News
Rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge nimmt weiter zu
Freital, Lübeck, Meißen: Rassistische Hetze, Anschläge und Gewalttaten sind weiter auf dem Vormarsch. Das belegen auch gestern vom Verfassungsschutz veröffentlichte Zahlen. Doch geht die Gefahr – anders als der Inlandsgeheimdienst suggeriert – nicht allein von Rechtsextremen aus – sondern nicht zuletzt vom Rassismus der Mitte.
Am Montag brannte es in Lübeck – eine Anwohnerin entdeckte am frühen Morgen ein Feuer in der noch im Bau befindlichen Asylbewerberunterkunft im Lübecker Stadtteil Kücknitz. Die Polizei geht von einem fremdenfeindlichen Hintergrund aus, darauf wiesen offenbar auch entsprechende Schmierereien auf dem Bauschild hin. Der Staatsschutz ermittelt.
In der Nacht zum Sonntag verübten Unbekannte im sächsischen Meißen einen Brandanschlag auf eine fast fertiggestellte Asylbewerberunterkunft. Noch am Samstag vor der Tatnacht hatten rund zwei Dutzend Neonazis an einer Demonstration unter dem Motto „Sei nicht mehr schweigsam, denn es ist DEIN Land“ teilgenommen. Aufgerufen hatte unter anderem die „Initiative Heimatschutz“: „Sooooo.…damit ihr nicht denkt in Meißen passiert nix..weit gefehlt…“, hieß es im entsprechenden Facebook-Posting der Organisation, die ihre Hände nach dem Anschlag dann freilich in Unschuld wusch: Man sei „weder rechtsextrem noch rassistisch!“.
Aus dem sächsischen Freital, wo die Behörden derzeit Asylsuchende in einem ehemaligen Hotel unterbringen, berichteten Beobachterinnen und Beobachter letzte Woche von Pogromstimmung. Immer wieder versammelten sich abends rund 100 Menschen vor der Unterkunft und gaben ihr rassistisches Gedankengut zum Besten. Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtlinge stellten sich schützend vor die Flüchtlingsunterkunft, mehrere von ihnen wurden tätlich angegriffen.
Verfassungsschutzbericht 2014: Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte verdreifacht
Der Eindruck, dass rechte und rassistische Gewalttaten angestiegen sind, ist kein bloß subjektiver. Dem gestern vorgestellte Verfassungsschutzbericht zu Folge ist die Zahl der „Gewalttaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund“ im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 23,6 Prozent auf insgesamt 990 Taten angestiegen.
Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2014 hat sich mit 170 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht – 2013 waren es laut Verfassungsschutz 55. Auch im ersten Halbjahr 2015 (Stand 28.6.2015) gab es laut Bundesinnenministerium bereits 150 gegen Flüchtlingsunterkünfte gerichtete Straftaten, zu denen in der Statistik des Verfassungsschutzes Sachbeschädigungen und Propagandadelikte wie das zeigen des Hitlergrußes zählen.
Wie die Amadeu Antonio Stiftung in ihrer Pressemitteilung zum Verfassungsschutzbericht ergänzend hinweist, ist der Hass auf Flüchtlinge seit der Bundestagswahl 2013 zum Hauptmobilisierungsthema der Rechten geworden – mit gravierenden Folgen. Mit dem Beginn der rechten Pegida-Demonstrationen hat die rassistische Gewalt seit Oktober 2014 dramatisch zugenommen.
Die Extremismusthese greift zu kurz
Die Amadeu Antonio Stiftung, die in Kooperation mit PRO ASYL Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte dokumentiert, zählte im Jahr 2014 insgesamt gar 247 gewalttätige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, darunter 36 Brandstiftungen und 81 tätliche Übergriffe auf Einzelpersonen. Im Jahr 2015 listet die Chronik bereits 98 tätliche Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte aus, darunter elf Brandanschläge. In 26 dokumentierten Fällen kam es zu Angriffen auf insgesamt 44 Flüchtlinge.
Dass diese Chronik sich nicht schlicht an den Statistiken von Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium orientiert, ist kein Zufall. Denn gerade bei der Erfassung rassistischer Straftaten gegen Flüchtlinge wird deutlich, dass die vom Verfassungsschutz angewandte Kategorie der „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK), die traditionell nach „PMK-Rechts“, „PMK-Links“ und „PMK-Ausländerkriminalität“ untergliedert wird, in vielen Fällen an der Realität vorbeigeht – weil das ihr zugrundeliegende Extremismus-Modell den Rassismus eines Teils der bürgerlichen Mitte und die daraus resultierenden Straftaten auszublenden droht.
„Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Gewalt nicht nur von Neonazis begangen wird. Vielmehr sind es immer häufiger auch sogenannte „besorgte Bürgerinnen und Bürger“, die ihren rassistischen Einstellungen freien Lauf lassen“, sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung.
