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Zarifa war ein Vorbild für viele junge Frauen in Afghanistan – und Hassfigur für die Taliban. In Afghanistan ist sie jetzt nirgends mehr sicher. Foto: privat

In den vergangenen Monaten haben wir immer wieder namentlich über Afghan*innen berichtet, die in höchster Gefahr sind. Wie geht es ihnen heute? Haben sie es außer Landes geschafft? PRO ASYL unterstützt viele Menschen, die sich hilfesuchend an uns gewandt haben. Ihre Geschichten machen deutlich, was jetzt politisch geboten ist.

Der Schnee­mann, den Hus­sein Sirat mit sei­nen Kin­dern gebaut hat, trägt eine rote Müt­ze, einen bunt gemus­ter­ten Schal und eine Karot­ten-Nase. Der afgha­ni­sche Jour­na­list schickt Fotos von dem  »Kunst­werk«, neben dem sei­ne Töch­ter und der Sohn lachend kau­ern. Der Schnee­mann steht in einem klei­nen Ort in der Nähe von Ham­burg; die Fami­lie zählt zu den weni­gen Glück­li­chen, die es raus aus Afgha­ni­stan geschafft haben. Gera­de noch recht­zei­tig, denn die huma­ni­tä­re und wirt­schaft­li­che Lage in Afgha­ni­stan ist – neben der gefähr­li­chen poli­ti­schen Situa­ti­on – dra­ma­tisch. Vie­le Men­schen haben nicht genü­gend zu essen, Unicef befürch­tet, dass in den kom­men­den Mona­ten über eine Mil­li­on Kin­der in Afgha­ni­stan an Man­gel­er­näh­rung und Krank­hei­ten ster­ben könn­ten, wenn sie kei­ne Hil­fe erhal­ten. Am 15. Dezem­ber hat das Inter­na­tio­nal Res­cue Com­mit­tee Afgha­ni­stan auf Platz 1 der schlimms­ten huma­ni­tä­ren Kri­sen welt­weit gesetzt.

In den ver­gan­ge­nen Mona­ten haben die EU-Staa­ten nach Anga­ben der EU-Kom­mis­si­on rund 28.000 Men­schen aus dem Land eva­ku­iert (dar­un­ter auch vie­le Mitarbeiter*innen euro­päi­scher Orga­ni­sa­tio­nen) – viel zu weni­ge Schutz­be­rech­tig­te, wie PRO ASYL immer wie­der deut­lich gemacht hat. Dass die EU-Innenminister*innen am 9. Dezem­ber ver­kün­det haben, wei­te­re 40.000 Men­schen aus Afgha­ni­stan auf­neh­men zu wol­len, ist ein posi­ti­ves Signal. Auch Hus­sein Sirat hat die­se Ankün­di­gung genau ver­folgt, schließ­lich sind neben vie­len Freun­den und Kol­le­gen auch sei­ne Schwie­ger­el­tern noch im Land. Gibt es Hoff­nung für sie? Die­se Fra­ge stel­len sich der­zeit vie­le Afghan*innen.

40.000

Auf­nah­me­plät­ze sind EU-weit zuge­sagt worden.

Von den EU-weit 40.000 zuge­sag­ten Plät­zen bie­tet die neue Bun­des­re­gie­rung 25.000 an – wobei offen ist, ob es sich um zusätz­li­che Plät­ze han­delt oder die bereits getä­tig­ten Auf­nah­me­zu­sa­gen gemeint sind. Die Nie­der­lan­de wol­len etwas mehr als 3000 Afgha­nen auf­neh­men, Spa­ni­en und Frank­reich rund 2500, elf wei­te­re EU-Län­der eine gerin­ge­re Anzahl.

Wie vie­le Men­schen tat­säch­lich gefähr­det sind, ist schwer zu ermit­teln, da das Aus­wär­ti­ge Amt bereits Ende August die Lis­te geschlos­sen hat, auf der sich bedroh­te Menschenrechtler*innen regis­trie­ren konn­ten. Pro­ble­ma­tisch ist ers­tens, dass vie­le von ihnen gar nicht mehr erfasst wur­den, und zwei­tens, dass selbst jene, die als hoch­ge­fähr­det aner­kannt wur­den und zum Teil sogar schon Auf­nah­me­zu­sa­gen haben, in Afgha­ni­stan fest­sit­zen. Denn die Char­ter­flü­ge, die von der alten Bun­des­re­gie­rung vor weni­gen Wochen als gro­ße Ret­tungs­ak­ti­on ange­kün­digt wor­den waren, sind nun schon wie­der aus­ge­setzt, wie Mit­te Dezem­ber bekannt wur­de.

