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Als am 27. Januar 2018 LGBT-Aktivist*innen gegen die Kriminalisierung von sexueller Orientierung protestieren wollten, wurde die Kundgebung von Polizisten in zivil aufgelöst. Einige Demonstrant*innen wurden in Polizeifahrzeuge verbracht. Foto: Getty Images / Fethi Belaid

Schon 2016 wollte die Bundesregierung Algerien, Marokko und Tunesien zu sogenannten »sicheren Herkunftsländern« ernennen. Im März 2017 scheiterte das Vorhaben aus guten Gründen im Bundesrat. Jetzt wird der Anlauf erneut unternommen – obwohl sich dort in den Punkten, die zur Ablehnung führten, nichts verbessert hat.

Für die Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« muss lan­des­weit und für alle Per­so­nen- und Bevöl­ke­rungs­grup­pen die Sicher­heit vor poli­ti­scher Ver­fol­gung bestehen, wie in den Kri­te­ri­en des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nach­zu­le­sen ist. Es muss u.a. gewähr­leis­tet sein, dass im Her­kunfts­land kei­ne Fol­ter oder unmensch­li­che und ernied­ri­gen­de Behand­lung oder Bestra­fung droht. Das ist in den Maghreb-Staa­ten nicht der Fall.

Interne BAMF-Dokumente widersprechen Bundesregierung

Auch aus den inter­nen »Her­kunfts­län­der­leit­li­ni­en« des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF), geht her­vor, dass die Lage in den Maghreb-Staa­ten kei­nes­wegs die Ein­stu­fung recht­fer­ti­gen wür­de. ZEIT  online hat die inter­nen Doku­men­te im Okto­ber 2016 zitiert. Dort ist unter ande­rem die Rede von Ver­fol­gung von Frau­en und Homo­se­xu­el­len, Fol­ter­vor­wür­fen, man­geln­der Reli­gi­ons­frei­heit, Men­schen­han­del und poli­ti­scher Verfolgung.

Menschenrechtsverletzungen im Maghreb

Das hat sich auch im ver­gan­ge­nen Jahr nicht geän­dert. Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat aus­führ­li­che Infor­ma­tio­nen zur Men­schen­rechts­si­tua­ti­on in Marok­ko, Alge­ri­en und Tune­si­en zusammengetragen.

Alge­ri­en inhaf­tier­te »auch 2017 will­kür­lich fried­lich Demons­trie­ren­de, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten und Jour­na­lis­ten«. Beson­ders erschüt­ternd: Auch die Anwält*innen von die­sen Per­so­nen müs­sen anschlie­ßend Drang­sa­lie­run­gen der Behör­den befürch­ten. Gegen den Rechts­an­walt Noured­di­ne Ahmi­ne wur­de bei­spiels­wei­se Ankla­ge unter dem Vor­wurf, »eine öffent­li­che Insti­tu­ti­on »dif­fa­miert“ und fälsch­li­cher­wei­se eine Straf­tat ange­zeigt zu haben«, erho­ben, »als er 2014 – offen­bar im Namen eines Man­dan­ten – Anzei­ge wegen Fol­ter erstat­te­te«. Dar­über hin­aus wer­den Mit­glie­der der Ahma­di­y­ya, einer mus­li­mi­schen Min­der­heit, in Alge­ri­en verfolgt.

(vgl. Amnes­ty Report Alge­ri­en)

In Marok­ko wer­den tag­täg­lich Aktivist*innen vor Gericht gestellt. Fried­li­che Pro­tes­te für sozia­le Fra­gen oder die Umwelt wer­den auf bru­ta­le Wei­se been­det, die Demonstrant*innen zu unge­recht­fer­tig­ten Haft­stra­fen ver­ur­teilt: »Wäh­rend des gesam­ten Jah­res 2017 setz­ten die Behör­den immer wie­der unver­hält­nis­mä­ßi­ge und unnö­ti­ge Gewalt ein, um fried­li­che Demons­tra­tio­nen in Laay­oune, Sma­ra, Bouj­dour, Dakhla und ande­ren Städ­ten in der West­sa­ha­ra auf­zu­lö­sen.« (Amnes­ty Report Marok­ko & West­sa­ha­ra)

