der Dürrekatastrophe 2016 immer wieder kurz vor der Hungersnot standen.
15 Intensivbetten für 15 Millionen Menschen
Die Informationslage zu COVID-19 in Somalia ist unübersichtlich. Laut offiziellen Zahlen gibt es 2.334 bestätigte Infektionen (Stichtag: 07.06.2020), aber die tatsächlichen Infektionszahlen dürften sehr viel höher liegen. Somalias Gesundheitssystem ist bloß ein Konstrukt: Die wenigen öffentlichen Krankenhäuser kämpfen mit mangelnder Ausstattung, nicht-akkreditierte Ärzt*innen in privaten Einrichtungen bieten unbezahlbare Leistungen an, Medikamente sind knapp oder minderwertig. Das Arzt-Patienten-Verhältnis gehört zu den schlechtesten der Welt – auf 1.000 Menschen kommen nur etwa 0,02 Ärzt*innen. In Somalia leben 15 Millionen Menschen. Doch im ganzen Land gibt es nur 15 Intensivbetten.
Das Arzt-Patienten-Verhältnis gehört zu den schlechtesten der Welt – auf 1.000 Menschen kommen nur etwa 0,02 Ärzt*innen.
Kein Ende der Gewalt in Sicht
Somalia ist seit Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 1990er ein sogenannter »fragiler Staat« und oftmals das Lehrbuchbeispiel für Staatszerfall. Die Zentralregierung hat trotz mancher Fortschritte nur wenig Macht, es gibt verschiedene verfeindete Gruppierungen im Land und Teile des Landes stehen unter der Kontrolle der islamistischen Terrororganisation Al-Shabaab, durch die es auch regelmäßig zu verheerenden Anschlägen kommt. Allein Ende Mai gab es drei tödliche Ereignisse: Zwei Anschläge mit insgesamt 14 Toten und die Entführung und Ermordung von sieben Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen. Auch wenn es keine offizielle Bestätigung gibt, wird Al-Shabaab als dafür verantwortlich gesehen. Auch wird befürchtet, dass durch die wirtschaftlichen Schäden Wut geschürt wird, welche Al-Shabaab für sich nutzen könnte, um Mitglieder zu werben. Der Kampf gegen die Gruppierung durch US-Luftangriffe ist derzeit auf einem Rekordhoch. Wie viele Zivilpersonen dabei zu Schaden kommen, ist nicht genau bekannt.
[Hinweis: Da die Quellen meist keine Unterscheidung zwischen Somalia, Somaliland und Puntland machen, konnte auch im Text keine entsprechende Unterscheidung gemacht werden.]
(jlr)
Pakistan ist in vielerlei Hinsicht schwer vom Coronavirus getroffen. Am 08.06.2020 stieg die Zahl der Neuinfektionen pro Tag auf über 4.700 und die offiziellen Zahlen im gesamten Land auf über 103.000. Bisher sind über 2.000 Menschen bekanntermaßen an dem Virus verstorben. Jedoch schätzen Kritiker*innen, dass die tatsächlichen Erkrankten in Millionenhöhe liegen könnten, da landesweit nur unzureichend getestet wird. Expert*innen schätzen, dass der Höhepunkt der Pandemie erst in einem Monat erreicht sein wird.
Entgegen der Forderungen nationaler Gesundheitsexpert*innen die Pandemie durch einen strikten Lockdown einzudämmen, hat der pakistanische Premierminister Imran Khan zunächst im Versuch die Wirtschaft anzukurbeln nahezu alle getroffenen öffentlichen Restriktionen wieder aufgehoben. Aufgrund der rasant steigenden Neuinfektionen seit Anfang Juni, kam es kürzlich jedoch erneut zu Schließungen und Abriegelung ganzer Stadtteile in Metropolen. Kritiker*innen werfen dem Premierminister vor, keinen konkreten Plan im Umgang mit dem Coronavirus zu verfolgen und Entscheidungen anhand von wirtschaftlichen Interessen und nicht in Abstimmung mit Gesundheitsexpert*innen zu treffen. Viele Pakistanis fürchten, dass das Land aufgrund der schlechten Regierungsführung in eine unhaltbare Gesundheitskrise geraten wird.