Aus Krei­sen des Aus­wär­ti­gen Amts heißt es, das sei nicht von Deutsch­land aus­ge­gan­gen, son­dern die Tali­ban hät­ten alle Char­ter­flü­ge nach Doha (Katar) gestoppt. Für die Afghan*innen, die zum Teil sogar schon einen Coro­na­test gemacht hat­ten, um ver­gan­ge­ne Woche wie vor­ge­se­hen an Bord einer Maschi­ne gehen zu kön­nen, zer­plat­zen damit alle Hoff­nun­gen, sich und ihre Kin­der schnell in Sicher­heit brin­gen zu kön­nen. Die Men­schen ste­cken fest.

Wie es wei­ter­geht, ist völ­lig offen. PRO ASYL hat Vor­schlä­ge erar­bei­tet, wie die Ampel-Koali­ti­on ihre Zusa­gen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag zur Auf­nah­me gefähr­de­ter Afghan*innen umset­zen kann. Auch wenn sich die prak­ti­sche Umset­zung der­zeit schwie­rig gestal­tet: Es wäre bereits ein ers­ter, wich­ti­ger Schritt, dass die neue Regie­rung jetzt zumin­dest die prak­ti­schen und die recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen dafür schafft.

Anhand der fol­gen­den Ein­zel­fall­bei­spie­le wird deut­lich, was nun poli­tisch gebo­ten ist – und wie will­kür­lich die Aus­wahl derer war, die eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhal­ten haben, denn ande­re Men­schen wer­den trotz einer ähn­li­chen Bio­gra­fie, einem ähn­li­chen Enga­ge­ment, sich selbst überlassen.

1. Mehr sichere Fluchtwege aus Afghanistan schaffen!

Er hat es geschafft: Far­had wur­de von Kabul über Doha nach Deutsch­land ausgeflogen

Far­had hat­te das Glück, gemein­sam mit sei­ner Fami­lie von Kabul nach Doha eva­ku­iert zu wer­den und von dort aus wei­ter nach Deutsch­land. Als Dozent hat­te Far­had in ver­schie­de­nen Uni­ver­si­tä­ten des Lan­des gear­bei­tet und zudem eine For­schungs­ein­rich­tung gegrün­det, die einen Fokus auf Bil­dung, Gesund­heit und Sozia­les leg­te und bei­spiels­wei­se zum The­ma Über­le­ben­de von Ter­ror­an­schlä­gen forsch­te. Er war mehr­fach öffent­lich im Fern­se­hen auf­ge­tre­ten und daher lan­des­weit bekannt. Als in sein Büro ein­ge­bro­chen wur­de – ver­mut­lich von den Tali­ban – und sen­si­ble Daten gestoh­len wur­den, erkann­te Far­had die sich zuspit­zen­de Bedro­hungs­la­ge und wand­te sich hil­fe­su­chend an PRO ASYL, das sei­nen Namen auf die Lis­te der Menschenrechtsverteidiger*innen des Aus­wär­ti­gen Amts setz­te. Far­had zählt zu den weni­gen Afghan*innen, die es in dem kur­zen Zeit­fens­ter, in dem Eva­ku­ie­run­gen mög­lich waren, außer Lan­des geschafft haben. Dass er und sei­ne Fami­lie aus­ge­flo­gen wur­de, gelang auch des­halb, weil sie kom­plett rei­se­fer­tig waren, also unter ande­rem im Besitz von Päs­sen waren, was in Afgha­ni­stan nicht selbst­ver­ständ­lich ist.

Seit Mona­ten kei­ner­lei Hil­fe von der Bun­des­re­gie­rung – trotz Aufnahmezusage.

