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An der griechisch-mazedonischen Grenze wird nach Nationalität aussortiert. Nur noch Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan dürfen weiter. Alle anderen sitzen fest. Foto: bordermonitoring.eu

Schutzsuchende aus Syrien, Irak und Afghanistan dürfen noch durch das Tor zur Balkanroute, für andere Flüchtlingsgruppen ist die griechisch-mazedonische Grenze bei Idomeni Endstation. Sie werden willkürlich und diskriminierend als "Wirtschaftsflüchtlinge" eingestuft und seit dem 19. November nicht mehr durchgelassen. Knapp 1.500 Menschen sitzen aktuell auf der griechischen Seite der Grenze fest. Die Situation der blockierten und gestrandeten Flüchtlinge spitzt sich zu: Sie campieren zum Teil unter freiem Himmel bei widrigen Wetterverhältnissen und mangelnder Versorgung. Und sie wehren sich gegen diese stigmatisierende und rassistische Grenzpolitik: mit Hungerstreiks und anderen Protestformen.

Wäh­rend in Deutsch­land wei­ter­hin die Debat­te über „Ober­gren­zen“ bei der Flücht­lings­auf­nah­me tobt, wer­den auf der Bal­kan­rou­te bereits Fak­ten geschaf­fen: Gren­zen sind geschlos­sen, Flucht­we­ge ver­sperrt. Poli­ti­sche Ver­ant­wort­li­che in Deutsch­land, Öster­reich und ande­ren Staa­ten im Zen­trum und Nor­den Euro­pas for­dern dies seit Wochen. Aktu­ell ist der Elends­kor­ri­dor von Grie­chen­land nach Zen­tral­eu­ro­pa nur noch für drei Flücht­lings­grup­pen pas­sier­bar: Schutz­su­chen­de aus Afgha­ni­stan, Irak und Syri­en. Beob­ach­ter gehen davon aus, dass dem­nächst auch Flücht­lin­gen aus Afgha­ni­stan die Pas­sa­ge ver­wei­gert wer­den könn­te. Es ist nur noch eine Fra­ge der Zeit, bis dies dann auch Flücht­lin­gen aus Syri­en und dem Irak droht.

Domi­no­ef­fekt der Grenzschließungen

Am 18. Novem­ber schloss Slo­we­ni­en sei­ne Gren­zen für alle Flücht­lin­ge und Migran­ten, die nicht aus den drei genann­ten Her­kunfts­staa­ten stam­men.  Kroa­ti­en, Ser­bi­en und Maze­do­ni­en folg­ten die­ser Poli­tik der Will­kür und Segre­ga­ti­on. Alle Tran­sit­staa­ten eint die Angst, Schutz­su­chen­de könn­ten sich in ihrem Land „stau­en“.

Ihr Blick rich­tet sich dabei vor allem auch nach Ber­lin. Die Bal­kan­rou­te ist so lan­ge offen wie Flücht­lin­gen eine Wei­ter­rei­se mög­lich ist. Wenn See­ho­fer jedoch von einer „Ober­gren­ze“ spricht, meint er auch: Die Bal­kan­rou­te muss dicht gemacht machen. Das ist das Signal, das er und alle „Ober­gren­zen­ver­tre­ter“ von der Kanz­le­rin erwarten.

Will­kür und Rassismus

Aktu­ell trifft die neue Grenz­po­li­tik auf dem Bal­kan vor allem Men­schen aus Paki­stan, Iran, Sudan, Marok­ko, Libe­ria, der Repu­blik Kon­go, Soma­lia, etc. Ihnen wird die Ein­rei­se ver­wei­gert. Die Ableh­nung erfolgt allein auf Basis der Staats­zu­ge­hö­rig­keit. Schutz­su­chen­de aus afri­ka­ni­schen Staa­ten wie dem Sudan, Eri­trea, Kon­go oder Soma­lia wer­den auf der Bal­kan­rou­te nach „Augen­schein“ aus­sor­tiert:  Wer „afri­ka­nisch“ aus­seht, wird zurück­ge­wie­sen. Der Jour­na­list Die­go Cupo­lo von der Deut­schen Wel­le berich­tet, dass sich unter den Abge­wie­se­nen in Ido­me­ni auch 45 Flücht­lin­ge aus dem Bür­ger­kriegs­land Soma­lia befanden.

Flücht­lin­gen wird damit pau­schal eine indi­vi­du­el­le Prü­fung ihrer Schutz­be­dürf­tig­keit und ihres Asyl­an­spruchs ver­wehrt – als wäre aus­ge­schlos­sen, dass auch in die­sen Staa­ten legi­ti­me Flucht­grün­de existieren.

„Was hier statt­fin­det, ist racial pro­fil­ing statt rechts­staat­li­cher Prü­fung des Ein­zel­falls“, sagt dazu Hagen Kopp vom Part­ner von med­ico inter­na­tio­nal, „Pro­jekt Moving Euro­pe“. Auch in einem gemein­sa­men State­ment von UNHCR, IOM und UNICEF vom 20. Novem­ber 2015 wur­den die­se Zugangs­be­schrän­kun­gen auf der Bal­kan-Rou­te als unhalt­bar kritisiert.

