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Gipfel der Abschottung und Entrechtung: Erste Analyse von PRO ASYL zum Flüchtlingsgipfel
Beim Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Scholz am 10. Mai ging es ursprünglich um die Kostenverteilung bei der Unterbringung. Doch die Politiker*innen gingen weit darüber hinaus, einigten sich auf umfassende Rechtsverschärfungen: Ein menschenrechtlicher Dammbruch, der den Koalitionsvertrag der Regierung konterkariert.
Seit 2022 beklagen etliche Kommunen eine kapazitäre und finanzielle Überlastung in den Behörden, insbesondere der Ausländerbehörden, und bei der Unterbringung und Versorgung geflüchteter Menschen. Zum Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Scholz (MPK-Konferenz) in Berlin forderten die Länder vom Bund mehr finanzielle Unterstützung in Form einer Pro-Kopf-Pauschale für jede geflüchtete Person, Unterstützung beim Ausbau von Unterbringungsmöglichkeiten sowie eine Entlastung der Behörden. Der Bund sagte zwar weitere finanzielle Hilfen zu, versucht jedoch gleichzeitig, im Windschatten dieser Diskussion, massive asyl- und aufenthaltsrechtliche Verschärfungen in Deutschland und der EU durchzusetzen und Abschottung und Zurückweisung gar als Lösungen für die überlasteten Kommunen zu verkaufen.
Halbherzige Lösungsvorschläge statt ernst gemeinter Unterstützung der Kommunen
Der Bund beruft sich in der Debatte stets auf die Verantwortung der Bundesländer und Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen und argumentiert, dass er bereits leistungsrechtlich sowohl durch das Asylbewerberleistungsgesetz (Sozialleistungen während des Asylverfahrens) als auch das SGB II (Arbeitslosengeld II für erwerbslose Geflüchtete mit Aufenthaltstitel) der finanziellen Unterstützung genügend nachkomme.
In dem Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und Bundeskanzler Scholz finden sich nur halbherzig erarbeitete Lösungsansätze wie die stärkere Finanzierung der Kommunen bei der Unterbringung und die Entwicklung von Strategien zur Entlastung der Ausländerbehörden durch zum Beispiel Verschlankung und Digitalisierung. Jedoch keine Ideen zum Beispiel zur längst überfälligen Abschaffung des Asylbewerberleitungsgesetzes, das nicht nur ein Bürokratie-Riese ist und sehr viele Kapazitäten in Verwaltung und Behörden bindet, sondern auch asylsuchende Menschen massiv beschränkt und diskriminiert.
Gar nichts findet sich in den Beschlüssen zu möglichen Bundesregelungen zur Überarbeitung des innerdeutschen Verteilungssystems (Königsteiner Schlüssel) oder der Aufhebung der Wohnverpflichtung für Geflüchtete in einer Aufnahmeeinrichtung (AsylG § 47) und der Entlassung aus der Wohnpflicht für anerkannte Flüchtlinge. Derzeit wird häufig aufgrund der Regelungen trotz der Möglichkeit für geflüchtete Menschen, bei Verwandten, Bekannten, Freund*innen zu wohnen, der Auszug verweigert. So wird aktiv der Auszug aus den Unterkünften in privaten Wohnraum verhindert und Unterbringungsstrukturen werden strapaziert.
Stattdessen setzt der Bund in den Beschlüssen vor allem auf Maßnahmen zur »Reduzierung irregulärer Migration« nach Deutschland (S.4 des Beschlusses). Konkret geht es dabei einerseits um die Abwehr neu ankommender Geflüchteter an den außen- und innereuropäischen Grenzen und andererseits um massive Verschärfungen der Maßnahmen bei Abschiebungen.
Rechtsverschärfungen bei Abschiebungen, mehr Haft in Deutschland
Verschärfungen gibt es auch bei Abschiebungen. Im Beschluss heißt es: »Die weiterhin hohe Anzahl an Personen, die keinen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen können und bei denen rechtsstaatlich festgestellt worden ist, dass sie Deutschland wieder verlassen müssen, stellt den Bund, die Länder und die Kommunen vor hohe Herausforderungen.« (S. 13) Zur Entlastung von Ländern und Kommunen ist ein effektives Rückführungsmanagement für Personen ohne Bleiberecht von großer Bedeutung.«(S. 12)
In dem Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und Bundeskanzler Scholz finden sich nur halbherzig erarbeitete Lösungsansätze […]
An dieser Stelle bedient sich der Beschluss des vor allem von der rechten politischen Seite immer wieder herangezogenen Framings der massenhaft Ausreisepflichtigen, die nicht schnell genug abgeschoben werden. So wird versucht, eine rigidere Abschiebepolitik und Rechtsverschärfungen als Lösung für die Überlastung der Kommunen zu instrumentalisieren. Jedoch ist die Realität eine ganz andere. Der überwiegende Teil der schutzsuchenden Menschen erhält einen Aufenthaltstitel, und von den Ausreisepflichtigen ist wiederum ein Großteil aus humanitären, gesundheitlichen oder familiären Gründen geduldet, die Abschiebung ist also ausgesetzt.
