Familiennachzug jetzt!
Zehntausende Familien sind durch Flucht und Vertreibung getrennt. Die Bundesregierung hat mit ihrem Koalitionsvertrag versprochen, den Familiennachzug zu erleichtern. Doch das Warten hat immer noch kein Ende. Ob und wann die Regierung ihr Versprechen einlöst, ist unklar. Darum wollen wir zusammen mit euch Druck machen.
12.12.: Aktion Vor dem Brandenburger TOr
Am 12. Dezember 2023 findet eine symbolische Aktion vor dem Brandenburger Tor in Berlin statt. Dabei sollen lebensgroße Silhouetten von getrennten Familien durch Bundestagsabgeordnete und Passant*innen zusammengeführt werden.
Die Aktion dient als Mahnmal, um die Bundesregierung an ihr Versprechen im Koalitionsvertrag zu erinnern, den Familiennachzug für Geflüchtete zu erleichtern. Zwei Jahre nach dieser Zusage scheint die Umsetzung ins Stocken geraten zu sein, und die Organisationen möchten die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen.
Die Forderung an die Regierung besteht darin, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte entsprechend zu erleichtern und das im Koalitionsvertrag gegebene Versprechen umzusetzen.
Was? Mahnmal für getrennte Familien, symbolische Zusammenführung von lebensgroßen Silhouetten durch MdBs und Passant*innen
Wo? Brandenburger Tor, Berlin
Wer? PRO ASYL, terre des hommes und Abgeordnete der Regierungsparteien (angefragt).
Wann? 12. Dezember 2023
Foto- und Interviewtermin sowie Redebeiträge um 12 Uhr
Die gesamte Aktion dauert von 11:15 Uhr bis 16 Uhr.
Einzelfälle
Um welche Menschen geht es? Wir haben einige Fallbeispiele aus unserer alltäglichen Arbeit zusammengetragen. Jeder öffentliche Druck beim Thema Familiennachzug hilft ihnen, ihre Angehörigen bald wieder bei sich zu haben!
(Namen aus Schutzgründen geändert)
Amira Sayyid musste 2019 ihre Heimat Afghanistan verlassen, weil ihr Leben in Gefahr war. Die Flucht gestaltete sich dramatisch, auf dem Weg aus Afghanistan wurde sie von ihren Söhnen, mit denen sie gemeinsam das Land verlassen wollte, getrennt. Amira war sich sicher, dass ihre Söhne tot sind. Sie hörte zwei Jahre lang nichts von ihnen, bis ein Bekannter die Söhne 2021 zur Zeit der Machtübernahme der Taliban zufällig in Kabul am Flughafen entdeckte. Die Kinder versuchten, wie so viele andere, aus Angst vor den Taliban verzweifelt, das Land zu verlassen. Er stellte den Kontakt mit Amira wieder her. Die Söhne wussten bis dahin nicht, dass ihre Mutter noch am Leben war. Ihr Vater, Amiras Ehemann, war schon einige Jahre zuvor verstorben. Da Amira aufgrund der Verfolgung in Afghanistan in Deutschland der Flüchtlingsschutz zugesprochen wurde, erhielt sie ein Recht auf Familiennachzug der beiden minderjährigen Kinder. Nach dem Tod des Vaters und der Flucht von Amira hatten sie keine Familie mehr in Afghanistan. Doch obwohl die beiden Kinder sich unbegleitet und minderjährig in Afghanistan aufhielten, mussten sie 26 Monate auf einen Termin zur Visumsbeantragung warten. Der Termin sollte im November 2023 bei der Botschaft in Islamabad im Nachbarland Pakistan stattfinden – denn die Stellung des Visumantrags muss bei der zuständigen deutschen Botschaften persönlich erfolgen. Doch die beiden unbegleiteten Minderjährigen können nicht nach Pakistan ausreisen – sie haben keine Pässe und ohne Pässe lassen die pakistanischen Behörden sie nicht einreisen. Pässen können sie in Afghanistan leider nicht beantragen, da es dazu ein volljähriges, männliches Familienmitglied braucht. Und ein solches Familienmitglied gibt es nicht mehr in Afghanistan.
