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»Sicheres Herkunftsland«? Festnahmen bei einer Demonstration von Journalist*innen und Aktivist*innen 2014 in Algier. Sie protestierten gegen Präsident Bouteflika, der für eine weitere Amtzszeit als Präsident kandidierte. Um das möglich zu machen, änderte dieser bereits 2009 die Verfassung. Foto: picture alliance / AA

Die Debatte um »sichere Herkunftsländer« ist in aller Munde – und allzu oft wird der Begriff falsch verwendet. Grund genug, kurz zu erklären, worum es dabei eigentlich geht, und mit ein paar Irrtümern aufzuräumen.

Als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« sind aktu­ell Gha­na, Sene­gal und die sechs West­bal­kan­staa­ten Alba­ni­en, Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na, Koso­vo, Maze­do­ni­en, Mon­te­ne­gro und Ser­bi­en ein­ge­stuft. Geschaf­fen wur­de die Rege­lung bereits 1993, die West­bal­kan­staa­ten wur­den erst 2014 bzw. 2015 in die Lis­te aufgenommen.

Konzept zur Flüchtlingsabschreckung

Der Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« geht ein Gesetz­ge­bungs­pro­zess vor­an. Not­wen­dig ist dafür, dass »sich auf­grund des demo­kra­ti­schen Sys­tems und der all­ge­mei­nen poli­ti­schen Lage nach­wei­sen lässt, dass dort gene­rell kei­ne staat­li­che Ver­fol­gung zu befürch­ten ist und dass der jewei­li­ge Staat grund­sätz­lich vor nicht­staat­li­cher Ver­fol­gung schüt­zen kann«. (Quel­le: Bun­des­amt für Migra­ti­on & Flüchtlinge)

Dass ein Staat als »siche­res Her­kunfts­land« defi­niert wird, hat momen­tan lei­der nicht immer etwas mit der tat­säch­li­chen poli­ti­schen Rea­li­tät in die­sen Staa­ten zu tun. Viel­mehr wird die Rege­lung aktu­ell in ers­ter Linie dazu genutzt, Flücht­lings­zah­len aus gewis­sen Län­dern zu begrenzen.

Mit einer sol­chen Ein­stu­fung soll deut­lich gemacht wer­den, dass die Men­schen hier kei­ne Chan­ce auf Asyl haben, um Flucht­be­we­gun­gen zu ver­rin­gern. Dazu wird pau­schal behaup­tet, in die­sen Staa­ten gäbe es kei­ne poli­ti­sche Ver­fol­gung, die Schutz­su­chen­de als Asyl­grund gel­tend machen könnten.

Irrtum #1: Wer aus einem »sicheren Herkunftsland« kommt, kann kein Asyl beantragen

Ein Asyl­an­trag kann aber trotz­dem gestellt wer­den. Bloß: Für Flücht­lin­ge aus die­sen Staa­ten bedeu­tet es, dass sie im Eil­ver­fah­ren mit pau­scha­len Ableh­nun­gen von Asyl­an­trä­gen abge­speist wer­den, dass ihr Rechts­schutz auf ein Mini­mum redu­ziert wird und sie mit umfang­rei­chen Dis­kri­mi­nie­run­gen wie dau­er­haf­ter Lager­un­ter­brin­gung und Arbeits­ver­bot zu rech­nen haben.

Auch gibt es seit 2016 soge­nann­te »beson­de­re Auf­nah­me­zen­tren«, in denen Asyl­an­trä­ge von Men­schen aus »siche­ren Her­kunfts­län­dern« geprüft wer­den sol­len. Ziel davon ist eine schnel­le­re Abar­bei­tung – zu Las­ten von rechts­staat­li­chen und fai­ren Verfahren.

Irrtum #2: Wenn man dort Urlaub machen kann, ist es ja wohl ein sicheres Land!

»Ich fah­re immer nach Tune­si­en in Urlaub, da ist es ja wohl sicher« – die­ses oft gehör­te Argu­ment geht am Pro­blem vor­bei. Denn eine Ver­fol­gung oder asyl­recht­lich rele­van­te Bedro­hungs­la­ge kann Men­schen unab­hän­gig von der all­ge­mei­nen Sicher­heits­la­ge im Her­kunfts­land tref­fen – bei­spiels­wei­se, weil sie sich regime­kri­tisch enga­gie­ren, einer dis­kri­mi­nier­ten reli­giö­sen Min­der­heit ange­hö­ren oder homo­se­xu­ell sind. Von Ver­fol­gung auf­grund sol­cher Eigen­schaf­ten oder Hand­lun­gen sind Tou­ris­ten in aller Regel sel­ten betroffen.

