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Die »ARE« Manching bei Ingolstadt ist eines von bislang zwei Sonderlagern für Schutzsuchende aus so genannten »sicheren Herkunftsstaaten«. Foto: Bayerischer Flüchtlingsrat

Hinter den 2016 im Gesetz verankerten »besonderen Aufnahmezentren« verbirgt sich nichts weniger als die Etablierung eines diskriminierenden Sonderasylverfahrens für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Die Unterbringung in isolierten Lagern, in denen Angst und Hoffnungslosigkeit produziert werden, soll die Menschen außer Landes treiben.

Ende 2015 wur­de in Deutsch­land wochen­lang hef­tig über die Errich­tung von soge­nann­ten Tran­sit­zo­nen an den Land­gren­zen dis­ku­tiert. Die CSU trieb mit die­ser Idee, die schluss­end­lich auf eine Abrie­ge­lung Deutsch­lands durch Zäu­ne und eine poli­zei­li­che Dau­er­über­wa­chung hin­aus­ge­lau­fen wäre, die ande­ren Par­tei­en vor sich her. Die SPD ver­han­del­te nur kläg­lich und erziel­te am Ende eine Eini­gung, die durch das im Febru­ar in Kraft getre­te­ne Asyl­pa­ket II die Schaf­fung so genann­ter „beson­de­rer Auf­nah­me­zen­tren“ im Asyl­ge­setz bewirkt hat.

Die­se „beson­de­ren Auf­nah­me­zen­tren“ sind ein Para­de­bei­spiel für die aktu­el­le Ten­denz im Flücht­lings­recht, auf allen gesetz­li­chen Ebe­nen eine Unter­schei­dung zwi­schen Flücht­lin­gen mit einer angeb­lich „guten“ und jenen mit einer angeb­lich „schlech­ten“ Blei­be­per­spek­ti­ve zu errei­chen. Dadurch wird recht­lich ver­fes­tigt, was im Zuge poli­ti­scher Hys­te­rie Hand­lungs­fä­hig­keit demons­trie­ren soll. Es ist aller­dings kei­nes­wegs so klar, wer künf­tig tat­säch­lich in den Son­der­zen­tren landet.

Viele könnten betroffen sein

In den Auf­nah­me­zen­tren sol­len die Anträ­ge von Asylbewerber*innen aus „siche­ren Her­kunfts­staa­ten“ geprüft wer­den – aber nicht nur: Auch Folgeantragsteller*innen kön­nen laut Gesetz in die Lager ein­ge­wie­sen wer­den sowie Per­so­nen, die ihre Iden­ti­täts­do­ku­men­te ver­nich­tet haben oder denen dies von den Behör­den unter­stellt wird. Dadurch wird ins­ge­samt ein sehr gro­ßer Anteil der Flücht­lin­ge von der Rege­lung erfasst: Es ist gera­de typisch für die Flucht, dass Schutz­su­chen­de kei­ne Doku­men­te bei sich haben, die­se an Schlep­per abge­ben oder ver­kau­fen müs­sen, manch­mal sogar in hek­ti­schen Situa­tio­nen unver­schul­det verlieren.

Schon heu­te igno­rie­ren vie­le Aus­län­der­be­hör­den die­se Umstän­de und unter­stel­len den Schutz­su­chen­den, vor­sätz­lich kei­ne Papie­re vor­zu­le­gen. Behörd­li­che Will­kür ist dadurch per Gesetz vor­pro­gram­miert – und poten­zi­ell jede*r (miss­lie­bi­ge) Asyl­su­chen­de in Gefahr, im Son­der­la­ger zu lan­den. Die wei­te Geset­zes­for­mu­lie­rung ist geeig­net, die Zen­tren auch dann zu fül­len, wenn nur weni­ge Bal­kan- oder Nord­afri­ka-Flücht­lin­ge kommen.

Faires Verfahren?

Das pro­ble­ma­ti­sche Flug­ha­fen­ver­fah­ren, des­sen Pra­xis schon seit Jah­ren von Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen kri­ti­siert wird, soll auf die neu­en Auf­nah­me­zen­tren ange­wen­det wer­den. Dort fin­det dann ein Asyl­ver­fah­ren inner­halb von einer Woche statt, mit einem eben­falls ver­kürz­ten Rechts­mit­tel­ver­fah­ren inner­halb von drei Wochen. Das bis­he­ri­ge Flug­ha­fen­ver­fah­ren zeigt, dass mit ver­kürz­ten Fris­ten kein fai­res Asyl­ver­fah­ren mög­lich ist. Immer wie­der wer­den dort Fehl­ent­schei­dun­gen pro­du­ziert. Wer auf­grund sei­ner Her­kunft aus einem so genann­ten „siche­ren Her­kunfts­staat“ schon von vorn­her­ein als nicht schutz­be­dürf­tig betrach­tet wird, hat es unter die­sen Bedin­gun­gen beson­ders schwer, ein fai­res Ver­fah­ren zu erhalten.

