Hintergrund
Grenzen als Orte der Gewalt: Die Situation an der kroatisch-bosnischen Grenze

Seit die serbisch-ungarische und die serbisch-kroatische Grenze praktisch hermetisch abgeriegelt sind, hat sich die Balkanroute gen Westen verschoben. Anfang 2018 ist zum ersten Mal auch Bosnien & Herzegowina in den Fokus der internationalen Flüchtlingspolitik gerückt. Auch dort kommt es immer wieder zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen.
Seit Frühjahr 2018 werden immer mehr Geflüchtete in Bosnien registriert, das eine lange Grenze mit dem EU-Mitglied Kroatien teilt. Dass Bosnien nicht schon zuvor Teil der Balkanroute war, ist nicht überraschend: Das Land ist geprägt von unzähligen Bergen und Hügeln, engen Tälern und schmalen, langsamen Straßen. Angesichts dieser Gegebenheiten können Geflüchtete Bosnien nicht schnell durchqueren. Zudem fehlt es in Bosnien an jedweder Infrastruktur, um Geflüchtete zu unterstützen.
Die Verschiebung der Balkanroute
Inzwischen befinden sich nun aber mehrere tausend Geflüchtete vor allem im Norden Bosniens, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Ruinen und mehr oder weniger selbstorganisierten Camps leben und auf die Gelegenheit warten, nach Kroatien und von dort aus in andere EU-Staaten zu gelangen.
Die kroatische Grenzpolizei wiederum kann die kroatisch-bosnische Grenze kaum kontrollieren. Über die bewaldeten Hügel und Berge führen unzählige Schleichwege von Bosnien nach Kroatien. Grenzanlagen sind hier nicht durchgehend installiert. Wie schon Ungarn und andere Staaten entlang der Balkanroute versucht auch Kroatien, die Grenze zu schließen. Dabei setzt die kroatische Grenzpolizei exzessive Gewalt ein.
Push-Backs & Gewalt an der Grenze
Insbesondere in den nordbosnischen Grenzstädten Velika Kladuša und Bihać beginnt für Geflüchtete »The Game«, also der Versuch, die bosnisch-kroatische Grenze ungesehen zu überqueren. Hierfür schließen sich Geflüchtete zumeist zu kleineren Gruppen zusammen und suchen gemeinsam den Weg durch den von ihnen so genannten »Jungle«. Angesichts der kaum zu kontrollierenden Grenze gelingt es tatsächlich vielen Geflüchteten, Kroatien zu erreichen und dort einige Zeit, manchmal sogar mehrere Tage, unentdeckt zu bleiben. Manche schaffen es sogar bis nach Slowenien, das von Velika Kladuša lediglich 70 Kilometer entfernt liegt. Allerdings sind weder Kroatien noch Slowenien sichere Orte für Geflüchtete.

Wenn Schutzsuchende irgendwo in Kroatien aufgegriffen werden, verweigern ihnen die dortigen Behörden das Recht, Asyl zu beantragen. Geflüchtete werden nicht registriert, sondern von der kroatischen Grenzpolizei direkt wieder nach Bosnien abgeschoben. In gleicher Weise übergibt die slowenische Polizei jene Flüchtlinge, die sie im Land aufgreift, der kroatischen Grenzpolizei, die sie dann direkt nach Bosnien abschiebt.
»There is no asylum for you here«
Viele Geflüchtete berichten, sie hätten versucht, in Slowenien oder Kroatien Asyl zu beantragen, nachdem sie von der Polizei aufgegriffen worden seien. Oft habe ihnen die Polizei dann schlicht geantwortet: »There is no asylum for you here«. Andere erzählen, die Polizei habe ihnen versichert, am nächsten Tag einen Antrag stellen zu können. Nach einer Nacht in einer Polizeizelle seien sie dann aber am nächsten Morgen der kroatischen bzw. der bosnischen Polizei übergeben worden.
Die Dublin-Verordnung, die Europäischen Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention garantieren jedem Menschen das Recht, einen Asylantrag stellen zu können.
Grundlegende Rechte werden verletzt
Solch eine Praxis stellt eine eklatante Verletzung europäischen und internationalen Rechts dar. Die Dublin-Verordnung, die Europäischen Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention garantieren jedem Menschen das Recht, einen Asylantrag stellen zu können. Zugleich haben Schutzsuchende Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. In diesem Rechtsrahmen sind Push-Backs an der Grenze verboten.