Sie war­tet noch immer: Mala­li hat eine Auf­nah­me­zu­sa­ge, aber nichts passiert

Anders als Far­had sitzt die Stu­den­tin Mala­li immer noch in Afgha­ni­stan fest – obwohl sie und ihre Fami­lie eine Auf­nah­me­zu­sa­ge der Bun­des­re­gie­rung erhal­ten haben. Mala­li stu­dier­te Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten und enga­gier­te sich seit 2016 in ver­schie­de­nen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Sie brach­te sich auch aktiv bei einem US-finan­zier­ten Pro­jekt zur För­de­rung von Frau­en in der Wirt­schaft ein und erhielt Aus­zeich­nun­gen für ihr Enga­ge­ment. Nach­dem Mala­li, ihre Eltern und Geschwis­ter eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhal­ten hat­ten, sind sie in einer Not­un­ter­kunft in Kabul unter­ge­kom­men. Da sie aber seit Mona­ten kei­ner­lei Hil­fe von der Bun­des­re­gie­rung erhal­ten haben, sehen sie sich gezwun­gen, bald in ihre Pro­vinz zurück­zu­keh­ren. Denn in Kabul haben sie kei­ner­lei sozia­les Netz und auch nicht das Geld, um wei­ter dort aus­zu­har­ren und zu war­ten. In der Pro­vinz ist Mala­li als Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tin jedoch gefähr­det. Lei­der besitzt die Fami­lie kei­ne Päs­se – was nicht unüb­lich ist in Afgha­ni­stan – und der­zeit auch kei­ne Mög­lich­keit, Päs­se zu besor­gen. Eine Aus­rei­se ist der­zeit aber nur mit Pass möglich.

Lösung: Die Bun­des­re­gie­rung muss dar­auf drin­gen, dass die Char­ter­flü­ge fort­ge­setzt wer­den, sie muss dafür auch mit den Tali­ban ver­han­deln. Eine Zeit­lang durf­ten Afghan*innen mit einer Auf­nah­me­zu­sa­ge und einer soge­nann­ten »Ver­bal­no­te« auf dem Land­weg nach Paki­stan ein­rei­sen, auch ohne Visum. Die Bun­des­re­gie­rung soll­te sich gegen­über Paki­stan und wei­te­ren Nach­bar­län­dern dafür ein­set­zen, dass die­se Pra­xis wie­der auf­ge­nom­men wird. Beson­ders wich­tig ist, dass Men­schen mit einer Auf­nah­me­zu­sa­ge, aber ohne Pass, die Mög­lich­keit zur Aus­rei­se erhal­ten. Auch muss aus­rei­chend Per­so­nal an den deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen dafür sor­gen, dass die Aus­rei­se schnell und unbü­ro­kra­tisch von­stat­ten geht.


2. Menschenrechtsliste fortführen!

Sie hat es geschafft: Die bekann­te Frau­en­recht­le­rin Zakia ist in Deutschland

Zakia ist eine lan­des­weit bekann­te Frau­en­rechts­ak­ti­vis­tin, der es dank der Hil­fe von PRO ASYL gelun­gen ist, recht­zei­tig auf der Men­schen­rechts­lis­te im Aus­wär­ti­gen Amt regis­triert zu wer­den. Als Schul­di­rek­to­rin einer Mäd­chen­schu­le hat sie sich für die Bil­dung von Mäd­chen enga­giert und war dar­über hin­aus Mit­glied in Frau­en­rechts­netz­wer­ken. Als Akti­vis­tin setz­te sie sich mehr­fach öffent­lich im Fern­se­hen und in Zei­tungs­in­ter­views für die Rech­te von Frau­en ein – Grund genug für die Tali­ban, Zakia zu bedro­hen. Einer ihrer Töch­ter, die für Prä­si­dent Ashraf Gha­ni gear­bei­tet hat­te, war bereits zuvor die Aus­rei­se nach Deutsch­land gelun­gen. In Ber­lin war­te­te sie ver­zwei­felt auf ihre Mut­ter, die von den Tali­ban als Ungläu­bi­ge und Lan­des­ver­rä­te­rin beschimpft wur­de und tele­fo­nisch Mord­dro­hun­gen erhielt. Dar­auf­hin ver­steck­te Zakia sich mit ihrer Fami­lie an einem ande­ren Ort – und hör­te dann, dass Tali­ban-Kämp­fer ihre Woh­nung völ­lig ver­wüs­tet und nach ihnen gesucht hat­ten. Nun end­lich ist Zakia mit ihrer Fami­lie bei ihrer Toch­ter in Deutsch­land und kann aufatmen.

