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Unangenehme Post vom Bundesamt: Einladungen zu »freiwilligen Gesprächen« schüren Angst vor Widerrufsverfahren. Bild: pixabay

Derzeit erhalten anerkannte Flüchtlinge aus dem Irak & Syrien Post vom Bundesamt für Migration & Flüchtlinge (BAMF), in der sie zu einem »freiwilligen Gespräch« eingeladen werden. Viele der positiven Entscheidungen, die im schriftlichen Verfahren ergangen sind, sollen so überprüft werden. Hinweise zum Verhalten und zu den gesetzlichen Grundlagen.


Aktu­el­le Infor­ma­tio­nen: Am 12.12.2018 ist das Drit­te Gesetz zur Ände­rung des Asyl­ge­set­zes in Kraft getre­ten. Mit die­sem Gesetz wur­den neue Mit­wir­kungs­pflich­ten in Wider­rufs- und Rück­nah­me­ver­fah­ren ein­ge­führt. Die­ser Arti­kel ist nicht an die­se neue Rechts­la­ge ange­passt. Aktu­el­le Bera­tungs­hin­wei­se fin­det man von GGUA hier und von der Kanz­lei Wächt­ler und Kol­le­gen hier.


Da die Vor­aus­set­zun­gen für einen Ent­zug der Flücht­lings­ei­gen­schaft nicht von vor­ne­her­ein vor­lie­gen, ver­sucht das Amt in die­sem form­lo­sen Gespräch Grün­de zu fin­den, die die Ein­lei­tung eines förm­li­chen Wider­rufs- oder Rück­nah­me­ver­fah­rens ermöglichen.

Das BAMF ver­trat bis 2016 die zutref­fen­de Auf­fas­sung, dass nahe­zu alle Geflüch­te­ten aus Syri­en und vie­le aus dem Irak im Fall einer Rück­kehr in asyl­re­le­van­ter Wei­se gefähr­det sind; sie erhiel­ten des­halb im schrift­li­chen Ver­fah­ren den Flücht­lings­sta­tus gem. § 3 AsylG zuer­kannt. Auf poli­ti­schen Druck änder­te das BAMF dann 2016 sei­ne Pra­xis – seit­dem gibt es für syri­sche Flücht­lin­ge i.d.R nur noch sub­si­diä­ren Schutz gem. § 4 AsylG.

Vorgehen rechtlich fragwürdig

Obwohl sich die Situa­ti­on in Syri­en nicht ver­bes­sert hat, wer­den nun vie­le Flücht­lin­ge zu einem »frei­wil­li­gen Gespräch« ein­ge­la­den. Glei­ches gilt für Iraker*innen, obwohl dort sich die Lage eben­falls nicht erheb­lich ver­än­dert hat. Das BAMF gibt an, dass es nicht Zweck die­ses Ver­fah­rens sei, den Sta­tus der Betrof­fe­nen her­ab­zu­stu­fen. Aber wozu dann der Aufwand?

Es gibt ohne­hin eine regel­mä­ßi­ge Über­prü­fung der Flücht­lings­an­er­ken­nung nach 3 Jah­ren (§ 73 Abs. 2a AsylG; dies gilt nur für Flücht­lin­ge mit einem Sta­tus nach der Gen­fer Kon­ven­ti­on (GFK), nicht für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te). Die­se Prü­fung wird nun form­los zeit­lich vor­ge­zo­gen. Abge­se­hen davon, dass das poli­tisch unsin­nig ist – die Men­schen blei­ben da, wer­den aber ver­un­si­chert – ist die­se Pra­xis mensch­lich uner­träg­lich. Die Inte­gra­ti­on von aner­kann­ten Flücht­lin­gen wird erschwert und der u.U. bereits ein­ge­lei­te­te Fami­li­en­nach­zug in Fra­ge gestellt oder jeden­falls ver­zö­gert. Die­ses Vor­ge­hen auch recht­lich frag­wür­dig. Denn in der Sache han­delt es sich um eine Statusüberprüfung.

Keine Verpflichtung, zu erscheinen

1.) Das BAMF selbst betont, dass es kei­ne Ver­pflich­tung gibt, an dem Gespräch teil­zu­neh­men. Anders als Pri­vat­per­so­nen dür­fen Behör­den nur im recht­lich vor­ge­ge­be­nen Rah­men han­deln. Hier geht es in der Sache um die Über­prü­fung einer bereits getrof­fe­nen Ent­schei­dung. Hier­für gibt es mit §§ 72 ff AsylG eine aus­ge­feil­te, förm­li­che gesetz­li­che Rege­lung und kla­re Abläu­fe. Lie­gen deren Vor­aus­set­zun­gen nicht vor, hat die Über­prü­fung zu unterbleiben.

Unser Rat an die Betrof­fe­nen: Neh­men Sie nicht an einem sol­chen »frei­wil­li­gen« Gespräch teil, auch wenn Sie wie­der­holt dazu ein­ge­la­den werden.

