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Europa im September 2018: Flüchtlinge zelten in Grenzregionen in Wäldern und werden immer wieder Ziel von Übergriffen durch Grenzpolizisten. Foto: Kevin McElvaney

Seit die serbisch-ungarische und die serbisch-kroatische Grenze praktisch hermetisch abgeriegelt sind, hat sich die Balkanroute gen Westen verschoben. Anfang 2018 ist zum ersten Mal auch Bosnien & Herzegowina in den Fokus der internationalen Flüchtlingspolitik gerückt. Auch dort kommt es immer wieder zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen.

Seit Früh­jahr 2018 wer­den immer mehr Geflüch­te­te in Bos­ni­en regis­triert, das eine lan­ge Gren­ze mit dem EU-Mit­glied Kroa­ti­en teilt. Dass Bos­ni­en nicht schon zuvor Teil der Bal­kan­rou­te war, ist nicht über­ra­schend: Das Land ist geprägt von unzäh­li­gen Ber­gen und Hügeln, engen Tälern und schma­len, lang­sa­men Stra­ßen. Ange­sichts die­ser Gege­ben­hei­ten kön­nen Geflüch­te­te Bos­ni­en nicht schnell durch­que­ren. Zudem fehlt es in Bos­ni­en an jed­we­der Infra­struk­tur, um Geflüch­te­te zu unterstützen.

Die Verschiebung der Balkanroute

Inzwi­schen befin­den sich nun aber meh­re­re tau­send Geflüch­te­te vor allem im Nor­den Bos­ni­ens, wo sie unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen in Rui­nen und mehr oder weni­ger selbst­or­ga­ni­sier­ten Camps leben und auf die Gele­gen­heit war­ten, nach Kroa­ti­en und von dort aus in ande­re EU-Staa­ten zu gelangen.

Die kroa­ti­sche Grenz­po­li­zei wie­der­um kann die kroa­tisch-bos­ni­sche Gren­ze kaum kon­trol­lie­ren. Über die bewal­de­ten Hügel und Ber­ge füh­ren unzäh­li­ge Schleich­we­ge von Bos­ni­en nach Kroa­ti­en. Grenz­an­la­gen sind hier nicht durch­ge­hend instal­liert. Wie schon Ungarn und ande­re Staa­ten ent­lang der Bal­kan­rou­te ver­sucht auch Kroa­ti­en, die Gren­ze zu schlie­ßen. Dabei setzt die kroa­ti­sche Grenz­po­li­zei exzes­si­ve Gewalt ein.

Push-Backs & Gewalt an der Grenze

Ins­be­son­de­re in den nord­bos­ni­schen Grenz­städ­ten Veli­ka Kla­duša und Bihać beginnt für Geflüch­te­te »The Game«, also der Ver­such, die bos­nisch-kroa­ti­sche Gren­ze unge­se­hen zu über­que­ren. Hier­für schlie­ßen sich Geflüch­te­te zumeist zu klei­ne­ren Grup­pen zusam­men und suchen gemein­sam den Weg durch den von ihnen so genann­ten »Jungle«. Ange­sichts der kaum zu kon­trol­lie­ren­den Gren­ze gelingt es tat­säch­lich vie­len Geflüch­te­ten, Kroa­ti­en zu errei­chen und dort eini­ge Zeit, manch­mal sogar meh­re­re Tage, unent­deckt zu blei­ben. Man­che schaf­fen es sogar bis nach Slo­we­ni­en, das von Veli­ka Kla­duša ledig­lich 70 Kilo­me­ter ent­fernt liegt. Aller­dings sind weder Kroa­ti­en noch Slo­we­ni­en siche­re Orte für Geflüchtete.

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Ein Geflüch­te­ter im bos­ni­schen Ort Veli­ka Kla­duša. Er wur­de in der Nacht zuvor von der kroa­ti­schen Poli­zei auf­ge­grif­fen, beraubt, miss­han­delt und nach Bos­ni­en zurück­ge­bracht. Sol­che ille­ga­len Push-Back-Ope­ra­tio­nen sind trau­ri­ger All­tag im Grenz­ge­biet. Foto: Kevin McElvaney

Wenn Schutz­su­chen­de irgend­wo in Kroa­ti­en auf­ge­grif­fen wer­den, ver­wei­gern ihnen die dor­ti­gen Behör­den das Recht, Asyl zu bean­tra­gen. Geflüch­te­te wer­den nicht regis­triert, son­dern von der kroa­ti­schen Grenz­po­li­zei direkt wie­der nach Bos­ni­en abge­scho­ben. In glei­cher Wei­se über­gibt die slo­we­ni­sche Poli­zei jene Flücht­lin­ge, die sie im Land auf­greift, der kroa­ti­schen Grenz­po­li­zei, die sie dann direkt nach Bos­ni­en abschiebt.

»There is no asylum for you here«

Vie­le Geflüch­te­te berich­ten, sie hät­ten ver­sucht, in Slo­we­ni­en oder Kroa­ti­en Asyl zu bean­tra­gen, nach­dem sie von der Poli­zei auf­ge­grif­fen wor­den sei­en. Oft habe ihnen die Poli­zei dann schlicht geant­wor­tet: »The­re is no asyl­um for you here«. Ande­re erzäh­len, die Poli­zei habe ihnen ver­si­chert, am nächs­ten Tag einen Antrag stel­len zu kön­nen. Nach einer Nacht in einer Poli­zei­zel­le sei­en sie dann aber am nächs­ten Mor­gen der kroa­ti­schen bzw. der bos­ni­schen Poli­zei über­ge­ben wor­den.

Die Dub­lin-Ver­ord­nung, die Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on garan­tie­ren jedem Men­schen das Recht, einen Asyl­an­trag stel­len zu können.

