Image
Proteste gegen die Regierung im georgischen Tiflis. Wenn das Land zum »sicheren Herkunftsstaat« erklärt wird, haben auch Oppositionelle oder queere Personen in Deutschland kaum noch Chance auf Asyl. Foto: picture alliance / David Mdzinarishvili / Anadolu Agency

PRO ASYL kritisiert den Beschluss der Innenminister*innenkonferenz vom 15. Juni 2023, die Liste der sogenannten »sicheren Herkunftsstaaten« um sieben weitere Länder zu erweitern, scharf. Für die Menschen hat das Konzept wenig mit Sicherheit zu tun. Es dient vielmehr der Abschreckung und Entrechtung der Geflüchteten aus diesen Ländern.

In der Pres­se­mit­tei­lung der Ber­li­ner Senats­ver­wal­tung für Inne­res und Sport vom 16. Juni 2023 anläss­lich der Innenminister*innenkonferenz in Ber­lin heißt es:

»Zur Ent­las­tung der Kom­mu­nen zählt eben­so die Lis­te der siche­ren Her­kunfts­staa­ten, die erwei­tert und künf­tig fort­wäh­rend über­prüft wer­den muss. Die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz hat sich daher dafür aus­ge­spro­chen, dass Geor­gi­en, Arme­ni­en, Mol­dau, Indi­en und die Maghreb-Staa­ten sei­tens des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums als siche­re Her­kunfts­län­der ein­ge­stuft wer­den«.

Als Lösung für die Ent­las­tung der Kom­mu­nen wird, wie auch bei den letz­ten bei­den ver­gan­ge­nen Flücht­lings­gip­feln, das Fern­hal­ten von Geflüch­te­ten for­mu­liert. Neben Grenz­kon­trol­len und ver­stärk­ten Abschie­bun­gen spielt dabei das Instru­ment der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« eine wich­ti­ge Rolle.

Methode der Verschärfung und Entrechtung

Beun­ru­hi­gend ist dabei nicht nur das Framing, dass zur Ent­las­tung der Kom­mu­nen vor­wie­gend die Abwehr von geflüch­te­ten Men­schen und Ver­schär­fun­gen und Ein­schrän­kun­gen im Asyl­recht als Lösung ange­bracht wer­den, son­dern auch die Metho­de, mit der die­ser Abbau von Flücht­lings­rech­ten eta­bliert wird. Seit dem Beginn der Coro­na-Pan­de­mie agie­ren Ministerpräsident*innen und auch Innenminister*innen zuneh­mend auto­nom in ihren Beschlüs­sen, die eigent­lich der Zustim­mung des Par­la­ments und auch gege­be­nen­falls des Bun­des­rats bedür­fen. Was in den aku­ten Bedro­hungs­la­gen der Pan­de­mie viel­leicht noch als not­wen­dig ange­se­hen wer­den kann, ent­behrt jedoch in punc­to Migra­ti­ons­po­li­tik jeg­li­cher recht­li­cher Grundlage.

Indem die Innenminister*innenkonferenz sol­che Beschlüs­se fasst, schafft sie am Par­la­ment und Bun­des­rat vor­bei öffent­lich Tat­sa­chen, die schwer wie­der ein­zu­fan­gen sind. Tat­säch­lich müs­sen Bun­des­tag und sogar Bun­des­rat in einem Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren eine sol­che Aus­wei­tung der Lis­te beschlie­ßen (wie die der Aus­wei­tung der Lis­te der »siche­ren Her­kunfts­län­der«, vgl. Art. 16 Abs. 3 GG).

Die aktu­el­len Beschlüs­se gehen sogar noch wei­ter: Hier soll nun, laut der Pres­se­mit­tei­lung des Ber­li­ner Innen­se­nats, das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um die Ein­stu­fung der neu­en »siche­ren Her­kunfts­län­der« vor­neh­men. Hier­für gibt es kei­ne recht­li­che Grund­la­ge und so kann dies nur als Ver­brei­tung poli­ti­scher Stim­mungs­ma­che ver­stan­den werden.

Rechtliche Grundlage zur Einstufung neuer »sicherer Herkunftsstaaten«

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in einem Urteil von 1996 fest­ge­legt, dass der Gesetz­ge­ber bei der Ein­stu­fung eines Lan­des zum »siche­ren Her­kunfts­staat« die Rechts­la­ge, die Rechts­an­wen­dung und die all­ge­mei­nen poli­ti­schen Ver­hält­nis­se in die­sem Staat unter­su­chen muss. Die Ein­stu­fung als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« erfor­dert, dass in jenem Staat eine gewis­se Sta­bi­li­tät und hin­rei­chen­de Kon­ti­nui­tät der Ver­hält­nis­se bereits ein­ge­tre­ten ist und des­halb weder Ver­fol­gungs­hand­lun­gen noch unmensch­li­che und ernied­ri­gen­de Behand­lung oder Bestra­fung statt­fin­den. Der Gesetz­ge­ber ist zudem ver­pflich­tet, eine gründ­li­che anti­zi­pier­te Tat­sa­chen- und Beweis­wür­di­gung der ver­füg­ba­ren Quel­len vor­zu­neh­men, wenn er einen Staat als sicher lis­ten wolle.

