17.07.2020
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Straßenbild in Karachi, Juni 2020. Tausende Menschen sind in Pakistan an COVID-19 verstorben. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com / PPI

Anfang der Woche startete der erste Sammelcharter nach Pakistan seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Abschiebungen fanden zuletzt aufgrund von internationalen Reisebeschränkungen nur vereinzelt statt. Nun ist zu befürchten, dass Chartermaßnahmen wieder verstärkt aufgenommen und Personen selbst in Corona-Krisenregionen geschickt werden.

Nach­dem ers­te Sam­mel­ab­schie­bun­gen bereits durch­ge­führt wur­den, dar­un­ter Ende Mai die einer acht­köp­fi­gen Roma-Fami­lie mit einem behin­der­ten Kind nach Ser­bi­en, fand nun in Zusam­men­ar­beit mit Fron­tex die ers­te Lang­stre­cken­ab­schie­bung nach Islam­abad statt. Betrof­fen waren ins­ge­samt 19 Paki­sta­ner, von denen neun aus Deutsch­land und zehn aus Grie­chen­land abge­scho­ben wurden.

Noch am Mon­tag wur­de Paki­stan in Zusam­men­hang mit stei­gen­den Coro­na-Infek­tio­nen vom Chef des Robert-Koch-Insti­tuts im Bei­sein des Gesund­heits­mi­nis­ters  expli­zit genannt – nur einen Tag spä­ter star­tet der ers­te Sam­mel­char­ter über eine Lang­stre­cke aus­ge­rech­net in die­ses Land. Dabei hat die paki­sta­ni­sche Bevöl­ke­rung der­zeit mit viel­fäl­ti­gen direk­ten und indi­rek­ten Fol­gen von COVID-19 zu kämpfen.

Pakistan belegt Platz 11 aller von COVID-19 betroffenen Länder weltweit

Am 17. Juli belie­fen sich die offi­zi­el­len Zah­len im gesam­ten Land laut WHO auf fast 260.000, wodurch Paki­stan welt­weit die Num­mer 11 ist.  Auch das Infek­ti­ons­ge­sche­hen in den Nach­bar­län­dern Afgha­ni­stan, Iran und Indi­en zeugt von einer schwer­ge­trof­fe­nen Regi­on.  Die WHO bestä­tigt außer­dem, dass Paki­stan eines der Län­der mit den höchs­ten Zuwäch­sen an Infek­tio­nen ist. Bis­her sind fast 5500 Men­schen bekann­ter­ma­ßen an dem Virus ver­stor­ben.

Noch am Mon­tag wur­de Paki­stan in Zusam­men­hang mit stei­gen­den Coro­na-Infek­tio­nen vom Chef des Robert-Koch-Insti­tuts expli­zit genannt – nur einen Tag spä­ter star­tet aus­ge­rech­net dort­hin eine Sammelabschiebung.

24%

aller Coro­na­tests in Paki­stan haben ein posi­ti­ves Ergebnis!

Die WHO wand­te sich bereits mit einem Schrei­ben an die paki­sta­ni­sche Regie­rung, in wel­chem sie die schwa­che Stra­te­gie zur Bekämp­fung des Coro­na­vi­rus kri­ti­sier­te. Das Iden­ti­fi­zie­ren, Tes­ten, Iso­lie­ren sowie die Behand­lung und Nach­ver­fol­gung der Kon­tak­te sei unzu­rei­chend. Der­zeit wer­de nur halb so viel getes­tet, wie emp­foh­len, was für eine hohe Dun­kel­zif­fer an Infi­zier­ten spre­che. Die über­durch­schnitt­lich hohe Posi­tiv­ra­te von 24 Pro­zent aller Getes­te­ten ver­här­te die­sen Ver­dacht. Kritiker*innen schät­zen des­we­gen, dass die  Zahl der tat­säch­lich Erkrank­ten in Mil­lio­nen­hö­he lie­gen könnte.

