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Diskriminiert und abgelehnt: Rom*nja aus Moldau
PRO ASYL und Flüchtlingsrat Berlin veröffentlichen Studie zur Situation schutzsuchender Rom*nja aus der Republik Moldau. Die Chancen von Angehörigen der Rom*nja-Minderheit aus Moldau, in Deutschland Schutz vor der Abschiebung zu finden, sind gleich Null – zu Unrecht.
Die von PRO ASYL und dem Berliner Flüchtlingsrat im Februar 2022 herausgegebene Studie »Diskriminiert und abgelehnt: Zur Situation schutzsuchender Rom*nja aus der Republik Moldau« beleuchtet die fragwürdigen, unsensiblen Schnellverfahren der deutschen Behörden und stellt die allgegenwärtige Diskriminierung und existenzbedrohende Marginalisierung der Betroffenen in der Republik Moldau dar.
In den vergangenen beiden Jahren stellten jeweils rund 2.400 Menschen aus der Republik Moldau einen Asylerstantrag in Deutschland. Die Schutzsuchenden kommen aus einem Land, das als eines der ärmsten in Europa gilt. Die meisten von ihnen gehören der Minderheit der Rom*nja an (Bislang wurde diese Gruppe meist – ungegendert – als »Roma« bezeichnet).
PRO ASYL und Berliner Flüchtlingsrat haben nun einen umfassenden Bericht zu ihren Fluchtgründen und ihrer Situation veröffentlicht. Die Autorin Kristina Holzapfel ist Slawistin und ausgewiesene Kennerin der Region. Für die Studie recherchierte sie internationale wie moldauische Quellen und führte Interviews sowohl mit Hauptamtlichen und Expert*innen in Deutschland als auch – unter schwierigen Pandemie-Bedingungen – mit Expert*innen in Moldau. Ihre Ergebnisse zeigen die eklatante Diskriminierung der Rom*nja auf allen Ebenen der moldauischen Gesellschaft und eine Missachtung ihrer Rechte, die sich im behördlichen Umgang in Deutschland in mancher Hinsicht fortsetzt. Im Folgenden ein kurzer Überblick.
BAMF und Gerichte machen mit den Asylsuchenden aus Moldau im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess: Mit einer von Anfang an bestehenden Ablehnungsabsicht, einem hohen Teil von Entscheidungen als »offensichtlich unbegründet« und einem damit einhergehenden eingeschränkten Rechtsschutz.
Keine Chance im Asylverfahren
Wie hoch der Anteil der Rom*nja an den Antragstellenden aus Moldau genau ist, ist nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass ihre Chancen im Asylverfahren gegen Null gehen: Im vergangenen Jahr hat das BAMF in nur vier Fällen moldauischer Asylsuchender Abschiebungshindernisse festgestellt – Anerkennungen gab es gar nicht. Die um formelle Erledigungen bereinigte Schutzquote 2021 entspricht damit gerade einmal 0,2%. In den Jahren zuvor sah es kaum besser aus.
BAMF und Gerichte machen mit den Asylsuchenden aus Moldau im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess: Mit einer von Anfang an bestehenden Ablehnungsabsicht, einem hohen Teil von Entscheidungen als »offensichtlich unbegründet« und einem damit einhergehenden eingeschränkten Rechtsschutz. 2020 betrug der Anteil solcher Ablehnungen als »offensichtlich unbegründet«, errechnet aus den Zahlen der Bundesregierung, mehr als zwei Drittel, genauer: 69 %.
floh mit ihren beiden Kindern, drei und fünf Jahre alt, vor ihrem gewalttätigen Ehemann nach Deutschland. In Berlin stellte sie einen Asylantrag, denn weder Polizei noch Behörden in Moldau waren bereit gewesen, ihr zu helfen. Bei einer Rückkehr wäre Frau C. ihrem Mann schutzlos ausgeliefert. Trotzdem wurde der Asylantrag nach wenigen Tagen abgelehnt. Auch das Klageverfahren verlief schnell und erfolglos, so dass Frau C. sich nun vor einer Abschiebung fürchtet, die sie direkt in die Arme ihres gewalttätigen Ehemannes bringen würde.
ist HIV positiv, hat aber in der Republik Moldau keine Chance auf Behandlung, denn er hat keinen Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Er floh nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Hier kann er endlich die für ihn lebenswichtigen Medikamente erhalten. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt, so dass er fürchten muss, bald wieder nach Moldau abgeschoben zu werden.