Dem Asyl­recht ist die Ein­tei­lung von Flücht­lin­gen in sol­che mit »guter« und jene mit »schlech­ter« Blei­be­per­spek­ti­ve fremd.

Die Auf­nah­me­zen­tren set­zen die öffent­lich geführ­te Unter­schei­dung von Flücht­lin­gen mit „guter“ und jenen mit „schlech­ter“ Blei­be­per­spek­ti­ve um. Dem Asyl­recht ist die­se Ein­tei­lung jedoch fremd. Ob jemand Ver­fol­gungs­grün­de vor­brin­gen kann und anschlie­ßend eine Aner­ken­nung als Flücht­ling erhält, ist gera­de Gegen­stand des indi­vi­du­el­len und rechts­staat­lich durch­zu­füh­ren­den Asyl­ver­fah­rens. Da der Aus­gang somit offen ist, ist eine Zutei­lung von Flücht­lings­grup­pen in ver­schie­de­ne Ver­fah­ren – vor der eigent­li­chen Anhö­rung und Ent­schei­dung – ein Wider­spruch zur Logik des Asylrechts.

In den beschö­ni­gend „Auf­nah­me­zen­tren“ genann­ten Unter­künf­ten wer­den die Flücht­lin­ge regel­recht ein­ka­ser­niert. Denn für sie gilt eine ver­schärf­te Resi­denz­pflicht. Sie dür­fen den Kreis, in dem sich die Unter­kunft befin­det, nicht ohne behörd­li­che Zustim­mung ver­las­sen. Ein Ver­stoß hat fata­le Kon­se­quen­zen: Das Asyl­ver­fah­ren soll ruhen, Leis­tungs­an­sprü­che gehen ver­lo­ren. Beim ers­ten Ver­stoß ist es Betrof­fe­nen mög­lich, das Asyl­ver­fah­ren fort­zu­füh­ren. Bei der zwei­ten Zuwi­der­hand­lung ver­lie­ren sie aller­dings voll­stän­dig ihren Anspruch auf ein Asyl­ver­fah­ren – ein Vor­ge­hen, das nicht mit dem inter­na­tio­na­len Flücht­lings­recht in Ein­klang zu brin­gen ist.

Selbst Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen der Flücht­lings­ei­gen­schaft erfül­len, kann dann die Abschie­bung in den Ver­fol­ger­staat dro­hen. Dass gera­de die Sozi­al­de­mo­kra­tie die Idee ver­wei­ger­ter Asyl­prü­fung auf­grund sozia­len Fehl­ver­hal­tens als Ver­hand­lungs­er­folg ver­bucht, ist bezeich­nend für die aktu­el­len poli­ti­schen Verhältnisse.

Die Balkanlager Bayerns

Das Land Bay­ern war das ers­te, das – noch bevor die gesetz­li­che Grund­la­ge für die Schnell­ver­fah­ren in beson­de­ren Ein­rich­tun­gen über­haupt ver­ab­schie­det wur­de – die Idee von Son­der­la­gern in der Pra­xis erprob­te – zunächst umge­setzt als Ein­rich­tung für die uner­wünsch­ten Flücht­lin­ge vom Balkan.

Schnell sol­len die Ver­fah­ren abge­wi­ckelt wer­den kön­nen, so die Aus­kunft der Regie­rung von Ober­bay­ern, die seit Sep­tem­ber 2015 in Man­ching und Ingol­stadt eine soge­nann­te Auf­nah­me- und Rück­füh­rungs­ein­rich­tung, kurz ARE, betreibt. Der Auf­wand ist beträcht­lich. Auf knapp 1000 Insass*innen kom­men inzwi­schen mehr als 120 Mitarbeiter*innen der Zen­tra­len Aus­län­der­be­hör­de und des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge, BAMF, Ten­denz stei­gend. In Bam­berg gibt es eine zwei­te die­ser Ein­rich­tun­gen. Die der­zeit 1.500 Plät­ze sol­len aus­ge­baut wer­den auf 4.500.