Schlechte Regierungsführung geht auf Kosten der Bevölkerung 

Nach dem ers­ten regis­trier­ten COVID-19 Fall am 26. Febru­ar 2020 ver­häng­te die Regie­rung von Pre­mier­mi­nis­ter Imran Khan zwi­schen dem 1. April und dem 9. Mai einen par­ti­el­len Lock­down über das gesam­te Land. Unter ande­rem auf Druck reli­giö­ser Grup­pen und Gewerk­schaf­ten hob die paki­sta­ni­sche Regie­rung jedoch die Beschrän­kun­gen Ende Mai zu den Fei­er­lich­kei­ten von Eid al-Fitr, dem Fas­ten­bre­chen, sowie mit dem Ziel die stark ange­schla­ge­ne Wirt­schaft anzu­kur­beln wie­der fast voll­stän­dig auf. Auf­grund der rasant stei­gen­den Neu­in­fek­tio­nen Anfang Juni kam es kurz­fris­tig  jedoch erneut zu Schlie­ßun­gen und der Abrie­ge­lung gan­zer Stadt­tei­le in Metropolen.

Kritiker*innen wer­fen dem Pre­mier­mi­nis­ter vor, kei­nen kon­kre­ten Plan im Umgang mit dem Coro­na­vi­rus zu ver­fol­gen und Ent­schei­dun­gen anhand von wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen und nicht in Abstim­mung mit Gesundheitsexpert*innen zu treffen.

Nur ein Bei­spiel dafür ist, dass die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben im Haus­halts­jahr 2020/2021 um 12 Pro­zent im Ver­gleich zum Vor­jahr erhöht wur­den, wäh­rend die Aus­ga­ben für Gesund­heit nur einen Bruch­teil davon aus­ma­chen. Pro­ble­ma­tisch ist außer­dem, dass die Regie­rung ein Flug­zeug vol­ler medi­zi­ni­scher Schutz­aus­rüs­tung an das US-ame­ri­ka­ni­sche Mili­tär ver­schenk­te, obwohl im eige­nen Land nicht genü­gend zur Ver­fü­gung steht. Vie­le Pakistaner*innen fürch­ten, dass das Land auf­grund der schlech­ten Regie­rungs­füh­rung in eine unhalt­ba­re Gesund­heits­kri­se gera­ten wird.

Überlastetes Gesundheitssystem fordert Menschenleben

Das Gesund­heits­sys­tem ist bereits jetzt durch den hohen Anstieg der Infek­ti­ons­zah­len über­las­tet. Auch Kran­ken­häu­ser haben sich durch hohe Bele­gungs­ra­ten zu Hot­spot-Über­tra­gungs­or­ten ent­wi­ckelt, unter ande­rem da es an ent­spre­chen­der Schutz­aus­rüs­tung fehlt. Es gibt Berich­te, dass man­che Kran­ken­häu­ser auf­grund der Über­las­tung ihre Tore ver­schlos­sen haben und Ärzt*innen sich in hohen Zah­len selbst infi­zie­ren.

Außer­dem kam es zu eini­gen Über­tra­gun­gen in über­füll­ten Gefäng­nis­sen, ohne dass Insas­sen einen adäqua­ten Zugang zu medi­zi­ni­scher Infra­struk­tur hät­ten. Aber auch der ärms­te Teil der Bevöl­ke­rung ist einer beson­de­ren Gefahr aus­ge­setzt, da er in über­füll­ten Sied­lun­gen lebt, in denen Abstand hal­ten nicht mög­lich ist.

Das Gesund­heits­sys­tem ist bereits jetzt über­las­tet. Auch Kran­ken­häu­ser haben sich zu Hot­spots entwickelt.

Da sich die Anstren­gun­gen der Regie­rung haupt­säch­lich auf das neu­ar­ti­ge Virus kon­zen­trie­ren, wird die Bekämp­fung ande­rer Krank­hei­ten ver­nach­läs­sigt. So wur­den Impf­kam­pa­gnen gegen Masern ein­ge­stellt – mit der Fol­ge, dass ers­te iso­lier­te Aus­brü­che der poten­zi­ell töd­li­chen Krank­heit in Paki­stan statt­ge­fun­den haben. Es besteht die Gefahr, dass Krank­hei­ten zurück­keh­ren, die man vor COVID-19 bereits im Griff hatte.