In der Ver­gan­gen­heit aber haben die gesetz­ge­ben­den Orga­ne bei der Bestim­mung von soge­nann­ten siche­ren Her­kunfts­staa­ten – wie zum Bei­spiel Alba­ni­en oder Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na – sich häu­fig nicht aus­rei­chend mit den ver­füg­ba­ren Quel­len aus­ein­an­der­ge­setzt. Berich­te von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den ent­we­der nicht zur Kennt­nis genom­men oder ledig­lich zitiert, ohne Kon­se­quen­zen zu ziehen.

So auch in der aktu­el­len Debat­te. Allein am Bei­spiel Mol­dau oder Tune­si­en gibt es etli­che Berich­te und Bele­ge, war­um nicht von einer pau­schal defi­nier­ten Sicher­heits­la­ge aus­ge­gan­gen wer­den kann, ins­be­son­de­re nicht für Ange­hö­ri­ge von Min­der­hei­ten und mar­gi­na­li­sier­ten Gruppen.

Die Geschichte der »sicheren Herkunftsstaaten«

Das Kon­zept der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« ist nicht neu. Die Rege­lung dazu wur­de im Zuge des »Asyl­kom­pro­mis­ses« 1993 ein­ge­führt. Dabei wird gemäß § 29a des Asyl­ge­set­zes (AsylG) die gesetz­li­che Ver­mu­tung fest­ge­legt, dass in die­sen Staa­ten kei­ne poli­ti­sche Ver­fol­gung stattfindet.

Das Kon­zept der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« ist bereits im Kern unver­ein­bar mit dem indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl.

Bis 2014 wur­den die Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on, Gha­na und Sene­gal mit die­ser Eigen­schaft ver­se­hen. Im Jahr 2014 wur­den dann auch Ser­bi­en, Maze­do­ni­en und Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« ein­ge­stuft. 2015 folg­ten Alba­ni­en, Koso­vo und Mon­te­ne­gro. 2016 soll­ten nach dem Wil­len des Bun­des­ta­ges Tune­si­en, Marok­ko und Alge­ri­en fol­gen, was jedoch im März 2017 am Bun­des­rat schei­ter­te. Ein erneu­ter Anlauf nach Zustim­mung des Bun­des­ta­ges (bei dem zusätz­lich zu den Maghreb-Staa­ten noch Geor­gi­en für sicher erklärt wer­den soll­te) wur­de im Bun­des­rat auf unbe­stimm­te Zeit ver­tagt und bis heu­te nicht entschieden.

Das Kon­zept der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« ist aller­dings bereits im Kern unver­ein­bar mit dem indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl. Denn in einem Asyl­ver­fah­ren müs­sen die Antrags­stel­len­den die eige­ne indi­vi­du­el­le poli­ti­sche Ver­fol­gung dar­le­gen, soll­ten aber nicht dar­über hin­aus eine gesetz­lich fest­ge­schrie­be­ne Ver­mu­tung über das Her­kunfts­land wider­le­gen müs­sen. Als zusätz­li­che Hür­de wur­de für Asyl­su­chen­de aus »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« ein stark beschleu­nig­tes Ver­fah­ren eingeführt.

Rechtsfolgen für Menschen aus »sicheren Herkunftsstaaten« 

Mit der Ein­stu­fung eines Her­kunfts­staa­tes als »sicher« gehen für die Betrof­fe­nen mas­si­ve Ein­schrän­kun­gen, nega­ti­ve Rechts­fol­gen und Aus­schlüs­se ein­her. Zudem wer­den die Men­schen öffent­lich stig­ma­ti­siert und als »Men­schen ohne Asyl­grund, die das deut­sche Asyl­sys­tem nur aus­nut­zen wol­len« gebrandmarkt.

Abge­lehn­te Asylbewerber*innen haben nor­ma­ler­wei­se die Mög­lich­keit, inner­halb von zwei Wochen Kla­ge gegen eine ableh­nen­de Ent­schei­dung über ihre Asyl­ge­such bei Gericht ein­zu­rei­chen oder frei­wil­lig aus­rei­sen. Bei Schutz­su­chen­den aus »siche­ren Her­kunfts­län­dern« wird der Asyl­an­trag bei einer nega­ti­ven Ent­schei­dung jedoch nicht ein­fach abge­lehnt, son­dern als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« (OU) beschie­den (§ 29a AsylG).

