20.02.2012
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Asylschnellverfahren führen nicht selten dazu, dass Schutzsuchende kaum Chancen haben, sich rechtlich gegen ihre Abschiebung zu wehren. Foto: flickr / purplemattfish

In einem Urteil vom 2. Februar 2012 kritisiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das „Schellverfahren“, da es das Recht auf effektiven Rechtsschutz im Asylverfahren verletze.

Der suda­ne­si­sche Schutz­su­chen­de, der irre­gu­lär nach Frank­reich ein­ge­reist war, hat­te zunächst kei­ne Mög­lich­keit, sein Asyl­ge­such vor­zu­tra­gen. Noch bevor die Behör­den sei­nen Asyl­an­trag regis­triert hat­ten, wur­de bereits eine Abschie­bung gegen ihn ange­ord­net. Obwohl die ver­zö­ger­te Ent­ge­gen­nah­me des Asyl­an­trags klar von den Behör­den zu ver­ant­wor­ten war, deu­te­ten sie den ver­spä­te­ten Antrag als Miss­brauch und ver­han­del­ten ihn in einem sog. „Schnell­ver­fah­ren“.

Als Fol­ge konn­te der Schutz­su­chen­de sein Recht auf ein ordent­li­ches Ver­fah­ren nicht wahr­neh­men – in nur acht Tagen konn­te er sich weder aus­rei­chend vor­be­rei­ten, noch die erfor­der­li­chen Doku­men­te her­bei­schaf­fen, was sich nega­tiv auf die Bewer­tung sei­ner Asyl­grün­de aus­wirk­te. Um die bereits gegen ihn ver­ord­ne­te Abschie­bung zu ver­hin­dern, hat­te der Betrof­fe­ne eben­falls nur 48 Stun­den Zeit – kaum aus­rei­chend, um die erfor­der­li­chen Schrit­te vor­zu­neh­men. Auch sei­nen Pflicht­an­walt hat­te er erst­mals kurz vor Ablauf der Frist tref­fen kön­nen – das Rechts­mit­tel gegen die Abschie­bung wur­de zurückgewiesen.

Erst durch das Ein­schrei­ten des EGMR konn­te die Abschie­bung auf­ge­scho­ben wer­den, was dem Antrag­stel­ler die Gele­gen­heit gab, die feh­len­den Doku­men­te zu beschaf­fen und gegen eine Asyl­ab­leh­nung zu klagen.

Das EGMR hielt in dem Urteil fest, dass 24 Pro­zent aller Asyl­an­trä­ge in Frank­reich im Schnell­ver­fah­ren ver­han­delt wer­den – über 60 Pro­zent davon sind Erst­an­trä­ge. Die­se Asyl­ge­su­che wer­den nicht mit der größt­mög­li­chen Sorg­falt geprüft – der Zugang zum effek­ti­ven Rechts­schutz wird den Asyl­su­chen­den fak­tisch ver­wei­gert. Als beson­ders schwer­wie­gend wer­te­te das Gericht, dass der Kla­ge gegen die ableh­nen­de Asy­l­ent­schei­dung kei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung zukam – ohne die Inter­ven­ti­on des Gerichts wäre der Schutz­su­chen­de ohne Prü­fung sei­ner Asyl­grün­de ver­mut­lich abge­scho­ben wor­den. Dem Betrof­fe­nen wur­de vom Gericht eine Ent­schä­di­gung zugesprochen.

Es stellt sich die Fra­ge, inwie­weit die Kri­tik des EGMR an Asyl­schnell­ver­fah­ren auf die deut­sche Rechts­la­ge zu über­tra­gen ist: Auch das deut­sche „Flug­ha­fen­ver­fah­ren“ ist als Schnell­ver­fah­ren aus­ge­stal­tet. Inner­halb von zwei Tagen nach der Stel­lung des Asyl­an­trags wird direkt am Flug­ha­fen ent­schie­den, ob der Asyl­an­trag abge­lehnt oder die Ein­rei­se zum nor­ma­len Asyl­ver­fah­ren erlaubt wird.

Lehnt das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge den Asyl­an­trag inner­halb von zwei Tagen als offen­sicht­lich unbe­grün­det ab, wird dem Antrag­stel­ler die Ein­rei­se ver­wei­gert. In die­sem Fall hat der Asyl­su­chen­de nur noch die Mög­lich­keit, einen Antrag auf einst­wei­li­gen Rechts­schutz inner­halb von drei Tagen beim Ver­wal­tungs­ge­richt zu stellen.

PRO ASYL sieht die­ses Son­der­ver­fah­ren im Flug­ha­fen­tran­sit als unfair und mit dem Recht auf effek­ti­ven Rechts­schutz als unver­ein­bar an. Ohne das Enga­ge­ment der erfah­re­nen Asyl­an­wäl­te und Sozi­al­ar­bei­ter, die sich in Flug­ha­fen­ver­fah­ren enga­gie­ren, hät­ten die Betrof­fe­nen kaum Chan­cen, ihre Ein­rei­se und asyl­recht­li­chen Schutz zu erhalten. 

Link: ECHR: First-time asyl­um see­ker was not given effec­ti­ve reme­dy under fast-track pro­ce­du­re for exami­na­ti­on of his case (Press release, pdf): „A vio­la­ti­on of Artic­le 13 (right to an effec­ti­ve reme­dy) taken tog­e­ther with Artic­le 3 (pro­hi­bi­ti­on of inhu­man or degra­ding tre­at­ment) of the Euro­pean Con­ven­ti­on on Human Rights The case con­cer­ned the risks the appli­cant would face in the event of his depor­ta­ti­on to Sudan and the effec­ti­ve­ness of the reme­dies available to him in France in view of the fact that his asyl­um appli­ca­ti­on was dealt with under the fast-track procedure.“

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