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Aus der Praxis: Trotz aller Mühe bei der Passbeschaffung »nicht mitgewirkt«
Wer eine Duldung hat, wird von der Ausländerbehörde zur Passbeschaffung aufgefordert. Die Mitwirkung an der Beschaffung ist Voraussetzung zum Beispiel für eine Arbeitserlaubnis oder Ausbildungsduldung. In vielen Fällen ist die Beschaffung eines Passes des Herkunftslandes für die Betroffenen jedoch nicht einfach.
Die Ausländerbehörde erklärt nämlich selten, welche Schritte genau unternommen werden sollen und hat kaum Verständnis, wenn sich der Prozess verzögert. Wie schwer die Erfüllung der Mitwirkungspflicht ist und wie schnell die Ausländerbehörde fehlende Bemühungen unterstellt, zeigt ein Fall aus der Praxis.
Im vorliegenden Fall hat der Geflüchtete alles ihm Mögliche unternommen, um bei der Botschaft einen Pass zu erhalten. Er geht seinem Antrag akribisch nach und hält mit seinem Arbeitgeber die Ausländerbehörde auf Stand. Worauf er keinen Einfluss hat: Die Passbeschaffung dauert länger als gedacht. Die Ausländerbehörde attestiert dem Betroffenen daraufhin seine »Nicht-Mitwirkung« – mit fatalen Folgen:
Nazir K. (Name geändert) aus Bangladesch lebte seit August 2015 in Deutschland. Als sein Asylantrag im August 2018 endgültig abgelehnt wurde, arbeitete er schon einige Monate in Vollzeit und mit einer unbefristeten Stelle bei einem Betrieb als Helfer. Dort wird er für seine schnelle Auffassungsgabe, seine Zuverlässigkeit und Teamfähigkeit geschätzt. Sein Arbeitgeber möchte ihn unbedingt behalten.
Botschaft braucht Monate
Die Ausländerbehörde fordert Nazir auf, einen Pass aus seinem Herkunftsland zu beschaffen. Wenn er bei der Passbeschaffung nicht mitwirkt, droht ein Arbeitsverbot und das möchten alle vermeiden. Nazir fährt darum umgehend zur Botschaft seines Landes nach Berlin und beantragt einen Pass. Dort wird ihm mitgeteilt, dass die Passbeschaffung drei Monate in Anspruch nimmt.
Für das Asylverfahren hat diese dramatische Lebensgeschichte keine Relevanz – nur die Bedrohung im Herkunftsland ist für die Prüfung des Schutzanspruchs von Belang.
Nazir hat Bangladesch bereits im Alter von sieben Jahren verlassen. Mit seiner Tante und seinem Onkel ist er damals nach Libyen gezogen. Die Verwandten ließen ihn kaum aus dem Haus und er musste als Kind unter ausbeuterischen Bedingungen zu Hause und in der Werkstatt mitarbeiten. Als in Libyen der Krieg ausbrach, verließen die Verwandten das Land und ließen den damals 14-Jährigen allein zurück. Als die Lage immer gefährlicher wurde und islamistische Milizen ihn bedrohen, floh er nach Europa. Für das Asylverfahren hat diese dramatische Lebensgeschichte keine Relevanz – nur die Bedrohung im Herkunftsland ist für die Prüfung des Schutzanspruchs von Belang.
Ausländerbehörde macht Druck
Nazir und sein Arbeitgeber hoffen, dass Nazir durch den neuen Gesetzesentwurf zur Beschäftigungsduldung eine Chance in Deutschland bekommt. In anderen Bundesländern wurden bereits Vorgriffsregelungen eingeführt, in NRW zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Nur eine Ausbildung kann ihn aktuell vor einer Abschiebung schützen. Der Arbeitgeber bietet Nazir einen Ausbildungsplatz an. Um die Genehmigung dafür zu bekommen, versuchen sie weiter alles, um Nazir bei der Passbeschaffung zu unterstützen.
Doch die Passbeschaffung zieht sich in die Länge. Als nach den versprochenen drei Monaten noch kein Pass da ist, fragt Nazir regelmäßig bei der Botschaft an. Diese teilt ihm nur mit, dass Behörden in Bangladesch noch Angaben überprüfen müssten und sie darauf keinen Einfluss hätten. Eine Telefonnummer wird ihm nicht genannt, doch Nazir schafft es, diese zu recherchieren und fragt auch bei den Behörden in Bangladesch nach. Dort bekommt er die Information, dass die Polizei noch in sein Dorf gehen muss, um die Angaben zu bestätigen. Danach würde es noch sechs Wochen dauern. Immer wieder ruft Nazir an und betont die Dringlichkeit. Auch einen Bekannten schickt er bei der Behörde vorbei. Doch es ist einfach kein Vorankommen.
Trotz aller Mühe: Antrag abgelehnt
Die Ausländerbehörde lehnt den Antrag auf Ausbildung ab. Der Sachbearbeiter schreibt: »Nach mir vorliegenden Informationen dauert die Ausstellung des Reisepasses bei der Botschaft etwas sechs bis acht Wochen. (…) Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass Sie nicht alle zumutbaren und möglichen Anstrengungen unternommen haben, Ihrer Mitwirkungspflicht zur Erlangung eines (Ersatz) Reiseausweises nachzukommen.« Eine pauschale Unterstellung.
Der Arbeitgeber ist verzweifelt. Er schreibt dem Sachbearbeiter zurück: »Ich hatte Sie in der gesamten Zeit, immer auf dem aktuellen Stand dieser Informationen gehalten. Deswegen möchte ich jetzt von Ihnen wissen, was wir noch tun sollen / können, um den Vorwurf aus dem Weg zu räumen, dass Herr K. sich nicht aktiv und mit allem ihm zumutbaren Anstrengungen an der Passbeschaffung beteiligt. Wie vor kurzem geschrieben, weiß ich nicht, was wir noch tun können, um die Passbeschaffung zu beschleunigen. Wenn Sie für uns einen Tipp haben, nehmen wir den gerne an und setzen diesen um.«
Doch es kommen keine Tipps. Nur wenige Tage später wird Nazir abgeschoben.
Der Arbeitgeber fragt bei der Ausländerbehörde nach Rat, was man denn noch alles unternehmen könne, um den Pass zu erhalten. Doch es kommen keine Tipps. Nur wenige Tage später wird Nazir abgeschoben.
Die Entscheidung der Behörde darüber, ob Mitwirkungspflichten als ausreichend erfüllt angesehen werden oder nicht, hat damit lebensentscheidende Konsequenzen. Dies verschärft sich umso mehr, wenn neben dem neuen Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungsgesetz das neue »Hau-ab-Gesetz II« in Kraft tritt, welches eine »Duldung für Personen mit ungeklärter Identität« einführen will. In der Praxis muss also dringend gewährleistet werden, dass es tatsächlich auf die Bemühungen ankommt.
(jb / akr)