Grundlegende Rechte werden verletzt

Solch eine Pra­xis stellt eine ekla­tan­te Ver­let­zung euro­päi­schen und inter­na­tio­na­len Rechts dar. Die Dub­lin-Ver­ord­nung, die Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on garan­tie­ren jedem Men­schen das Recht, einen Asyl­an­trag stel­len zu kön­nen. Zugleich haben Schutz­su­chen­de Anspruch auf ein fai­res und rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren. In die­sem Rechts­rah­men sind Push-Backs an der Gren­ze ver­bo­ten.

Die kroa­ti­sche Grenz­po­li­zei belässt es im Gegen­satz zu ihren slo­we­ni­schen Kolleg*innen aller­dings nicht dabei, Geflüch­te­te ille­gal abzu­schie­ben. Wer­den Schutz­su­chen­de in Kroa­ti­en auf­ge­grif­fen oder von den slo­we­ni­schen Kolleg*innen über­nom­men, fah­ren sie zunächst zur kroa­tisch-bos­ni­schen Grenze.

Diebstahl und Misshandlungen haben System

Dort ent­wen­den die kroa­ti­schen Grenzpolizist*innen den Geflüch­te­ten Geld, Aus­rüs­tung und Klei­dung, sie zer­stö­ren außer­dem Smart­phones und per­sön­li­che Doku­men­te. Und in einer erschre­cken­den Zahl von Fäl­len ver­prü­geln Grenz­be­am­te die Geflüch­te­ten. Wie Geflüch­te­te über­ein­stim­mend berich­ten, benutzt die Grenz­po­li­zei vor allem Schlag­stö­cke. Dane­ben kom­men aber auch Taser zum Ein­satz. Mit­un­ter dro­hen die Poli­zis­ten den Flücht­lin­gen auch noch mit gezo­ge­nen Waffen.

Wäh­rend der Dieb­stahl und die Zer­stö­rung der Smart­phones alle Geflüch­te­ten betrifft, wer­den zumeist männ­li­che Geflüch­te­te ver­prü­gelt; es exis­tie­ren aber auch Berich­te, nach denen Frau­en und min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge eben­falls geschla­gen wur­den. Anschlie­ßend wer­den die Schutz­su­chen­den über die Gren­ze zurück nach Bos­ni­en gejagt – zumeist in der Nähe von Veli­ka Kladuša.

Die Berich­te von der­art vie­len Geflüch­te­ten und die zahl­rei­chen Ver­let­zun­gen las­sen dar­auf schlie­ßen, dass es sich kei­nes­wegs um Ein­zel­fäl­le, son­dern um ein sys­te­ma­ti­sches Ver­fah­ren der kroa­ti­schen Grenz­po­li­zei handelt.

Gewalt aus Kalkül

Die Gewalt an der Gren­ze dient einem spe­zi­fi­schen Ziel. Offen­bar will Kroa­ti­en, das noch nicht zum Schen­gen-Raum gehört, bewei­sen, dass es die EU-Außen­gren­ze zu schüt­zen ver­mag. Daher erhöht Kroa­ti­en die Hür­den: Geflüch­te­te wer­den nicht nur ille­gal abge­scho­ben, son­dern gede­mü­tigt und ver­ängs­tigt. Für sie wird es immer gefähr­li­cher, die Gren­zen zu überqueren.

Das führt, so ganz offen­bar das Kal­kül, dazu, dass immer weni­ger Schutz­su­chen­de den Grenz­über­tritt wagen und kaum mehr Geflüch­te­te über Kroa­ti­en die übri­gen EU-Staa­ten errei­chen. In die­sem Sin­ne bie­tet die Ankunft von Geflüch­te­ten Kroa­ti­en eine gute Gele­gen­heit, dem Rest der EU zu bewei­sen, dass es sich auf Grenz­si­che­rung versteht.

Wo bleibt der Protest?

In einem mode­ra­ten poli­ti­schen Kli­ma wür­den die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der kroa­ti­schen Grenz­po­li­zei Empö­rung und schar­fe Pro­tes­te aus­lö­sen. Die Zivil­ge­sell­schaft wür­de Druck auf die Poli­tik aus­üben und die Euro­päi­sche Uni­on und die ande­ren EU-Mit­glieds­staa­ten wür­den dafür Sor­ge tra­gen, dass das euro­päi­sche Recht wie­der­her­ge­stellt wird. In dem aktu­el­len Umfeld hin­ge­gen, in der es den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen nur­mehr dar­um geht, Gren­zen abzu­rie­geln und Geflüch­te­te dar­an zu hin­dern, in der EU um Schutz ersu­chen zu kön­nen, führt die Gewalt im Grenz­raum nicht ein­mal mehr zu einer gesell­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Reaktion.

Solan­ge die Euro­päi­sche Uni­on auf Abschot­tung setzt, wer­den Grenz­re­gio­nen Orte der Gewalt und der Recht­lo­sig­keit bleiben.

Wie schon Ungarn zuvor, kann sich Kroa­ti­en gewiss sein, dass die Euro­päi­sche Uni­on, ihre Mit­glieds­staa­ten und Insti­tu­tio­nen zur Gewalt ihrer Grenz­po­li­zei schwei­gen wer­den, solan­ge die Regie­rung den Schein wah­ren und alle Anschul­di­gun­gen bestrei­ten kann. Immer­hin ist die Abschot­tung inte­gra­ler Bestand­teil der euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik. Und solan­ge die Euro­päi­sche Uni­on auf Abschot­tung setzt, wer­den Grenz­re­gio­nen Orte der Gewalt und der Recht­lo­sig­keit bleiben.

Dr. Sascha Schießl, Flücht­lings­rat Niedersachsen

Text zuerst erschie­nen auf: https://yallayallaeurope.wordpress.com


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