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Die Maghreb-Länder: Noch immer keine »Sicheren Herkunftsstaaten«
Schon 2016 wollte die Bundesregierung Algerien, Marokko und Tunesien zu sogenannten »sicheren Herkunftsländern« ernennen. Im März 2017 scheiterte das Vorhaben aus guten Gründen im Bundesrat. Jetzt wird der Anlauf erneut unternommen – obwohl sich dort in den Punkten, die zur Ablehnung führten, nichts verbessert hat.
Für die Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« muss landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen die Sicherheit vor politischer Verfolgung bestehen, wie in den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts nachzulesen ist. Es muss u.a. gewährleistet sein, dass im Herkunftsland keine Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Das ist in den Maghreb-Staaten nicht der Fall.
Interne BAMF-Dokumente widersprechen Bundesregierung
Auch aus den internen »Herkunftsländerleitlinien« des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), geht hervor, dass die Lage in den Maghreb-Staaten keineswegs die Einstufung rechtfertigen würde. ZEIT online hat die internen Dokumente im Oktober 2016 zitiert. Dort ist unter anderem die Rede von Verfolgung von Frauen und Homosexuellen, Foltervorwürfen, mangelnder Religionsfreiheit, Menschenhandel und politischer Verfolgung.
Menschenrechtsverletzungen im Maghreb
Das hat sich auch im vergangenen Jahr nicht geändert. Amnesty International hat ausführliche Informationen zur Menschenrechtssituation in Marokko, Algerien und Tunesien zusammengetragen.
Algerien inhaftierte »auch 2017 willkürlich friedlich Demonstrierende, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten«. Besonders erschütternd: Auch die Anwält*innen von diesen Personen müssen anschließend Drangsalierungen der Behörden befürchten. Gegen den Rechtsanwalt Noureddine Ahmine wurde beispielsweise Anklage unter dem Vorwurf, »eine öffentliche Institution »diffamiert“ und fälschlicherweise eine Straftat angezeigt zu haben«, erhoben, »als er 2014 – offenbar im Namen eines Mandanten – Anzeige wegen Folter erstattete«. Darüber hinaus werden Mitglieder der Ahmadiyya, einer muslimischen Minderheit, in Algerien verfolgt.
(vgl. Amnesty Report Algerien)
In Marokko werden tagtäglich Aktivist*innen vor Gericht gestellt. Friedliche Proteste für soziale Fragen oder die Umwelt werden auf brutale Weise beendet, die Demonstrant*innen zu ungerechtfertigten Haftstrafen verurteilt: »Während des gesamten Jahres 2017 setzten die Behörden immer wieder unverhältnismäßige und unnötige Gewalt ein, um friedliche Demonstrationen in Laayoune, Smara, Boujdour, Dakhla und anderen Städten in der Westsahara aufzulösen.« (Amnesty Report Marokko & Westsahara)
Außerdem setzen die Behörden »weiter Paragraph 489 des Strafgesetzbuchs ein, um LGBTI strafrechtlich zu verfolgen und zu inhaftieren. Der Paragraf stellt einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren unter Strafe. Im März 2016 wurden zwei Männer von den Behörden strafrechtlich verfolgt, nachdem sie Opfer eines homofeindlichen Angriffs durch Jugendliche in der Stadt Beni Mellal geworden waren.«
In Tunesien herrscht seit 2015 der Ausnahmezustand, die Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf Freizügigkeit sind dort ebenso eingeschränkt wie die Versammlungsfreiheit. Gefangene werden misshandelt und gefoltert, die dafür Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Vor allem Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt. (vgl. Amnesty Report Tunesien).
Deswegen ist es dringend geboten, dass Asylanträge aus diesen Staaten weiterhin individuell und gründlich geprüft werden, anstatt die Länder pauschal für »sicher« zu erklären.
Was hätte eine solche Einstufung für Folgen?
Würden die Maghreb-Staaten nun als »sichere Herkunftsländer« eingestuft, würde das für Asylantragssteller aus diesen Ländern nämlich bedeuten, dass sie ein verkürztes Eilverfahren durchlaufen und dabei die »Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr vorliegt«, widerlegen müssen. Ihr Rechtsschutz würde auf ein Minimum reduziert wird und sie hätten mit umfangreichen Diskriminierungen wie dauerhafter Lagerunterbringung und Arbeitsverbot zu rechnen.
