07.04.2014
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JVA Bützow, Mecklenburg-Vorpommern: Ein völlig marodes Gebäude, in dem auch Abschiebungshaft vollzogen wird - unter erbärmlichsten Haftbedingungen für die Betroffenen. Bild: JVA Bützow

In ihrem Jahresbericht 2013 empfehlen die Autoren, Abschiebungsgefangene grundsätzlich nicht in Justizvollzugsanstalten unterzubringen und kritisieren die Inhaftierung Minderjähriger. Die Mängelliste reicht vom schlechten Zustand der Gebäude bis zur fehlenden psychologischen Betreuung.

Die Exper­ten der Natio­na­len Stel­le zur Ver­hü­tung von Fol­ter besuch­ten 12 Ein­rich­tun­gen, in denen Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne unter­ge­bracht sind. Die Abschie­bungs­haft dau­er­te je nach Ein­rich­tung im Schnitt zwi­schen einer und vier Wochen, für man­che Men­schen auch Monate.

Ein Groß­teil der Bun­des­län­der (zustän­dig für Jus­tiz­voll­zug) bringt Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne in Ein­rich­tun­gen für Straf­ge­fan­ge­ne, bzw. Haft­ein­rich­tun­gen der Poli­zei unter. Dies betrach­tet die Anti­fol­ter-Stel­le als recht­lich umstrit­ten (vgl. unten). Gleich­zei­tig zie­he bei der Unter­brin­gung in Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten die rück­läu­fi­ge Zahl von Anord­nun­gen von Abschie­bungs­haft – aus Sicht von PRO ASYL ein Licht­blick im Elend des Abschie­bungs­haft­all­tags – für die Betrof­fe­nen Pro­ble­me nach sich. Ins­be­son­de­re Frau­en sind häu­fig die ein­zi­gen weib­li­chen Abschie­bungs­ge­fan­ge­nen, was ihre Unter­brin­gung fak­tisch zur Ein­zel­haft macht. Viel­fach ver­hin­dern Sprach­bar­rie­ren jeg­li­che Anspra­che und Kom­mu­ni­ka­ti­on – ein Umstand, unter dem auch männ­li­che Gefan­ge­ne leiden. 

Ein­zel­ne Ein­rich­tun­gen in der Kritik

Der Bericht eva­lu­iert auch ein­zel­ne Ein­rich­tun­gen. In Eisen­hüt­ten­stadt (Bran­den­burg) ist das über­wie­gend bei einer pri­va­ten Sicher­heits­fir­ma beschäf­tig­te Per­so­nal in nicht für den Voll­zug geschult. Die Schicht­lei­te­rin­nen und ‑lei­ter, die auch die Erst­ge­sprä­che durch­füh­ren, sind dem Bericht zufol­ge ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter der Ausländerbehörde. 

Weder Sozi­al­päd­ago­gin­nen und ‑Päd­ago­gen noch Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen sind regel­mä­ßig zu fes­ten Sprech­zei­ten für Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne anzu­tref­fen, the­ra­peu­ti­sche Ange­bo­te nicht vor­han­den. Um Hin­wei­se auf Sui­zid­ge­fahr, Trau­ma­ti­sie­run­gen und ande­re psy­chi­sche Erkran­kun­gen zu erken­nen, sei psy­cho­lo­gisch geschul­tes Per­so­nal unab­ding­bar, so die Experten.

Mann­heim: 22 Hun­ger­streiks in einem hal­ben Jahr

Auch in der Abtei­lung für Abschie­bungs­haft der JVA Mann­heim (Baden-Würt­tem­berg) exis­tiert kei­ne aus­rei­chen­de Betreu­ung. Die Situa­ti­on der Gefan­ge­nen erscheint ist außer­or­dent­lich bedrü­ckend: Zwi­schen dem 26. Okto­ber 2012 und dem 10. April 2013 kam es hier zu 22 Hun­ger­streiks, drei „Zün­de­lei­en“ und einer Brand­le­gung. Vie­le Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne ver­stün­den nicht, war­um sie inhaf­tiert wur­den. Für die Abschie­bungs­haft sei­en eine 0,4‑Stelle für Sozi­al­ar­beit und eine 0,3‑Stelle eines Seel­sor­gers vor­ge­se­hen. In einem Fall wur­de einem von sei­ner schwan­ge­ren Frau getrenn­ten Mann ver­wei­gert, mit die­ser zu telefonieren.