Viele Pakistanis fürchten, dass das Land aufgrund der schlechten Regierungsführung in eine unhaltbare Gesundheitskrise geraten wird.
Überlastetes Gesundheitssystem
Das pakistanische Gesundheitssystem ist bereits jetzt durch den hohen Anstieg der Infektionszahlen überlastet. Auch Krankenhäuser entwickeln sich durch hohe Belegungsraten zu Hotspot-Übertragungsorten, unter anderem da es an entsprechender Schutzausrüstung fehlt. Außerdem kam es zu Übertragungen in überfüllten Gefängnissen ohne dass Insassen einen adäquaten Zugang zu medizinischer Infrastruktur haben. Auch der ärmste Teil der Bevölkerung ist einer besonderen Gefahr ausgesetzt, da sie in überfüllten Siedlungen lebt, in denen Abstand halten nicht möglich ist.
Da sich die Anstrengungen der Regierung hauptsächlich auf das neuartige Virus konzentrieren, wird die Bekämpfung anderer Krankheiten vernachlässigt. So wurden Impfkampagnen gegen Masern mit der Folge eingestellt, dass erste isolierte Ausbrüche der potenziell tödlichen Krankheit in Pakistan stattgefunden haben. Es besteht die Gefahr, dass Krankheiten zurückkehren, die man vor COVID-19 bereits im Griff hatte.
Angeschlagene Wirtschaft und Landwirtschaft
Aufgrund weltweiter Konsumeinbrüche verzeichnen Textilfabriken in Südasien schon jetzt Auftragsrückgänge in Milliardenhöhe. Allein in der Provinz Sindh, in der auch die Millionenmetropole Karachi liegt, trifft das unzählige Familien. Durch zahlreiche Entlassungen, sind sie einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt.
Hinzu kommt, dass Pakistan derzeit von der schlimmsten Heuschreckenplage seit Jahrzehnten heimgesucht wird. Ganze Ernten können ausfallen und Nahrungsmittel knapp werden. Der Bericht der Landwirtschaftsexpert*innen der Vereinten Nationen warnt vor einer Hungersnot. Besonders betroffen sind wieder Ärmsten des Landes, auch da viele Arbeitsgelegenheiten in der Landwirtschaft – insbesondere für Tagelöhner – wegfallen. Nach wie vor ist die pakistanische Wirtschaft stark von der Landwirtschaft abhängig.
(tl)
Nigeria ist eins der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden in Europa und entsprechend hat EASO in seinem zweiten Sonderbericht zu Asyl und COVID-19 dem westafrikanischen Land ein ganzes Kapitel gewidmet. Laut offiziellen Angaben gibt es in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas (ca. 200 Millionen Menschen) etwas über 16.000 Corona-Fälle und 420 Tote (Stand 15.06.2020). Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Zahlen nicht die tatsächliche Ausbreitung des Virus abbilden. So gibt es laut dem EASO-Bericht nur in 12 der 36 nigerianischen Bundesstaaten Labore, die auf COVID-19 testen können. Entsprechend verteilen sich auch die festgestellten Corona-Fälle auf diese Bundesstaaten. Auch die häufige Nichtregistrierung von Todesfällen außerhalb von Krankenhäusern führt zu einer unsicheren Einschätzung bezüglich der aktuellen Gesamtlage. Ärzt*innen und Bestatter*innen berichteten zum Beispiel im Mai aus Kano, der viertgrößten Stadt Nigerias, von einer dramatischen Lage vor Ort, die nichts mit den bis dato relativ geringen offiziellen Fällen gemeinsam hatte.