»Afgha­ni­stan in Rich­tung Deutsch­land ver­las­sen kön­nen, ist für uns ohne Über­trei­bung eine Fra­ge von Leben und Tod.«

Sie war­tet noch immer: Die bekann­te Frau­en­recht­le­rin Shab­nam hat Todesangst

Ähn­lich wie Zakia hat sich auch Shab­nam seit vie­len Jah­ren für Frau­en­rech­te ein­ge­setzt und war als Pro­fes­so­rin in hoch­ran­gi­gen Funk­tio­nen tätig. Bis zur Macht­über­nah­me der Tali­ban hat sie als lang­jäh­ri­ge Geschäfts­füh­re­rin eine NGO gelei­tet, die ver­schie­de­ne Pro­jek­te zur Stär­kung von Frau­en auf den Weg gebracht hat. Die Aka­de­mi­ke­rin führ­te in allen 34 Pro­vin­zen Afgha­ni­stans Pro­jek­te durch und ist auch durch ihre Auf­trit­te in Radio und Fern­se­hen bekannt. Sie war für ver­schie­de­ne natio­na­le Minis­te­ri­en und inter­na­tio­na­le Ein­rich­tun­gen tätig, eine enga­gier­te und akti­ve Frau, die die ver­gan­ge­nen 23 Jah­re ihres Lebens nicht nur ihrer Fami­lie wid­me­te, son­dern auch dem Ein­satz für ein fried­li­ches, demo­kra­ti­sches und gleich­be­rech­tig­tes Afghanistan.

In einem Brief, der PRO ASYL vor­liegt, schreibt sie: »Jetzt wur­de mir mei­ne Arbeit von den Tali­ban weg­ge­nom­men und ich ver­ste­cke mich mit mei­nen Kin­dern im Teen­ager­al­ter in mei­nem Haus. Mei­ne Fami­lie und ich wären unend­lich dank­bar, wenn wir Afgha­ni­stan in Rich­tung Deutsch­land ver­las­sen könn­ten. Für uns ist dies ohne Über­trei­bung eine Fra­ge von Leben und Tod.« Von ihren ehe­ma­li­gen Stu­den­ten haben sich nun eini­ge den Tali­ban ange­schlos­sen und sie per­sön­lich bedroht. Trotz die­ser aku­ten Gefah­ren­la­ge steht Shab­nam nicht auf der Men­schen­rechts­lis­te des Aus­wär­ti­gen Amts. Die Fami­lie besitzt Päs­se und ande­re wich­ti­ge Iden­ti­täts­do­ku­men­te, die für eine Ret­tung nötig sind.

Lösung: Die Lis­te im Aus­wär­ti­gen Amt, über die Menschenrechtsverteidiger*innen und ande­re beson­ders gefähr­de­te Per­so­nen eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhal­ten haben, muss fort­ge­führt wer­den. Dass sie trotz eines viel grö­ße­ren Bedarfs Ende August will­kür­lich geschlos­sen wur­de, ist skan­da­lös. Nicht ein Stich­tag oder eine Ober­gren­ze dür­fen über die Auf­nah­me ent­schei­den, son­dern die tat­säch­li­che Gefähr­dung der gemel­de­ten Per­so­nen muss aus­schlag­ge­bend sein.


3. Humanitäres Bundesaufnahmeprogramm aufsetzen!

Er hat es geschafft: Naji­bull­ah und sei­ne Fami­lie sind den Tali­ban entkommen

