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Bild mit Symbolwert: Horst Seehofer hat wahrlich gut lachen, wenn man die Sondierungsergebnisse im Asylbereich betrachtet. Foto: dpa

Die sich anbahnende Große Koalition geht zu Lasten von Flüchtlingen, das zeigen die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der Sondierungsgespräche. Eine Übersicht über die geplanten Verschärfungen.

Die Spit­zen von CDU, CSU und SPD haben erklärt, in Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ein­tre­ten zu wol­len. Grund­la­ge dafür bil­det das Ergeb­nis­pa­pier der Son­die­rungs­ge­sprä­che. Es ent­hält etli­che neu­er­li­che Ver­schär­fun­gen im Asylbereich:

Die Obergrenze kommt

Die Zuwan­de­rungs­zah­len »wer­den die Span­ne von jähr­lich 180.000 bis 220.000 nicht über­stei­gen«, so haben es die Par­tei­en beschlos­sen. Dar­in ein­be­zo­gen sind auch frei­wil­li­ge Auf­nah­men, z.B. im Rah­men von Resett­le­ment-Pro­gram­men, oder Ein­rei­sen über den Fami­li­en­nach­zug. Gleich­zei­tig sol­len Abschie­bun­gen und frei­wil­li­ge Aus­rei­sen gegen­ge­rech­net wer­den. Das Grund­recht auf Asyl nach Art. 16 GG oder die Gewäh­rung des Flücht­lings­sta­tus nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) soll dabei zwar nicht in Abre­de gestellt wer­den, wie dies letzt­end­lich in der Pra­xis aus­se­hen soll, bleibt aber völ­lig offen.

Schließ­lich kann weder bei der Ein­rei­se der Men­schen bereits fest­ge­stellt wer­den, wel­chen Schutz­sta­tus sie erhal­ten; noch wird deut­lich, ob die­je­ni­gen, die einen GFK-Sta­tus oder die Asyl­an­er­ken­nung nach Art. 16 GG zuge­spro­chen bekom­men, in die fest­ge­leg­te Zahl ein­flie­ßen. Das wür­de bei hohen Zah­len an aner­kann­ten Flücht­lin­gen bedeu­ten, dass Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge oder Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge hier leben­der Flücht­lin­ge kaum noch Gele­gen­heit hät­ten, Schutz zu erhal­ten. So oder so wider­spricht eine Ober­gren­ze für Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge oder Fol­ter­op­fer dem Art. 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK).

Isolierung von Schutzsuchenden in zentralen Lagern

Zukünf­tig soll es bun­des­wei­te Zen­tren namens »Aufnahme‑, Ent­schei­dungs- und Rück­füh­rungs­ein­rich­tun­gen (ANkER)« geben. Dort sol­len zukünf­tig alle Schutz­su­chen­den zunächst zen­tral unter­ge­bracht wer­den, eine Wei­ter­ver­tei­lung in die Kom­mu­nen erfolgt über­haupt nur noch bei ange­nom­me­ner »posi­ti­ver Blei­be­per­spek­ti­ve«. Auch Min­der­jäh­ri­ge sol­len in die­se Auf­nah­me­la­ger kom­men – es wird aber nicht ganz klar, ob nur zur Iden­ti­täts­fest­stel­lung oder auch dar­über hinaus.

Vie­le Schutz­su­chen­de wer­den in der Pra­xis sowohl im Asyl­ver­fah­ren als auch bei dro­hen­der Abschie­bung ohne Hil­fe­stel­lung dastehen. 

Die­se dau­er­haf­te Iso­lie­rung in Ent­schei­dungs­zen­tren ist für fai­re Asyl­ver­fah­ren kata­stro­phal. Eine Beglei­tung bei Anhö­run­gen kann kaum statt­fin­den, der Zugang zu Rechts­bei­stand wird erheb­lich erschwert. Ohne effek­ti­ven Zugang zu Bera­tungs­struk­tu­ren oder Anwäl­tin­nen und Anwäl­ten droht die Rechts­schutz­ga­ran­tie des Grund­ge­set­zes de fac­to aus­ge­he­belt zu wer­den. Vie­le Schutz­su­chen­de wer­den in der Pra­xis sowohl im Asyl­ver­fah­ren als auch bei dro­hen­der Abschie­bung ohne Hil­fe­stel­lung dastehen.

