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Kein Grund zur Panik: Zum Ende des Abschiebungsstopps nach Syrien
Geändert hat sich nichts in Syrien: Der Bürgerkrieg tobt weiter, Diktator Assad ist immer noch an der Macht, nach wie vor drohen Folter und Verfolgung. Dennoch hat die Innenministerkonferenz den seit 2012 geltenden Abschiebungsstopp nach Syrien nicht mehr verlängert. Was bedeutet dies für Syrer*innen in Deutschland?
Der Abschiebungsstopp für Syrien ist mit Ende des Jahres 2020 ausgelaufen, da die letzte Innenministerkonferenz diesen nicht verlängert hat. Doch was bedeutet diese Entscheidung in der Praxis? Ist mit einem baldigen Beginn von Abschiebungen nach Syrien zu rechnen? Müssen die hier lebenden Syrer*innen Angst um ihren Aufenthalt haben? Oder dient die Nicht-Verlängerung des Abschiebungsstopps nur zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete? Und geht es nicht viel mehr um reine Symbolpolitik und um ein weiteres der viel zu vielen politischen Signale ins rechte Lager?
Sorgen vor Abschiebung unbegründet
Über 800.000 Syrer*innen leben in Deutschland, die meisten von ihnen geflohen vor dem Bürgerkrieg in Syrien, vor Terror und Verfolgung durch das Assad-Regime oder durch islamistische Gruppen. Viele haben sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut oder versuchen das gerade und werden nun durch die Aufhebung des Abschiebungsstopps und die Ankündigung, dass ab Januar wieder Abschiebungen nach Syrien möglich sein sollen, zutiefst verunsichert. Viele fürchten ihren Aufenthaltsstatus und damit nach der Flucht aus Syrien ein weiteres Mal den Boden unter den Füßen zu verlieren und sorgen sich um ihre Sicherheit und ihre Zukunft. Doch diese Angst, bald nach Syrien zurückkehren zu müssen oder sogar abgeschoben zu werden, ist in nahezu allen Fällen unberechtigt, die meisten Menschen sind weit von einer drohenden Abschiebung entfernt.
Die Angst, bald nach Syrien zurückkehren zu müssen oder sogar abgeschoben zu werden, ist in nahezu allen Fällen unberechtigt.
Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz bedeuten Sicherheit vor Abschiebung
Denn die meisten von ihnen haben vom BAMF oder durch ein Gericht einen Schutzstatus erhalten, der sie trotz Aufhebung des Abschiebungsstopps sicher vor einer Abschiebung schützt. In der Regel sind dies der Flüchtlingsstatus oder der subsidiäre Schutz, in einigen Fällen auch ein so genanntes nationales Abschiebungsverbot. Alle diese Status bedeuten, dass eine Abschiebung der Betroffenen nach Syrien verboten ist, unabhängig davon, wie sich die Abschiebungspraxis entwickelt.
Auch eine nur befristete Aufenthaltserlaubnis ist demnach also kein Grund zur Sorge: Solange der Schutzstatus besteht, muss auch die Aufenthaltserlaubnis zwingend verlängert werden, sofern nicht schwere Straftaten o.ä. einer Verlängerung entgegenstehen. Die Betroffenen müssen also nicht fürchten, dass die Ausländerbehörde ihnen die Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltserlaubnis mit Hinweis auf den aufgehobenen Abschiebungsstopp verweigert.
Bislang kaum Widerrufe, 97% behalten Status
Grundsätzlich kann ein vom BAMF oder einem Gericht erteilter Schutzstatus jedoch widerrufen werden. Derzeit erfolgen beim BAMF massenhaft entsprechende Überprüfungen, ob Betroffene weiterhin schutzbedürftig sind. Zehntausende Menschen aus Syrien, die in ihren Asylverfahren schriftlich angehört wurden oder die über keine Identitätsdokumente verfügen, wurden bereits zu persönlichen Anhörungen vorgeladen und in Angst und Schrecken versetzt.
