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Juli 2014: Der Kindergarten im bayerischen Oberndorf protestiert dagegen, dass der fünfjährige Jona mit seiner Familie abgeschoben wird. Die Beamten der Arbeitsgruppe Vollzugsdefizite kritisieren dergleichen als Einflussnahme „interessierter Kreise“. Foto: Kindergarten Oberndorf

Alle Jahre wieder klagen für Abschiebungen zuständige Spitzenbeamte aus Polizei und Verwaltung, dass zu wenige Abschiebungen vollzogen werden könnten. Das Lamento ist meist ähnlich: Die Politik sei zu lasch, die Geduldeten zu renitent, die Öffentlichkeit und die Medien zu kritisch. Aktuell meldet sich die „Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite“ in der FAZ zu Wort.

Es ist nicht das ers­te Mal, dass für den Voll­zug von Abschie­bun­gen zustän­di­ge Beam­te ver­su­chen, mit an die Medi­en durch­ge­sto­che­nen inter­nen Papie­ren Poli­tik zu machen. Aktu­ell zitiert die FAZ einen inter­nen Bericht der „Unter­ar­beits­grup­pe Voll­zugs­de­fi­zi­te“, der beklagt, dass vie­le Abschie­bun­gen nicht voll­zo­gen wer­den könn­ten, unter ande­rem  wegen „man­geln­dem Rück­halt aus der Poli­tik“. „Der Voll­zug auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men“, so zitiert die FAZ das Papier, kön­ne nicht mehr „ansatz­wei­se in ange­mes­se­nen Umfang erfolgen“.

Offen­bar sind die Beam­ten der Auf­fas­sung, ihnen oblie­ge nicht allein die Auf­ga­be, poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen umzu­set­zen, son­dern es gehö­re auch zu ihren Auf­ga­ben, mit an die Medi­en wei­ter­ge­ge­ben „inter­nen Papie­ren“ poli­tisch Druck zu machen für einen in ihren Augen ange­mes­sen Umgang mit Abschie­bun­gen. Doch nicht nur das offen­bart ein eigen­tüm­li­ches Ver­ständ­nis von Rechts­staat­lich­keit und Demokratie:

Was laut FAZ den „Fach­leu­ten“ in Sachen Rück­füh­rung beson­de­re Sor­gen zu berei­ten scheint, ist die Ein­fluss­nah­me auf Abschie­be­ver­fah­ren durch „poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Krei­se“. Ins­be­son­de­re sei immer wie­der zu beob­ach­ten, dass Abschie­bun­gen von kom­mu­na­len Ent­schei­dungs­trä­gern gestoppt wer­den, „weil inter­es­sier­te Krei­se im Ver­bund mit den regio­na­len und teil­wei­se über­re­gio­na­len Medi­en den Fall auf­ge­grif­fen haben“, so das Papier.

Von wegen „inter­es­sier­te Kreise“

In der Tat berich­ten loka­le und über­re­gio­na­le Medi­en häu­fig kri­tisch dar­über, wenn Men­schen, die seit lan­gem in ihrer Stadt oder ihrer Gemein­de leben und dort inte­griert sind, mit einer Abschie­bung aus ihrem sozia­len Umfeld geris­sen wer­den sol­len. In vie­len Fäl­len wol­len es Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht hin­neh­men, dass Freun­de, Nach­barn, Kol­le­gen oder Schul­ka­me­ra­den abge­scho­ben wer­den – ins­be­son­de­re dann, wenn ihnen – wie etwa oft bei soge­nann­ten Dub­lin-Ver­fah­ren –  im Ziel­land Elend und Per­spek­tiv­lo­sig­keit drohen.

Mit ihrer For­mu­lie­rung der „inter­es­sier­ten Krei­se“ las­sen die Büro­kra­ten der „Unter­ar­beits­grup­pe Voll­zugs­de­fi­zi­te“ tief bli­cken, was sie von kri­ti­schen Medi­en und zivil­ge­sell­schaft­li­chem Enga­ge­ment  hal­ten – mit „inter­es­sier­ten Krei­sen“ wären wohl tref­fen­der jene Beam­tin­nen und Beam­ten beschrie­ben, die  kri­ti­sche Öffent­lich­keit offen­bar allein als hin­der­li­ches Ärger­nis beim Abschie­bungs­voll­zug begreifen.