Die Familie beschrieb der deutschen Botschaft diese Situation und bat darum, das Visumsverfahren auch ohne persönliche Vorsprache einzuleiten. Doch die deutsche Botschaft weigerte sich und verschob den Termin lediglich um zwei Wochen. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) im April 2023 festgestellt hat, dass die europäischen Mitgliedsstaaten eine digitale Antragstellung bei Familiennachzugsverfahren ermöglichen müssen, wenn – genau wie bei Amiras Söhnen – sich die persönliche Vorsprache unmöglich oder übermäßig schwierig gestalten würde. Solange die deutsche Botschaft in Islamabad diese Möglichkeit zur digitalen Antragstellung jedoch nicht gewährt, können die Kinder ihr Familiennachzugsverfahren nicht fortführen und bleiben allein in Afghanistan zurück. Auch wenn die Minderjährigen rechtlich einen Anspruch auf Nachzug zu ihrer Mutter haben, wird ihnen dieser in der Praxis bis heute verwehrt.
„Ich bin eigentlich nie glücklich, weil meine Kinder nicht bei mir sind“, sagt Amira. „Ich kann nicht richtig schlafen, weil meine Kinder in Gefahr sind. Wenn meine Kinder endlich kommen, habe ich keine Kopfschmerzen mehr.“
Yasim Al Hassan* flieht Mitte 2020 mit 16 Jahren alleine aus Syrien nach Deutschland aus Angst, in Syrien Militärdienst leisten zu müssen. Er bekommt den sogenannten subsidiären Schutz. Als Minderjähriger hat er nur ein Recht darauf, seine Eltern nach Deutschland nachziehen zu lassen. Doch Yasim hat auch eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Seine Mutter ist zu fast 90% erblindet und trifft die schwierige Entscheidung, ihre jüngeren Kinder zunächst in Syrien zurück zu lassen und zu Yasim nach Deutschland zu kommen. Aktuell versucht sie nun verzweifelt, ihre beiden jüngsten Kinder nach Deutschland zu holen. Um die beiden macht sie sich große Sorgen. Der Vater hat die Familie verlassen und kümmert sich kaum um Yasims Schwester und Bruder. Yasims Mutter erhält einen Sondertermin für ihre Kinder. Doch als die Kinder zur Botschaft gehen, werden die Anträge nicht angenommen, da die Übertragung des Sorgerechts des Vaters bereits fünf Monate alt war. Nun hat die Familie Anfang Dezember 2023 einen erneuten Termin. Die Mutter bangt weiterhin um ihre Kinder.
“Meine größte Sorge ist, dass meine Kinder in Syrien nicht gut versorgt sind. Sie müssen auf sehr kleinem Raum zusammenleben.”, sagt Yasims Mutter Ahlam. “Mein Gesundheitszustand hat sich sehr verschlechtert, seit ich in Deutschland bin. Ich merke, wie die Angst um meine Kinder mir zu schaffen macht.”
Als 12-Jähriger ist Ahmed Hamoud 2020 alleine aus Syrien nach Deutschland geflohen und bekommt ein Jahr später den subsidiären Schutz. Seitdem lebt er bei seinem Onkel in Süddeutschland – aber seine Eltern und seine Geschwister vermisst er sehr. Seine Eltern leben gemeinsam mit seinen Geschwistern (fünf, zehn und 13 Jahre alt) in Nordsyrien. Da sie zu ihm ziehen möchten, stellen sie im Sommer 2022 einen Visumantrag. Allein auf diesen Termin bei der Botschaft haben sie 10 Monate gewartet. Nach weiteren acht Monaten erhalten seine Geschwister eine Ablehnung – denn es gibt kein Recht auf den sogenannten Geschwisternachzug. Schweren Herzens entscheiden sich die Eltern, die jüngeren Geschwister zunächst bei den Großeltern in Syrien zurück zu lassen und zu Ahmed nach Deutschland zu kommen – um dann als nächstes ihre Kinder über den Familiennachzug zu holen.
„Die Zeit hier war bisher schwer für ihn, er hat die Eltern und Schwestern so vermisst“, sagt Ahmeds Onkel bei dem er in Deutschland lebt. „Sie [Ahmeds Eltern] hatten ja keine Wahl“, sagt der Onkel wütend, „wenn sie nicht gekommen wären, hätten sie Ahmed vielleicht nie wiedergesehen.“
Maryam Zaheri* flieht nach der Machtübernahme der Taliban gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus Afghanistan in die Türkei. Ihr Vater war zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. Da die Abschiebungen aus der Türkei nach Afghanistan zunehmen und sie daher dort nicht sicher sind, entscheidet sich die Familie, nach Europa zu fliehen. Bei der Flucht wird die damals 13-jährige Maryam angewiesen, sich in ein anderes Auto zu setzen als der Rest ihrer Familie. Das Auto, in dem sich ihre Mutter, ihre Schwester und Bruder befinden, wird aber von Sicherheitskräften aufgehalten. Erst als Maryam in Deutschland ankommt erfährt sie, dass ihre Familie die Flucht nach Europa nicht geschafft hat.
