03.06.2015
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Rassimus- und Misshandlungsskandal bei der Bundespolizei: Neben grundlegenden Studien über rassistische Einstellungen innerhalb der Polizei, bedarf es der Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen, verbesserten Rechtsschutzmöglichkeiten und einer stärker menschrechtsorientierten Ausbildung. Foto: flickr / Marco

Nachdem bereits Mitte Mai Misshandlungen von Flüchtlingen öffentlich wurden, geraten nun weitere Bundespolizisten aus Hannover unter Rassismusverdacht. Unabhängige Kontrollen und Studien über rassistische Einstellungen bei Polizisten sind jedoch unerwünscht.

Der Nord­deut­sche Rund­funk berich­tet heu­te von ras­sis­ti­schen Kom­men­ta­ren und Gewalt­auf­ru­fen, die Bun­des­po­li­zis­ten aus der Direk­ti­on Han­no­ver über die Social-Media-Platt­form Face­book ver­brei­tet haben sollen.

„Dem kri­mi­nel­len Migra­ti­ons­mob zei­gen wo es lang geht“

Die Face­book-Ein­trä­ge sind geprägt von aggres­si­ver Men­schen­feind­lich­keit. So schreibt ein Poli­zist: „Armes Deutsch­land. Ich hof­fe das man sich irgend­wann besinnt und die Gesell­schaft die­sem kri­mi­nel­len Migra­ti­ons­mob zeigt wo es lang­geht!!!“. Anläss­lich des Bur­kini-Urteils des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts, das die Teil­nah­me mus­li­mi­scher Schü­le­rin­nen am Schwimm­un­tericht zum Gegen­stand hat, pos­tet ein wei­te­rer Poli­zist: „Mit wel­chem Schwach­sinn sich unse­re Gerich­te befas­sen müs­sen! Soll sie doch in Istan­bul schwim­men gehen.“ Ein Kol­le­ge des Beam­ten kom­men­tiert den Post: „Die sol­len doch nach Hau­se gehen. Der Bur­kini ist nicht gross genug. Ich kann die Hack­fres­se noch sehen!“ oder „Ein­deu­tig ab nach Istan­bul“. Auch zur Ein­wan­de­rung von Men­schen aus den West­bal­kan­staa­ten fin­det ein Beam­ter deut­li­che Wor­te: „His­to­ri­sche Schuld…Ich kotz gleich…Irgendwann muss mal Schluss ein…“. Laut NDR tei­len die Beam­te ihre Face­book-Ein­trä­ge nicht nur mit Kol­le­gen, son­dern auch mit direk­ten Vor­ge­setz­ten, sodass die­se von den Bei­trä­gen Kennt­nis gehabt haben müssen.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen unerwünscht

Vor dem Hin­ter­grund der schwe­ren Fol­ter und Miss­hand­lun­gen in der Bun­des­po­li­zei­di­rek­ti­on Han­no­ver ist eine grund­sätz­li­che Debat­te über Ras­sis­mus und Men­schen­feind­lich­keit bei der Poli­zei nötig. Doch Unter­su­chun­gen zu ras­sis­ti­schen Ein­stel­lung in der Poli­zei wer­den verweigert.

Die letz­te sys­te­ma­ti­sche Stu­die mit dem Titel „Vor­ur­tei­le und Frem­den­feind­lich­keit: Hand­rei­chun­gen für die poli­ti­sche Bil­dung der Poli­zei“ von den Erzie­hungs­wis­sen­schaft­lern Klaus Alheim und Bar­do Heger stammt aus dem Jahr 1996. Ihre Emp­feh­lun­gen für die Poli­zei­aus­bil­dung resul­tier­ten aus ihrem Befund, dass dis­kri­mi­nie­ren­de Maß­nah­men gegen Per­so­nen aus bestimm­ten eth­ni­schen Grup­pen inner­halb der Poli­zei gedul­det und tabui­siert wer­den. Eine Stu­die der Fach­hoch­schu­le der Poli­zei aus Sach­sen-Anhalt aus dem Jahr 2014 zeigt zudem man­geln­de Sen­si­bi­li­tät von Poli­zei­be­am­ten im Umgang mit migran­ti­schen Opferzeu­gen und eine Ver­harm­lo­sung von ras­sis­ti­schen Tat­mo­ti­ven. Aktu­el­le Stu­di­en, die die Ver­brei­tung ras­sis­ti­scher Ein­stel­lun­gen in der Poli­zei unter­sucht, gibt es jedoch nicht.