Desolater Zustand des Gesundheitssystems
Die Corona-Pandemie trifft in Nigeria auf ein bereits angeschlagenes Gesundheitssystem, welches besonders unter der Wirtschaftskrise 2015/2016 zu leiden hatte. Auf 10.000 Einwohner*innen kommen laut der aktuellsten Zahlen nur fünf Krankenhausbetten und auf 100.000 Einwohner*innen weniger als ein Bett auf einer Intensivstation – das gehört zu einer der schlechtesten medizinischen Versorgungslagen weltweit.
Aufgrund der wenigen medizinischen Ressourcen stellt auch die Umstellung einiger Teile des Gesundheitssystems auf die Bekämpfung von COVID-19 ein Problem dar, denn dadurch fehlen wichtige Ressourcen für die Behandlung von verbreiteten Krankheiten wie HIV und Tuberkulose. Die Weltgesundheitsorganisation befürchtet, dass es entsprechend zu mehr ansonsten vermeidbaren Todesfällen an mit AIDS verbundenen Krankheiten wie Tuberkulose kommen wird.
Auf 10.000 Einwohner*innen kommen nur fünf Krankenhausbetten und auf 100.000 Einwohner*innen weniger als ein Intensivstationsbett.
Wirtschaft droht einzubrechen
Nigeria hat erst kürzlich angefangen sich von der Rezession von 2016 zu erholen, doch nun droht die Wirtschaft Corona-bedingt erneut einzubrechen. In Ländern mit niedrigem Einkommen sind einschränkende Maßnahmen wie Lockdowns besonders problematisch, da die Menschen weniger Rücklagen haben und so bei Wegfall von Arbeit und steigenden Lebensmittelpreisen schnell von extremer Armut bedroht sind. Vermutlich auch deshalb hat Nigeria die einschränkenden Maßnahmen relativ schnell wieder gelockert – womit jedoch wieder eine stärkere Verbreitung des Virus droht.
Nigerias Wirtschaft ist auch stark von der Ölproduktion abhängig und der seit diesem Jahr sehr niedrige Ölpreis wirkt sich bereits auf die Einnahmen der Regierung aus. Im April 2020 hat der Internationale Währungsfonds vor einer neuen Rezession in Nigeria gewarnt, die die schlimmste in den letzten 30 Jahren sein könnte. Geldüberweisungen von Nigerianer*innen, die in anderen Ländern leben und arbeiten, sind ebenso für die Wirtschaft ein relevanter Faktor und für viele Familien überlebenswichtig. Doch auch diese dürften aufgrund der weltweiten Einschränkungen und wirtschaftlichen Konsequenzen rückläufig sein.
Verstärkte wirtschaftliche Not in der Bevölkerung kann auch dazu führen, dass mehr Personen Opfer von Menschenhandel werden und zum Beispiel in Europa zur Prostitution gezwungen werden. Dies kann auch ein Asylgrund sein (siehe z.B. VG Köln, Urteil vom 28.05.2019)!
Tödlicher Konflikt im Norden hält an
Insbesondere im Norden Nigerias ist die Sicherheitslage weiterhin sehr problematisch, im April 2020 flohen ungefähr 23.000 Menschen vor der Gewalt und den Entführungen islamistischer Gruppen wie Boko Haram aus den Bundesstaaten Katsina, Sokoto und Zamfara in das Nachbarland Niger. Tödliche Angriffe auf Dörfer zählen schon fast zur Tagesordnung.
Ungefähr zwei Millionen Menschen sind vor der Gewalt innerhalb des eigenen Lands geflüchtet und sind als Binnenflüchtlinge oft von humanitärer Hilfe abhängig. Doch diese gestaltet sich während der Corona-Beschränkungen besonders problematisch. Hilfsgüter werden auch zum Angriffsziel, so brannten kürzlich Anhänger der Gruppe »Islamischer Staat in Westafrika« ein Lager der Vereinten Nationen nieder.
Zudem wurden allein zwischen dem 21. März und dem 16. Mai 72 Vorfälle wie Proteste und Unruhen in Nigeria registriert, die im Zusammenhang mit Corona-Beschränkungen standen. Dabei starben 28 Menschen, in den meisten Fällen durch staatliche Akteure.