Eine Behör­de darf sich nicht außer­halb der gesetz­li­chen Rege­lun­gen selbst ein Betä­ti­gungs­feld schaf­fen, z.B. in Form sol­cher angeb­lich frei­wil­li­ger Gesprä­che. Erst Recht aber darf sie nicht die gesetz­li­chen Vor­ga­ben umge­hen – genau das aber macht das BAMF, wenn z.B. die Rück­nah­me­vor­aus­set­zung »unrich­ti­ge Anga­ben« nicht vor­lie­gen und das Amt sol­che, ohne kon­kre­te Anhalts­punk­te im Ein­zel­fall, durch die »Ein­la­dung« erst fin­den will. Da z.B. bei Syri­en und Irak im All­ge­mei­nen die Wider­rufs­vor­aus­set­zun­gen nicht vor­lie­gen, kommt allen­falls im begrün­de­ten Ein­zel­fall ein Wider­rufs­ver­fah­ren in Frage.

Unser Rat an die Betrof­fe­nen: Neh­men Sie nicht an einem sol­chen »frei­wil­li­gen« Gespräch teil, auch wenn Sie wie­der­holt dazu ein­ge­la­den wer­den. Es darf Ihnen dar­aus kein Nach­teil ent­ste­hen. Infor­mie­ren Sie Ihren Anwalt über die Einladung.

Rücknahme nur bei unrichtigen Angaben

2.) Die Rück­nah­me der Flücht­lings­an­er­ken­nung kommt dann in Betracht, wenn sie auf unrich­ti­gen Anga­ben oder dar­auf beruht, dass wesent­li­che Tat­sa­chen ver­schwie­gen wur­den und die­se für die Ent­schei­dung ursäch­lich waren und sind. Dies ist bei­spiels­wei­se dann der Fall, wenn sich jemand als Syrer*in aus­ge­ge­ben hat, tat­säch­lich aber nicht aus Syri­en kommt. Die Beweis­last hier­für trägt das Bun­des­amt. Eine geän­der­te Rechts­auf­fas­sung oder etwa die blo­ße Mei­nung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums, dass in Syri­en oder Irak eine gene­rel­le asyl­recht­li­che Ver­fol­gung nicht statt­fand, recht­fer­tigt nicht die Rücknahme.

Voraussetzungen für Widerruf

3.) Von einem Wider­ruf spricht man, wenn die Vor­aus­set­zun­gen, die zur Gewäh­rung der Rechts­stel­lung geführt haben, infol­ge einer Ände­rung der Ver­hält­nis­se nach­träg­lich weg­ge­fal­len sind. D.h. er fin­det dann statt, wenn sich die Ver­hält­nis­se gegen­über der frü­he­ren Ent­schei­dung grund­le­gend geän­dert haben und »der Aus­län­der« es infol­ge des­sen »nicht mehr ableh­nen kann, den Schutz des Staa­tes in Anspruch zu neh­men, des­sen Staats­an­ge­hö­rig­keit er besitzt.« Die Recht­spre­chung ver­langt eine erheb­li­che und dau­er­haf­te Ver­än­de­rung, so dass kei­ne beacht­li­che Wahr­schein­lich­keit einer künf­ti­gen Ver­fol­gung mehr besteht. Außer­dem müs­sen sich die ver­än­der­ten Ver­hält­nis­se als sta­bil erwei­sen. Auch das BAMF sieht im All­ge­mei­nen die­se Vor­aus­set­zun­gen der­zeit weder bei Afgha­ni­stan, Irak oder Syri­en als gege­ben an.

Nicht gerecht­fer­tigt ist jeden­falls ein Wider­ruf dann, wenn die Situa­ti­on im Wesent­li­chen gleich­ge­blie­ben und sich nur die Bewer­tung geän­dert hat, wie das etwa bei Syri­en der Fall ist.

Ein Wider­ruf schei­det auch dann aus, »wenn sich der Aus­län­der auf zwin­gen­de auf frü­he­ren Ver­fol­gun­gen beru­hen­de Grün­de beru­fen kann, um die Rück­kehr in den Staat abzu­leh­nen.« (§ 73 Abs. 1 S. 3 Auf­enthG). Die­se Bestim­mung wird in der Pra­xis restrik­tiv aus­ge­legt. Unzu­mut­bar ist die Rück­kehr bei einer Vor­ver­fol­gung jeden­falls dann, wenn die Ver­fol­gung trotz einer Ände­rung der Ver­hält­nis­se noch erheb­lich nach­wirkt. Bei­spie­le: Eine feind­li­che Hal­tung gegen­über dem Ver­folg­ten besteht wei­ter. Oder: Dem Ein­zel­nen kann wegen eines durch die frü­he­ren Ereig­nis­se aus­ge­lös­ten Trau­mas eine Rück­kehr nicht zuge­mu­tet wer­den. Umstrit­ten wird in vie­len Fäl­len sein, ob ein Wider­ruf zuläs­sig ist, wenn sich die Ver­fol­gungs­si­tua­ti­on geän­dert hat, nun­mehr aber eine völ­lig anders gear­te­te Not­la­ge exis­tiert – etwa eine Hun­gers­not – und eine Rück­kehr den Flücht­ling ungleich här­ter trifft als die vor Ort geblie­be­ne Bevölkerung.