Naji­bull­ah ist eine ehe­ma­li­ge Orts­kraft und lebt seit vie­len Jah­ren in Deutsch­land. Einer sei­ner Söh­ne durf­te aller­dings nicht mit der Fami­lie mit­kom­men: Da er schon voll­jäh­rig war, ver­wei­ger­te die Bun­des­re­gie­rung ihm die Ein­rei­se. Er wur­de dar­auf­hin von den Tali­ban als Rache­ak­ti­on ent­führt und gefol­tert – als »Ersatz« für sei­nen in Deutsch­land leben­den Vater. Die­sem wur­den Fotos und Vide­os der Gräu­el­ta­ten zuge­schickt. Die Bun­des­re­gie­rung hat es mehr­fach abge­lehnt, die Fami­lie ein­rei­sen zu las­sen. Die Begrün­dung: Erwach­se­ne Kin­der zäh­len nicht zur »Kern­fa­mi­lie« und sind daher vom Fami­li­en­nach­zug aus­ge­nom­men. Aus lau­ter Ver­zweif­lung reis­te Naji­bull­ah nach Afgha­ni­stan, um sei­nen Sohn aus den Fän­gen der Tali­ban zu befrei­en. Für die Fami­lie begann eine wei­te­re Fol­ge des Alb­traums, als die Tali­ban im August die Macht über­nah­men und nun bei­de in höchs­ter Gefahr schweb­ten, Vater und Sohn. Auch dank des Enga­ge­ments von PRO ASYL gelang es schließ­lich, dass bei­de (zurück) nach Deutsch­land kom­men konn­ten: Naji­bull­ah und sein schwer miss­han­del­ter, erwach­se­ner Sohn mit sei­ner Familie.

Sie war ein Vor­bild für vie­le jun­ge Frau­en in Afgha­ni­stan – und Hass­fi­gur für die Taliban.

Sie war­tet noch immer: Die Sport­le­rin Zarifa hat kei­ne Perspektive

Als afgha­ni­sche Sport­le­rin war Zarifa in ihrer Hei­mat über­aus bekannt. Über ihre Akti­vi­tä­ten bei einer Frau­en-Natio­nal­li­ga berich­te­te sie stolz in den sozia­len Netz­wer­ken und wur­de zum Vor­bild für vie­le jun­ge Frau­en in Afgha­ni­stan – und zur Hass­fi­gur für die Tali­ban. PRO ASYL hat den Fall von Zarifa Anfang Okto­ber ans Aus­wär­ti­ge Amt gemel­det, auch wenn die Men­schen­rechts­lis­te zu die­sem Zeit­punkt bereits seit Wochen geschlos­sen war. Eine Schwes­ter von Zarifa, die als Sol­da­tin beson­ders zur Ziel­schei­be der Tali­ban wur­de, hat­te das Glück, bereits zuvor gemel­det wor­den zu sein. Sie konn­te Mit­te Dezem­ber dank einer Auf­nah­me­zu­sa­ge nach Deutsch­land ein­rei­sen, wo bereits eine drit­te Schwes­ter seit Jah­ren lebt. Die Sport­le­rin Zarifa hat also Fami­lie hier, bei der sie unter­kom­men könn­te, doch fami­liä­re Bin­dun­gen nach Deutsch­land wer­den der­zeit bei der Auf­nah­me viel zu wenig berück­sich­tigt. Da sie als allein­ste­hen­de Frau nir­gend­wo in Afgha­ni­stan sicher war und von den Tali­ban ver­folgt wur­de, floh sie schließ­lich nach Paki­stan. Dort hält sie sich momen­tan auf, hat aber vor­erst kei­ne Mög­lich­keit, nach Deutsch­land wei­ter­zu­rei­sen – kein Weg nach vorn und kei­ner zurück.

Lösung: Ein huma­ni­tä­res Auf­nah­me­pro­gramm des Bun­des muss sofort auf­ge­setzt wer­den. Bei der Aus­wahl soll­ten nicht nur huma­ni­tä­re Här­te­fäl­le berück­sich­tigt wer­den, son­dern auch fami­liä­re Bin­dun­gen nach Deutsch­land sowie beson­de­re Bezü­ge, etwa wenn Afghan*innen hier stu­diert haben und dann in ihre Hei­mat zurück­ge­kehrt waren.