Schwerwiegende Wirtschafts- und Ernährungskrise steht vor der Tür

Weit­rei­chen­de Fol­gen der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen wird es auch im Wirt­schafts­sek­tor geben. Als direk­te Reak­ti­on auf die welt­wei­ten Kon­sum­ein­brü­che ver­zeich­nen Tex­til­fa­bri­ken in Süd­asi­en schon jetzt Auf­trags­rück­gän­ge in Mil­li­ar­den­hö­he. Allein in der Pro­vinz Sindh, in der auch die Mil­lio­nen­me­tro­po­le Kara­chi liegt, trifft das unzäh­li­ge Fami­li­en. Durch zahl­rei­che Ent­las­sun­gen, die in Mil­lio­nen­hö­he lie­gen kön­nen, sind sie einer exis­ten­ti­el­len Bedro­hung ausgesetzt.

Der Bericht der Landwirtschaftsexpert*innen der Ver­ein­ten Natio­nen warnt vor einer Hun­gers­not. Beson­ders betrof­fen sind wie­der die Ärms­ten des Landes.

Doch nicht nur die wirt­schaft­li­chen Ein­brü­che wer­den das Land schwer tref­fen, son­dern auch eine zuneh­men­de Ver­schlech­te­rung der Ernäh­rungs­si­cher­heit. In dem kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Welt­ernäh­rungs­be­richt 2020 wird die aku­te Ernäh­rungs­un­si­cher­heit Paki­stans an vie­len Stel­len deut­lich. So ist es eines der Län­der, in wel­chem sich die Ernäh­rungs­si­cher­heit auf­grund von extre­men Wet­ter­ereig­nis­sen und wirt­schaft­li­chen Schocks in den letz­ten Jah­ren stark ver­schlech­tert hat. Außer­dem weist das Land eine zu hohe Zahl akut unter­ernähr­ter Kin­der auf.

Als wäre all das nicht schon genug wird Paki­stan der­zeit von der schlimms­ten Heu­schre­cken­pla­ge seit Jahr­zehn­ten heim­ge­sucht. Die Regie­rung hat im Febru­ar die­ses Jah­res des­we­gen den natio­na­len Not­stand aus­ge­ru­fen. Gan­ze Ern­ten kön­nen aus­fal­len und Nah­rungs­mit­tel knapp werden.

Der Bericht der Landwirtschaftsexpert*innen der Ver­ein­ten Natio­nen warnt vor einer Hun­gers­not. Beson­ders betrof­fen sind wie­der die Ärms­ten des Lan­des, auch da vie­le Arbeits­ge­le­gen­hei­ten in der Land­wirt­schaft – ins­be­son­de­re für Tage­löh­ner*innen – weg­fal­len. Nach wie vor ist die paki­sta­ni­sche Wirt­schaft stark von der Land­wirt­schaft abhängig.

Abschiebungen nach Pakistan sind verantwortungslos!

Die Ver­schrän­kung all die­ser poli­ti­schen, gesund­heit­li­chen, wirt­schaft­li­chen und ernäh­rungs­tech­ni­schen Aspek­ten macht deut­lich, dass Abschie­bun­gen nach Paki­stan aktu­ell nicht ver­tret­bar sind! Die Coro­na-Pan­de­mie ist noch längst nicht vor­bei, die Regie­rung schützt die eige­ne Bevöl­ke­rung und vor allem die Ärms­ten nicht aus­rei­chend und die Pro­gno­se bezüg­lich der Wirt­schafts- und Ernäh­rungs­si­tua­ti­on ist verheerend.

Gemein­sam mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen hat­te PRO ASYL ange­sichts der Pan­de­mie zur Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz am 18. Juni die For­de­rung nach einem Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um erneuert.

(tl)