28.12.2017
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Plakatmotiv von PRO ASYL bei einer Gedenkveranstaltung für zwei Opfer des NSU. Foto: dpa

Die Amadeu Antonio Stiftung und PRO ASYL dokumentieren in einer gemeinsamen Chronik flüchtlingsfeindliche Vorfälle – 2017 wurden bundesweit 1713 davon verzeichnet. Trotz deutlich rückläufiger Zahlen von Asylsuchenden bleibt rassistisch motivierte Gewalt gegen Geflüchtete ein flächendeckendes Problem.

Im Schnitt mehr als vier Straf­ta­ten rich­ten sich täg­lich gegen Flücht­lin­ge oder ihre Unter­künf­te. Beson­ders erschre­ckend ist die Will­kür und Bru­ta­li­tät mit der dabei vor­ge­gan­gen wird. Unver­mit­tel­te Ham­mer­schlä­ge ins Gesicht eines Geflüch­te­ten am hell­lich­ten Tag im meck­len­burg-vor­pom­mer­schen Neu­bran­den­burg oder Angrei­fer, die im nie­der­säch­si­schen Burg­dorf einen Flücht­ling nie­der­schla­gen und anschlie­ßend ihre Hun­de auf ihn het­zen sind nur zwei Bei­spie­le aus den letz­ten Wochen des Jah­res 2017.

1713

Über­grif­fe gegen Flücht­lin­ge und ihre Unter­künf­te. Das sind mehr als vier Vor­fäl­le täglich.

Brandanschläge, Volksverhetzung, tätliche Übergriffe

Unter den ins­ge­samt 1713 Fäl­len befin­den sich 23 Brand­an­schlä­ge und 1364 sons­ti­ge Über­grif­fe wie Spreng­stoff­an­schlä­ge, Stein­wür­fe, Schüs­se, aber auch Haken­kreuz-Schmie­re­rei­en, ande­re For­men von Volks­ver­het­zung und wei­te­re Hass-Pro­pa­gan­da. Nach wie vor ver­su­chen ras­sis­tisch moti­vier­te Täter mit Anschlä­gen auf in Bau befind­li­che Unter­künf­te den Zuzug von Geflüch­te­ten zu ver­hin­dern. Dane­ben doku­men­tiert die Chro­nik 326 tät­li­che Über­grif­fe wie Angrif­fe mit Mes­sern, Schlag- oder Schuss­waf­fen und Faustschläge.

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Die neu­en Bun­des­län­der sind trau­ri­ge Spit­zen­rei­ter der Gewalt.

Studie sieht Zusammenhang mit Hetze im Internet

Die Uni­ver­si­ty of War­wick hat auf Basis der Chro­nik die Ver­bin­dung von Hass­kom­men­ta­ren auf der Face­book Sei­te der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) und Über­grif­fen auf Flücht­lin­ge in Deutsch­land unter­sucht. Die Stu­die unter dem Titel »Fan­ning the Fla­mes of Hate: Social Media and Hate Crime« sieht eine star­ke Ver­bin­dung zwi­schen Kom­men­ta­ren zu Flücht­lin­gen auf der Face­book Sei­te der AfD und ras­sis­ti­schen Über­grif­fen. Dem­nach fin­den Über­grif­fe auf Flücht­lin­ge gehäuft in den Wochen statt, in denen es auch mehr Hass­kom­men­ta­re über Flücht­lin­ge auf der AfD-Face­book-Sei­te gibt. Die For­scher sehen ins­ge­samt einen Effekt rechts­ge­rich­te­ter Akti­vi­tät in sozia­len Netzwerken.

Rückgang zum Vorjahr bedeutet keine Entwarnung

Für das Vor­jahr 2016 doku­men­tier­te die Chro­nik ins­ge­samt 3768 flücht­lings­feind­li­che Vor­fäl­le, davon 116 Brand­an­schlä­ge und 595 tät­li­che Über­grif­fe. Auch wenn die Zahl der Über­grif­fe im Ver­gleich zum beson­ders gewalt­tä­ti­gen Vor­jahr wie­der leicht zurück­geht: Von Ent­war­nung kann bei über 1700 Über­grif­fen gegen Asyl­su­chen­de kei­ne Rede sein. Ras­sis­ti­sche Gewalt gegen Asyl­su­chen­de bleibt ein deutsch­land­wei­tes Pro­blem. Dass Brand­an­schlä­ge und gewalt­sa­me Angrif­fe auf Geflüch­te­te heu­te kaum noch eine Rand­no­tiz wert sind, ist Teil die­ses Problems.

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Gewalt gegen Geflüchtete wird oft nicht mehr öffentlich erwähnt

Die Daten­grund­la­ge der Chro­nik sind öffent­lich zugäng­li­che Berich­te in Zei­tungs­ar­ti­keln, Pres­se­mit­tei­lun­gen der Poli­zei sowie Mel­dun­gen loka­ler und regio­na­ler Regis­ter- und Bera­tungs­stel­len für Opfer rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt. Dabei zeigt sich, dass die Gewalt gegen Geflüch­te­te oft nicht mal mehr eine Erwäh­nung wert ist. Die Ber­li­ner Poli­zei hat im Jahr bei­spiels­wie­se nur zu 24 von ins­ge­samt 344 Vor­fäl­len eine Pres­se­mit­tei­lung veröffentlicht.

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Wenn poli­zei­li­che Pres­se­stel­len nicht mehr regel­mä­ßig über flücht­lings­feind­li­che Straf­ta­ten infor­mie­ren und die Taten erst mit gro­ßer Ver­zö­ge­rung in offi­zi­el­le Sta­tis­ti­ken ein­ge­hen, muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass Straf­ta­ten gegen Flücht­lin­ge nicht mit hoher Prio­ri­tät ver­folgt werden.

Es ist­ein Ver­sa­gen des Rechts­staa­tes, wenn Men­schen, die aus ihrer Hei­mat vor Krieg und Ver­fol­gung flie­hen, auch in Deutsch­land Angst haben, vor die Tür zu gehen und unter psy­chi­schen Belas­tun­gen lei­den. Es braucht ein ent­schlos­se­ne­res Vor­ge­hen gegen die Täter – und ein Blei­be­recht für Opfer ras­sis­ti­scher Gewalt.

Sicherheit für Betroffene 

Denn zum einen schei­tern Gerichts­pro­zes­se gegen Gewalttäter*innen bis­wei­len dar­an, dass Opfer und Zeu­gen nicht aus­sa­gen kön­nen, weil sie abge­scho­ben wur­den, zum ande­ren sind die Betrof­fe­nen auch psy­chisch auf auf­ent­halts­recht­li­che Sicher­heit ange­wie­sen, um ihre Erleb­nis­se zu verarbeiten.

Und: Ein sol­ches Blei­be­recht hält über­dies den Täter*innen das ein­deu­ti­ge Bekennt­nis des Staa­tes gegen Hass und Gewalt ent­ge­gen. Die Bun­des­län­der Bran­den­burg und Ber­lin haben das 2017 bereits beschlossen.