News
Mögliche GroKo: PRO ASYL warnt vor Ausgrenzungsrepublik

Nach dem Einzug von Rechtspopulisten in den Bundestag sind die Hardliner nun auch innerhalb der Union auf dem Vormarsch. Die SPD darf den eingeschlagenen harten rechten Kurs der Union nicht mittragen.
Beim kommenden SPD-Parteitag geht es um viel, nicht nur um die Frage, ob die SPD-Delegierten die GroKo wollen. Die Sondierungsergebnisse öffnen den Weg in die Ausgrenzungsrepublik: isolierte Großlager, Verhinderung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten, eine de-facto-Obergrenze für Kriegsflüchtlinge und Folteropfer.
Es ist zu befürchten, dass nach dem Durchmarsch der Hardliner innerhalb der Union Rassismus und Rechtspopulismus noch weiter zunehmen. Teile der Sondierungsergebnisse schaffen den Nährboden dafür. Die SPD darf den Rechtsruck nicht mitmachen. Sollten die Sondierungsergebnisse die Verhandlungsgrundlage für eine Große Koalition sein, droht ein massiver Abbau der Grund- und Menschenrechte.
Doch Grund- und Menschenrechte gelten nicht nur für Deutsche, auch wenn Rechtspopulisten in und außerhalb der Union das gerne anders hätten. Grund- und Menschenrechte sind universell. Eine an den Menschenrechten, dem Grundgesetz und der EMRK orientierte zukunftsfähige Flüchtlingspolitik ist dringend geboten.
Zentrale Bereiche des Sondierungspapiers müssen neu verhandelt werden. Avisierte Maßnahmen sind integrationsfeindlich, teilweise rechtswidrig und nicht zuletzt unvernünftig. PRO ASYL hat dazu eine umfassende Analyse erstellt:
Isolation in ANkER-Zentren
Geplant ist, alle Asylsuchenden bis zum Ausgang ihres Asylverfahrens in sogenannten ANkER-Zentren (»Aufnahme‑, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen«) zwangsunterzubringen – unbegleitete Minderjährige eingeschlossen. Der Zugang für Betroffene zu Beratung und Unterstützung durch Helfer*innen und Anwält*innen wird in diesen Lagern erschwert, der Zugang zum Rechtsweg eingeschränkt.
Keine fairen Asylverfahren, Rechtsweg eingeschränkt
Rund 44% aller Klagen gegen den BAMF-Bescheid haben vor Gericht Erfolg, wenn sie inhaltlich geprüft werden. Bei Klagen von afghanischen Asylsuchenden fällt die Quote noch höher aus: In rund 61% der Fälle wird Klagen von afghanischen Asylsuchenden bei inhaltlicher Prüfung vor Gericht stattgegeben (siehe BT-Drucksache 19/385, S. 32). Sollten die ANkER-Zentren durchgesetzt werden, wird die ohnehin hohe Zahl der Fehlentscheidungen des BAMF weiter steigen, ohne dass Gerichte diese korrigieren können.
Folgen der Dauerisolierung in Lagern der Perspektivlosigkeit sind Verelendung, Gewalt und Stigmatisierung. So wird der Nährboden geschaffen für das weitere Anwachsen von Rechtspopulismus und Rassismus in Deutschland.
Kein Programm zur Bekämpfung von Rassismus
Auffallend ist, dass das Wort »Rassismus« im gesamten Sondierungspapier nicht einmal vorkommt, geschweige denn dass das Papier ein Programm zur Bekämpfung von Rassismus enthält. In Zeiten eines immer stärker werdenden Rechtspopulismus und rassistischer Hetze ist das ein politisches Totalversagen. Nach dem Einzug von Rechtspopulisten in den Bundestag setzen sich in der Flüchtlingspolitik die Hardliner durch mit einer rigiden Flüchtlingspolitik, deren Folgen dem Rassismus weiter Aufschwung verleihen.
Rechtsanspruch auf Familiennachzug wird dauerhaft beseitigt
Der harte Kurs macht auch vor Familien nicht halt: Die mit dem Asylpaket II beschlossene temporäre Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär geschützten Flüchtlingen in Deutschland soll laut Sondierungspapier verlängert werden. Diese Verlängerung ist inhuman und darüber hinaus rechtswidrig – man kann nicht nach Belieben Recht verändern. In einem Rechtsstaat muss sich jeder auf das Auslaufen eines Gesetzes verlassen dürfen.