In den Beschlüssen finden sich massive Verschärfungen zur Abschiebehaft und zum Ausreisegewahrsam, darunter ein neuer Haftgrund bei Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsverbot, unabhängig von der Fluchtgefahr.
Ferner ist die Ausdehnung der Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage geplant, Abschiebhaft trotz der Stellung eines Asylantrags, die Ausweitung der Durchsuchung in Privaträumen zum Zwecke der Abschiebung, vereinzelt auch Abschiebungen in Länder mit geltendem Abschiebestopp und das vermehrte Auslesen von Mobiltelefonen.
Mit diesen Maßnahmen sollen die bereits im Migrationspaket 2019 ohnehin rechtlich fragwürdigen Beschneidungen der Rechte von ausreisepflichtigen Menschen und Menschen in Abschiebehaft noch weiter eingeschränkt werden. Dabei sind sowieso 50 Prozent der Abschiebehaft-Fälle nachweislich und gerichtlich festgestellt rechtswidrig. Auch bestehen gegen das Ausreisegewahrsam schon seit seiner Einführung im Jahre 2015 verfassungs- und europarechtliche Bedenken. Mit ihm wurde ein Instrument geschaffen, welches gänzlich unabhängig vom Vorliegen eines Haftgrundes die Inhaftierung ermöglicht, die nun auch noch ausgedehnt werden soll.
Dass nun außerdem ein »eigenständiger Haftgrund außerhalb der Fluchtgefahr« geschaffen werden soll, kann nur bedeuten, dass bei einem Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote stets Abschiebungshaft zulässig sein soll. Dies widerspricht völlig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Abschiebehaft (Artikel 15 Absatz 1 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie) und stellt einen massiven Grundrechteeingriff für die Betroffenen dar.
Effektivierung von Abschiebungen geht über Menschenwürde
Ein effektives Rückführungsmanagement zur Durchführung von Abschiebungen wird im Beschluss der MPK gefordert, ohne auch nur im Ansatz eine Abwägung vorzunehmen, was dies bedeutet. Es seien »gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, anzupassen«, heißt es auf Seite 14. Dazu gibt es einen umfassenden Katalog von Rechtsänderungen, die darauf hinauslaufen, Abschiebungshaft zu erleichtern und zu verlängern. »Den Behörden soll es erleichtert werden, auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer des Betroffenen in der Unterkunft betreten zu können«, wenn es um Abschiebungen geht. Das bedeutet im Klartext: Wenn eine Abschiebung aus der Gemeinschaftsunterkunft nachts um 3 Uhr überraschend vollzogen wird, sollen alle Bewohnerinnen und Bewohner damit rechnen müssen, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Hier wird deutlich, dass die, die das beschlossen haben, auch nicht nur im Ansatz eine Vorstellung davon haben, was das für die Menschen bedeutet, die jahrelang in Wohnheimen leben. Abgesehen davon dürfte solch eine Regelung mit dem durch die EMRK (Art. 8) und aus Art. 1 des Grundgesetzes abgeleiteten garantierten Schutz des Privatlebens nur schwer vereinbar sein.
Innereuropäische Abkommen ebnen den Weg für Pushbacks an Binnengrenzen
»Die vorübergehenden Grenzkontrollen zu Österreich wurden verlängert. Aufgrund der derzeitigen Dynamik des Migrationsgeschehens wird die Schleierfahndung an allen deutschen Binnengrenzen vorgenommen und lageabhängig intensiviert. Mit der Schweiz wurde ein Aktionsplan vereinbart.« (S. 7)
Diese Verlängerung der Grenzkontrollen zu Österreich ist unionsrechtswidrig, wie sich aus einem Urteil des EuGH aus April 2022 ergibt. Darin hat der EuGH klargestellt, dass ein Staat solche Kontrollen nur im Fall »einer neuen ernsthaften Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder seiner inneren Sicherheit« verlängern dürfen. Eine solche ernsthafte Bedrohung ist indessen nicht gegeben und wird von der Bundesregierung auch nicht ausgeführt.
Sowohl die Verlängerung der besagten Grenzkontrollen als auch die Intensivierung der Kontrolle und Überwachung der deutschen Binnengrenzen wird – der Erfahrung nach – zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen an den Grenzen führen, trotz der Äußerung eines Asylgesuchs durch die ankommenden Menschen. Vermuten lassen dies die massiv gestiegenen Zahlen der Abweisung Geflüchteter an der deutsch-österreichischen sowie an der deutsch-tschechischen Grenze, die angeblich kein Asylgesuch geäußert haben.
