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Entlastung der Ausländerbehörden: Mehr Personal, Mentalitätswechsel und schnelle Maßnahmen
Mehrere Monate Wartezeit, nicht angetretene Jobs, die dauerhafte Angst vor der Abschiebung – Tausende Menschen in Deutschland leiden unter der Überlastung der Ausländerbehörden. Ohne eine Aufstockung der Stellen und eine Neustrukturierung kann ein Neustart in der Migrationspolitik nicht funktionieren. PRO ASYL schlägt konkrete Maßnahmen vor.
Die Wartzeiten in Ausländerbehörden liegen in ganz Deutschland aktuell bei mehreren Monaten. Das hat für viele Menschen gravierende Konsequenzen: Geflüchtete bekommen keine Aufenthaltserlaubnis, Arbeitende keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis, Geduldete keine Verlängerung ihrer Duldung. Eine Situation, die die Menschen schwer belastet, da ganze Existenzen von rechtzeitigen Terminen bei den Ausländerbehörden abhängen.
Aufgrund der Wartezeiten gehen Jobs verloren, Wohnungen können nicht angemietet werden oder die Frist für das Studium wird verpasst – für viele bedeutet sie auch eine andauernde Angst vor der Abschiebung. Selbst die Verlängerung von Fiktionsbescheinigungen bei rechtmäßigem Aufenthalt klappt nicht mehr, weswegen betroffene Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Diese Wartezeiten gefährden auch die Umsetzung wichtiger Projekte der Bundesregierung wie das Chancen-Aufenthaltsrecht, die »Einbürgerungsoffensive« oder die Fachkräfteeinwanderung.
Die Entlastung der Betroffenen und damit auch die Entlastung der Verwaltung auf Bund‑, Länder- und kommunaler Ebene muss auch ein Thema des Flüchtlingsgipfels am 16. Februar 2023 sein.
Herr K. arbeitete in Berlin mit Duldung für eine Supermarktkette. Vor Ablauf seiner Duldung beantragte er die Verlängerung seiner Duldung digital. Doch da die zuständige Ausländerbehörde keine Termine zur Verfügung hatte, erlosch seine Duldung – sein Arbeitgeber konnte ihn so nicht mehr weiter beschäftigen. Damit nicht genug, für die Beantragung von Sozialleistungen fehlten Dokumente. So musste Herr K. laut dem Flüchtlingsrat Berlin eineinhalb Monate finanziell selbst überbrücken, bis er endlich einen Termin bei der Ausländerbehörde bekam. Sein Arbeitgeber stellte ihn mit der neuen Duldung glücklicherweise wieder ein.
Seit der ersten Zeit der Covid-19-Pandemie stapeln sich bei vielen deutschen Ausländerbehörden die Akten. Aktuell ist die Lage in den Behörden besonders prekär: Zu wenig Personal, hoher Krankenstand und das bei einer hohen Arbeitsbelastung durch viele neue Anträge, u.a. von Geflüchteten aus der Ukraine. Immer wieder kommt es zu Beschwerden. Zuletzt berichtete unter anderem die Hessenschau über zahlreiche Probleme bei der Frankfurter Ausländerbehörde, nachdem die Commerzbank öffentlich die langen Wartezeiten bei der Behörde angeprangert hatte.
Im Juli 2022 wendet sich Herr A., ein junger afghanischer Mann, erneut an das PRO ASYL Beratungsteam. Einen Monat zuvor war mit Unterstützung einer Beraterin von PRO ASYL sein minderjähriger Bruder aus Bulgarien nach Deutschland gebracht worden. Doch nun stellte sich das nächste Problem, denn trotz verschiedener Versuche konnte Herr A. bis Stand heute (14. Februar 2023) niemanden in der Ausländerbehörde Frankfurt erreichen, um seinen Bruder anzumelden. Auch der Ausweis des Bruders lief im Juni 2022 ab und kann entsprechend nicht erneuert werden. Die drastische Konsequenz: Aufgrund der fehlenden Dokumente wird der 16-Jährige von keiner Schule akzeptiert – und das acht Monate, nachdem er in Deutschland angekommen ist. Die beiden von den Erlebnissen in Afghanistan und der Flucht stark belasteten Brüder fühlen sich von den deutschen Behörden im Stich gelassen.
Eine bundesweite Umfrage des SWR vom August 2022 unter den Leiter*innen der Ausländerbehörden zeigt zudem, dass die Probleme allerorts die gleichen sind. Im Mittelpunkt der Umfrage steht die Personalsituation, die 94 Prozent der Behördenleiter*innen als mindestens »angespannt«, aber in der Mehrheit als »sehr angespannt« bewerten. Für die Menschen, denen mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ein sicherer Aufenthalt versprochen wurde, könnte sich die Bearbeitung ihrer Anträge über Monate ziehen – während derer sie rechtlich weiterhin nicht vor Abschiebungen geschützt sind.
