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Haftlager an den Außengrenzen und Abschiebungen in Drittstaaten: Ist das die Zukunft?
Haftlager an den Außengrenzen, neue »sichere Drittstaaten«, Schnellverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe: Die europäischen Abschottungspläne rücken immer näher. Schon am 8. Juni wollen die EU-Innenminister*innen darüber entscheiden. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz wurde Zustimmung hierfür signalisiert – ein Bruch des Koalitionsvertrags!
»Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden. […] Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden«, haben SPD, Grüne und FDP sich Ende 2021 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Anderthalb Jahre später scheint von dieser Position nichts mehr übrig zu sein.
Was bisher geschah
Am 23. September 2020 hatte die Europäische Kommission einen neuen Aufschlag für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) vorgestellt, den sogenannten New Pact on Migration and Asylum. Zuvor waren die Reformvorschläge 2016 wegen der Uneinigkeit der Mitgliedstaaten gescheitert. Diese Vorschläge waren in menschenrechtlicher Hinsicht jedoch mehr als enttäuschend.
Anfang April 2023 hat dann das Europäische Parlament mit wenigen Änderungen den Reformvorschlag als seine Verhandlungsposition angenommen. Nun müssen sich die Mitgliedstaaten noch auf einen gemeinsamen Ratsentwurf einigen, über den am 8. Juni bei dem Treffen der EU-Innenminister*innen entschieden werden soll. Danach geht es zwischen Rat, Parlament und Kommission in den sogenannten Trilog, um dort die tatsächlichen Gesetze zu verhandeln. Die EU-Institutionen stehen unter Zeitdruck, da das Gesetzesvorhaben noch bis Anfang 2024 vor der nächsten Europawahl durchgebracht werden muss – sonst gelten die Pläne als gescheitert.
Auf Bundesebene befasste sich der Bundestag im März 2023 mit den Vorschlägen. Es fand eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses zur Beratung über das GEAS statt, in der PRO ASYL deutlich vor der Zustimmung warnte. Die nun bekanntgewordene Position der Bundesregierung ist sehr eng an den EU-Vorschlägen, aber weit weg vom Flüchtlingsschutz – und von ihrem eigenen Koalitionsvertrag! Auch in den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10. Mai 2023 wird bekräftigt, dass die Bundesregierung sich für Asylverfahren an den Außengrenzen einsetzen soll.
Während es nach wie vor tagtäglich zu brutalen und – wie der Koalitionsvertrag richtig sagt – illegalen Pushbacks an den europäischen Grenzen kommt und weder die Bundesregierung noch die Europäische Kommission etwas dagegen unternehmen, droht nun die Aushebelung des Asylrechts. Denn im geplanten Grenzverfahren wird zuerst der Fluchtweg der Schutzsuchenden ermittelt. Wer über einen angeblich sicheren Staat kommt, soll dorthin zurück.
Selbst wenn die Schutzsuchenden also den systematischen, illegalen Push-Backs entkommen, sind sie zukünftig also weit davon entfernt, dass ihr »Asylantrag in der EU inhaltlich geprüft wird«, wie es das geltende EU-Recht und die Vereinbarung der Ampel-Regierung eigentlich vorsehen. Werden die EU-Pläne umgesetzt, sieht die Realität künftig so aus: Fliehende erreichen einen Staat an der EU-Außengrenze. Sie bitten um Asyl. Doch ihr Asylantrag wird nicht inhaltlich geprüft, stattdessen werden sie inhaftiert. Alles, was sie ab diesem Moment von Europa noch zu sehen bekommen, sind Mauern, Stacheldraht und Sicherheitspersonal.
Die »Fiktion der Nichteinreise« führt zu Haftlagern an den Grenzen
In diesen Grenzlagern gelten sie als »nicht eingereist«, obwohl sie sich zweifelsfrei auf europäischem Boden befinden. Das ist eine alte Idee aus der Ära von Horst Seehofer, dem die neue Bundesregierung nun offenbar ohnehin auf allen Ebenen nacheifert. Absehbar führt dies zur Inhaftierung der asylsuchenden Menschen.
Unter Haftbedingungen sind aber faire Verfahren nicht möglich: Die Menschen sind oft noch von der Flucht traumatisiert und in einem psychischen Ausnahmezustand, eine Inhaftierung belastet sie zusätzlich und wirkt wie eine Bestrafung dafür, einen Asylantrag gestellt zu haben. Unabhängige Unterstützung für die Schutzsuchenden wird kaum möglich sein. Schon jetzt ist beispielsweise in den »geschlossenen Einrichtungen« in Griechenland der Zugang für NGOs nicht gewährleistet und selbst für Rechtsanwält*innen in der Praxis oft eingeschränkt. Unter solchen Bedingungen kommt es absehbar zu falschen Ablehnungen, was für die Betroffenen fatale Konsequenzen bis hin zur Abschiebung haben kann.
Die Grenzverfahren sollen zwölf Wochen dauern, daran anschließen kann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren. So können Menschen bis zu sechs Monate als »nicht eingereist« an den Außengrenzen festgehalten werden – woran sich auch noch Abschiebungshaft anschließen könnte. Diese kann maximal 18 Monate dauern – womit es bis zu zwei Jahren Haft geben könnte.