Die Abtei­lung für Abschie­bungs­haft der JVA Büt­zow (Meck­len­burg-Vor­pom­mern) fan­den die Exper­ten in sehr schlech­tem Zustand. „In Türen, Fens­tern und Wän­den sind Löcher, die pro­vi­so­risch mit Papier oder Tüchern ver­stopft wur­den“, heißt es in dem Bericht. Räu­me und sani­tä­re Anla­gen sei­en so ver­schmutzt, dass sie sich kaum noch rei­ni­gen lie­ßen.  Den Ruf als eine der gam­me­ligs­ten Haft­an­stal­ten Deutsch­lands hat Büt­zow seit Lan­gem. Dass die­se Anstalt über­haupt wei­ter genutzt wird, ist nach Ansicht von PRO ASYL skandalös.

Erken­nung von Trau­ma­ta nicht hin­rei­chend sichergestellt 

Gene­rell kri­ti­siert der Bericht, dass die Erken­nung von Trau­ma­ta und ande­ren psy­chi­schen Erkran­kun­gen in der Ein­gangs­un­ter­su­chung in vie­len besuch­ten Ein­rich­tun­gen nicht hin­rei­chend sicher­ge­stellt ist. Die­se Män­gel müs­sen nach Ansicht der Exper­ten durch medi­zi­ni­sche Auf­nah­me­un­ter­su­chun­gen unter Bei­sein von pro­fes­sio­nel­len Dol­met­schern sowie die Sicher­stel­lung von psy­cho­lo­gi­scher Betreu­ung kor­ri­giert wer­den. Das Per­so­nal muss für die beson­de­re Situa­ti­on von Abschie­bungs­ge­fan­ge­nen und sprach­lich spe­zi­ell geschult wer­den. Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne müs­sen Zugang zu Rechts­be­ra­tung haben und über die Grün­de ihrer Inhaf­tie­rung auf­ge­klärt werden.

Die Kom­mis­si­on äußer­te zudem Beden­ken, dass die Inhaf­tie­rung Min­der­jäh­ri­ger mit dem Schutz des Kin­des­wohls in Ein­klang zu brin­gen sei. Auf­grund der beson­de­ren Stress­si­tua­ti­on, der Abschie­bungs­ge­fan­ge­ne regel­mä­ßig aus­ge­setzt sind, bestehe ein erhöh­tes Risi­ko der Selbst­ver­let­zun­gen oder Selbst­tö­tun­gen.  Min­der­jäh­ri­ge soll­ten grund­sätz­lich nicht in Abschie­bungs­haft, son­dern, wenn nötig, in Ein­rich­tun­gen der Jugend­hil­fe unter­ge­bracht und beson­ders betreut wer­den. Kaum irgend­wo ist bis­her die Abschie­bungs­haft durch ein eigen­stän­di­ges Voll­zugs­ge­setz gere­gelt. Der Bericht emp­fiehlt daher, für den Voll­zug von Abschie­bungs­haft einen eige­nen Rechts­stan­dard inklu­si­ve Beschwer­de­me­cha­nis­mus zu schaffen.

Im Jahr 2013 waren nach Anga­ben der Anti­fol­ter-Stel­le 4.812 Per­so­nen in Abschie­bungs­haft, dar­un­ter 15 unter 18 Jah­ren (die Zahl der unter 18-Jäh­ri­gen wur­den 2012 und 2013 in meh­re­ren Län­dern nicht mehr geson­dert erfasst). Zahl­rei­che deut­sche Gerich­te befan­den inzwi­schen, dass Abschie­bungs­haft geson­dert voll­zo­gen wer­den muss, da eine gemein­sa­me Unter­brin­gung von Straf- und Abschie­bungs­ge­fan­ge­nen nicht im Ein­klang mit EU-Recht ste­he. Eine dies­be­züg­li­che Vor­ab­sch­ent­schei­dung wird der­zeit noch vom EuGH erwar­tet.  

Natio­na­le Stel­le zur Ver­hü­tung von Fol­ter: Pres­se­er­klä­rung zum Jah­res­be­richt 2013; Jah­res­be­richt 2013 der Bun­des­stel­le und der Länderkommission

Medi­en­be­rich­te: taz; Badi­sche Zeitung;

PRO-ASYL-Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zu Abschiebungshaft

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