»Letz­te Woche erst war die Poli­zei da und hat unse­re Nach­barn abge­holt. Seit­dem schla­fen wir nicht mehr, son­dern haben nur noch Angst.«

Mut­ter einer Roma­fa­mi­lie aus Serbien

Tat­säch­lich, so sagen die zwei Sozi­al­be­ra­te­rin­nen in Man­ching, geht das Ver­fah­ren bis zur Abschie­bung in den Fäl­len schnell, in denen Flücht­lin­ge gleich nach ihrer Ankunft in Bay­ern ins Abschie­be­la­ger ein­ge­wie­sen wer­den. Waren sie jedoch schon woan­ders unter­ge­bracht, geht oft über­haupt nichts. Der Grund: Die Papie­re kom­men nicht nach, ein­be­hal­te­ne Päs­se und Aus­wei­se ver­schwin­den im Behör­den­dschun­gel, tau­chen erst nach Mona­ten wie­der auf. Das Argu­ment eines beschleu­nig­ten Ver­fah­rens erweist sich als Trug­bild. Den­noch wird mit aller Macht an der Ein­wei­sungs­pra­xis festgehalten.

Ausländer konzentrieren?!

In Bam­berg ist man noch rück­sichts­lo­ser als in Man­ching. Weil kaum noch Flücht­lin­ge vom Bal­kan kom­men, wer­den zuneh­mend Fami­li­en ein­ge­wie­sen, die schon Jah­re in Bay­ern leben und häu­fig gut inte­griert sind.

Fami­lie K. hat­te nur einen Tag Zeit, ihre Kof­fer zu packen. Sie bekam den Bescheid, aus­ge­fer­tigt am 27.11.2015, am 2.12. aus­ge­hän­digt. Spä­tes­tens am 3.12. sol­le sie sich im Bam­ber­ger Abschie­be­la­ger ein­fin­den. Für den Fall, dass die Fami­lie der Auf­for­de­rung nicht nach­kom­me, wird die Voll­stre­ckung durch unmit­tel­ba­ren Zwang, also die Abho­lung durch Poli­zei, angedroht.

Der Regens­bur­ger Anwalt der Fami­lie hält das Ver­hal­ten der Behör­den für recht­lich unhalt­bar, in ähn­li­chen Fäl­len wur­den eini­ge Beschei­de gleich vom Ver­wal­tungs­ge­richt kas­siert. In der Begrün­dung zur Ein­wei­sung ins Abschie­be­la­ger steht der Satz: „Es besteht ein erheb­li­ches öffent­li­ches Inter­es­se dar­an, Aus­län­der aus siche­ren Her­kunfts­staa­ten mit gerin­ger Blei­be­wahr­schein­lich­keit in der für sie zustän­di­gen Auf­nah­me­ein­rich­tung zu kon­zen­trie­ren.“ Lager zum Kon­zen­trie­ren von Aus­län­dern, im deut­schen Inter­es­se? Gera­de wo es in vie­len Fäl­len um ver­folg­te Roma geht, erschreckt die­se Formulierung.

Orte der Abschreckung

Kin­der wer­den aus ihrem schu­li­schen Umfeld geris­sen, auch Schwer­kran­ken bleibt der Weg ins Lager nicht erspart.

Fami­lie R. hat einen Sohn, der unheil­bar an Muko­vis­zi­do­se lei­det. Trotz Pro­tes­ten der Kin­der­kli­nik wird die Fami­lie in Man­ching ein­ge­wie­sen. Regel­mä­ßig muss der klei­ne Jun­ge (er ist bei der Ein­wei­sung 11 Mona­te alt) in die Spe­zi­al­kli­nik nach Mün­chen. Eine Abschie­bung der Fami­lie in den Koso­vo wür­de den Jun­gen dem bal­di­gen Tod aus­set­zen. Nicht ein­mal in Ingol­stadt gibt es eine Kli­nik für die kom­ple­xe The­ra­pie. Den­noch ver­schleppt die zustän­di­ge Aus­län­der­be­hör­de einen Bescheid, der es erlaubt, dass die Fami­lie wie­der zurück nach Mün­chen darf.

In nur weni­gen Aus­nah­me­fäl­len gelang es bis­her, die Ein­wei­sung zu ver­hin­dern. Wer erst mal ange­kom­men ist in Bam­berg oder Man­ching, der kommt auch nicht mehr raus.

Fernab des Rechtsstaats

Ehren­amt­li­che Unterstützer*innen wer­den durch Ein­schrän­kun­gen und Besuchs­ver­bo­te ver­grault. Deutsch­un­ter­richt durch Ehren­amt­li­che ist ver­bo­ten, eben­so eine Klei­der­aus­ga­be. Weder in Bam­berg noch in Ingol­stadt gibt es fach­kun­di­ge Anwält*innen. So fin­den die Insass*innen kaum Unter­stüt­zung und sind dem Zugriff der Behör­den schutz­los aus­ge­lie­fert. Zwar dür­fen Flücht­lin­ge das Lager ver­las­sen, aber ihr Bewe­gungs­spiel­raum ist auf den Land­kreis beschränkt. Bis zu einem Rechts­bei­stand in Mün­chen oder Nürn­berg fin­den die Wenigsten.