Die kroatische Grenzpolizei belässt es im Gegensatz zu ihren slowenischen Kolleg*innen allerdings nicht dabei, Geflüchtete illegal abzuschieben. Werden Schutzsuchende in Kroatien aufgegriffen oder von den slowenischen Kolleg*innen übernommen, fahren sie zunächst zur kroatisch-bosnischen Grenze.
Diebstahl und Misshandlungen haben System
Dort entwenden die kroatischen Grenzpolizist*innen den Geflüchteten Geld, Ausrüstung und Kleidung, sie zerstören außerdem Smartphones und persönliche Dokumente. Und in einer erschreckenden Zahl von Fällen verprügeln Grenzbeamte die Geflüchteten. Wie Geflüchtete übereinstimmend berichten, benutzt die Grenzpolizei vor allem Schlagstöcke. Daneben kommen aber auch Taser zum Einsatz. Mitunter drohen die Polizisten den Flüchtlingen auch noch mit gezogenen Waffen.
Während der Diebstahl und die Zerstörung der Smartphones alle Geflüchteten betrifft, werden zumeist männliche Geflüchtete verprügelt; es existieren aber auch Berichte, nach denen Frauen und minderjährige Flüchtlinge ebenfalls geschlagen wurden. Anschließend werden die Schutzsuchenden über die Grenze zurück nach Bosnien gejagt – zumeist in der Nähe von Velika Kladuša.
Die Berichte von derart vielen Geflüchteten und die zahlreichen Verletzungen lassen darauf schließen, dass es sich keineswegs um Einzelfälle, sondern um ein systematisches Verfahren der kroatischen Grenzpolizei handelt.
Gewalt aus Kalkül
Die Gewalt an der Grenze dient einem spezifischen Ziel. Offenbar will Kroatien, das noch nicht zum Schengen-Raum gehört, beweisen, dass es die EU-Außengrenze zu schützen vermag. Daher erhöht Kroatien die Hürden: Geflüchtete werden nicht nur illegal abgeschoben, sondern gedemütigt und verängstigt. Für sie wird es immer gefährlicher, die Grenzen zu überqueren.
Das führt, so ganz offenbar das Kalkül, dazu, dass immer weniger Schutzsuchende den Grenzübertritt wagen und kaum mehr Geflüchtete über Kroatien die übrigen EU-Staaten erreichen. In diesem Sinne bietet die Ankunft von Geflüchteten Kroatien eine gute Gelegenheit, dem Rest der EU zu beweisen, dass es sich auf Grenzsicherung versteht.
Wo bleibt der Protest?
In einem moderaten politischen Klima würden die Menschenrechtsverletzungen der kroatischen Grenzpolizei Empörung und scharfe Proteste auslösen. Die Zivilgesellschaft würde Druck auf die Politik ausüben und die Europäische Union und die anderen EU-Mitgliedsstaaten würden dafür Sorge tragen, dass das europäische Recht wiederhergestellt wird. In dem aktuellen Umfeld hingegen, in der es den politisch Verantwortlichen nurmehr darum geht, Grenzen abzuriegeln und Geflüchtete daran zu hindern, in der EU um Schutz ersuchen zu können, führt die Gewalt im Grenzraum nicht einmal mehr zu einer gesellschaftlichen oder politischen Reaktion.
Solange die Europäische Union auf Abschottung setzt, werden Grenzregionen Orte der Gewalt und der Rechtlosigkeit bleiben.
Wie schon Ungarn zuvor, kann sich Kroatien gewiss sein, dass die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und Institutionen zur Gewalt ihrer Grenzpolizei schweigen werden, solange die Regierung den Schein wahren und alle Anschuldigungen bestreiten kann. Immerhin ist die Abschottung integraler Bestandteil der europäischen Flüchtlingspolitik. Und solange die Europäische Union auf Abschottung setzt, werden Grenzregionen Orte der Gewalt und der Rechtlosigkeit bleiben.
Dr. Sascha Schießl, Flüchtlingsrat Niedersachsen
Text zuerst erschienen auf: https://yallayallaeurope.wordpress.com