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Keine Rettung in Sicht: Schutzsuchende gestrandet im bosnischen Transit
Tausende Schutzsuchende sitzen unter katastrophalen Bedingungen in Bosnien fest. Es droht der Kältetod. Der Weg in die EU wird durch brachiale Gewalt blockiert. Anstatt die Menschen zu retten, zu evakuieren, reden EU und Bundesregierung von »Hilfe vor Ort«.
Im bosnischen Lipa, kurz vor der kroatischen Grenze, brannte am 23.12.2020 ein Lager für Schutzsuchende ab und hinterließ ca. 1.200 Menschen ohne Obdach. Zuvor hatte die International Organisation for Migration (IOM) das Management des Lagers eingestellt, da die bosnischen Behörden der Forderung, die temporäre Unterbringung winterfest zu machen, nicht nachkamen.
Wochenlang waren die Schutzsuchenden dort dem Winter in Bosnien schutzlos ausgeliefert, noch immer sind nicht für alle Plätze in beheizten Zelten vorhanden. In ganz Bosnien harren etwa 9.000 Schutzsuchende aus. Ca. 5.600 Personen sind laut dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) in notdürftigen Lagern untergebracht, weitere 3.000 Personen leben im tiefsten Winter in Waldgebieten oder auf der Straße in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo.
Die humanitäre Notlage ist eine Katastrophe mit Ansage. Weder die Obdachlosigkeit noch die inadäquaten Unterbringungsstrukturen sind neu, jeden Winter spitzt sich die Situation dramatisch zu.
Die humanitäre Notlage ist eine Katastrophe mit Ansage. Weder die Obdachlosigkeit noch die inadäquaten Unterbringungsstrukturen sind neu, jeden Winter spitzt sich die Situation dramatisch zu.
Das dröhnende Schweigen
Trotz der lebensbedrohlichen Situation ist es in der EU und in Deutschland ruhig, wenn es um die Forderung nach Evakuierung in die EU und die Aufnahme der betroffenen Menschen geht.
Während SPD-Politiker*innen angesichts der humanitären Notlage eine Aufnahme fordern, schweigen Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu dem Thema. Dabei haben zahlreiche Kommunen und Bundesländer in der Vergangenheit immer wieder ihre Aufnahmebereitschaft betont.
»Hilfe vor Ort« statt Aufnahmen in die EU
Vertreter der EU-Kommission schieben die Verantwortung Bosnien zu. Die EU-Kommission war schnell mit ihrer Zusage, Bosnien mit weiteren 3,5 Millionen Euro zu unterstützen.
Für die Bewältigung der Notlage in Bosnien ist jedoch nicht fehlendes Geld das Hauptproblem. Wie IOM Westbalkan Koordinator, Peter van der Auweraert, klarstellt, sind politische Entscheidungen der lokalen Behörden ausschlaggebend. So war es trotz der finanziellen Unterstützung aus der EU nicht möglich, eine schnelle Umsiedlung der obdachlos gewordenen Menschen zu realisieren.
»Hilfe vor Ort« heißt übersetzt »bleibt wo ihr seid« – festgesetzt vor und an den EU-Außengrenzen.
Der Aktionismus der Kommission deckt sich mit der politischen Leitlinie Horst Seehofers. Angesichts des abgebrannten Lagers Moria sei »Hilfe vor Ort das Allerwichtigste« so der Bundesinnenminister im September 2020. »Hilfe vor Ort« heißt übersetzt »bleibt wo ihr seid« – festgesetzt vor und an den EU-Außengrenzen.
Letzter Ausweg »Balkanroute«
Selbst wenn alle Schutzsuchenden in Bosnien in beheizten Armeezelten untergebracht sind, ist dies weder eine angemessene Unterbringung, noch werden dadurch ihre Rechte gewahrt. In Bosnien gibt es kein funktionierendes Asyl- und Aufnahmesystem für Schutzsuchende. Bosnien ist für sie nicht das Ziel‑, sondern ein Transitland.
Der Großteil der Schutzsuchenden in Bosnien ist zuvor über Griechenland in die EU eingereist. In den letzten Jahren sind dort die meisten Schutzsuchenden in der EU angekommen. Durch massenhafte, illegale Pushbacks ging die Zahl der neuankommenden Schutzsuchenden drastisch zurück auf 15.553 Personen im vom Corona-Virus geprägten Jahr 2020 (2019: 74.613 Personen).