(sch/wj)
Knapp 180.000 Infizierte und 4.800 Tote, Tendenz steigend – so stellt sich laut der Welt Gesundheitsorganisation (WHO) Mitte Juni die Coronasituation in der Türkei dar. Besonders zu Beginn der Pandemie bestanden große Zweifel, ob die offiziellen Regierungsangaben die tatsächlichen Zahlen wiedergeben. Ungereimtheiten, etwa der relativ späte Bericht über die ersten Corona Infektionen trotz der unmittelbaren Nachbarschaft zum Infektionsherd Iran und Diskrepanzen zwischen der gemeldeten Anzahl von tödlichen Verläufen in Istanbul und einem wesentlich stärkeren Anstieg der Todeszahlen im Vergleich zum Vorjahr hatten den Verdacht der Vertuschung aufgebracht. Dieser wurde durch Videos auf Social-Media-Kanälen, die eine Vielzahl an Särgen oder ausgehobene Massengräber zeigten, bestärkt. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden an der wirtschaftlichen Schadensbegrenzung ausgerichtet. Relativ frühzeitig reagierte die Türkei mit Reisebeschränkungen, Ausgangssperren wurden vorwiegend an arbeitsfreien Tagen verhängt. Flächendeckend waren sie nur für Altersgruppen in Kraft, die sich nicht in der Erwerbstätigkeit befinden: Für über 65- und unter 20-Jährige. Seit dem 1. Juni sind viele Maßnahmen gelockert. Restaurants, Fitnessstudios und Strände haben wieder geöffnet, ebenso ist die Ein- und Ausreise wieder möglich – 14 Tage später steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen wieder an.
Kritik an zögerlichen Corona-Maßnahmen unerwünscht
Eine offene Diskussion über eine vermeidlich verfrühte Öffnung wird in der Türkei jedoch vermutlich nicht entstehen. Nachdem Mediziner*innen, die sich kritisch bezüglich der zögerlichen Corona-Maßnahmen des Regimes Erdoğans geäußert, in den Fokus staatlicher Verfolgung geraten sind, üben sich nun viele in Selbstzensur. Wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet, wird Mediziner*innen in verschiedenen Provinzen gezielte Desinformation vorgeworfen und gegen es wurden Strafverfahren gegen sie eröffnet. Die kritische Berichterstattung über das Coronavirus in der Türkei ergänzt auch die schier endlos scheinende Liste an Gründen, für die Journalist*innen verfolgt und festgenommen werden.
»Die strafrechtlichen Ermittlungen der türkischen Behörden gegen Beamte der Ärztekammer sind nicht nur ein empörender Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern behindern auch den Kampf gegen die tödliche COVID-19-Pandemie.«
Minderheiten als Sündenbock
Durch Hetze und Verschwörungstheorien, werden auch von (semi-)staatlichen Akteuren Nebelkerzen entfacht, die Ressentiments gegen Minderheiten schüren.
Der Regenbogen ist vielerorts zu einem Zeichen der Hoffnung in der Corona Pandemie geworden. Weltweit wurde er von Kindern gemalt und sichtbar angebracht. In der Türkei wurden solche Aktionen jedoch zum Teil unterbunden. Grund ist die Symbolkraft des Regenbogens in der Schwulen- und Lesbenbewegung. Die Menschenrechte sexueller Minderheiten werden in der Türkei kontinuierlich beschnitten. Während der Pandemie intensivierte sich die öffentliche Hetze. In seiner Predigt zum Fastenmonat Ramadan, der unter erheblichen Einschränkungen stattfand, wetterte der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, gegen Homosexualität als ursächlich für gesellschaftlichen Verfall und Krankheiten. Die Anwaltskammer Ankara legte wie die Menschenrechtsvereinigung (IHD) Strafanzeige gegen Erbaş ein. Anschließende Ermittlungen eröffnete die Staatsanwaltschaft jedoch gegen die Anwaltskammer selbst. Der Vorwurf: »Verletzung der religiösen Gefühle des Volkes«. Damit folgt die Justiz den Äußerungen des Staatspräsidenten Erdoğan, der die Äußerung Erbaş als »von vorne bis hinten korrekt« verteidigte.