In Deutschland bekommt sie die Flüchtlingseigenschaft. Natürlich hat Maryam nun vor allem einen Wunsch: ihre krebskranke Mutter, ihre Zwillingsschwester und ihren kleinen Bruder nach Deutschland nachzuholen. Tatsächlich bekommt ihre Familie schnell einen Termin bei der Botschaft in Istanbul, um den Antrag zu stellen. Aber der Zustand von Maryams Mutter verschlechtert sich rapide und sie ist nicht reisefähig. Außerdem steht eine neue Chemotherapie an – doch diese überlebt Maryams Mutter nicht. Ihr Tod ist ein Schock für Maryam.
Die kleinen Geschwister leben bei einer Verwandten in der Türkei. Dort können sie allerdings nicht längerfristig bleiben. Die Lebenssituation ist prekär. Maryam leidet sehr darunter, dass es ihren Geschwistern in der Türkei so schlecht geht. Hinzu kommt, dass sie sich bei der Verarbeitung der Trauer um ihre Mutter ihre Geschwister in ihrer Nähe wünscht.
Sie möchte ihre Geschwister nach Deutschland nachziehen lassen und wird von ihrer Gastfamilie bei diesem Anliegen unterstützt. Sie weiß jedoch auch, dass ihre Geschwister kein Recht haben, nach Deutschland zu kommen. Die Hoffnungslosigkeit macht sie sehr traurig.
„Der Fall der Kinder macht mich sowie auch viele andere Unterstützer*innen tief betroffen und dennoch wissen wir nicht, ob wir hier eine Lösung finden. Es ist wirklich nicht verständlich, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen solche Fälle ignorieren“, sagt die zuständige Mitarbeiterin einer lokalen Beratungsstelle, die Maryam betreut.
Kheder Sahleh* muss aus Syrien fliehen, im Februar 2023 kommt er in Deutschland an und bekommt den sogenannten subsidiären Schutz. Den bekommt man, wenn man vor Bürgerkrieg oder schweren Menschenrechtsverletzungen flieht. Seit 2016 gibt es für Menschen mit subsidiärem Schutz keinen Anspruch auf Familiennachzug mehr, was diesen erschwert. Seine Frau lebt mit den vier Töchtern noch in Syrien. Am 6. Februar 2023 kommt es zur Katastrophe: in der Türkei und in Nordwestsyrien bebt die Erde, über 50.000 Menschen sterben in der Region und Millionen verlieren ihr zu Hause. Die Familie von Kheder ist mittendrin im syrischen Erdebengebiet. Sie überleben, aber ihr Haus wird teilweise zerstört. Als Teil der Erdbebenhilfe werden Visatermine von Betroffenen vorgezogen, auch Kheders Familie kann deswegen schon im Juli 2023 in Beirut den Antrag auf Familiennachzug stellen. Doch dann die Ernüchterung: Die lokale Ausländerbehörde blockiert den schnellen Familiennachzug und fordert Ende September Nachweise über “schwerwiegende Erkrankungen” oder “Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit” von Kheder, angeblich um die notwendigen humanitären Gründe für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zu beweisen. Dabei sind Kheders Kinder noch sehr klein, damit sind die humanitären Gründe laut Gesetz bereits erfüllt. Kheder arbeitet bereits in Vollzeit, um seine Familie zu unterstützen und um durch gute Integration seine Chancen auf den Familiennachzug zu verbessern.
“Es gab kürzlich [23.09.2023] ein erneutes leichtes Erdbeben in der Region Aleppo und Hamah. Meine Familie ist nicht sicher, da sie in einem Haus leben. das bereits durch das erste Erdbeben stark beschädigt ist. Ich mache mir große Sorgen. Ich möchte, dass meine Familie so schnell wie möglich die Region verlassen kann”, erzählt Kheder.
