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Sondierungen: Sieg der Hardliner über Humanität und Menschenrechte
Die sich anbahnende Große Koalition geht zu Lasten von Flüchtlingen, das zeigen die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der Sondierungsgespräche. Eine Übersicht über die geplanten Verschärfungen.
Die Spitzen von CDU, CSU und SPD haben erklärt, in Koalitionsverhandlungen eintreten zu wollen. Grundlage dafür bildet das Ergebnispapier der Sondierungsgespräche. Es enthält etliche neuerliche Verschärfungen im Asylbereich:
Die Obergrenze kommt
Die Zuwanderungszahlen »werden die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen«, so haben es die Parteien beschlossen. Darin einbezogen sind auch freiwillige Aufnahmen, z.B. im Rahmen von Resettlement-Programmen, oder Einreisen über den Familiennachzug. Gleichzeitig sollen Abschiebungen und freiwillige Ausreisen gegengerechnet werden. Das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 GG oder die Gewährung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) soll dabei zwar nicht in Abrede gestellt werden, wie dies letztendlich in der Praxis aussehen soll, bleibt aber völlig offen.
Schließlich kann weder bei der Einreise der Menschen bereits festgestellt werden, welchen Schutzstatus sie erhalten; noch wird deutlich, ob diejenigen, die einen GFK-Status oder die Asylanerkennung nach Art. 16 GG zugesprochen bekommen, in die festgelegte Zahl einfließen. Das würde bei hohen Zahlen an anerkannten Flüchtlingen bedeuten, dass Bürgerkriegsflüchtlinge oder Familienangehörige hier lebender Flüchtlinge kaum noch Gelegenheit hätten, Schutz zu erhalten. So oder so widerspricht eine Obergrenze für Bürgerkriegsflüchtlinge oder Folteropfer dem Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Isolierung von Schutzsuchenden in zentralen Lagern
Zukünftig soll es bundesweite Zentren namens »Aufnahme‑, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER)« geben. Dort sollen zukünftig alle Schutzsuchenden zunächst zentral untergebracht werden, eine Weiterverteilung in die Kommunen erfolgt überhaupt nur noch bei angenommener »positiver Bleibeperspektive«. Auch Minderjährige sollen in diese Aufnahmelager kommen – es wird aber nicht ganz klar, ob nur zur Identitätsfeststellung oder auch darüber hinaus.
Viele Schutzsuchende werden in der Praxis sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung dastehen.
Diese dauerhafte Isolierung in Entscheidungszentren ist für faire Asylverfahren katastrophal. Eine Begleitung bei Anhörungen kann kaum stattfinden, der Zugang zu Rechtsbeistand wird erheblich erschwert. Ohne effektiven Zugang zu Beratungsstrukturen oder Anwältinnen und Anwälten droht die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes de facto ausgehebelt zu werden. Viele Schutzsuchende werden in der Praxis sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung dastehen.
Dabei zeigen die Zahlen zu Gerichtsentscheidungen, dass die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oft mangelhaft sind: Aktuell haben rund die Hälfte der Klagen gegen abgelehnte Asylanträge Erfolg, bei Flüchtlingen aus Afghanistan sind es sogar 60 Prozent. Eine solche Korrektur behördlicher Fehlentscheidungen auf dem Rechtsweg gelingt oft aber nur, wenn Geflüchtete die Chance auf unabhängige Beratung haben.
Familiennachzug bleibt weitgehend ausgesetzt
Den subsidiär Schutzberechtigten und ihren Angehörigen wurde durch § 104 Abs.13 S. 1 AufenthG und die konkrete Frist des S.2 versprochen, dass die in diesen Jahren als schutzberechtigt Anerkannten ab 17. März 2018 wieder ein Recht auf Familiennachzug haben.
Eine Verlängerung der Aussetzung ist verfassungswidrig und rechtspolitisch unerträglich.
Nun soll diese Aussetzung aber zunächst bis zum 31.07.2018 verlängert werden, anschließend wird eine Regelung angestrebt, nach der »aus humanitären Gründen« 1.000 Menschen im Monat im Rahmen des Familiennachzugs auch zu subsidiär Geschützten nach Deutschland einreisen dürfen. In der Praxis wird damit tausenden Menschen, die darauf vertraut hatten, ab März 2018 ihre Familien nachholen zu dürfen und z.B. auf eine »Aufstockungsklage« (Versuch, auf vollen Flüchtlingsschutz zu klagen) verzichtet haben, die Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung mit ihren Familien genommen.