Rassismus der Mitte – Beispiel Sachsen
Wie der Rassismus der Mitte, rechter Populismus, flüchtlingsfeindliche Hetze und Gewalttaten zusammenhängen, illustriert das Beispiel Sachsen auf bedrückend deutliche Weise. Dass hier die rassistische Pegida-Bewegung erstarkte und aus dem Bundesland besonders viele rassistische Angriffe berichtet werden, mag viele Gründe haben – einer von ihnen findet sich mit Sicherheit in der Haltung der sächsischen Union. In Sachsen wird deutlich, was in den neunziger Jahren bundesweit zu beobachten war: Zeigen Politikerinnen etablierter Parteien Verständnis für rassistische Hetze oder stimmen gar in die Hetze mit ein, sehen sich rassistische Wutbürgerinnen und –bürger bestärkt.
Das gilt insbesondere auf lokalpolitischer Ebene. Der Tagesspiegel hat dazu eine ganze Reihe bedenklicher Fakten gesammelt. Etwa, dass der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer vor einiger Zeit Mitglied der öffentlichen Facebook-Gruppe „Betroffene von Ausländerkriminalität in Sachsen“ wurde – offenbar um sich dort mit Bürgerinnen und Bürgern auszutauschen, die offen Stimmung gegen Flüchtlinge und Migranten machen. „Bleibe dabei: Kritische Diskussion mit Nicht-NPDlern ist unerlässlich! Vorurteile abbauen! #Toleranz“ verteidigte er sein Vorgehen auf Twitter.
In der „Morgenpost am Sonntag“ ließ sich der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Alexander Krauß, mit der Aussage zitieren, wer keine Papiere habe „oder seinen Namen vergessen hat, sollte sofort im Gefängnis untergebracht werden. So wie in der Schweiz. Die Erfahrungen dort zeigen: Ein Aufenthalt hinter Gittern fördert die Gedächtnisleistung enorm.“
Der Bürgermeister Freitals, in dem „besorgte Bürger“ seit Monaten gegen Asylsuchende hetzen, machte im Juni mit dem Zitat auf sich aufmerksam, unter den Flüchtlingen seien „Glücksritter, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“.
Auch aus Meißen, wo am Wochenende die fast fertige Asylunterkunft brannte, waren seitens der Union bedenkliche Töne zu vernehmen. Der Landrat des Kreises, Arndt Steinbach (CDU), der laut Tagesspiegel schon NPD-Kommunalpolitiker zum Dialog laden und ein leer stehendes Gefängnis zur Flüchtlingsunterkunft umwidmen wollte, sagte gegenüber Reportern des MDR, „die rechten Umtriebe sehe ich nicht, die Sie meinen. (…) Sie quatschen da ja einen Mist nach.“
Seine Parteikollegin Daniela Kuge (MdL), wollte von einem Anschlag auf ein Asylbewerberheim erst gar nichts wissen: „Es ist KEIN Asylheim! Dort sind Wohnungen für Asylbewerber geplant…“, kommentierte sie auf Twitter. Immerhin hat sie diesen Tweet mittlerweile gelöscht.
Neunziger Jahre reloaded?
Sachsens Konservative stehen mit ihren Hang zu populistischen Parolen gegenüber Schutzsuchenden allerdings nicht alleine da: Erst kürzlich hatte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer von „massenhaften Asylmissbrauch“ schwadroniert und schnelle Abschiebungen gefordert. Und auch manche Medien tendieren mittlerweile wieder verstärkt dazu, populistische bis rassistische Tendenzen unkritisch zu transportieren oder gar noch zu verstärken.
So war in der Berichterstattung zu den rassistischen Protesten in Freital von „Asyl-Kritikern“ oder von „Asylgegnern“ die Rede, aber nicht von Rassismus – freilich harmlos gegenüber der Bild-Zeitung, die es allen Ernstes schaffte, ihren blutrote Überschrift „Asyl-Report Sachsen“ zum Anschlag in Meißen mit der Unterzeile zu versehen: „Warum werden kriminelle Asylbewerber nicht abgeschoben“.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach am Dienstag im Kontext der deutlich gestiegenen Gewalt gegen Flüchtlinge von der „berechtigten Frage“, „warum abgelehnte Asylbewerber oft nicht abgeschoben“ würden – ohne sie zu beantworten. Dabei gibt es dafür in der Regel gute Gründe. Auch wenn De Maizière deutlich betonte, mit den rassistischen Taten dürfe es „kein stilles Verständnis und erst recht kein stilles Einverständnis“ geben, drängt sich so der Eindruck auf: Hier wird einmal mehr das Thema rassistischer Gewalt genutzt, um auf eine härtere Abschiebungspraxis zu drängen. Die Gewalttäter dürfte das freuen.
Bislang war trotz allem zu hoffen, die Pogromstimmung der neunziger Jahre kehre heute nicht im selben Maße wieder – dank einer um einiges aufgeklärteren Medienberichterstattung, einer wachsameren und empathischeren Zivilgesellschaft und verantwortungsvolleren Tönen seitens der Politik. Angesichts der vielen Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Migranten sowie der zunehmenden rassistischen Hetze ist zu befürchten, dass sich diese Hoffnung, wird sie als Gewissheit missverstanden, noch als trügerisch erweisen kann.
Informationen und Materialien zum Thema Rassismus »>
Rassismus bei der Bundespolizei: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen (03.06.15)
Willkommenskultur ist nicht Privatsache! (20.03.15)
Klima der Angst: Rassistische Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge in 2014 (26.01.15)
Rassismus gegen Schutzsuchende: Mehr Hetze und mehr Gewalt (07.07.14)