Auch religiöse Minderheiten geraten in den Fokus von Hetzkampagnen und Übergriffen. So verbreitete die türkische Zeitschrift Gercek Hayat, dass Jüd*innen und griechisch und armenische Christen das Gülen-Netzwerk, dass für den vereitelten Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird, unterstützt haben. Das als einflussreich bewerte Magazin gehört zur Albayrak Media Group des Schwiegersohns Erdoğans, Berat Albayrak. In der Sonderpublikation wird die Geschichte des Gülen-Netzwerks dokumentiert und eine Verbindung zu den unterschiedlichen Religionsgruppen nahegelegt. Medienberichten zu Folge mehrten sich die Übergriffe gegenüber Minderheiten in den letzten Monaten, was die Befürchtung von Vertretern der Religionsgruppen bestätigt. Ein versuchter Brandanschlag am 8. Mai gegen eine armenische Kirche in Istanbul begründete der Attentäter damit, dass Armenier*innen für den Ausbruch des Corona-Virus verantwortlich seien.
Autoritärer Kurs hält an
Im Schatten der Krise setzen sich Amtsenthebungen und Festnahmen, meist unter Terrorvorwürfen, fort. Medien berichteten in den vergangenen Monaten von Repressionen gegen Kommunal- und Landespolitiker*innen der Oppositionspartei HDP. Neben weiteren Inhaftierungen wurde auch ein für Juni geplanter »Demokratiemarsch« durch weitreichende Anordnungen letztlich verboten. Im Nordirak flog die Türkei Mitte Juni erstmals seit Monaten Angriffe gegen PPK-Stellungen, wobei laut Berichten des kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit auch ein Flüchtlingslager südöstlich von Erbil und sowie ein Rückkehrlager von Jesid*innen angegriffen worden seien.
Besorgt äußerte sich die Opposition über die jüngsten Stärkung der sogenannten Hilfspolizei. Befürchtet wird, dass sich die als regierungstreu geltende Hilfspolizei zu einer Art Miliz Erdoğans entwickeln könnte. Derweil ging die von Erdoğan nach dem gescheiterten Putsch 2016 angekündigten »Säuberungen« staatlicher Institutionen weiter. Mehr als 100 ehemalige Militärs und Polizist*innen wurden in mehreren Aktionen festgenommen. Ihnen wird die vermeidliche Unterstützung des Predigers Fethulla Gülen vorgeworfen. Seit dem Putschversuch wurde gegen mehr als eine halbe Millionen Menschen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Häufig reicht der pure Verdacht für eine Verurteilung aus. Von einer unabhängigen Justiz kann nicht mehr die Rede sein. Auch in Zeiten der Pandemie setzt sich der autoritäre Kurs der Türkei umfänglich fort.
Aktuell gibt es im Irak über 14.200 bestätigte Corona-Fälle und fast 400 Tote (Stand 10.06.2020). Doch ob diese das wahre Ausmaß der Ausbreitung zeigen kann bezweifelt werden. Anfang April berichtete die Nachrichtenagentur Reuters basierend auf Gesprächen mit Ärzt*innen und Behördenmitarbeiter*innen, dass die tatsächlichen Zahlen die offiziellen Zahlen um ein Vielfaches übersteigen würden. Daraufhin entzog die irakische Regierung Reuters für drei Monate die Lizenz und verhängte eine saftige Geldstrafe. Zuletzt gab es einen starken Anstieg von Corona-Fällen in der Autonomen Region Kurdistan, woraufhin eine totale Ausgangssperre verhängt wurde. Das irakische Gesundheitssystem – marode durch Krieg, Sanktionen und Korruption – ist für eine starke Ausbreitung des Corona-Virus nicht vorbereitet. Auf die rund 40 Millionen Einwohner*innen kommen gerade mal 500 Intensivbetten.