Angehörige der Rom*nja Minderheit, kamen nach Deutschland, um ihren drei Kindern, sechs, acht und elf Jahre alt, zu ermöglichen, eine Schule zu besuchen. In Moldau waren die Kinder von Schüler:innen und Lehrer:innen massiv diskriminiert worden. Da die Bleibeperspektive für Menschen aus Moldau in Deutschland jedoch als gering eingeschätzt wird, schulten die Berliner Behörden die Kinder gar nicht erst ein. Seit vier Monaten lebt die Familie in einer Notunterkunft, ohne dass die Kinder je eine deutsche Schule von innen gesehen hätten.
Rom*nja in Deutschland: diskreditiert und abgeschoben
Moldauische Rom*nja werden zumeist im Land Berlin untergebracht. Es gibt für sie dort keine adäquate Beratungs- und Unterstützungsstruktur und mangels gemeinsamer Sprache und Herkunft auch wenig Berührungspunkte zu Rom*nja-Interessensvertretungen aus anderen Staaten. So bleiben die Schutzsuchenden weitgehend ohne Beistand. Und nicht nur das: Moldauische Schutzsuchende werden als offensichtlich ungeliebte Bittsteller*innen behandelt und teils sogar öffentlich diskreditiert. So wurden sie in Berlin zum Beispiel in separierten Notunterkünften untergebracht, die sich durch besonders schlechte Bedingungen auszeichneten und länger in Betrieb blieben als andere.
Abschiebungen nach Moldau finden – auch während der Pandemie – ungebremst statt: Mit über 600 Abschiebungen 2020 und 270 im ersten Halbjahr 2021 steht Moldau als Zielstaat von Abschiebungen aus Deutschland auf Platz 5. Die Behörden handeln dabei zunehmend rigoros, immer öfter trifft es auch Kranke: Im Juli 2020 beispielsweise wurde eine schwer an Krebs erkrankte Frau abgeschoben. Im Dezember 2020 wurde eine 73-jährige Frau, die gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen war, aus einer laufenden Tuberkulosetherapie heraus abgeschoben.
Rom*nja in Moldau: Keine Chance auf Teilhabe
Rom*nja bilden in Moldau eine Minderheit, deren Diskriminierung eine lange Geschichte hat: Bis ins 19. Jahrhundert hinein lebten Rom*nja auf dem Gebiet des heutigen Staats Moldau als Leibeigene – versklavte Menschen. Diese Geschichte wirkt bis heute in Stereotypen, einer tief verwurzelten Ablehnung, Stigmatisierung und massiver Diskriminierung nach. Ihre Lage ist infolge dessen durch mangelnde Bildung und extreme Armut gekennzeichnet, aus der sich die Betroffenen kaum selbst befreien können:
- Mindestens zwei Drittel der Rom*nja leben in ländlichen Gebieten ohne fließendes Wasser, Gasanschluss und Heizung.
- Aufgrund von offener Ablehnung finden Rom*nja auf dem Arbeitsmarkt kaum eine reguläre Beschäftigung. Sie sind gezwungen, inoffizielle und nicht versicherte Tätigkeiten auszuüben. Deshalb sind sie besonders betroffen von Ausbeutungspraktiken und Menschenhandel.
- Viele Rom*nja haben keine Ausweispapiere erhalten oder ihre Staatsangehörigkeit ist nicht anerkannt. In Familien wird das Problem zum Teil weitervererbt, weil Neugeborene nicht registriert werden können.
- Zu geringe Sozialversicherungszeiten oder fehlende Dokumente führen dazu, dass Rom*nja keine staatlichen Hilfen (etwa Sozialhilfe) in Anspruch nehmen können. Zudem fehlen auch oft schlicht die Information oder die praktische Möglichkeit zur Antragstellung.
- Innerhalb des ohnehin mangelhaften Gesundheitssystems der Republik Moldau sind Rom*nja noch einmal schlechter versorgt als die Durchschnittsbevölkerung. Sie haben oft keine Krankenversicherung und ihr Gesundheitszustand ist deutlich schlechter.
- Viele Rom*nja können nicht lesen oder schreiben. Ihre krasse Armut und mangelnde Infrastruktur wirken sich als große Bildungshindernisse auch negativ auf ihre Kinder aus. Zusätzlich führen Separation und Diskriminierung von Rom*nja-Kindern in der Schule zu Frustration und Schulabbrüchen.
- Ein großes Problem ist die Korruption: Zu allen möglichen Sozial- und Dienstleistungen werden inoffizielle Zuzahlungen erwartet, die Rom*nja nicht aufbringen können.
- Besonders drastisch ist auch die Schlechterbehandlung durch die Polizei: Berichtet wird von Racial Profiling, der Nichtannahme von Anzeigen, Beleidigungen, Körperverletzungen, Schikanen, falschen Beschuldigungen, Schutzgelderpressungen. Die staatliche Bereitschaft, solche Vorwürfe im Einzelfall aufzuklären, ist gering.