Der gewährte Schutz kann allerdings nur dann widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, was individuell zu prüfen ist und nichts mit der Aufhebung des generellen Abschiebungsstopps zu tun hat. Hierfür muss sich entweder die Situation in Syrien grundlegend und dauerhaft geändert haben oder aber es müssen individuelle Gründe vorliegen, die eine weitere Schutzgewährung entbehrlich machen. Neben schwerer Straftaten oder der Einstufung als sogenannte*r Gefährder*in kann bspw. eine zwischenzeitliche Rückkehr nach Syrien Grund für einen Widerruf sein.
Der gewährte Schutz kann allerdings nur dann widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, was individuell zu prüfen ist.
Dementsprechend kommt es trotz über 300.000 Widerrufsprüfungen allein in den letzten drei Jahren nur in wenigen Fällen tatsächlich zu einem Widerruf des Schutzstatus (Quelle: BAMF, Seite 14). Im vergangenen Jahr verloren weniger als 3% der überprüften Syrer*innen ihren Schutz, in 97% erfolgte kein Widerruf. Im Rahmen einer Widerrufsprüfung muss allerdings immer auch geprüft werden, ob trotz Widerruf die Zuerkennung eines der anderen Schutzstatus in Frage kommt: so kann im Falle des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung, bspw. weil die betroffene Person wegen familiärer Verpflichtungen für mehrere Monate nach Syrien zurückkehren musste, trotzdem subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot festgestellt werden und die Betroffenen bleiben – wenngleich mit schwächerem Status – weiterhin geschützt.
Selbst bei Widerruf wenig Anlass zur Sorge für Syrer*innen
Auch ein Widerruf des Schutzstatus durch das BAMF bedeutet nicht automatisch eine Abschiebung. Einerseits kann gegen einen erfolgten Widerruf Klage eingereicht und die Widerrufsentscheidung gerichtlich überprüft werden. Und selbst im Falle einer gerichtlichen Bestätigung des Widerrufs muss der Verlust des Schutzstatus nicht zwangsläufig den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge haben.
Viele Syrer*innen mit Anrecht auf unbefristeten Status
Andererseits werden viele der insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 eingereisten Syrer*innen bald die Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis erfüllen oder haben bereits einen unbefristeten Status. In diesen Fällen steht der Widerruf der Niederlassungserlaubnis im Ermessen der Behörde. Das bedeutet, dass die Ausländerbehörde das öffentliche Interesse am Verlust des unbefristeten Aufenthaltsrechts gegen das persönliche Interesse der Betroffenen abwägen muss. Dieses Ermessen dürfte nach einem i.d.R. langjährigen Aufenthalt in Deutschland, den für die ursprüngliche Erteilung der Niederlassungserlaubnis erbrachten Integrationsleistungen sowie ggf. sonstiger schutzwürdiger persönlicher, familiärer oder wirtschaftlicher Bezüge zu Deutschland in den meisten Fällen zugunsten der Betroffen ausfallen.
Viele der insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 eingereisten Syrer*innen werden bald die Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis erfüllen.
Auch Altfallregelung kann greifen
Aber selbst im Falle der Nichtverlängerung des auf dem widerrufenen Schutzstatus basierenden Aufenthaltstitels dürften durch den mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland zudem i.d.R. auch die Voraussetzungen für einen asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltstitel (z.B. Aufenthalt nach einer Altfallregelung für gut Integrierte, familiärer Aufenthaltstitel oder Härtefallregelung) erfüllt sein.
Gleiches gilt für Menschen, die über eines der Bundes- oder Landesaufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG besitzen. Diese Aufenthaltserlaubnisse beinhalten zwar keinen Schutzstatus; dennoch sind auch diese Aufenthalte nicht an den bisherigen Abschiebungsstopp geknüpft. Somit können diese Aufenthaltserlaubnisse zwar ohne entsprechende BAMF-Widerrufsprüfungen durch die zuständige Ausländerbehörde nicht verlängert werden; dies ist jedoch mittelfristig überhaupt nicht zu erwarten. Und falls dies irgendwann doch geschehen sollte, dürften die meisten Betroffenen die Voraussetzungen für eine Alt- oder Härtefallregelung erfüllen.