Die Bun­des­re­gie­rung scheint kein Inter­es­se an einem offe­nen Umgang mit die­sem The­ma zu haben. In einer Ant­wort  auf eine Bun­des­tags­an­fra­ge der Links­par­tei aus dem Jahr 2008 weicht die Bun­des­re­gie­rung dem The­ma aus. Auf die Fra­ge ob feh­len­de Sta­tis­ti­ken über Fehl­ver­hal­ten in der Poli­zei dazu die­nen, Skan­da­le ledig­lich als Ein­zel­fäl­le erschei­nen zu las­sen, ant­wor­te­te die Bun­des­re­gie­rung: „Die Bun­des­re­gie­rung teilt die­se Auf­fas­sung nicht, denn ihr liegt die Unter­stel­lung zu Grun­de, dass bei einer sta­tis­ti­schen Erfas­sung wie sie in der Fra­ge vor­aus­ge­setzt wird, eine höhe­re Anzahl von als Fehl­ver­hal­ten ein­zu­stu­fen­den Ver­hal­tens­wei­sen offen­bar wür­de. Für die Rich­tig­keit die­ser Aus­gangs­the­se gibt es jedoch kei­ne Anhalts­punk­te.“ Die Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung zu einem mög­li­chen struk­tu­rel­lem Pro­blem bei der Poli­zei lie­ße sich so zusam­men­fas­sen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

UN-Anti­ras­sis­mus-Aus­schuss und NGOs kri­ti­sie­ren Bundesregierung

Ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen, die sich auf die Ermitt­lungs­tä­tig­keit der Poli­zei aus­wir­ken, wur­den beson­ders im NSU-Kom­plex deut­lich. Die Mord­se­rie des NSU konn­te u.a. des­halb nicht auf­ge­klärt wer­den, weil die Poli­zei den Opfern nicht trau­te und in deren Umfeld umfang­rei­che Ermitt­lun­gen vor­nahm, anstatt Hin­wei­sen auf ein ras­sis­ti­sches Tat­mo­tiv nach­zu­ge­hen. Die Bun­des­re­gie­rung sah sich daher unlängst vor dem UN-Anti­ras­sis­mus-Aus­schuss (CERD) in Genf mas­si­ver Kri­tik aus­ge­setzt. Der Aus­schuss sieht einen drin­gen­den Reform­be­darf, damit vor­ur­teils­frei ermit­telt und ras­sis­ti­sche Taten durch Poli­zei und Jus­tiz bes­ser erkannt werden.

Auch der Staa­ten­be­richt der Bun­des­re­gie­rung über Ras­sis­mus wur­de scharf kri­ti­siert. Die Dar­stel­lun­gen zur NSU-Mord­se­rie sei­en beschö­ni­gend und unvoll­stän­dig, kri­ti­sier­ten etwa das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te sowie ein Bünd­nis aus Ver­tre­tern der Neben­kla­ge im NSU-Pro­zess, Wis­sen­schaft­lern und NGOs in ihren Par­al­lel­be­rich­ten. In letz­te­rem heißt es: „Auch erweckt der Bericht der Bun­des­re­gie­rung den Ein­druck, als sei das ein­zi­ge Pro­blem bei den Ermitt­lun­gen gewe­sen, dass Poli­zei-und Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den nicht koor­di­niert vor­ge­gan­gen sei­en […]. Die­se Dar­stel­lung ver­deckt insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus als eine wesent­li­che Ursa­che, war­um nach den ein­zel­nen Taten des „NSU“ sys­te­ma­tisch in fal­sche Rich­tun­gen und gegen die Opfer und ihre Ange­hö­ri­gen ermit­telt wur­de (S. 3).“