Es mag sein, dass es für die meis­ten Men­schen in die­sen Staa­ten mög­lich ist, mehr oder weni­ger sicher zu leben. Das heißt aber nicht, dass es dort nie­man­den gibt, dem aus oben genann­ten Grün­den Fol­ter, staat­li­che Ver­fol­gung, Dis­kri­mi­nie­rung oder ande­re unmensch­li­che Behand­lung droht. Glei­ches gilt bei­spiels­wei­se für Roma in den West­bal­kan­staa­ten.

Für sol­che Fäl­le gibt es unser Asyl­recht – und genau aus die­sem Grund ist eine pau­scha­le Ein­schät­zung als »sicher« falsch, da sie mög­li­che exis­tie­ren­de Asyl­grün­de von vorn­her­ein aus­blen­det. Für die Betrof­fe­nen ist das eine hohe Hür­de, da sie die »Regel­ver­mu­tung, dass kei­ne Ver­fol­gungs­ge­fahr vor­liegt« zunächst wider­le­gen müssen.

Irrtum #3: Menschen, die nicht aus »sicheren Herkunftsstaaten« kommen, können nicht abgeschoben werden 

In der Debat­te um die Maghreb-Staa­ten wird häu­fig behaup­tet, dass Alge­ri­en, Marok­ko und Tune­si­en zu »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« erklärt wer­den müs­sen, um Abschie­bun­gen dort­hin zu ermög­li­chen. Ger­ne wird dabei auch der Fall Anis Amri her­an­ge­zo­gen. Die­se Behaup­tung ist aller­dings eben­so falsch wie die Auf­fas­sung, dass nur Asyl­an­trä­ge aus »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« über­haupt abge­lehnt wer­den können:

Auch ohne eine geson­der­te Ein­stu­fung haben Asyl­an­trags­stel­ler aus den Maghreb-Staa­ten im Jahr 2018* nur in rund 6 Pro­zent der Fäl­le (berei­nig­te Schutz­quo­te) einen Schutz­sta­tus zuge­spro­chen bekom­men. Auch gab es rund 1600 Abschie­bun­gen im Jahr 2017 nach Marok­ko, Tune­si­en oder Alge­ri­en. Die Tat­sa­che, dass bei­spiels­wei­se Anis Amri nicht abge­scho­ben wer­den konn­te, hat­te also über­haupt nichts mit die­sen gesetz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen zu tun.

Irrtum #4: Abschiebungen von Menschen aus einem »sicheren Herkunftsstaat« gehen schneller

Dar­an anschlie­ßend: Die Ein­stu­fung allei­ne wür­de Abschie­bun­gen in die Her­kunfts­län­der nicht ver­ein­fa­chen. Immer noch kommt es auf die Bereit­schaft des jewei­li­gen Staa­tes an, sei­ne Bür­ger zurück­zu­neh­men und bei­spiels­wei­se bei der Beschaf­fung von Doku­men­ten mit­zu­ar­bei­ten. Auch des­halb ver­han­delt die Bun­des­re­gie­rung unab­hän­gig von der Debat­te um »siche­re Her­kunfts­län­der« mit den Maghreb-Staa­ten über Rück­nah­me­ab­kom­men, die für beschleu­nig­te Pro­ze­du­ren sor­gen sollen.

Irrtum #5: Afghanistan wurde als »sicheres Herkunftsland« eingestuft

Nein – Afgha­ni­stan gilt gesetz­lich nicht als »siche­rer Her­kunfts­staat«. Aus dem glei­chen Grund wie oben geschil­dert haben auch die im Dezem­ber 2016 begon­ne­nen Sam­mel­ab­schie­bun­gen nach Afgha­ni­stan nichts mit einer sol­chen gesetz­li­chen Ein­stu­fung zu tun.

Zwar behaup­tet die Bun­des­re­gie­rung, es gäbe dort »siche­re Regio­nen« und recht­fer­tigt damit die Abschie­bun­gen, für ein »siche­res Her­kunfts­land« im Sin­ne des deut­schen Auf­ent­halts­rechts hält Afgha­ni­stan aber nicht mal Abschie­be­mi­nis­ter Seehofer.

Das wäre ange­sichts einer berei­nig­ten Schutz­quo­te für afgha­ni­sche Flücht­lin­ge von 51,7 Pro­zent im Jahr 2018* – und rund 58 Pro­zent Erfolgs­quo­te** bei Kla­gen von afgha­ni­schen Flücht­lin­gen gegen ableh­nen­de Beschei­de – auch absurd. Huma­ni­tär zu recht­fer­ti­gen sind Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan (»siche­res Her­kunfts­land« hin oder her) in kei­nem Fall.

(Max Klöck­ner)

 

* Zeitraum von Januar bis November 2018
** Zeitraum von Januar bis September 2018

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