Die von der Aussetzung Betroffenen sind bereits seit Jahren von ihren Familien getrennt – und drohen, dauerhaft getrennt zu bleiben. Auf den beschwerlichen Fluchtweg folgte ein zumeist langes, – oftmals über ein Jahr dauerndes – Asylverfahren, für zwei weitere Jahre hat der Bundestag den Familiennachzug ausgesetzt. Damit sind sie schon heute mindestens drei Jahre ohne ihre Mütter, ihre Väter, ihre Ehegatten oder ihre minderjährigen Kinder.
Die langjährige Trennung von Flüchtlingsfamilien stellt einen Verstoß gegen Artikel 6 GG dar. PRO ASYL erinnert an das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur damaligen dreijährigen Ehebestandszeit als Voraussetzung für den Ehegattennachzug zu Arbeitsmigranten: »Die Beeinträchtigung der Belange von Ehe und Familie durch das Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit als Nachzugsvoraussetzung übersteigt auch im Blick auf entgegenstehende öffentliche Interessen das von den Betroffenen hinzunehmende Maß.« (BVerfG, 12.05.1987 – 2BvR126/83; 2 BvR101/84;2BvR 313 /84). Und dabei hat das Gericht damals noch nicht die unsichere Situation von Flüchtlingen berücksichtigen müssen.
Integration in Deutschland wird verhindert
An mehreren Stellen betonen die sondierenden Parteien, wie wichtig eine gelingende Integration ist. Gleichzeitig nimmt man sich vor: »Eine Verfestigung von Aufenthaltsrechten wollen wir dabei vermeiden«. Dies ist ein im Papier nicht aufgelöster Widerspruch. Offenbar wollen die potentiellen Koalitionäre an dauerhaft prekären Aufenthaltsformen unbedingt festhalten, auch wenn das auf Kosten der Integration geht. Die Folge wäre ein aufenthaltsrechtliches Prekariat. Arbeitgeber, die einstellen und ausbilden, erwarten zurecht, dass es eine Aufenthaltsperspektive für die Betroffenen gibt. Ohne eine klare Linie der Verfestigung des Aufenthaltsrechts wird Integration erschwert.
Obergrenze für Folteropfer und Kriegsflüchtlinge?
Zwar werden laut Sondierungspapier politisch Verfolgte und Flüchtlinge nach der Genfer Konvention von der Obergrenze ausgenommen, nicht jedoch Folteropfer und Kriegsflüchtlinge. »Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden« (Art. 3 EMRK). Auch für diese Gruppe darf es keine Obergrenze geben. Grund- und Menschenrechte können nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Was soll passieren, wenn mehr Menschen kommen als politisch gewollt ist?
Kooperationen mit Herkunfts- und Transitstaaten
Die katastrophalen Auswirkungen der bereits erfolgenden Ausbildung der libyschen Küstenwache sind vielfach dokumentiert und sollen offenbar weitergehen. Mit europäischem Geld werden Schutzsuchende in Folterlager zurückgeschleppt und damit Menschenrechtsverletzungen ermöglicht.
Verfassungswidrige Einstufung von Herkunftsstaaten als »sicher«
Regelmäßig sollen alle Staaten mit einer Quote unter 5 Prozent zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Damit würde sich die kommende Bundesregierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entziehen: Es muss landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen die Sicherheit vor politischer Verfolgung bestehen. Es muss u.a. gewährleistet sein, dass im Herkunftsland keine Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (BVerfG, 14.05.1996 – 2 BvR 1507/93, 1508/93). Die Verfolgungsfreiheit von allen Personengruppen (z.B. Homosexuelle, Journalisten, Minderheiten, etc.) wird durch eine Quote nicht berücksichtigt.
Weitere Kritikpunkte sind in einer umfassenden 11-seitigen Analyse von PRO ASYL enthalten.
Hier geht es zur Gemeinsamen Erklärung von PRO ASYL, den Flüchtlingsräten Berlin und Nordrhein-Westfalen, der Internationalen Liga für Menschenrechte, des Grundrechtekomitees und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen zu den Sondierungsergebnissen von Union und SPD.
gb/akr