Dabei zei­gen die Zah­len zu Gerichts­ent­schei­dun­gen, dass die Ent­schei­dun­gen des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) oft man­gel­haft sind: Aktu­ell haben rund die Hälf­te der Kla­gen gegen abge­lehn­te Asyl­an­trä­ge Erfolg, bei Flücht­lin­gen aus Afgha­ni­stan sind es sogar 60 Pro­zent. Eine sol­che Kor­rek­tur behörd­li­cher Fehl­ent­schei­dun­gen auf dem Rechts­weg gelingt oft aber nur, wenn Geflüch­te­te die Chan­ce auf unab­hän­gi­ge Bera­tung haben.

Familiennachzug bleibt weitgehend ausgesetzt

Den sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten und ihren Ange­hö­ri­gen wur­de durch § 104 Abs.13 S. 1 Auf­enthG und die kon­kre­te Frist des S.2 ver­spro­chen, dass die in die­sen Jah­ren als schutz­be­rech­tigt Aner­kann­ten ab 17. März 2018 wie­der ein Recht auf Fami­li­en­nach­zug haben.

Eine Ver­län­ge­rung der Aus­set­zung ist ver­fas­sungs­wid­rig und rechts­po­li­tisch unerträglich. 

Nun soll die­se Aus­set­zung aber zunächst bis zum 31.07.2018 ver­län­gert wer­den, anschlie­ßend wird eine Rege­lung ange­strebt, nach der »aus huma­ni­tä­ren Grün­den« 1.000 Men­schen im Monat im Rah­men des Fami­li­en­nach­zugs auch zu sub­si­di­är Geschütz­ten nach Deutsch­land ein­rei­sen dür­fen. In der Pra­xis wird damit tau­sen­den Men­schen, die dar­auf ver­traut hat­ten, ab März 2018 ihre Fami­li­en nach­ho­len zu dür­fen und z.B. auf eine »Auf­sto­ckungs­kla­ge« (Ver­such, auf vol­len Flücht­lings­schutz zu kla­gen) ver­zich­tet haben, die Hoff­nung auf eine bal­di­ge Wie­der­ver­ei­ni­gung mit ihren Fami­li­en genommen.

Dazu kommt, dass es gegen­über den bis­her gel­ten­den Här­te­fall­de­fi­ni­tio­nen Ver­schär­fun­gen gibt. Der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Geschütz­ten soll nur dann gewährt wer­den, wenn »eine Aus­rei­se kurz­fris­tig nicht zu erwar­ten ist«. Damit ist die­se Kate­go­rie eben­so offen für poli­ti­sche Mani­pu­la­tio­nen wie die recht­lich nicht gestütz­te Unter­schei­dung zwi­schen Men­schen mit »guter« und »schlech­ter Blei­be­per­spek­ti­ve«, die in den letz­ten Jah­ren Kar­rie­re gemacht hat.

Zu befürch­ten ist, dass Behör­den sich in Sachen Fami­li­en­nach­zug häu­fig dar­auf beru­fen wer­den, dass eine Aus­rei­se kurz­fris­tig zu erwar­ten sei und damit ver­su­chen, den Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug ins Lee­re lau­fen zu las­sen. Des­halb muss die gesetz­li­che Tren­nung der Fami­li­en zum 16. März 2018 aus­lau­fen. Alles ande­re ist ein Ver­trau­ens­bruch gegen­über den betrof­fe­nen Flücht­lin­gen: Eine Ver­län­ge­rung der Aus­set­zung ist ver­fas­sungs­wid­rig und rechts­po­li­tisch uner­träg­lich – man muss sich auf das Aus­lau­fen eines Geset­zes ver­las­sen dürfen.