Der Druck der EU 

Der kroa­ti­sche Innen­mi­nis­ter Ran­ko Ostojic deu­te­te nach Anga­ben der Tages­schau an, die EU-Kom­mis­si­on in Brüs­sel habe auf die­ses Ver­hal­ten gedrängt: „Das ist so in Jun­ckers Plan vor­ge­se­hen, dass sich der huma­ni­tä­re Aspekt, also jeg­li­che Hil­fe auf die­je­ni­gen bezieht, die vom Krieg betrof­fen sind“, so Ostojic. Eine Spre­che­rin der EU-Kom­mis­si­on in Brüs­sel wies dies auf ARD-Anfra­ge ent­schie­den zurück. Es sei nir­gend­wo fest­ge­schrie­ben, die Ankom­men­den künf­tig nach Natio­na­li­tät zu sor­tie­ren und bestimm­te Grup­pen pau­schal abzu­wei­sen, so die Spre­che­rin der EU-Kommission.

Der Plan, den der kroa­ti­sche Innen­mi­nis­ter mein­te, war der soge­nann­te 17-Punk­te-Plan der EU mit dem Titel „Flücht­lings­strö­me auf der West­bal­kan­rou­te“ vom 25.Oktober 2015. Dort wird  zwar nicht expli­zit die Zurück­wei­sung nach ras­sis­ti­schen Kri­te­ri­en gefor­dert, aber eini­ge Punk­te des Pla­nes inspi­rie­ren sicher­lich die­se neue Grenz­po­li­tik: Kri­ti­siert wird die bis­he­ri­ge Pra­xis der EU-Staa­ten, Flücht­lin­ge ein­fach in ande­re Staa­ten „durch­zu­win­ken“ (Punkt 3). Dies sol­le unter­bun­den wer­den, um kla­re Zustän­dig­kei­ten der EU-Staa­ten zu begründen.
Unter Punkt 14 wird der Grund­satz der „Ein­rei­se­ver­wei­ge­rung für Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge“ bekräf­tigt, falls die­se „nicht bestä­ti­gen, dass sie inter­na­tio­na­len Schutz bean­tra­gen wollen“.

Die Lei­te­rin des maze­do­ni­schen Kri­sen­sta­bes, Sus­a­na Saliu, hat noch ein­mal klar gestellt, dass die Ent­schei­dung, „Wirt­schafts­mi­gran­ten“ nicht nach Maze­do­ni­en ein­zu­las­sen, kei­ne Ent­schei­dung der Behör­den ihres Lan­des sei, son­dern eine der Euro­päi­schen Uni­on sowie der ande­ren Balkanstaaten.

 „Alp­traum­sze­na­rio“: Zehn­tau­sen­de wer­den in Grie­chen­land festsitzen

92% der ins­ge­samt 715.704 Schutz­su­chen­den, die bis zum 23.11.2015 in Grie­chen­land anka­men stam­men aus den drei Her­kunfts­län­dern Syri­en (60%),  Afgha­ni­stan (24%) und Irak (8 %).

Allein in den ers­ten drei Novem­ber­wo­chen kamen 114.066 Men­schen auf den Ägä­is-Inseln an. Das bedeu­tet: Falls der Flucht­kor­ri­dor Bal­kan nicht bald wie­der für alle Flücht­lin­ge und Migran­ten geöff­net wird, wer­den über 10.000 neu­an­kom­men­der Män­ner, Frau­en und Kin­der in Grie­chen­land um ihr Über­le­ben kämp­fen müs­sen, da sie aus ande­ren Län­dern stammen.

Dimit­ris Chris­to­pou­los von der Inter­na­tio­nal Fede­ra­ti­on for Human Rights spricht davon, dass damit nun­mehr das „Alp­traum­sze­na­rio für Grie­chen­land“ begon­nen habe, weil das Land nun auf Grund des Domi­no­ef­fekts der euro­päi­schen Grenz­schlie­ßun­gen vom Tran­sit- zum Rück­hal­te­staat wer­de – ohne dass dort eine Infra­struk­tur bestehe, um die fest­sit­zen­den Flücht­lin­ge und Migran­ten zu versorgen.

Schar­fe Ver­ur­tei­lung durch die UN

Der Gene­ral­se­kre­tär der Ver­ein­ten Natio­nen, Ban Ki-moon, hat am 24. Novem­ber die­se Grenz­se­lek­ti­on scharf ver­ur­teilt: Die aktu­el­le Pra­xis auf der Bal­kan­rou­te ver­let­ze das Men­schen­recht der  Asyl­su­chen­den. Jeder Schutz­su­chen­de habe das Recht, dass sein Fall indi­vi­du­ell gehört wer­de. Die Staa­ten in der Regi­on müss­ten gewähr­leis­ten, dass ihre Poli­tik im Ein­klang mit dem inter­na­tio­na­len Völ­ker­recht und den Flücht­lings­rech­ten ste­he. Ban Ki- moon appel­lier­te, mit „Mit­ge­fühl, Soli­da­ri­tät und geteil­ter Ver­ant­wor­tung“ die huma­ni­tä­re Her­aus­for­de­rung zu meistern.

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