Nicht gerecht­fer­tigt ist jeden­falls ein Wider­ruf dann, wenn die Situa­ti­on im Wesent­li­chen gleich­ge­blie­ben und sich nur die Bewer­tung geän­dert hat, wie das etwa bei Syri­en der Fall ist. Dass die Ver­fol­gung frü­her als poli­ti­sche gewer­tet wur­de und heu­te als eine Ver­fol­gung im Rah­men eines Bür­ger­krie­ges gese­hen wer­den soll, recht­fer­tigt kei­nen Widerruf.

Prüfung nach spätestens drei Jahren

4.) Ein Wider­rufs– oder Rück­nah­me­ver­fah­ren ist unver­züg­lich ein­zu­lei­ten, wenn das BAMF Kennt­nis davon erlangt, dass die Aner­ken­nungs­vor­aus­set­zun­gen nicht mehr vor­lie­gen oder dass Rück­nah­me­grün­de exis­tie­ren. Spä­tes­tens jedoch hat die­se Prü­fung nach Ablauf von drei Jah­ren nach Unan­fecht­bar­keit der Aner­ken­nungs­ent­schei­dung zu erfolgen.

Wenn kei­ne gene­rel­le Ände­rung der Situa­ti­on gege­ben ist, braucht es zur Ein­lei­tung die­ses Über­prü­fungs­ver­fah­rens Anhalt­punk­te im Ein­zel­fall. Sol­che kön­nen z.B. Hin­wei­se sein, dass der/die Betrof­fe­ne im ter­ro­ris­ti­schen Umfeld aktiv ist, wes­halb § 3 Abs. 2, 3 und 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Auf­enthG den Fort­be­stand der Aner­ken­nung hin­dert oder sich jemand dem Schutz des Ver­fol­ger­staa­tes unter­stellt hat oder mit ihm koope­riert. Der­ar­ti­ges führt zur Ein­lei­tung eines Wider­rufs- oder Rück­nah­me­ver­fah­rens. Ist ein Wider­rufs- oder Rück­nah­me­ver­fah­ren beab­sich­tigt, ist der Aus­län­der hier­von schrift­lich zu unter­rich­ten. Ihm ist dann Gele­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu geben. Die Frist beträgt min­des­tens einen Monat.

Ist nach einer durch­ge­führ­ten Prü­fung ein Wider­ruf oder eine Rück­nah­me nicht erfolgt, ist eine spä­te­re, erneu­te Prü­fung nicht aus­ge­schlos­sen, son­dern liegt im Ermes­sen des BAMF.

Ist nach einer durch­ge­führ­ten Prü­fung ein Wider­ruf oder eine Rück­nah­me nicht erfolgt, ist eine spä­te­re, erneu­te Prü­fung nicht aus­ge­schlos­sen, son­dern liegt im Ermes­sen des BAMF.

Die 3‑Jah­res-Regel wird dazu füh­ren, dass in den Jah­ren 2018 und 2019 eine gro­ße Anzahl von Aner­ken­nungs­ent­schei­dun­gen über­prüft wird, ohne dass es der jet­zi­gen Akti­on bedurft hät­te. Da aus heu­ti­ger Sicht in nächs­ter Zeit nicht mit einer gene­rel­len Ver­bes­se­rung der Lage im Irak und Syri­en zu rech­nen ist, ist nicht davon aus­zu­ge­hen, dass vie­le Wider­rufs- und Rück­nah­me­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet oder gar vie­le Aner­ken­nungs­ent­schei­dun­gen revi­diert wer­den. Das zei­gen auch die jüngs­ten Sta­tis­ti­ken: Im gesam­ten Jahr 2017 wur­den 77.106 Wider­rufs­ver­fah­ren ange­legt. Davon wur­den aber nur 2.527 Ver­fah­ren ent­schie­den – und davon behielt der abso­lu­te Groß­teil sei­nen Sta­tus (2.106).

Widerruf bei anderen Schutzformen

5.) Auch der sub­si­diä­re Schutz kann wider­ru­fen wer­den, sofern sich die Umstän­de eben­falls so wesent­lich und nicht nur vor­über­ge­hend geän­dert haben. Eine Rück­nah­me erfolgt, wenn bei fal­scher Dar­stel­lung oder bei Ver­schwei­gen von Tat­sa­chen oder bei Ver­wen­dung gefälsch­ter Doku­men­te, wenn dies für die Zuer­ken­nung des sub­si­diä­ren Schut­zes aus­schlag­ge­bend war.

Ein natio­na­le Abschie­bungs­ver­bot des § 60 Abs. 5 i.V.m. Abs. 7 Auf­enthG kann wider­ru­fen wer­den, wenn die Vor­aus­set­zun­gen hier­für nicht mehr vor­lie­gen. Es ist zurück­zu­neh­men, wenn die Fest­stel­lung der Vor­aus­set­zun­gen feh­ler­haft ist.

 

Hubert Hein­hold


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