Hintergrund
Gesprächseinladung des Bundesamtes: Droht Widerruf des Flüchtlingsstatus?

Derzeit erhalten anerkannte Flüchtlinge aus dem Irak & Syrien Post vom Bundesamt für Migration & Flüchtlinge (BAMF), in der sie zu einem »freiwilligen Gespräch« eingeladen werden. Viele der positiven Entscheidungen, die im schriftlichen Verfahren ergangen sind, sollen so überprüft werden. Hinweise zum Verhalten und zu den gesetzlichen Grundlagen.
Aktuelle Informationen: Am 12.12.2018 ist das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wurden neue Mitwirkungspflichten in Widerrufs- und Rücknahmeverfahren eingeführt. Dieser Artikel ist nicht an diese neue Rechtslage angepasst. Aktuelle Beratungshinweise findet man von GGUA hier und von der Kanzlei Wächtler und Kollegen hier.
Da die Voraussetzungen für einen Entzug der Flüchtlingseigenschaft nicht von vorneherein vorliegen, versucht das Amt in diesem formlosen Gespräch Gründe zu finden, die die Einleitung eines förmlichen Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens ermöglichen.
Das BAMF vertrat bis 2016 die zutreffende Auffassung, dass nahezu alle Geflüchteten aus Syrien und viele aus dem Irak im Fall einer Rückkehr in asylrelevanter Weise gefährdet sind; sie erhielten deshalb im schriftlichen Verfahren den Flüchtlingsstatus gem. § 3 AsylG zuerkannt. Auf politischen Druck änderte das BAMF dann 2016 seine Praxis – seitdem gibt es für syrische Flüchtlinge i.d.R nur noch subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG.
Vorgehen rechtlich fragwürdig
Obwohl sich die Situation in Syrien nicht verbessert hat, werden nun viele Flüchtlinge zu einem »freiwilligen Gespräch« eingeladen. Gleiches gilt für Iraker*innen, obwohl dort sich die Lage ebenfalls nicht erheblich verändert hat. Das BAMF gibt an, dass es nicht Zweck dieses Verfahrens sei, den Status der Betroffenen herabzustufen. Aber wozu dann der Aufwand?
Es gibt ohnehin eine regelmäßige Überprüfung der Flüchtlingsanerkennung nach 3 Jahren (§ 73 Abs. 2a AsylG; dies gilt nur für Flüchtlinge mit einem Status nach der Genfer Konvention (GFK), nicht für subsidiär Schutzberechtigte). Diese Prüfung wird nun formlos zeitlich vorgezogen. Abgesehen davon, dass das politisch unsinnig ist – die Menschen bleiben da, werden aber verunsichert – ist diese Praxis menschlich unerträglich. Die Integration von anerkannten Flüchtlingen wird erschwert und der u.U. bereits eingeleitete Familiennachzug in Frage gestellt oder jedenfalls verzögert. Dieses Vorgehen auch rechtlich fragwürdig. Denn in der Sache handelt es sich um eine Statusüberprüfung.
Keine Verpflichtung, zu erscheinen
1.) Das BAMF selbst betont, dass es keine Verpflichtung gibt, an dem Gespräch teilzunehmen. Anders als Privatpersonen dürfen Behörden nur im rechtlich vorgegebenen Rahmen handeln. Hier geht es in der Sache um die Überprüfung einer bereits getroffenen Entscheidung. Hierfür gibt es mit §§ 72 ff AsylG eine ausgefeilte, förmliche gesetzliche Regelung und klare Abläufe. Liegen deren Voraussetzungen nicht vor, hat die Überprüfung zu unterbleiben.
Unser Rat an die Betroffenen: Nehmen Sie nicht an einem solchen »freiwilligen« Gespräch teil, auch wenn Sie wiederholt dazu eingeladen werden.
Eine Behörde darf sich nicht außerhalb der gesetzlichen Regelungen selbst ein Betätigungsfeld schaffen, z.B. in Form solcher angeblich freiwilliger Gespräche. Erst Recht aber darf sie nicht die gesetzlichen Vorgaben umgehen – genau das aber macht das BAMF, wenn z.B. die Rücknahmevoraussetzung »unrichtige Angaben« nicht vorliegen und das Amt solche, ohne konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall, durch die »Einladung« erst finden will. Da z.B. bei Syrien und Irak im Allgemeinen die Widerrufsvoraussetzungen nicht vorliegen, kommt allenfalls im begründeten Einzelfall ein Widerrufsverfahren in Frage.
Unser Rat an die Betroffenen: Nehmen Sie nicht an einem solchen »freiwilligen« Gespräch teil, auch wenn Sie wiederholt dazu eingeladen werden. Es darf Ihnen daraus kein Nachteil entstehen. Informieren Sie Ihren Anwalt über die Einladung.
Rücknahme nur bei unrichtigen Angaben
2.) Die Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung kommt dann in Betracht, wenn sie auf unrichtigen Angaben oder darauf beruht, dass wesentliche Tatsachen verschwiegen wurden und diese für die Entscheidung ursächlich waren und sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich jemand als Syrer*in ausgegeben hat, tatsächlich aber nicht aus Syrien kommt. Die Beweislast hierfür trägt das Bundesamt. Eine geänderte Rechtsauffassung oder etwa die bloße Meinung des Bundesinnenministeriums, dass in Syrien oder Irak eine generelle asylrechtliche Verfolgung nicht stattfand, rechtfertigt nicht die Rücknahme.