Mani­pu­la­ti­ve Zahlendarstellung

Ihre Pro­ble­me beim Abschie­bungs­voll­zug ver­deut­licht die „Unter­ar­beits­grup­pe Voll­zugs­de­fi­zi­te“ mit Zah­len­ma­te­ri­al. Ihr Umgang mit den Zah­len ist jedoch pro­ble­ma­tisch bis irre­füh­rend. So führt der von der FAZ zitier­te Bericht an, dass zwi­schen Janu­ar und Sep­tem­ber 2014 aus den soge­nann­ten siche­ren Her­kunfts­staa­ten Ser­bi­en, Maze­do­ni­en und Bos­ni­en-Her­ze­go­vina 31.000 abge­lehn­te Asyl­be­wer­ber aus­rei­se­pflich­tig gewe­sen, aber nur 2.595 abge­scho­ben wor­den seien.

Die Dar­stel­lung ist mit Vor­sicht zu genie­ßen – sie ver­schweigt, dass vie­le der in Schnell­ver­fah­ren abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den aus die­sen Staa­ten zu einer soge­nann­ten „frei­wil­li­ge Rück­kehr“ gedrängt wer­den. Bereits 2013 kehr­ten über 6.000 Per­so­nen „frei­wil­lig“ in die Bal­kan­staa­ten zurück. Für 2014 lie­gen die Zah­len für die „frei­wil­li­ge Rück­kehr“ noch nicht vor – es ist jedoch anzu­neh­men, dass sich auch in 2014 meh­re­re Tau­sen­de Men­schen ange­sichts ange­droh­ter Abschie­bung inklu­si­ve Wie­der­ein­rei­se­sper­re für die Vari­an­te der „frei­wil­li­gen Rück­kehr“ entschieden.

Die­se tau­chen in den von der „Unter­ar­beits­grup­pe“ gestreu­ten Zah­len nicht auf. Zudem bleibt offen, ob die auf­ge­rühr­ten 31.000 Fäl­le „voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­tig“ waren oder even­tu­ell noch Kla­ge gegen ihre Ableh­nung oder Abschie­bung ein­ge­reicht hatten.

Als Argu­ment für „zu weni­ge Abschie­bun­gen“ gilt der Beam­ten­grup­pe offen­bar auch, dass sich von den 84.850 Per­so­nen, die Ende des Jah­res 2012 mit einer Dul­dung in Deutsch­land leb­ten, zwei Jah­re spä­ter immer noch mehr als 53.000 in Deutsch­land befin­den. Die Grün­de, war­um die­se Men­schen nicht abge­scho­ben wer­den, sind zahl­reich  – und, sofern man sie auf­schlüs­seln wür­de, oft nachvollziehbar.

Krank­heit als Abschiebungshindernis

Laut FAZ ist dem Bericht der Abschie­bungs­be­am­ten die Kla­ge dar­über zu ent­neh­men, dass medi­zi­ni­sche Abschie­bungs­hin­der­nis­se  in der Pra­xis zu „deut­li­chen zeit­li­chen Ver­zö­ge­run­gen“ führ­ten. Ins­be­son­de­re post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen wür­den „sehr häu­fig“ als Abschie­bungs­hin­der­nis gel­tend gemacht. Dabei, so die Kla­ge, wür­den als Aus­lö­ser der trau­ma­ti­schen Belas­tung oft Erleb­nis­se ange­führt, die in einem vor­aus­ge­gan­ge­nen Asyl­ver­fah­ren kei­ne Aner­ken­nung gefun­den hätten.

Aus­ge­klam­mert wird dabei, dass trau­ma­ti­sche Erleb­nis­se in Asyl­ver­fah­ren oft nicht zur Spra­che kom­men oder dort kei­ne Berück­sich­ti­gung fin­den –  und dass vie­le Flücht­lin­ge – Stu­di­en zur Fol­ge 40 Pro­zent – trau­ma­ti­siert sind. So kommt es, dass ärzt­li­che Dia­gno­sen nicht den Wün­schen der Abschie­bungs­bü­ro­kra­tie ent­spre­chen. Das Ergeb­nis ist dann die For­de­rung nach medi­zi­ni­schem Fach­per­so­nal in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen der Län­der. Was damit gemeint ist, dürf­te wohl die Aus­wei­tung des­sen sein, was  vie­le Aus­län­der­be­hör­den ohne­hin schon prak­ti­zie­ren: Men­schen durch will­fäh­ri­ge Ärz­te rei­se­fä­hig schrei­ben zu las­sen.

Alles „Iden­ti­täts­täu­scher“?

Nach Dar­stel­lung der FAZ betrach­tet der Bericht der „Unter­ar­beits­grup­pe Voll­zugs­de­fi­zi­te“ als größ­tes Abschie­bungs­hin­der­niss, dass 73 Pro­zent der Flücht­lin­ge behaup­te­ten, kei­ne Päs­se zu haben. Men­schen, die „hart­nä­ckig genug ihre Iden­ti­tät ver­schlei­ern und sich nur beharr­lich genug ihrer Aus­rei­se­pflicht wider­set­zen“, so der Bericht, wären am Ende gegen­über ande­ren Flücht­lin­gen bes­ser gestellt.