PRO ASYL fordert ein klares Bekenntnis von den Bundesländern, das Chancen-Aufenthaltsrecht nicht durch Abschiebungen zu unterlaufen!
»Wer in Deutschland mit Duldung lebt, der hat kein richtiges Leben!«
Auch dürfen lange Wartezeiten für Termine nicht den Betroffenen angelastet werden. So darf zum Beispiel Personen, deren Duldung abgelaufen und wegen Wartezeiten lange nicht erneuert wurde, die daraus entstehende Zeit ohne gültige Aufenthaltspapier nicht als Hindernis für eine Bleiberechtsregelungen angelastet werden.
Personalsituation verbessern, bestehendes Personal entlasten
Die Registrierung der Ukraineflüchtlinge hat neben dem regulären Alltagsaufkommen zu einer weiteren Überlastung der Ausländerbehörden geführt. Nun steht zudem die Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts an. PRO ASYL fordert daher mehr Personal in den Ausländerbehörden.
Allerdings dauert es, bis neue Mitarbeitende eingestellt und eingearbeitet sind. Ohne ausreichende Ausbildung sind wieder Komplikationen für die Betroffenen zu befürchten. Zudem sind auch jetzt schon ausgeschriebene Stellen unbesetzt, sodass bloße Ausschreibungen nicht unbedingt ausreichen müssen, um motivierte und qualifizierte Mitarbeitende anzuwerben.
Weitere im Koalitionsvertrag bereits festgeschriebene Neuregelungen der Migrationspolitik könnten die Arbeitsbelastung des bestehenden Personals reduzieren. So hat die Bundesregierung geplant, die ausgrenzende »Duldung Light« ebenso wie Arbeitsverbote abzuschaffen und die Klärung der Identität mit Hilfe einer eidesstattlichen Versicherung zu ermöglichen.
Was tun, wenn Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis seit einem Monat abgelaufen sind und die Ausländerbehörde einfach nicht erreichbar ist? Mit der Frage wendet sich im Dezember 2022 eine ukrainische Studentin an PRO ASYL, die bereits seit 2016 in Deutschland lebt. Ab September hatte sie sich um die regulär anstehende Verlängerung ihrer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gekümmert, wie Frau A. PRO ASYL schreibt. Ab November habe sie mehrfach täglich in der Ausländerbehörde angerufen. Doch kein Erfolg: Ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis laufen ab. Da auch ihre aktuelle Arbeitsstelle ausläuft, ist sie verzweifelt. Wie soll sie nun eine neue Stelle finden, um ihre Lebenshaltungskosten und ihr Studium zu finanzieren?
Es braucht ein grundsätzliches Umdenken in den Behörden
Für den von der Bundesregierung geplanten »Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird« braucht es neben den politischen Entscheidungen vor allem ein grundsätzliches Umdenken in den Behörden. Zu häufig erleben Betroffene ein auf Abwehr ausgerichtetes Verhalten in Ausländerbehörden bis hin zu Schikanen, anstatt dass ihnen der Weg zu bereits bestehenden Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme und Aufenthaltsverfestigung geebnet wird.
Eigentlich sollte Herr H. aus Afghanistan im vergangenen Jahr seine Stelle in der Flüchtlingsarbeit antreten. Das Projekt lief bereits, die Kolleg*innen freuten sich über die Unterstützung. Doch dann entscheidet ein Sachbearbeiter der Ausländerbehörde, dass Herr H. nicht ausreichend an der Beschaffung seines Passes mitgearbeitet habe und verhängt ein Arbeitsverbot. Doch Pässe werden für Afghan*innen seit der Machtübernahme der Taliban generell nicht mehr ausgestellt und der Vorwurf der Behörde ist völlig unbegründet.
Schnellwirkende Maßnahmen
PRO ASYL fordert von den Leitungen der Ausländerbehörden folgende Maßnahmen umzusetzen, damit die Situation sich unverzüglich verbessert. Jeder verstrichene Tag ist eine enorme Belastung für die Wartenden.
Um die Arbeitsbelastung zu senken, wäre es ein schneller Schritt, die Anzahl der Termine bei den Ausländerbehörden zu reduzieren. So ist bei jeder Verlängerung der Duldung oder eines Aufenthaltstitels ein Termin in der Behörde vorgesehen. Die jeweilige Verlängerung variiert dabei erheblich innerhalb der Bundesländer, teilweise werden Duldungen nur um je einen Monat verlängert. Dies führt zu vielen Terminen und starker Unsicherheit der Geduldeten. Dabei ist in vielen Fällen ersichtlich, dass die Voraussetzungen der Duldung auch langfristig vorliegen. Daher sollten Duldungen stets um 6 Monate verlängert werden. In Berlin ist dies bereits der Fall. Für Personen mit subsidiärem Schutz oder Abschiebungsverbot sollten die Aufenthaltserlaubnisse direkt für drei Jahre ausgestellt werden.