Das irakische Gesundheitssystem – marode durch Krieg, Sanktionen und Korruption – ist für eine starke Ausbreitung des Corona-Virus nicht vorbereitet.
Im Zuge der Corona-Pandemie droht zudem ein erneutes Erstarken des selbsternannten »Islamischen Staats« (IS), der in der Grenzregion von Syrien und dem Irak rund 30.000 aktive Mitglieder hat. Wie EASO in seinem ersten Special Report zu COVID-19 festhält, ist die aktuelle Konstellation für den IS denkbar günstig: Seit der Einstellung von Operationen der internationalen Koalition gegen den IS gibt es ein Machtvakuum in der Region, welches der IS ausnutzen will. Die schlecht ausgerüsteten lokalen Militär- und Polizeikräfte sind wegen Corona im Krisenmanagement und bei der Überprüfung von Ausgangssperren eingespannt. Im März hat die internationale Koalition im Irak zudem Trainings‑, Kampf- und Logistikaktivitäten eingestellt und der Ausbruch des Corona-Virus führt zu einem schnelleren Truppenabzug aus dem Irak. Die Aktivitäten des IS nehmen deutlich zu, bis zum Mai verübte der IS mehr als 430 Anschläge, im April gab es doppelt so viele Angriffe wie im Vergleich zum Januar.
Sowohl für den Kampf gegen den IS als auch gegen Corona bräuchte es eine handlungsfähige Regierung im Irak. Im Herbst des vergangenen Jahres war der bisherige Premier nach wochenlangen Massenprotesten gegen u.a. Korruption in der Politik zurück getreten, nach zwei gescheiterten Versuchen versucht nun ein dritter Kandidat ein Kabinett zu bilden.
(wj)
Menschen schützen – Abschiebungsstopps und Abschiebungsverbote
Die Bundesländer sollten Staatsangehörigen besonders betroffener Länder gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilen. Zumindest aber sollten für stark betroffene Länder ein Abschiebungsstopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG erlassen werden. Ein solcher Abschiebungsstopp ist für zunächst drei Monate gültig und kann einmal verlängert werden, danach ist der § 23 Abs. 1 AufenthG einschlägig. Für dessen Anwendung ist aber das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums erforderlich.
Da sowohl das gesundheitliche Risiko als auch die gesellschaftlichen Auswirkungen – wie Hungersnöte oder politische Instabilität – in den meisten Ländern einen Großteil der Bevölkerung betreffen, sind die humanitäre Aufenthaltserlaubnis bzw. ein Abschiebungsstopp die geeignete Antwort. Für den Fall, dass diese jedoch nicht erlassen werden, muss ab nun ein besonderes Augenmerk auf der Prüfung von Abschiebungsverboten liegen (§§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG). Bei der Beurteilung, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, ist der entscheidende Zeitpunkt jener der Rückführung. Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände einer Pandemie und den drastischen Auswirkungen in den Herkunftsländern fordert PRO ASYL eine Prüfung von Abschiebungsverboten von Amts wegen! Personen, die eventuell Gefahr laufen abgeschoben zu werden, sollten sich dringend fachkundig beraten lassen.
Hilfreiche Informationen zum Thema Abschiebungsverbote gibt es hier:
Wichtiger Hinweis: Seit der aktuellsten Gesetzesverschärfung durch das 2019 verabschiedete Migrationspaket muss eine bestehende Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht werden (vgl. § 60 Abs. 7 S. 2 i. V. m. § 60a Abs. 2c S. 2 und 3 AufenthG).
Deutsches Rotes Kreuz, Leitfaden zum Flüchtlingsrecht (Stand Dezember 2019), ab S. 68, zu finden hier.
Informationsverbund, Arbeitshilfe zu den Anforderungen an die Darlegung von Abschiebungshindernissen aufgrund von Krankheit im Asyl- und Aufenthaltsrecht (Stand 2017), zu finden hier.
Der Paritätische Gesamtverband, Grundlagen des Asylverfahrens (Stand 2016), ab. S. 37, zu finden hier.
(wj/Rechtspolitik)