Im April 2023 bricht im Sudan ein Bürgerkrieg aus, auch Omar* und seine Familie fliehen vor den Kämpfen. Omar macht sich auf den gefährlichen Weg nach Europa, im Juni 2023 erhält er subsidiären Schutz in Deutschland. Seine Ehefrau und der fünf- sowie der neun-jährige Sohn bleiben im Nachbarland Äthiopien. Dort ist die Situation für die Familie sehr schwierig, auch weil sie sich aufgrund der Sprachunterschiede kaum verständigen können. Aufgrund des Konfliktes in Tigray in Äthiopien sind die Kosten für Essen, Trinken und Wohnen sehr stark gestiegen. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kostet monatlich ganze 300 US-Dollar. Besonders dramatisch ist: Der ältere Sohn ist an Sichelzellenanämie erkrankt und benötigt dringend eine Behandlung. Trotzdem haben die deutschen Behörden es abgelehnt, der Familie einen vorgezogenen Sondertermin für den Familiennachzug zu geben. Ohne Sondertermin muss die Familie wahrscheinlich mehr als zwei Jahre auf den Termin zur Antragstellung warten.
“Für meine Familie ist es sehr schwierig, in Äthiopien eine gute medizinische Versorgung zu erhalten. Meine Frau hat große Angst, weil die Situation in den äthiopischen Krankenhäusern so ist, dass man mit Ausländern nicht so gut umgeht. Man muss sehr viel Geld bezahlen. Zusätzlich gibt es häufig sprachliche Probleme”, erklärt Omar die schwierige Situation seiner Familie.
Najib Ahmadi* ist afghanischer Staatsangehöriger und lebt bereits seit 2015 in Deutschland. Nach einem langen und zermürbenden Klageverfahren bekam er erst 2021 seine Flüchtlingseigenschaft zugesprochen. Daraufhin buchte er im November 2021 bei der deutschen Auslandsvertretung in Islamabad (Pakistan) einen Termin für die Beantragung eines Visums für den Familiennachzug seiner Ehefrau und seiner zwei Kinder. Weil die Familie nach der Machtübernahme der Taliban zunehmend Angst bekam, flohen sie in den angrenzenden Iran – es war einfacher, für den Iran ein Visum zu bekommen als für Pakistan. Bis heute hat er lediglich eine Wartenummer erhalten. Nach derzeitigen Wartezeiten muss mit bis zu 28 Monaten gerechnet werden, bis Herr Ahmadi und seine Frau überhaupt einen Antrag stellen können. Und damit ist erst der erste Schritt in einem oft jahrelangen Verfahren getan.
So beschreibt Najib was die lange Trennung mit ihm macht: „Für mich ist es auch sehr schwer. Ich bin erst 35 Jahre alt und hatte vor kurzem einen Schlaganfall. Mein Arzt sagt, ich soll Stress reduzieren, aber ich glaube, der Schmerz kommt von meinem Herz.“ Ein längeres Interview mit Najib kann man hier lesen.
Wer sind wir?
Die Aktion wird von PRO ASYL und terre des hommes organisiert und kann ab sofort mitgezeichnet werden. Schreibt eine Mail an aktionen@tdh.de, wenn ihr die Aktion mit eurer Initiative oder Organisation unterstützen wollt. Die Aktion wird bereits von folgenden Organisationen mitgetragen:
Asylarbeitskreis Heidelberg | AWO Bezirksverband Weser-Ems e. V. | AWO Bundesverband e. V. | AWO Landesverband Thüringen | Bayerischer Flüchtlingsrat | Berliner Flüchtlingsrat | BBZ – Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen | Ben & Jerry’s | Berlin hilft | Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. – BumF e.V | Diakonisches Werk Steglitz und Zehlendorf (Beratungsfachdienst für Migrant*innen Potsdam) | Flüchtlingsrat Baden-Württemberg | Flüchtlingsrat Brandenburg | Flüchtlingsrat Niedersachsen | Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen | Flüchtlingsrat RLP | Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. | Hessischer Flüchtlingsrat | International Rescue Committee IRC Deutschland gGmbH | Janusz Korczak – Humanitäre Flüchtlingshilfe e.V. | Kölner Flüchtlingsrat e.V. | lifeline e.V. | Main-Taunus-Bistum Limburg | Münchner Flüchtlingsrat | Paritätischer Gesamtverband | pax christi Regionalverband Rhein-Main | XENION Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.