Bei einer »OU-Ableh­nung« beträgt die Kla­ge- und Aus­rei­se­frist nur noch eine Woche. Zudem ent­fal­tet in die­sem Fall eine Kla­ge kei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung, es kann also auch wäh­rend des Gerichts­ver­fah­rens abge­scho­ben wer­den. Um das zu ver­hin­dern, müss­ten die Betrof­fe­nen oder Anwält*innen inner­halb einer Woche Eil­rechts­schutz bean­tra­gen, der bei posi­ti­vem Aus­gang zumin­dest für die Zeit des Kla­ge­ver­fah­rens vor einer Abschie­bung schützt. In der Pra­xis aber haben Schutz­su­chen­den häu­fig kei­ne Mög­lich­keit zu kla­gen, da die Frist viel zu kurz ist, Anwält*innen nicht so schnell Ter­mi­ne ver­ge­ben kön­nen und die Men­schen oft zunächst gar nicht wis­sen, an wen sie sich wen­den sollen.

Durch Geset­zes­ver­schär­fun­gen im Jahr 2015 und 2016 unter­lie­gen Asyl­su­chen­de aus »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« einer beson­de­ren Form der Dis­kri­mi­nie­rung: Sie sol­len das nor­ma­le Asyl­ver­fah­ren gar nicht mehr durch­lau­fen. Asyl­an­trä­ge wer­den im Rah­men von beschleu­nig­ten Asyl­ver­fah­ren (§ 30a AsylG) durch­ge­führt. Ein Zugang zu qua­li­fi­zier­ten Anwält*innen und Bera­tungs­stel­len ist damit stark erschwert, ins­be­son­de­re da sich die Auf­nah­me­zen­tren häu­fig außer­halb der Bal­lungs­ge­bie­te befinden.

Wei­ter­hin unter­lie­gen die­se Asyl­su­chen­den der Wohn­ver­pflich­tung in einer Auf­nah­me­ein­rich­tung auch län­ger als 18 Mona­te (dies ist die maxi­ma­le Höchst­gren­ze für alle ande­ren Asyl­su­chen­den) bis zur Ent­schei­dung des BAMF über ihr Asyl­ge­such, bzw. bis zu ihrer Ausreise/Abschiebung (§ 47 Abs. 1a AsylG).

Zudem gilt für sie bei Asyl­an­trags­stel­lung nach dem 31. August 2015 ein Arbeits­ver­bot wäh­rend des gesam­ten Asyl­ver­fah­rens (§ 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG).  Wird der Asyl­an­trag abge­lehnt, zurück­ge­nom­men oder gar nicht erst gestellt, und die Men­schen kön­nen sich trotz­dem mit einer Dul­dung in Deutsch­land auf­hal­ten, gilt für sie wei­ter­hin ein Arbeits­ver­bot (§ 60a Abs. 6 Auf­enthG). Die Fol­ge ist ein Aus­schluss von der bis­he­ri­gen Aus­bil­dungs­dul­dung (§ 60c Abs. 2 Nr. 1 Auf­enthG) sowie ein Aus­schluss aus allen Bleiberechtsregelungen.

Nach der Ableh­nung des Asyl­an­tra­ges als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« kann eine Wie­der­ein­rei­se­sper­re gemäß § 11 Abs. 7 Nr. 1 Auf­enthG ver­hängt wer­den. Dies gilt abwei­chend von Per­so­nen aus ande­ren Staa­ten auch im Fal­le einer frei­wil­li­gen Aus­rei­se.

Keine weiteren »sicheren Herkunftsstaaten«!

PRO ASYL for­dert Bun­des­tag und Bun­des­rat auf, kei­ne wei­te­ren Her­kunfts­staa­ten als ver­meint­lich »sicher« ein­zu­stu­fen und damit tat­säch­lich gefähr­de­ten Men­schen in die­sen Staa­ten das Recht auf Schutz zu ver­wei­gern. Ins­be­son­de­re soll­ten die gesetz­ge­ben­den Orga­ne nicht hin­neh­men, dass – wie in der Ber­li­ner Pres­se­mit­tei­lung zur Innenminister*innenkonferenz dar­ge­stellt – das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um über eine sol­che schwer­wie­gen­de Ein­stu­fung ent­schei­det, anstel­le wie im Grund­ge­setz in Art. 16a vor­ge­se­hen der Bun­des­tag und Bundesrat.

(nb)