Derzeit sieht das Gesetz an mehreren Stellen die Passbeschaffung als Voraussetzung für Aufenthaltstitel vor, von der im Einzelfall durch Ausstellung von Passersatzpapieren oder auch ohne solche abgewichen werden kann. Bei bestimmten Ländern wie z. B. Syrien (Finanzierung des Assad Regimes und Gefährdung von Verwandten), Afghanistan (keine neuen Passanträge möglich), Eritrea (siehe das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht zur Reueerklärung) oder Somalia (amtliche Dokumente werden nicht zur Identitätsklärung akzeptiert) ist eine Passbeschaffung jedoch nicht möglich bzw. nicht zumutbar. Dennoch muss zunächst bürokratisch die Passbeschaffung versucht werden, ehe nach einiger Zeit wegen Erfolglosigkeit Passersatzpapiere ausgestellt werden oder als Ermessensentscheidung der Aufenthaltstitel ausgestellt wird. Diese Versuche der Passbeschaffung binden Ressourcen, obwohl ein Scheitern der Bemühungen vorhersehbar ist. Hinzu kommt: Von Menschen, die vor autokratischen Regimen nach Deutschland geflohen sind, sollte grundsätzlich nicht verlangt werden, mit den Botschaften für eine Passbeschaffung kooperieren zu müssen. Durch entsprechende Rundschreiben kann das Bundesinnenministerium zu einem bundeseinheitlichen Vorgehen beitragen (wie bei Afghanistan geschehen).
In Deutschland leben mehr als 240.000 Menschen mit Duldung. Der Ruf nach schnellen und vermehrten Abschiebungen ist oftmals nicht nur aufgrund der persönlichen Situation der Betroffenen, sondern auch aufgrund der Situation in den Herkunftsländern verfehlt. Abschiebungen scheitern zudem oftmals am Einspruch von Gerichten. Der politische Druck und die aktuelle öffentliche Meinungsmache, auch aufgrund der bevorstehenden Wahlkämpfe in einigen Bundesländern, erzeugt eine völlig unrealistische und die Akzeptanz der Anwesenheit von Geflüchteten unterminierende Stimmungslage. Statt viel Personal in den Rückführungsabteilungen einzusetzen, sollten vermehrt die Weichen zur Gestaltung einer Einwanderungsgesellschaft gestellt werden. Angesichts des immer deutlicher werdenden Fachkräftemangels und des gleichzeitigen Werbens anderer Industriestaaten um Zuwanderung setzt die Politik falsche Prioritäten. Eine auf Abschiebung orientierte Behörde ist nicht in der Lage, gleichzeitig verfügbare Ermessenspielräume so auszulegen, dass Wege ins Bleiberecht gesucht werden. Der Mentalitätswandel in den Ausländerbehörden kann so nicht erreicht werden.
Je mehr und je schneller Langzeitgeduldete eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, desto geringer wird perspektivisch die Belastung der Ausländerbehörden. Daher sollten Länder und Kommunen Maßnahmen ergreifen, um die Begünstigten auf dem Weg ins Bleiberecht zu unterstützen (siehe Projekte in Niedersachsen).
Bei manchen Terminen können Betroffene, etwa wegen fehlender Dokumente, ihr Anliegen nicht erreichen, was zu Folgeterminen und Frust führt. Außerdem steigt die Dauer eines einzelnen Termins, wenn zunächst mündlich ausführlich alle Informationen erklärt werden müssen. Daher sollte im Vorfeld bereits eine einfache verständliche Aufklärung über die jeweiligen Anforderungen in der jeweiligen Sprache angeboten werden, etwa durch Informationen und Vordrucke von Ausfüllbögen im Internet.
Wegen der Schutzmaßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie war es möglich, bestimmte Leistungen auch ohne Termine anzubieten. Entsprechend sollte aufgrund der aktuellen Überlastung geprüft werden, welche Termine etwa durch das Anbieten digitaler Dienstleistungen wegfallen könnten. Denn die Vielzahl an Terminen belastet nicht nur die Behördenmitarbeitenden, sondern auch die Personen, die dafür Anfahrtswege zurücklegen und die Termine beispielsweise mit ihrer Arbeit koordinieren müssen. Auch sollte eine telefonische Erreichbarkeit für Notfälle sichergestellt werden.
(Yannick Gerdes, Referendar bei PRO ASYL, wj, jo)