Einstufung als »sicheres Herkunftsland« verkürzt Verfahrensdauer nicht wesentlich
Beim Bundesamt führt die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat nur zu marginaler Zeitersparnis. Auch ohne diese Einstufung kann das BAMF Asylanträge, in denen nichts Asylerhebliches vorgetragen wird, mit relativ überschaubarem Begründungsaufwand ablehnen und tut dies auch in der Praxis. Das Beschleunigungsargument ist also an den Haaren herbeigezogen. Die wirkliche Folge aber ist: Die individuelle Betrachtung wird von einer typisierenden verdrängt. Jene Schutzbedürftigen, die es auch nach der Statistik und der Auffassung der Bundesregierung gibt, haben es schwerer, ihr individuelles Verfolgungsschicksal zu Gehör zu bringen.
Die Einstufung der Maghreb-Länder als »sichere Herkunftsstaaten« wird keine großen, messbaren Erfolge bringen – weder, was die Asylverfahrensdauer, noch die Durchführung von Abschiebungen angeht.
Auch die Abschiebung wird nicht automatisch erleichtert
Eine Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« würde die Abschiebungen in solche Länder auch nicht vereinfachen. Entscheidend ist die Bereitschaft des jeweiligen Staates, seine Bürger zurückzunehmen und Dokumente auszustellen. Wer in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, mit der Einstufung der Maghreb-Staaten als »sicher« seien Abschiebungen schneller möglich, der argumentiert unseriös.
Von wievielen Fällen reden wir hier eigentlich?
Der Anteil der Asylsuchenden aus diesen drei Ländern ist verschwindend gering, sie tauchen nicht einmal unter den zehn zugangsstärksten Staatsangehörigkeiten der Erstantragsteller im Zeitraum von 2014 bis 2017 auf (BAMF Statistik). Ihr Anteil liegt jeweils bei unter einem Prozent. 2018 haben im Zeitraum von Januar bis April 730 Algerier*innen, 591 Marokkaner*innen und 295 Tunesier*innen erstmals in Deutschland Asyl beantragt.
Und: Die bereinigten Gesamtschutzquoten liegen sogar über den im Koalitionsvertrag genannten fünf Prozent Anerkennungsquote, unter denen eine Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« zukünftig erfolgen soll! 2017 erhielten 6,3 Prozent der Antragsteller*innen aus Algerien und 5,9 der Asylbewerber*innen aus Tunesien einen Schutzstatus, bei Marokko lag die Quote gar bei 10,6 Prozent (jeweils bereinigte Schutzquote). Die Zahlen für 2018 sehen bislang ähnlich aus: Algerien 7,4 Prozent, Tunesien 6,3 Prozent, Marokko 10,8 Prozent.
Es ist sachlich nicht begründbar, wenn regierungsseitig die unbereinigte Schutzquote als Argument herangezogen wird. In dieser sind auch die nicht-inhaltlich getroffenen Entscheidungen enthalten. Wenn allerdings ein anderer EU-Staat zuständig ist, der Antrag zurückgenommen wird oder sich anderweitig erledigt, sagt dies statistisch nichts zur Frage aus, ob diese Antragsteller*innen grundsätzlich schutzbedürftig sind oder waren. Ergo: Seriös ist nur eine Gegenüberstellung der JA/NEIN-Entscheidungen zur Schutzbedürftigkeit.
Das Vorhaben ist ein Feigenblatt und muss abgelehnt werden
Die Einstufung der Maghreb-Länder als »sichere Herkunftsstaaten« wird also keine großen, messbaren Erfolge bringen – weder, was die Asylverfahrensdauer, noch die Durchführung von Abschiebungen angeht. Einzig für die Schutzsuchenden aus diesen Ländern, die vor Verfolgung aus religiösen, sexuellen oder politischen Gründen fliehen, hat es negative Folgen: Ohne dass ihr jeweiliges Einzelschicksal betrachtet wird, durchlaufen sie ein Schnellverfahren, das auf Ablehnung angelegt ist. Ihnen droht die Abschiebung in die Bedrohungssituation, vor der sie geflohen sind.
Dass der Nutzen des Gesetzes gering sein wird, wissen auch die verantwortlichen Politiker*innen. Sie versuchen aber offenbar – getrieben von den Rechtspopulist*innen – damit harte Hand in der Asylpolitik zu zeigen. Sollte die Bundesregierung das Gesetz also tatsächlich auf den Weg bringen, wird es wieder am Bundesrat liegen, diesem Vorhaben eine Absage zu erteilen. Die Gründe bleiben die gleichen, wie im März 2017.
(mk)