21.12.2015
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Neuigkeiten aus Afghanistan zeichnen ein trauriges Bild: Anhaltende Kämpfe, wirtschaftliche Rückentwicklung, fast 200.000 neue Binnenvertriebene. Foto: ©UNHCR / S.Sisomsack

Deutschland plant, in Zukunft verstärkt nach Afghanistan abzuschieben. Die angespannte Sicherheitslage im Land wird dabei ignoriert. Im Jahr 2015 mussten knapp 200.000 Afghanen vor den Kämpfen fliehen – ein rapider Anstieg.

Die hohe Aner­ken­nungs­quo­te von Asyl­be­wer­bern aus Afgha­ni­stan (86,1 Pro­zent berei­nig­te Schutz­quo­te im drit­ten Quar­tal 2015) soll gesenkt wer­den, das ist der Wil­le der Gro­ßen Koali­ti­on. Unge­ach­tet der Tat­sa­che, dass die Bun­des­wehr-Mis­si­on in Afgha­ni­stan kürz­lich ver­län­gert und per­so­nell auf­ge­stockt wur­de, wer­den Afgha­nen hier­zu­lan­de bereits wegen „schlech­ter Blei­be­per­spek­ti­ve“ von Sprach­kur­sen aus­ge­schlos­sen und sol­len ver­mehrt in ihr Hei­mat­land abge­scho­ben wer­den. Auch in den Beschlüs­sen der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz heißt es, dass „die Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan in eini­gen Regio­nen eine Rück­kehr aus­rei­se­pflich­ti­ger afgha­ni­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger“ grund­sätz­lich erlau­be und Abschie­bun­gen in die­se „siche­ren Regio­nen“ mög­lich seien.

Aber ist Afgha­ni­stan tat­säch­lich sicher, kann man Men­schen beden­ken­los dort­hin abschie­ben? Mel­dun­gen aus dem Land zeich­nen ein ande­res Bild:

Star­ker Anstieg der Kampf­hand­lun­gen – 200.000 Binnenvertriebene

Wie der Afgha­ni­stan-Beauf­trag­te der Ver­ein­ten Natio­nen, Mark Bow­den erklär­te, sind über 6 Mil­lio­nen Afgha­nen aktu­ell direkt von den Kampf­hand­lun­gen betrof­fen, die Zahl der Bin­nen­ver­trie­be­nen stieg um 64% gegen­über dem Vor­jahr – knapp 200.000 Men­schen muss­ten 2015 ihre Hei­mat­or­te in Afgha­ni­stan ver­las­sen. Jüngst kam es sogar in der Haupt­stadt Kabul, eine der drei Pro­vin­zen, die das Aus­wär­ti­ge Amt als „sicher“ bezeich­net, zu einer Tali­ban-Atta­cke mit meh­re­ren Todesopfern.

„Afgha­ni­stan droht wie­der an die Tali­ban zu fallen“

Auch eine aus­führ­li­che Repor­ta­ge der Zeit bestä­tigt das trau­ri­ge Bild: „Wie gro­ße Tief­druck­ge­bie­te wir­ken die roten und gel­ben Farb­krei­se auf den Kar­ten des afgha­ni­schen Mili­tärs. Sie zei­gen, wie sich die von den Tali­ban kon­trol­lier­ten Gebie­te in den ver­gan­ge­nen Mona­ten aus­ge­dehnt haben. Rot: dau­er­haf­te Prä­senz. Gelb: zeit­wei­se Prä­senz. Noch vor zwei Jah­ren war die Kar­te der Pro­vinz Badachschan grün, ganz ohne Tali­ban. Jetzt umschlingt Rot und Gelb die Stadt Fais­a­bad von allen Him­mels­rich­tun­gen her“, heißt es bei­spiels­wei­se in dem Bericht, der das Schei­tern der west­li­chen Mis­si­on in Afgha­ni­stan deut­lich macht und warnt: „Afgha­ni­stan droht wie­der an die Tali­ban zu fallen“.

Bis­lang konn­ten die Tali­ban in die­sem Jahr 23 Distrikt­zen­tren erobern. Auch wenn die Städ­te, wie die Pro­vinz­haupt­stadt Kun­dus, oft nach eini­ger Zeit zurück­er­obert wer­den, haben sol­che Gebiets­ge­win­ne eine Signal­wir­kung – und hin­ter­las­sen oft sprich­wört­lich „ver­brann­te Erde“, wie ver­min­te Fel­der im Nor­den Afgha­ni­stans zeigen.

Dar­un­ter lei­det natür­lich auch die Wirt­schaft des Lan­des, der Han­del bricht ein, die Ent­wick­lung des Lan­des sta­gniert. Im Ent­wick­lungs­be­richt der Ver­ein­ten Natio­nen ran­giert Afgha­ni­stan nun nur noch auf Rang 171 von 188 Staa­ten. Die Tages­schau berich­tet von zuneh­men­der Perspektivlosigkeit.

Von der Idee ver­stärk­ter Abschie­bun­gen Abstand nehmen

Die Gefah­ren­la­ge in Afgha­ni­stan kann sich stän­dig ändern. Auch in ver­meint­lich „siche­ren Regio­nen“ kann es zu Kämp­fen kom­men. PRO ASYL for­dert die Bun­des­re­gie­rung daher auf, von der Idee ver­stärk­ter Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sofort Abstand zu neh­men. Die Auf­sto­ckung der Bun­des­wehr-Trup­pen und die der­zei­ti­ge Sicher­heits­la­ge zei­gen, dass Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan für die Betrof­fe­nen Abschie­bun­gen in lebens­ge­fähr­li­che Zustän­de bedeu­ten würden.

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