Korps­geist in der Poli­zei: Zusam­men­halt statt Kritik

Poli­zis­ten, die Straf­ta­ten bege­hen, kön­nen sich rela­tiv sicher füh­len: Nur sel­ten zei­gen die Kol­le­gen Über­grif­fe und Gewalt­ta­ten an. Auch in Han­no­ver wur­den die Miss­hand­lun­gen von Migran­ten offen­bar von ande­ren Bun­des­po­li­zis­ten gedeckt. Der Poli­zei­for­scher Rafa­el Behr begrün­det dies gegen­über der Taz mit einem Korps­geist inner­halb der Poli­zei: „Dort geht es in der Regel sehr auto­ri­tär zu. Es gilt die alte Poli­zis­tIn­nen­re­gel, dass man im Dienst unbe­ding­te Soli­da­ri­tät pflegt und die Din­ge, die im Dienst pas­sie­ren, unter­ein­an­der blei­ben. Geheim­nis­se wer­den gehü­tet.“ PRO ASYL hat auch bei den jüngs­ten Miss­hand­lungs­vor­wür­fen in Han­no­ver betont, dass der Skan­dal im Skan­dal die Taten­lo­sig­keit der Mit­wis­ser in Poli­zei­uni­form sei.

Nach dem Bericht des NDR rich­te­te die Bun­des­po­li­zei nun eine Son­der­be­schwer­de­stel­le ein. Dabei han­delt es sich aller­dings nur um eine inter­ne Stel­le. Wie es ange­sichts eines robus­ten Korps­geists in der Poli­zei hel­fen soll, wenn die Bun­des­po­li­zei Miss­stän­de in ihren eige­nen Rei­hen gemel­det bekommt, bleibt jeden­falls ein Rät­sel. Irri­tie­rend sind in die­sem Zusam­men­hang auch die Äuße­run­gen des Behör­den­prä­si­den­ten Die­ter Romann, der die Bun­des­po­li­zis­ten, die gegen­über dem NDR von den Miss­hand­lun­gen berich­te­ten, mit Ver­leum­dungs­vor­wür­fen atta­ckier­te: In der Bun­des­po­li­zei gebe es eine „gro­ße inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz“, so Romann.

Innen­mi­nis­ter in der Pflicht: Unab­hän­gi­ge Beschwer­de­stel­le einrichten

Die Miss­hand­lun­gen und die ras­sis­ti­schen Bei­trä­ge auf Face­book zei­gen, dass es in der Bun­des­po­li­zei ein grö­ße­res Ras­sis­mus­pro­blem gibt, als bis­lang öffent­lich ver­mu­tet. Von Ein­zel­fäl­len zu spre­chen, wäre jeden­falls ein Hohn. Die soge­nann­te „Mit­te-Stu­die“ der Uni­ver­si­tät Leip­zig zeigt, dass jeder fünf­te Deut­sche aus­län­der­feind­lich ist. Dem­entspre­chend ist es nahe­lie­gend, dass sich ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen auch inner­halb staat­li­cher Behör­den wie­der­fin­den. Gera­de bei der Poli­zei ist dies hoch­pro­ble­ma­tisch: Denn die Poli­zei hat die Mög­lich­keit, Gewalt­mit­tel anzu­wen­den, etwa bei Poli­zei­kon­trol­len oder gegen­über Inhaftierten.

Aber auch außer­halb ihrer Dienst­zeit dür­fen sich Poli­zis­ten nicht her­ab­wür­di­gend gegen­über Min­der­hei­ten ver­hal­ten:  § 54 des Bun­des­be­am­ten­ge­set­zes ver­pflich­tet Poli­zei­be­am­te zu einem ach­tungs­vol­len Ver­hal­ten – die ras­sis­ti­schen Pos­tings sind ein kla­rer Ver­stoß gegen die­se Vorgabe.

Anstatt das Pro­blem wei­ter als blo­ßen Ein­zel­fall her­un­ter­zu­re­den, ist Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re als Dienst­herr der Bun­des­po­li­zei in der Pflicht, sys­te­ma­ti­sche Unter­su­chun­gen anzu­stren­gen. Neben grund­le­gen­den Stu­di­en über ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen und Fehl­ver­hal­ten inner­halb der Poli­zei­ap­pa­ra­te bedarf es der Ein­rich­tung poli­zei­un­ab­hän­gi­ger Beschwer­de­stel­len, ver­bes­ser­ten Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten von Betrof­fe­nen und einer stär­ker men­sch­rechts­ori­en­tier­ten Ausbildung.

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