Dies dürf­te kaum mit den rechts­staat­li­chen Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ver­ein­bar sein. Schließ­lich ver­langt das Gericht seit sei­ner Ent­schei­dung von 1996, dass eine kos­ten­lo­se asyl­recht­li­che Bera­tung sicher­ge­stellt wird.

Einbahnstraße ins Elend

Auch die Behand­lung im Abschie­be­la­ger soll abschre­cken. In Bam­berg bekom­men die Insass*innen nur Bett­zeug aus Papier, die Zude­cke ist eine Mal­er­fo­lie. In bei­den Lagern ist es ver­bo­ten, Essen aufs Gelän­de zu brin­gen, die Mahl­zei­ten sind spär­lich, es ist nicht ein­mal mög­lich, den Kin­dern einen Tee zu kochen oder einen Brei. Auch wenn die meis­ten Kin­der Deutsch spre­chen, ist Deutsch nicht auf dem Stun­den­plan des Ersatz­un­ter­rich­tes, der in den Lagern gebo­ten wird.

Pre­kä­re Lebens­ver­hält­nis­se, die Iso­lie­rung von der Zivil­ge­sell­schaft und schnel­le Abschie­bun­gen sol­len ein Signal nach außen sen­den: Bestimm­te Flücht­lin­ge sind nicht willkommen.

Ein wei­te­rer Aspekt sorgt für die Ver­ängs­ti­gung der Insass*innen der Abschie­be­la­ger: Regel­mä­ßig kommt die Poli­zei in den Mor­gen­stun­den, um wei­te­re Fami­li­en zur Abschie­bung abzu­ho­len. „Letz­te Woche erst war die Poli­zei da und hat unse­re Nach­barn abge­holt. Seit­dem schla­fen wir nicht mehr, son­dern haben nur noch Angst“, erklärt die Mut­ter einer Roma­fa­mi­lie aus Serbien.

Dies hat Sys­tem, die Abschie­bung ist nur eine Fra­ge der Zeit. Wer ihr ent­ge­hen will, dem bleibt nur die Mög­lich­keit, der Abschie­bung durch Aus­rei­se oder Unter­tau­chen zuvor­zu­kom­men. Einen Weg zurück gibt es nicht in den Abschie­be­la­gern. Das BAMF hat weder in Man­ching noch in Bam­berg bis­lang auch nur eine ein­zi­ge posi­ti­ve Ent­schei­dung gefällt. Auch offen­kun­dig kran­ke Per­so­nen wer­den mit dem Hin­weis abge­lehnt, dass ja auch im Koso­vo oder in Ser­bi­en behan­delt wer­den kön­ne. In den weni­gen Fäl­len, in denen eine Abschie­bung nicht mög­lich ist, zieht das BAMF die Ent­schei­dung in die Länge.

Der Rechtsstaat verliert

Sozia­le Iso­la­ti­on, üble Lebens­be­din­gun­gen, ver­schärf­te Resi­denz­pflicht, per­ma­nen­te Droh­ge­bär­den – manch einer mag sich an die so genann­ten „Aus­rei­se­zen­tren“ aus den 1990er Jah­ren erin­nert füh­len. Sie soll­ten Gedul­de­te ohne Papie­re mit unan­ge­neh­men Maß­nah­men außer Lan­des drän­gen. Letzt­end­lich schei­ter­ten die Aus­rei­se­zen­tren an ihrer eige­nen Erfolg­lo­sig­keit. Die „beson­de­ren Auf­nah­me­zen­tren“ sind nun die moder­ne Neuauflage.

Dahin­ter ver­birgt sich eine klas­si­sche Poli­tik der Abschre­ckung. Pre­kä­re Lebens­ver­hält­nis­se, die Iso­lie­rung von der Zivil­ge­sell­schaft und schnel­le Abschie­bun­gen sol­len ein Signal nach außen sen­den: Bestimm­te Flücht­lin­ge sind nicht will­kom­men. Die Fol­gen indes für Betrof­fe­ne, die zu Unrecht abge­scho­ben wer­den, weil ihr Asyl­an­trag nicht sorg­fäl­tig genug geprüft wur­de, kön­nen dra­ma­tisch sein. Auch der Rechts­staat ver­liert: Die Fol­ge der neu­en Rege­lung könn­te ein dis­kri­mi­nie­ren­des Zwei-Klas­sen-Asyl­recht auf Dau­er sein.

Maxi­mi­li­an Pichl & Ste­phan Dünnwald

(Die­ser Bei­trag erschien im Juni 2016 im Heft zum Tag des Flücht­lings 2016.)


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