4. Ortskräfteverfahren reformieren!

Er hat es (fast) geschafft: Adil ist trotz Sub­un­ter­neh­mer-Sta­tus als Orts­kraft anerkannt

Adil arbei­te­te neun Jah­re lang für ein Sicher­heits­un­ter­neh­men und bewach­te eine wich­ti­ge deut­sche Ein­rich­tung. Als Wach­mann war er auf dem Prä­sen­tier­tel­ler, jeder kennt sein Gesicht. Doch weil er nicht direkt von der deut­schen Ein­rich­tung ange­stellt wor­den war, son­dern über ein Sub­un­ter­neh­men, zählt er für die Bun­des­re­gie­rung nicht als Orts­kraft. Erst durch die mas­si­ve Inter­ven­ti­on von PRO ASYL gelang es, für Adil eine Auf­nah­me­zu­sa­ge zu erhal­ten. Dass dies gelang, war auch dem Umstand zu ver­dan­ken, dass es just der rich­ti­ge Zeit­punkt war: Im August waren Eva­ku­ie­run­gen zeit­wei­se mög­lich, das The­ma stand poli­tisch im Fokus, was durch eine umfas­sen­de media­le Bericht­erstat­tung ver­stärkt wur­de. Die­se Auf­merk­sam­keit ist mitt­ler­wei­le abge­flaut. Hin­zu kommt: Da Adil und sei­ne Fami­lie kei­ne Päs­se haben, ste­cken sie noch immer in Afgha­ni­stan fest – nach der Ankün­di­gung, dass es vor­erst kei­ne Char­ter­flü­ge mehr geben wird, auf unbe­stimm­te Zeit.

Die Tali­ban machen kei­nen Unter­schied, ob jemand direkt in einem Arbeits­ver­hält­nis zu deut­schen Insti­tu­tio­nen stand oder »Mit­ar­bei­ten­der exter­ner Dienst­leis­ter« war, wie es in Ableh­nun­gen von Anträ­gen ehe­ma­li­ger Orts­kräf­te heißt.

Er war­tet noch immer: Said war für die GIZ tätig, jetzt ist er obdachlos

Said hat zwei Jah­re lang als eine Art Hono­rar­kraft in einem GIZ ‑Pro­jekt gear­bei­tet und wur­de wäh­rend die­ser Zeit mehr­fach von den Tali­ban bedroht. Nach ihrer Macht­über­nah­me haben die Tali­ban bereits nach ihm gesucht und ein Droh­schrei­ben ver­fasst. Sein Vater wur­de vor vie­len Jah­ren von den Tali­ban getö­tet, jüngst wur­de sein Bru­der von ihnen umge­bracht. Said ist nach Paki­stan geflo­hen und dort obdach­los, weil er sich kei­ne Unter­kunft leis­ten kann. Der ehe­ma­li­ge GIZ-Mit­ar­bei­ter schläft in Parks und klagt über die Käl­te. Sei­ne Fami­lie befin­det sich noch in Afgha­ni­stan. Er wird von PRO ASYL anwalt­lich unter­stützt, aber die Ver­fah­ren dau­ern trotz der dring­li­chen Lage sehr lange.

Said ist kein Ein­zel­fall: PRO ASYL lie­gen zahl­rei­che Anfra­gen von soge­nann­ten »Faci­li­ta­tors«, Ver­mitt­lern, vor, die im Rah­men eines GIZ-Pro­jekts tätig und bei­spiels­wei­se zustän­dig für die Alpha­be­ti­sie­rung von Polizist*innen waren. Sie haben zum Teil mehr­fach täg­lich Kur­se gege­ben, waren also sehr expo­niert. Da sie aber kei­ne direk­ten Ver­trä­ge bei der GIZ hat­ten, wer­den sie nicht als Orts­kräf­te aner­kannt. Und das, obwohl die Tali­ban nicht zwi­schen ver­schie­de­nen Ver­trags­for­men unter­schei­den. PRO ASYL unter­stützt zehn sol­cher Fäl­le über den Rechtshilfefonds.

Lösung: Das Orts­kräf­te­ver­fah­ren muss durch mehr Trans­pa­renz und eine der Rea­li­tät ange­mes­se­ne Defi­ni­ti­on von »Orts­kräf­ten«, die etwa auch Sub­un­ter­neh­mer und ande­re Ver­trags­kon­stel­la­tio­nen erfasst, refor­miert wer­den. Auch der Begriff der Kern­fa­mi­lie muss aus­ge­wei­tet werden.

Alle Namen sind aus Sicher­heits­grün­den anonymisiert.

(er, tl)