Schutzsuchende in Griechenland erwartet ein strukturell mangelhaftes Aufnahmesystem und ein Leben in Perspektivlosigkeit. Für die Weiterreise fehlen jedoch legale Wege. Die sogenannte »Balkanroute« ist für die meisten die einzige Möglichkeit zur Weiterflucht. Seit den Fluchtbewegungen 2015/2016 und dem EU-Türkei-Deal wurde die Route jedoch systematisch geschlossen und dadurch gefährlicher.
Der Routenverschiebung zur bosnisch-kroatischen Grenze ging unter anderem die hermetische Abriegelung der ungarisch-serbischen Grenze voraus. Pushbacks wurden in Ungarn per Gesetzänderungen legalisiert. Im Dezember 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass dies geltendem EU-Recht widerspricht. Am 08. Januar 2021 veröffentlichte unsere Partnerorganisation, das Ungarische Helsinki Komitee, einen ausführlichen Bericht zu den Pushbacks, in dem auch die Rolle von Frontex hinterfragt wird. Obwohl die EU-Agentur in Ungarn im Einsatz ist, verschließt sie die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen.
Schutzsuchende in Bosnien sind Pushback-Opfer Kroatiens
Seit 2018 kommt es an der bosnisch-kroatischen Grenze zu extremer Polizeigewalt gegen Schutzsuchende. Pushbacks, also die illegale Zurückweisung von Schutzsuchenden, werden von kroatischen Grenzbehörden mit äußerster Brutalität durchgeführt. Der Zusammenschluss »Borderviolence Monitoring Network« hat Ende 2020 sein »Black Book of Pushbacks« veröffentlicht, in dem auf 1.500 Seiten gewaltsame Push Backs von 12.000 Betroffenen dokumentiert sind.
Im November 2020 veröffentlichte das Border Violence Network ein weiteres Video, das verletzte Pushback-Opfer auf der einen und mit Peitschen und Schlagstöcken bewaffnete kroatische Grenzpolizist*innen auf der anderen Seite zeigt.
Am 11.01.2021 veröffentlicht die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, ihre Third Party Intervention in dem Fall dreier Syrer, die Opfer von Push Backs durch die kroatische Grenzpolizei wurden. Hierin macht sie einmal mehr deutlich, wie gut dokumentiert die Push Backs und die exzessive Gewaltanwendung der kroatischen Behörden sind und verweist auch auf das kaum vorhandene bosnische Asyl- und Aufnahmesystem.
Menschenrechtsverletzungen mit Unterstützung von Brüssel und Berlin
Die EU finanziert den kroatischen Grenzschutz mit 6,8 Millionen Euro. Davon sind 300.000 Euro für einen Mechanismus zur Menschenrechtsbeobachtung vorgesehen, der jedoch nicht eingerichtet wurde. Die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly hat deshalb im November 2020 ein Untersuchungsverfahren eingeleitet.
Von der Bundesregierung erhält die kroatische Grenzpolizei technische Ausrüstung. »Wir stehen Kroatien als Partner zur Seite«, bekräftigte Horst Seehofer im Januar 2020 anlässlich der Übergabe von Wärmebildkameras an die kroatischen Kolleg*innen. Im Dezember 2020 wurden 20 Fahrzeuge an Kroatien übergeben. Innenminister Davor Božinović betonte stolz die millionenschwere Unterstützung durch Deutschland in den letzten Jahren und dass die Deutschen mit am besten über die Arbeit der kroatischen Grenzschützer informiert seien.
Evakuierung und legale Einreisewege in die EU
In einem gemeinsamen Brief fordern 45 Europaparlamentarier*innen bereits am 02. Januar 2021 legale und sichere Einreisemöglichkeiten in die EU für die Schutzsuchende. Angesichts der anhaltendend lebensgefährlichen Situation, in der sich Schutzsuchende im bosnischen Winter befinden, tut eine Evakuierung in die EU weiterhin Not.
In Deutschland haben sich in den letzten Jahren mehr als 200 Kommunen zum „Sicheren Hafen“ erklärt und Bundesländer ihre Aufnahmebereitschaft unterstrichen. Anstatt diese Signale zu ignorieren und zu der humanitären Krise zu schweigen, müssen sich Horst Seehofer und Angela Merkel dafür einsetzen, dass die Schutzsuchenden aus Bosnien schnellstmöglich in die EU weiterreisen dürfen und von Deutschland und anderen aufnahmebereiten Mitgliedstaaten aufgenommen werden.
(dm)