Zwar hat Deutschland grundsätzlich das Recht, Menschen, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen und damit »unerlaubt« einreisen, an der Grenze abzuweisen und sie in das Land zurückzuschicken, aus dem sie eingereist sind. Äußert eine Person an der Grenze bei der Bundespolizei aber schriftlich, mündlich oder auf andere Weise – zum Beispiel durch Gesten – ein Asylgesuch, darf sie unter keinen Umständen zurückgeschickt werden, auch wenn sie nicht über die erforderlichen Dokumente zur Einreise verfügt. In diesem Fall ist die Bundespolizei als Grenzbehörde verpflichtet, die schutzsuchende Person an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterzuleiten.
Es ist europa- und völkerrechtlich verboten, eine schutzsuchende Person an der Grenze abzuweisen.
Es ist europa- und völkerrechtlich verboten, eine schutzsuchende Person an der Grenze abzuweisen: Welcher Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist, bestimmen in der EU die Kriterien der Dublin-III-Verordnung. Ob Deutschland oder ein anderes Land für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, muss in einem speziellen Dublin-Verfahren geklärt werden, welches unter Einhaltung von bestimmten Verfahrensgarantien nur vom BAMF durchgeführt werden kann. Darüber hinaus steht einer Zurückweisung das Verbot der Kollektivausweisung einer Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze entgegen, das in Art. 4 des IV. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention zu finden ist. Es besagt, dass schutzsuchende Personen nicht pauschal abgewiesen werden dürfen, sondern ihre individuellen Umstände berücksichtigt werden müssen. Für eine solche Prüfung hat die Bundespolizei keine Kompetenz.
An den deutschen Grenzen zu Tschechien und Österreich ist es aber nach Berichten von Rechtsanwält*innen und Menschenrechtsorganisationen wiederholt zu Zurückweisungen von Geflüchteten gekommen, obwohl diese der Bundespolizei klar mitgeteilt hätten, dass sie einen Asylantrag stellen möchten. Darüber hinaus sind die Betroffenen mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt worden. Behauptungen der Bundespolizei, wonach die Betroffenen in diesen Fällen stets lediglich die Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben in Deutschland geäußert hätten, muss entschieden entgegengetreten werden.
Einschränkungen des individuellen Rechts auf Asyl an den europäischen Außengrenzen
»Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene nachdrücklich dafür ein, dass sämtliche aktuellen Reformvorschläge zur europäischen Asyl- und Migrationspolitik (inkl. Screening, Eurodac, Asylgrenzverfahren, Sichere-Staaten-Konzepte, Dublin Reform, Solidaritätsmechanismus) bis Ende der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments (Frühjahr 2024) mit diesem geeint werden.« (S. 5 Beschluss)
Die aktuell in der EU diskutierten Reformpläne zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik setzen auf eine Aushöhlung des Asylrechts und die Erschwerung des Zugangs zum individuellen Recht auf Asyl in Form von Asyl-Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen in De-facto-Haftlagern, die Verschärfung des – ohnehin gescheiterten – Dublin-Systems und die Ernennung weiterer sogenannter sicherer Herkunftsstaaten. Weiterhin soll »die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX gestärkt werden, um unerlaubte Einreisen zu reduzieren«. (S.6) Angesichts der immer wieder bekannt werdenden Menschenrechtsverletzungen durch FRONTEX setzt dieser Punkt eindeutig auf Abwehr von Schutzsuchenden. Darüber hinaus ist die Möglichkeit der »erlaubten« Einreise nach Europa für Flüchtende unmöglich, denn ein Visum für die Einreise zur Asylantragstellung existiert, schlichtweg nicht.
Zudem ist in den Beschlüssen der Ausbau von »Migrationspartnerschaften« mit Herkunftsstaaten (S. 4 Beschlüsse) und das Einwirken auf diese als Ziel benannt, »damit sie in Deutschland oder anderen Mitgliedstaaten der EU ausgestellte sog. Laissez-Passer-Dokumente bei der Rückkehr akzeptieren«. Vermutlich soll dies unter anderem über Vorführungen bei den jeweiligen Botschaften geschehen. Diese Sammelanhörungen stehen aber seit jeher in der massiven Kritik, sehr intransparent zu sein und in einer rechtlichen Grauzone stattzufinden.
Was jedoch fehlt, ist eine Strategie, um den ebenfalls genannten Solidaritätsmechanismus für die Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU zu realisieren und alle europäischen Mitgliedstaaten zur Einhaltung der rechtlichen Verpflichtungen zu bewegen.
Die Beschlüsse der MPK sind ein menschenrechtlicher Dammbruch. Doch Gesetze werden von dem Deutschen Bundestag oder dem Europäischen Parlament beschlossen. Wir appellieren an die Gesetzgeber*innen: Treten Sie ein für die Menschenrechte von Geflüchteten. Nehmen Sie den Koalitionsvertrag als Grundlage. Stimmen Sie einer Kehrtwende auf den Seehofer-Kurs nicht zu!
Macht mit bei unserer Aktion »Wenn Menschenrechte verschwinden:«. Es sollen Tausende Briefe an die Parteivorstände von SPD, Grüne und FDP geschickt werden.