Doch die pau­scha­le Unter­stel­lung, Gedul­de­te sei­en stets selbst­ver­schul­det ohne Iden­ti­täts­nach­weis, ist unge­recht­fer­tigt. Ein feh­len­der Rei­se­pass bedeu­tet nicht zwangs­läu­fig, dass Betrof­fe­ne ihre Iden­ti­tät ver­schlei­ern. Weil Schutz­su­chen­de so gut wie kei­ne Chan­ce auf eine lega­le Ein­rei­se in die EU haben, son­dern gezwun­gen wer­den, auf ille­ga­len und meist lebens­ge­fähr­li­chen Wegen zu flie­hen, hat ein Groß­teil der Betrof­fe­nen auf der Flucht  kei­ne Papie­re dabei.

Päs­se hier­zu­lan­de bei den Bot­schaf­ten der Her­kunfts­län­der zu besor­gen ist für die Betrof­fe­nen oft mit hohen Hür­den ver­knüpft – nicht sel­ten mit Kor­rup­ti­on.  Eini­ge Her­kunfts­staa­ten stel­len Flücht­lin­gen gar kei­ne Doku­men­te aus, was dann aber sei­tens der Aus­län­der­be­hör­den oft­mals den Betrof­fe­nen zur Last gelegt wird, indem unter­stellt wird, sie wür­den ihren gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Mit­wir­kungs­pflich­ten nicht nachkommen.

Bei­spiel Irak und Afgha­ni­stan – Ableh­nun­gen, auch wenn nicht abge­scho­ben wer­den kann

Unter den vie­len Men­schen, die in Deutsch­land lan­ge Zeit nur gedul­det sind, sind unter ande­ren auch vie­le Flücht­lin­ge aus dem Irak und aus Afgha­ni­stan. Doch in den Irak fin­den gemäß der Beschluss­la­ge der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz auf­grund der Sicher­heits­la­ge seit Jah­ren kaum Abschie­bun­gen statt –  nur Straf­tä­ter und so genann­te Gefähr­der wagt man in die nord­ira­ki­schen Pro­vin­zen Dohuk, Suley­ma­nia und Erbil abzu­schie­ben. Die Zahl der Abschie­bun­gen beweg­te sich daher in den letz­ten Jah­ren im ein­stel­li­gen oder nied­ri­gen zwei­stel­li­gen Bereich.

Auch nach Afgha­ni­stan wird aus guten Grün­den nur in weni­gen Ein­zel­fäl­len abge­scho­ben, mit Zah­len im ein­stel­li­gen oder nied­ri­gen zwei­stel­li­gen Bereich. Die Kon­se­quenz: Rund 10.000 ira­ki­sche und afgha­ni­sche abge­lehn­te Asyl­su­chen­de leben hier­zu­lan­de mit einer Dul­dung und damit ohne kla­re Lebensperspektive.

Wäh­rend die Lan­des- und Poli­zei­be­am­ten der „Unter­ar­beits­grup­pe“ mit den nack­ten Zah­len die­ser Betrof­fe­nen der Öffent­lich­keit sug­ge­rie­ren, es wer­de „zu wenig abge­scho­ben“, for­dern Flücht­lings- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen seit Jah­ren, dass die Betrof­fe­nen end­lich eine siche­re Lebens­per­spek­ti­ve in Deutsch­land erhalten.

Zumin­dest für einen Teil von ihnen besteht jetzt Hoff­nung:  So kri­tik­wür­dig die geplan­te Blei­be­rechts­re­ge­lung in vie­len Punk­ten ist – man­chen Gedul­de­ten könn­te das der­zeit von der Regie­rungs­ko­ali­ti­on aus­ge­han­del­te Gesetz end­lich zu einem Blei­be­recht ver­hel­fen – aller­dings nach lan­gem Auf­ent­halt mit ledig­lich der Duldung.

Offen­bar ist das der Hin­ter­grund für die poli­ti­sche Öffent­lich­keits­ar­beit der Abschie­bungs­be­am­ten: Jetzt noch­mal Druck zu machen, damit die kom­men­de Blei­be­rechts­re­ge­lung gemäß ihren Vor­stel­lun­gen mög­lichst restrik­tiv gerät.

Mehr zum Thema: 

Huf­fing­ton Post: Wie Deutsch­lands Asyl­po­li­tik eine Par­al­lel­ge­sell­schaft pro­du­ziert (31. März 2015)