Voraussetzungen für Widerruf
3.) Von einem Widerruf spricht man, wenn die Voraussetzungen, die zur Gewährung der Rechtsstellung geführt haben, infolge einer Änderung der Verhältnisse nachträglich weggefallen sind. D.h. er findet dann statt, wenn sich die Verhältnisse gegenüber der früheren Entscheidung grundlegend geändert haben und »der Ausländer« es infolge dessen »nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.« Die Rechtsprechung verlangt eine erhebliche und dauerhafte Veränderung, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer künftigen Verfolgung mehr besteht. Außerdem müssen sich die veränderten Verhältnisse als stabil erweisen. Auch das BAMF sieht im Allgemeinen diese Voraussetzungen derzeit weder bei Afghanistan, Irak oder Syrien als gegeben an.
Nicht gerechtfertigt ist jedenfalls ein Widerruf dann, wenn die Situation im Wesentlichen gleichgeblieben und sich nur die Bewertung geändert hat, wie das etwa bei Syrien der Fall ist.
Ein Widerruf scheidet auch dann aus, »wenn sich der Ausländer auf zwingende auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen.« (§ 73 Abs. 1 S. 3 AufenthG). Diese Bestimmung wird in der Praxis restriktiv ausgelegt. Unzumutbar ist die Rückkehr bei einer Vorverfolgung jedenfalls dann, wenn die Verfolgung trotz einer Änderung der Verhältnisse noch erheblich nachwirkt. Beispiele: Eine feindliche Haltung gegenüber dem Verfolgten besteht weiter. Oder: Dem Einzelnen kann wegen eines durch die früheren Ereignisse ausgelösten Traumas eine Rückkehr nicht zugemutet werden. Umstritten wird in vielen Fällen sein, ob ein Widerruf zulässig ist, wenn sich die Verfolgungssituation geändert hat, nunmehr aber eine völlig anders geartete Notlage existiert – etwa eine Hungersnot – und eine Rückkehr den Flüchtling ungleich härter trifft als die vor Ort gebliebene Bevölkerung.
Nicht gerechtfertigt ist jedenfalls ein Widerruf dann, wenn die Situation im Wesentlichen gleichgeblieben und sich nur die Bewertung geändert hat, wie das etwa bei Syrien der Fall ist. Dass die Verfolgung früher als politische gewertet wurde und heute als eine Verfolgung im Rahmen eines Bürgerkrieges gesehen werden soll, rechtfertigt keinen Widerruf.
Prüfung nach spätestens drei Jahren
4.) Ein Widerrufs– oder Rücknahmeverfahren ist unverzüglich einzuleiten, wenn das BAMF Kenntnis davon erlangt, dass die Anerkennungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen oder dass Rücknahmegründe existieren. Spätestens jedoch hat diese Prüfung nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung zu erfolgen.
Wenn keine generelle Änderung der Situation gegeben ist, braucht es zur Einleitung dieses Überprüfungsverfahrens Anhaltpunkte im Einzelfall. Solche können z.B. Hinweise sein, dass der/die Betroffene im terroristischen Umfeld aktiv ist, weshalb § 3 Abs. 2, 3 und 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG den Fortbestand der Anerkennung hindert oder sich jemand dem Schutz des Verfolgerstaates unterstellt hat oder mit ihm kooperiert. Derartiges führt zur Einleitung eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens. Ist ein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren beabsichtigt, ist der Ausländer hiervon schriftlich zu unterrichten. Ihm ist dann Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Frist beträgt mindestens einen Monat.
Ist nach einer durchgeführten Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, ist eine spätere, erneute Prüfung nicht ausgeschlossen, sondern liegt im Ermessen des BAMF.
Ist nach einer durchgeführten Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, ist eine spätere, erneute Prüfung nicht ausgeschlossen, sondern liegt im Ermessen des BAMF.
Die 3‑Jahres-Regel wird dazu führen, dass in den Jahren 2018 und 2019 eine große Anzahl von Anerkennungsentscheidungen überprüft wird, ohne dass es der jetzigen Aktion bedurft hätte. Da aus heutiger Sicht in nächster Zeit nicht mit einer generellen Verbesserung der Lage im Irak und Syrien zu rechnen ist, ist nicht davon auszugehen, dass viele Widerrufs- und Rücknahmeverfahren eingeleitet oder gar viele Anerkennungsentscheidungen revidiert werden. Das zeigen auch die jüngsten Statistiken: Im gesamten Jahr 2017 wurden 77.106 Widerrufsverfahren angelegt. Davon wurden aber nur 2.527 Verfahren entschieden – und davon behielt der absolute Großteil seinen Status (2.106).
Widerruf bei anderen Schutzformen
5.) Auch der subsidiäre Schutz kann widerrufen werden, sofern sich die Umstände ebenfalls so wesentlich und nicht nur vorübergehend geändert haben. Eine Rücknahme erfolgt, wenn bei falscher Darstellung oder bei Verschweigen von Tatsachen oder bei Verwendung gefälschter Dokumente, wenn dies für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend war.
Ein nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 i.V.m. Abs. 7 AufenthG kann widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Es ist zurückzunehmen, wenn die Feststellung der Voraussetzungen fehlerhaft ist.
Hubert Heinhold