Dazu kommt, dass es gegenüber den bisher geltenden Härtefalldefinitionen Verschärfungen gibt. Der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten soll nur dann gewährt werden, wenn »eine Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist«. Damit ist diese Kategorie ebenso offen für politische Manipulationen wie die rechtlich nicht gestützte Unterscheidung zwischen Menschen mit »guter« und »schlechter Bleibeperspektive«, die in den letzten Jahren Karriere gemacht hat.
Zu befürchten ist, dass Behörden sich in Sachen Familiennachzug häufig darauf berufen werden, dass eine Ausreise kurzfristig zu erwarten sei und damit versuchen, den Anspruch auf Familiennachzug ins Leere laufen zu lassen. Deshalb muss die gesetzliche Trennung der Familien zum 16. März 2018 auslaufen. Alles andere ist ein Vertrauensbruch gegenüber den betroffenen Flüchtlingen: Eine Verlängerung der Aussetzung ist verfassungswidrig und rechtspolitisch unerträglich – man muss sich auf das Auslaufen eines Gesetzes verlassen dürfen.
Das dahinterstehende Bild ist unsäglich und als Ergebnis einer hochrangigen Verhandlungsdelegation zynisch und beschämend.
Auch für minderjährige Flüchtlinge droht eine weitere Verschärfung der geltenden Regelungen: Das Papier legt nahe, dass der Familiennachzug zu unbegleiteten Minderjährigen mit subsidiärem Schutzstatus generell verhindert werden soll – ohne jede Härtefallregelung und Ausnahme. Die zynische Begründung: Man wolle »Anreize ausschließen«, die dazu führten, dass Minderjährige von ihren Eltern »unter Gefährdung des Kindeswohls« auf die gefährliche »Reise« vorgeschickt würden. Dabei ist es doch gerade der Kindeswohl-Gedanke, dass Eltern ihre Kinder zuerst in Sicherheit wissen wollen. Das dahinterstehende Bild ist unsäglich und als Ergebnis einer hochrangigen Verhandlungsdelegation zynisch und beschämend.
Integrationsverhinderung durch prekäre Aufenthaltsformen
An mehreren Stellen liefern die sondierenden Parteien Bekenntnisse zur gelingenden Integration ab. Gleichzeitig wird aber festgelegt: »Eine Verfestigung von Aufenthaltsrechten wollen wir dabei vermeiden«. Dies ist ein – im Papier nicht aufgelöster – Widerspruch und ein Bekenntnis, dass an dauerhaft prekären Aufenthaltsformen festgehalten werden soll. Menschen, die Flüchtlinge unterstützen und Arbeitgeber, die sie einstellen und ausbilden, erwarten aber zurecht, dass es eine Aufenthaltsperspektive für die Betroffenen gibt. Ohne eine solche klare Linie zur Verfestigung des Aufenthaltsrechts wird Integration erschwert.
Neue »sichere Herkunftsstaaten«
Nicht nur Algerien, Tunesien und Marokko, sondern auch »weitere Staaten mit einer regelmäßigen Anerkennungsquote unter fünf Prozent« sollen zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt werden. Dabei wird nicht nur ignoriert, dass die bereinigte Schutzquote für die Maghreb-Staaten mittlerweile über diesen fünf Prozent liegt (zwischen Januar und November 2017: 10,2 Prozent für Marokko, 6,1 Prozent für Tunesien und 5,2 Prozent für Algerien), sondern auch dass dort zentrale verfassungsrechtliche Voraussetzungen kaum erfüllbar sein dürften: Verfolgungsfreiheit und keine strukturellen Menschenrechtsdefizite.
Mit der geplanten automatischen Bestimmung von »sicheren Herkunftsstaaten« bei einer Quote von unter fünf Prozent würde sich die kommende Bundesregierung außerdem ihrer Verpflichtung auf eine faire Prüfung entziehen, die der Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« in einem Gesetzgebungsverfahren voranzugehen hat.
(gb / akr / mk)