News
Antifolter-Stelle rügt Abschiebungshaft

In ihrem Jahresbericht 2013 empfehlen die Autoren, Abschiebungsgefangene grundsätzlich nicht in Justizvollzugsanstalten unterzubringen und kritisieren die Inhaftierung Minderjähriger. Die Mängelliste reicht vom schlechten Zustand der Gebäude bis zur fehlenden psychologischen Betreuung.
Die Experten der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter besuchten 12 Einrichtungen, in denen Abschiebungsgefangene untergebracht sind. Die Abschiebungshaft dauerte je nach Einrichtung im Schnitt zwischen einer und vier Wochen, für manche Menschen auch Monate.
Ein Großteil der Bundesländer (zuständig für Justizvollzug) bringt Abschiebungsgefangene in Einrichtungen für Strafgefangene, bzw. Hafteinrichtungen der Polizei unter. Dies betrachtet die Antifolter-Stelle als rechtlich umstritten (vgl. unten). Gleichzeitig ziehe bei der Unterbringung in Justizvollzugsanstalten die rückläufige Zahl von Anordnungen von Abschiebungshaft – aus Sicht von PRO ASYL ein Lichtblick im Elend des Abschiebungshaftalltags – für die Betroffenen Probleme nach sich. Insbesondere Frauen sind häufig die einzigen weiblichen Abschiebungsgefangenen, was ihre Unterbringung faktisch zur Einzelhaft macht. Vielfach verhindern Sprachbarrieren jegliche Ansprache und Kommunikation – ein Umstand, unter dem auch männliche Gefangene leiden.
Einzelne Einrichtungen in der Kritik
Der Bericht evaluiert auch einzelne Einrichtungen. In Eisenhüttenstadt (Brandenburg) ist das überwiegend bei einer privaten Sicherheitsfirma beschäftigte Personal in nicht für den Vollzug geschult. Die Schichtleiterinnen und ‑leiter, die auch die Erstgespräche durchführen, sind dem Bericht zufolge ehemalige Mitarbeiter der Ausländerbehörde.
Weder Sozialpädagoginnen und ‑Pädagogen noch Psychologinnen und Psychologen sind regelmäßig zu festen Sprechzeiten für Abschiebungsgefangene anzutreffen, therapeutische Angebote nicht vorhanden. Um Hinweise auf Suizidgefahr, Traumatisierungen und andere psychische Erkrankungen zu erkennen, sei psychologisch geschultes Personal unabdingbar, so die Experten.
Mannheim: 22 Hungerstreiks in einem halben Jahr
Auch in der Abteilung für Abschiebungshaft der JVA Mannheim (Baden-Württemberg) existiert keine ausreichende Betreuung. Die Situation der Gefangenen erscheint ist außerordentlich bedrückend: Zwischen dem 26. Oktober 2012 und dem 10. April 2013 kam es hier zu 22 Hungerstreiks, drei „Zündeleien“ und einer Brandlegung. Viele Abschiebungsgefangene verstünden nicht, warum sie inhaftiert wurden. Für die Abschiebungshaft seien eine 0,4‑Stelle für Sozialarbeit und eine 0,3‑Stelle eines Seelsorgers vorgesehen. In einem Fall wurde einem von seiner schwangeren Frau getrennten Mann verweigert, mit dieser zu telefonieren.
Die Abteilung für Abschiebungshaft der JVA Bützow (Mecklenburg-Vorpommern) fanden die Experten in sehr schlechtem Zustand. „In Türen, Fenstern und Wänden sind Löcher, die provisorisch mit Papier oder Tüchern verstopft wurden“, heißt es in dem Bericht. Räume und sanitäre Anlagen seien so verschmutzt, dass sie sich kaum noch reinigen ließen. Den Ruf als eine der gammeligsten Haftanstalten Deutschlands hat Bützow seit Langem. Dass diese Anstalt überhaupt weiter genutzt wird, ist nach Ansicht von PRO ASYL skandalös.
Erkennung von Traumata nicht hinreichend sichergestellt
Generell kritisiert der Bericht, dass die Erkennung von Traumata und anderen psychischen Erkrankungen in der Eingangsuntersuchung in vielen besuchten Einrichtungen nicht hinreichend sichergestellt ist. Diese Mängel müssen nach Ansicht der Experten durch medizinische Aufnahmeuntersuchungen unter Beisein von professionellen Dolmetschern sowie die Sicherstellung von psychologischer Betreuung korrigiert werden. Das Personal muss für die besondere Situation von Abschiebungsgefangenen und sprachlich speziell geschult werden. Abschiebungsgefangene müssen Zugang zu Rechtsberatung haben und über die Gründe ihrer Inhaftierung aufgeklärt werden.
Die Kommission äußerte zudem Bedenken, dass die Inhaftierung Minderjähriger mit dem Schutz des Kindeswohls in Einklang zu bringen sei. Aufgrund der besonderen Stresssituation, der Abschiebungsgefangene regelmäßig ausgesetzt sind, bestehe ein erhöhtes Risiko der Selbstverletzungen oder Selbsttötungen. Minderjährige sollten grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft, sondern, wenn nötig, in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht und besonders betreut werden. Kaum irgendwo ist bisher die Abschiebungshaft durch ein eigenständiges Vollzugsgesetz geregelt. Der Bericht empfiehlt daher, für den Vollzug von Abschiebungshaft einen eigenen Rechtsstandard inklusive Beschwerdemechanismus zu schaffen.
Im Jahr 2013 waren nach Angaben der Antifolter-Stelle 4.812 Personen in Abschiebungshaft, darunter 15 unter 18 Jahren (die Zahl der unter 18-Jährigen wurden 2012 und 2013 in mehreren Ländern nicht mehr gesondert erfasst). Zahlreiche deutsche Gerichte befanden inzwischen, dass Abschiebungshaft gesondert vollzogen werden muss, da eine gemeinsame Unterbringung von Straf- und Abschiebungsgefangenen nicht im Einklang mit EU-Recht stehe. Eine diesbezügliche Vorabschentscheidung wird derzeit noch vom EuGH erwartet.
Nationale Stelle zur Verhütung von Folter: Presseerklärung zum Jahresbericht 2013; Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der Länderkommission
Medienberichte: taz; Badische Zeitung;
PRO-ASYL-Hintergrundinformationen zu Abschiebungshaft
Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Abschiebungsgefangene umgehend freilassen! (17.07.14)
Abschiebungshaft: Vorsätzliche Freiheitsberaubung in der JVA Preungesheim? (10.06.14)
Landgericht Kassel erklärt Frankfurter Abschiebungshaft für unzulässig (16.04.14)
Asylsuchende immer häufiger schon bei Einreise inhaftiert (18.07.13)
„Schutzlos hinter Gittern“ – Bericht zur Abschiebungshaft in Deutschland (17.07.13)
Abschiebungsgewahrsam Eisenhüttenstadt: Mindestens vier Inhaftierte im Hungerstreik (17.07.13)
Suizid in Abschiebungshaft: Fehlverhalten bleibt ungesühnt (04.07.13)