Was bei geduldeten Dublin-Fällen zu beachten ist
Letztendlich sind in absehbarer Zukunft also nur Menschen mit einer Duldung und Ausreisepflichtige mit anderen Dokumenten (z.B. Grenzübertrittsbescheinigung) von Abschiebung bedroht. Allerdings sind unter den geduldeten Syrer*innen auch viele, die entweder unter die Dublin-Verordnung fallen oder bereits in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus erhalten haben, bspw. in Bulgarien oder Griechenland. Auch ihnen kann keine Abschiebung nach Syrien drohen: Beide Gruppen können nur in das entsprechende EU-Land abgeschoben werden.
Absehbar noch keine Abschiebungen zu erwarten
Derzeit sind Abschiebungen nach Syrien praktisch nicht möglich. Um Abschiebungen tatsächlich wieder möglich zu machen, müsste die Bundesregierung zunächst mit dem Assad-Regime wieder diplomatische Beziehungen aufbauen. Konkret müsste der syrische Behördenapparat deutschen Behörden Zusagen machen, dass den Abgeschobenen keine Menschenrechtsverletzungen drohen – angesichts der ungebrochenen Macht Assads und des herrschenden Folterregimes in Syrien eine völlig unrealistische Perspektive.
Um Abschiebungen tatsächlich wieder möglich zu machen, müsste die Bundesregierung zunächst mit dem Assad-Regime wieder diplomatische Beziehungen aufbauen.
Vor dem Hintergrund der Debatten um Anschläge mit islamistischem Hintergrund ist zwar sicherlich nicht auszuschließen, dass entsprechende Bemühungen laufen werden, um bspw. einzelne Gefährder*innen oder Schwerkriminelle loszuwerden und damit politischen Handlungswillen zu demonstrieren. Dennoch dürfte dies in absehbarer Zukunft – wenn überhaupt – nur vereinzelte Personen mit entsprechendem Hintergrund betreffen. Zudem würden solchen Fälle mit Sicherheit bis vor die obersten Gerichte in Deutschland geklagt werden – und angesichts der vielfältigen Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wären diese erfolgsversprechend.
Regime würde salonfähig gemacht
Nichtsdestotrotz wäre eine Kooperation mit dem Assad-Regime zur Abschiebung einzelner Gefährder oder Schwerkrimineller mittel- und langfristig gesehen ein absolut verheerendes Signal, da dies eine Normalisierung der Beziehungen zu einem Regime bedeuten würde, das erwiesenermaßen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat und weiterhin Menschenrechte mit Füßen tritt. Auch müsste mittelfristig der Einstieg in Abschiebungen von anderen Personengruppen befürchtet werden, wie Erfahrungen mit Abschiebungen nach Afghanistan oder in andere Länder lehren. Und hiervor haben viele hier lebende Syrer*innen Angst.
Abschiebungsstopp nach Syrien wieder einführen!
Syrien ist und bleibt ein Land im Krieg, mit einem Regime an der Macht, das Menschenrechtsverletzungen systematisch anwendet – und dies seit fast einem Jahrzehnt. Die Entscheidung über das Ende des Abschiebungsstopps muss rückgängig gemacht werden, denn sie ist menschenrechtlich nicht vertretbar und politisch ein fatales Signal!
Die Entscheidung über das Ende des Abschiebungsstopps muss rückgängig gemacht werden, denn sie ist menschenrechtlich nicht vertretbar und politisch ein fatales Signal!
Insgesamt müssen sich aber die allerwenigsten der in Deutschland lebenden Syrer*innen Sorgen machen, dass sie perspektivisch nach Syrien zurückkehren müssen. Zwar ist die Aufhebung des Abschiebungsstopps der erste Schritt hin zu zukünftigen Abschiebungen; aktuell dient dies aber als populistisches Signal nach rechts und führt vor allem zu Panikmache unter den vielen unbescholtenen Geflüchteten aus Syrien.
(dmo)