»Sichere Drittstaaten« im Vordergrund
Grenzverfahren sind gerade nicht wie suggeriert »schnelle« Asylverfahren, nur dass sie an der EU-Außengrenze erfolgen. Vielmehr wird in diesen absehbar vor allem darüber entschieden, ob der Asylantrag überhaupt inhaltlich überprüft werden muss, oder ob die Person in einen angeblich »sicheren Drittstaat« abgeschoben wird. Hält die Asylbehörde eine inhaltliche Prüfung nicht für notwendig, wird der Asylantrag als »unzulässig« abgelehnt – egal, ob die Person vor Krieg, Folter oder anderer Verfolgung flieht.
Menschenrechte bleiben bei solchen Verhandlungen auf der Strecke.
Als »sicher« soll ein Drittstaat laut aktuell diskutierten Vorschlägen zwischen den Mitgliedstaaten schon dann gelten, wenn dieser der EU gegenüber erklärt hat, Flüchtlingen eine minimale Versorgung zuzugestehen. Die angenommene Sicherheit muss auch nicht im ganzen Land gelten, Teilgebiete genügen. Und: Die Schutzsuchenden müssen sich dort nicht einmal aufgehalten haben. Ein bloßer Transit soll für die Zuständigkeit des Drittstaats ausreichen – wenn überhaupt. Denn es wird also sogar diskutiert, Menschen in Staaten »zurück«zuschicken, in denen sie überhaupt nie waren. Für diesen Mechanismus müssen bilaterale Migrationsabkommen mit diesen angeblich »sicheren« Drittstaaten geschlossen werden. Menschenrechte bleiben bei solchen Verhandlungen auf der Strecke.
Die Regierung muss also die Frage beantworten, ob aus ihrer Sicht zum Beispiel die Kurdengebiete in Syrien sichere Gebiete sind. Ist der Nordirak sicher? Sind Serbien oder Bosnien sicher? Will man fernab Europas Staaten kaufen, analog zum Vorhaben der britischen Regierung? Die will Asylbewerber*innen nach Ruanda abschieben. Bislang wurde dieses Vorhaben von Gerichten gestoppt.
Für wen gelten die Grenzverfahren?
Grenzverfahren sollen zukünftig verpflichtend sein – was nun auch die Position der Bundesregierung ist. Bislang ist es Mitgliedstaaten überlassen, ob sie überhaupt Grenzverfahren durchführen und wie sie diese ausgestalten. Laut den Vorschlägen sollen aber jetzt bestimmte Personengruppen generell ins Grenzverfahren. Dies soll unter anderem bei Staatsangehörigen der Fall sein, bei denen die EU-weite durchschnittliche Anerkennungsquote eines Herkunftsstaates unter 20 Prozent liegt. Dazu zählten im Jahr 2021 laut EU-Asylagentur unter anderem auch Russland, Pakistan, Nigeria und Bangladesch. Diese Einstufung missachtet das individuelle Recht auf Asyl und verkennt, dass auch in »Nichtkriegsgebieten« bestimmte vulnerable Gruppen von Verfolgung bedroht sein können
Die Mitgliedstaaten können aber entscheiden, das Grenzverfahren zudem noch auf weitere Asylsuchende auszuweiten – etwa auf alle Personen, die über einen angeblich »sicheren Drittstaat« gekommen sind. Spätestens so könnten Grenzverfahren die künftigen Standardverfahren in der EU werden.
Gegen die Aufnahme in das Grenzverfahren kann keine Klage eingereicht werden. Dies ist, in jedoch stark eingeschränkter Form, nur gegen die finale Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags möglich.
Anschauliche Blaupause auf den Ägäis-Inseln
Die sogenannten griechischen »Closed Controlled Access Centres« auf den Ägäis-Inseln bieten eine anschauliche Blaupause für das, was fortan zu erwarten ist. Der menschenunwürdige Ausnahmezustand ist dort schon Normalität geworden: Hochsicherheitsgefängnisse ohne Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung, rechtlicher Beratung und Übersetzung, dazu unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs.
Außerdem werden dort bereits jetzt die Anträge von syrischen, afghanischen und weiteren Asylsuchenden häufig als »unzulässig« abgelehnt, weil die Türkei für sie sicher sei – obwohl diese die definierten Kriterien eines »sicheren Drittstaats« überhaupt nicht erfüllt und Zehntausende nach Afghanistan und auch immer wieder sogar nach Syrien abschiebt. Die Menschen sind dort also überhaupt nicht »sicher«, ihnen droht schlicht die Kettenabschiebung in die Länder, aus denen sie vor der Gefahr um ihr Leib und Leben geflohen sind. Aus dem indirekt auch im Koalitionspapier geforderten »no more Morias« werden zukünftig wohl »nur noch Morias«.
Klar ist: Werden diese Pläne umgesetzt, ist das der Versuch, den Weg zum Asyl nun auch rechtlich zu versperren. Das ist ein großer Erfolg für alle rechtspopulistischen, nationalistischen und postfaschistischen Regierungen in der EU, die für ein Europa der Gewalt und der Rechtlosigkeit stehen. Dies ist ein eklatanter Widerspruch zu den menschenrechtlichen Positionen, mit denen die Ampel-Regierung angetreten ist.
PRO ASYL versucht, das Schlimmste zu verhindern – und braucht dazu Unterstützung. Mit der Aktion »Wenn Menschenrechte verschwinden: Wir wollen ein anderes Europa!« sollen Tausende Briefe an die Parteivorstände von SPD, Grüne und FDP geschickt werden.
mk,wj