Mädchen und Frauen sind besonders gefährdet
Frauen sind aufgrund ihrer Mehrfachdiskriminierung besonders von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Rom*nja-Frauen und ‑Mädchen verfügen häufig nur über ein geringes Maß an Selbstbestimmung und sind besonders gefährdet, extreme Armut, Gewalt und andere Menschenrechtsverletzungen zu erleiden. Häusliche Gewalt ist ein verbreitetes, in weiten Teilen der Gesellschaft tief verwurzeltes Problem. Auch hier wirkt sich die Diskriminierung der Rom*nja zusätzlich aus: Moldauische Strafverfolgungsbehörden rechtfertigen ihre Untätigkeit bei der Anzeige von Fällen häuslicher Gewalt, indem sie auf die vermeintlich »eigenen Gesetze« der Rom*nja verweisen. Auch Zwangsverheiratungen von Mädchen sind ein Problem. Bis heute hat die Republik Moldau die Empfehlungen des UN-Ausschusses zur Frauenrechtskonvention CEDAW zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt nicht umgesetzt.
Viele in Deutschland Schutzsuchende haben mit gesundheitlichen Problemen und ernsthaften Erkrankungen zu kämpfen. Werden sie abgeschoben, droht die Nichtbehandlung von Krankheiten und vielfach auch Obdachlosigkeit.
Die Corona-Pandemie hat die Lage in jüngerer Zeit verschlimmert. Viele Familien in Moldau sind existenziell auf Rücküberweisungen aus dem Ausland angewiesen. Die Pandemie hat zu einem drastischen Verlust dieser Einkünfte geführt.
Die Studie von PRO ASYL und dem Berliner Flüchtlingsrat macht deutlich: Rom*nja werden in der Republik Moldau auf vielfältige Weise und so drastisch diskriminiert, dass es für sie existenzielle Folgen hat.
Asylgründe müssen sorgfältig geprüft und Menschen human behandelt werden
Die Studie von PRO ASYL und dem Berliner Flüchtlingsrat macht deutlich: Rom*nja werden in der Republik Moldau auf vielfältige Weise und so drastisch diskriminiert, dass es für sie existenzielle Folgen hat. Anstatt die Betroffenen weiter im Schnellverfahren abzufertigen, ist das BAMF aufgefordert, die vielfältigen Umstände und Fluchtgründe der Rom*nja im Hinblick auf eine mögliche kumulative Verfolgung zu prüfen.
Im Fazit der Studie schreibt die Autorin: »Der Ausschluss aus der Gesellschaft aus allen Lebensbereichen ist derart umfassend, dass Rom*nja von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. (…) Die Ausgrenzung ist so deutlich, dass auch viele Rom*nja sich selbst nicht als gleichberechtigte und gleichwertige Bürger*innen begreifen.« Auch deshalb – weil Rom*nja sich des Ausmaßes ihrer Diskriminierung teilweise gar nicht bewusst sind und entsprechende Umstände bei den Behörden nicht vorbringen – scheitern ihre Asylverfahren.
»Der Ausschluss aus der Gesellschaft aus allen Lebensbereichen ist derart umfassend, dass Rom*nja von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt werden.«
PRO ASYL und der Berliner Flüchtlingsrat fordern:
- Eine sorgfältige Einzelfallprüfung der Asylanträge von Rom*nja aus Moldau, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Anhäufung verschiedener Diskriminierungstatbestände (kumulative Verfolgung) und auf Abschiebungshindernisse wegen existenzieller Gefahren.
- Muttersprachliche Anhörung und mündliche Informationen in der von den Betroffenen jeweils am besten beherrschten bzw. gewählten Sprache Rumänisch, Russisch oder moldauisches Romanes.
- Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit und systematische Einleitung der notwendigen medizinischen Behandlung sowie der entsprechenden Schutzmechanismen im Asylverfahren.
- Reguläre Beschulung bzw. Alphabetisierung von Kindern innerhalb von 14 Tagen nach Ankunft.
- Keine Abschiebung von Kranken.
- Sicherstellung adäquater Beratungsdienste für das Asylverfahren und sozialrechtliche Fragen.
- Antidiskriminierungsmaßnahmen in Form von Sensibilisierungen und Fortbildungen von Behördenmitarbeiter*innen, Dolmetscher*innen u.a.
- Eine Bleiberechtsregelung für Rom*nja vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Ermordung Hunderttausender Rom*nja während der Zeit des Nationalsozialismus.
(ak)