Außer­dem set­zen die Behör­den »wei­ter Para­graph 489 des Straf­ge­setz­buchs ein, um LGBTI straf­recht­lich zu ver­fol­gen und zu inhaf­tie­ren. Der Para­graf stellt ein­ver­nehm­li­che sexu­el­le Bezie­hun­gen zwi­schen gleich­ge­schlecht­li­chen Paa­ren unter Stra­fe. Im März 2016 wur­den zwei Män­ner von den Behör­den straf­recht­lich ver­folgt, nach­dem sie Opfer eines homof­eind­li­chen Angriffs durch Jugend­li­che in der Stadt Beni Mell­al gewor­den waren.«

In Tune­si­en herrscht seit 2015 der Aus­nah­me­zu­stand, die Rech­te auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und auf Frei­zü­gig­keit sind dort eben­so ein­ge­schränkt wie die Ver­samm­lungs­frei­heit. Gefan­ge­ne wer­den miss­han­delt und gefol­tert, die dafür Ver­ant­wort­li­chen nicht zur Rechen­schaft gezo­gen. Vor allem Les­ben, Schwu­le, Bise­xu­el­le, Trans- und Inter­ge­schlecht­li­che wer­den auf­grund ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung straf­recht­lich ver­folgt. (vgl. Amnes­ty Report Tune­si­en).

Des­we­gen ist es drin­gend gebo­ten, dass Asyl­an­trä­ge aus die­sen Staa­ten wei­ter­hin indi­vi­du­ell und gründ­lich geprüft wer­den, anstatt die Län­der pau­schal für »sicher« zu erklären.

Was hätte eine solche Einstufung für Folgen?

Wür­den die Maghreb-Staa­ten nun als »siche­re Her­kunfts­län­der« ein­ge­stuft, wür­de das für Asyl­an­trags­stel­ler aus die­sen Län­dern näm­lich bedeu­ten, dass sie ein ver­kürz­tes Eil­ver­fah­ren durch­lau­fen und dabei die »Regel­ver­mu­tung, dass kei­ne Ver­fol­gungs­ge­fahr vor­liegt«, wider­le­gen müs­sen. Ihr Rechts­schutz wür­de auf ein Mini­mum redu­ziert wird und sie hät­ten mit umfang­rei­chen Dis­kri­mi­nie­run­gen wie dau­er­haf­ter Lager­un­ter­brin­gung und Arbeits­ver­bot zu rechnen.

Einstufung als »sicheres Herkunftsland« verkürzt Verfahrensdauer nicht wesentlich

Beim Bun­des­amt führt die Ein­stu­fung eines Staa­tes als siche­rer Her­kunfts­staat nur zu mar­gi­na­ler Zeit­er­spar­nis. Auch ohne die­se Ein­stu­fung kann das BAMF Asyl­an­trä­ge, in denen nichts Asyl­erheb­li­ches vor­ge­tra­gen wird, mit rela­tiv über­schau­ba­rem Begrün­dungs­auf­wand ableh­nen und tut dies auch in der Pra­xis. Das Beschleu­ni­gungs­ar­gu­ment ist also an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen. Die wirk­li­che Fol­ge aber ist: Die indi­vi­du­el­le Betrach­tung wird von einer typi­sie­ren­den ver­drängt. Jene Schutz­be­dürf­ti­gen, die es auch nach der Sta­tis­tik und der Auf­fas­sung der Bun­des­re­gie­rung gibt, haben es schwe­rer, ihr indi­vi­du­el­les Ver­fol­gungs­schick­sal zu Gehör zu bringen.

Die Ein­stu­fung der Maghreb-Län­der als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« wird kei­ne gro­ßen, mess­ba­ren Erfol­ge brin­gen – weder, was die Asyl­ver­fah­rens­dau­er, noch die Durch­füh­rung von Abschie­bun­gen angeht.

Auch die Abschiebung wird nicht automatisch erleichtert

Eine Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« wür­de die Abschie­bun­gen in sol­che Län­der auch nicht ver­ein­fa­chen. Ent­schei­dend ist die Bereit­schaft des jewei­li­gen Staa­tes, sei­ne Bür­ger zurück­zu­neh­men und  Doku­men­te aus­zu­stel­len. Wer in der Öffent­lich­keit den Ein­druck erweckt, mit der Ein­stu­fung der Maghreb-Staa­ten als »sicher« sei­en Abschie­bun­gen schnel­ler mög­lich, der argu­men­tiert unseriös.