Das dahin­ter­ste­hen­de Bild ist unsäg­lich und als Ergeb­nis einer hoch­ran­gi­gen Ver­hand­lungs­de­le­ga­ti­on zynisch und beschämend. 

Auch für min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge droht eine wei­te­re Ver­schär­fung der gel­ten­den Rege­lun­gen: Das Papier legt nahe, dass der Fami­li­en­nach­zug zu unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen mit sub­si­diä­rem Schutz­sta­tus gene­rell ver­hin­dert wer­den soll – ohne jede Här­te­fall­re­ge­lung und Aus­nah­me. Die zyni­sche Begrün­dung: Man wol­le »Anrei­ze aus­schlie­ßen«, die dazu führ­ten, dass Min­der­jäh­ri­ge von ihren Eltern »unter Gefähr­dung des Kin­des­wohls« auf die gefähr­li­che »Rei­se« vor­ge­schickt wür­den. Dabei ist es doch gera­de der Kin­des­wohl-Gedan­ke, dass Eltern ihre Kin­der zuerst in Sicher­heit wis­sen wol­len. Das dahin­ter­ste­hen­de Bild ist unsäg­lich und als Ergeb­nis einer hoch­ran­gi­gen Ver­hand­lungs­de­le­ga­ti­on zynisch und beschämend.

Integrationsverhinderung durch prekäre Aufenthaltsformen

An meh­re­ren Stel­len lie­fern die son­die­ren­den Par­tei­en Bekennt­nis­se zur gelin­gen­den Inte­gra­ti­on ab. Gleich­zei­tig wird aber fest­ge­legt: »Eine Ver­fes­ti­gung von Auf­ent­halts­rech­ten wol­len wir dabei ver­mei­den«. Dies ist ein – im Papier nicht auf­ge­lös­ter – Wider­spruch und ein Bekennt­nis, dass an dau­er­haft pre­kä­ren Auf­ent­halts­for­men fest­ge­hal­ten wer­den soll. Men­schen, die Flücht­lin­ge unter­stüt­zen und Arbeit­ge­ber, die sie ein­stel­len und aus­bil­den, erwar­ten aber zurecht, dass es eine Auf­ent­halts­per­spek­ti­ve für die Betrof­fe­nen gibt. Ohne eine sol­che kla­re Linie zur Ver­fes­ti­gung des Auf­ent­halts­rechts wird Inte­gra­ti­on erschwert.

Neue »sichere Herkunftsstaaten«

Nicht nur Alge­ri­en, Tune­si­en und Marok­ko, son­dern auch »wei­te­re Staa­ten mit einer regel­mä­ßi­gen Aner­ken­nungs­quo­te unter fünf Pro­zent« sol­len zu »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« erklärt wer­den. Dabei wird nicht nur igno­riert, dass die berei­nig­te Schutz­quo­te für die Maghreb-Staa­ten mitt­ler­wei­le über die­sen fünf Pro­zent liegt (zwi­schen Janu­ar und Novem­ber 2017: 10,2 Pro­zent für Marok­ko, 6,1 Pro­zent für Tune­si­en und 5,2 Pro­zent für Alge­ri­en), son­dern auch dass dort zen­tra­le ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­aus­set­zun­gen kaum erfüll­bar sein dürf­ten: Ver­fol­gungs­frei­heit und kei­ne struk­tu­rel­len Men­schen­rechts­de­fi­zi­te.

Mit der geplan­ten auto­ma­ti­schen Bestim­mung von »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« bei einer Quo­te von unter fünf Pro­zent wür­de sich die kom­men­de Bun­des­re­gie­rung außer­dem ihrer Ver­pflich­tung auf eine fai­re Prü­fung ent­zie­hen, die der Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« in einem Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren vor­an­zu­ge­hen hat.

(gb / akr / mk)