6 – 11 %

beträgt die Schutz­quo­te für Asylantragsteller*innen aus den Maghreb­staa­ten in den letz­ten 1,5 Jah­ren. Und liegt damit durch­gän­gig über den 5 Pro­zent, unter denen der Koali­ti­ons­ver­trag Län­der als „sicher“ ein­stu­fen will.

Von wievielen Fällen reden wir hier eigentlich?

Der Anteil der Asyl­su­chen­den aus die­sen drei Län­dern ist ver­schwin­dend gering, sie tau­chen nicht ein­mal unter den zehn zugangs­stärks­ten Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten der Erst­an­trag­stel­ler im Zeit­raum von 2014 bis 2017 auf (BAMF Sta­tis­tik). Ihr Anteil liegt jeweils bei unter einem Pro­zent. 2018 haben im Zeit­raum von Janu­ar bis April 730 Algerier*innen, 591 Marokkaner*innen und 295 Tunesier*innen erst­mals in Deutsch­land Asyl beantragt.

Und: Die berei­nig­ten Gesamt­schutz­quo­ten lie­gen sogar über den im Koali­ti­ons­ver­trag genann­ten fünf Pro­zent Aner­ken­nungs­quo­te, unter denen eine Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« zukünf­tig erfol­gen soll! 2017 erhiel­ten 6,3 Pro­zent der Antragsteller*innen aus Alge­ri­en und 5,9 der Asylbewerber*innen aus Tune­si­en einen Schutz­sta­tus, bei Marok­ko lag die Quo­te gar bei 10,6 Pro­zent (jeweils berei­nig­te Schutz­quo­te). Die Zah­len für 2018 sehen bis­lang ähn­lich aus: Alge­ri­en 7,4 Pro­zent, Tune­si­en 6,3 Pro­zent, Marok­ko 10,8 Prozent.

Es ist sach­lich nicht begründ­bar, wenn regie­rungs­sei­tig die unbe­rei­nig­te Schutz­quo­te als Argu­ment her­an­ge­zo­gen wird. In die­ser sind auch die nicht-inhalt­lich getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen ent­hal­ten. Wenn aller­dings ein ande­rer EU-Staat zustän­dig ist, der Antrag zurück­ge­nom­men wird oder sich ander­wei­tig erle­digt, sagt dies sta­tis­tisch nichts zur Fra­ge aus,  ob die­se Antragsteller*innen grund­sätz­lich schutz­be­dürf­tig sind oder waren. Ergo: Seri­ös ist nur eine Gegen­über­stel­lung der JA/N­EIN-Ent­schei­dun­gen zur Schutzbedürftigkeit.

Das Vorhaben ist ein Feigenblatt und muss abgelehnt werden

Die Ein­stu­fung der Maghreb-Län­der als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« wird also kei­ne gro­ßen, mess­ba­ren Erfol­ge brin­gen – weder, was die Asyl­ver­fah­rens­dau­er, noch die Durch­füh­rung von Abschie­bun­gen angeht. Ein­zig für die Schutz­su­chen­den aus die­sen Län­dern, die vor Ver­fol­gung aus reli­giö­sen, sexu­el­len oder poli­ti­schen Grün­den flie­hen, hat es nega­ti­ve Fol­gen: Ohne dass ihr jewei­li­ges Ein­zel­schick­sal betrach­tet wird, durch­lau­fen sie ein Schnell­ver­fah­ren, das auf Ableh­nung ange­legt ist. Ihnen droht die Abschie­bung in die Bedro­hungs­si­tua­ti­on, vor der sie geflo­hen sind.

Dass der Nut­zen des Geset­zes gering sein wird, wis­sen auch die ver­ant­wort­li­chen Politiker*innen. Sie ver­su­chen aber offen­bar – getrie­ben von den Rechtspopulist*innen – damit har­te Hand in der Asyl­po­li­tik zu zei­gen. Soll­te die Bun­des­re­gie­rung das Gesetz also tat­säch­lich auf den Weg brin­gen, wird es wie­der am Bun­des­rat lie­gen, die­sem Vor­ha­ben eine Absa­ge zu ertei­len. Die Grün­de blei­ben die glei­chen, wie im März 2017.

(mk)