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»Ich möchte einfach meine Familie wiedersehen«
Ein afghanischer Flüchtling wartet in Deutschland seit acht Jahren darauf, dass seine Ehefrau und Kinder zu ihm kommen dürfen. Im Interview erzählt er von dem Leid eines nicht enden wollenden Familiennachzugs. Mit ihm warten Zehntausende Familien darauf, dass die Bundesregierung ihr Versprechen einlöst, die Verfahren zu erleichtern.
Najib Ahmadi* ist afghanischer Staatsangehöriger und lebt bereits seit 2015 in Deutschland. Nach einem langen und zermürbenden Klageverfahren bekam er erst 2021 seine Flüchtlingseigenschaft zugesprochen. Daraufhin buchte er im November 2021 bei der deutschen Auslandsvertretung in Islamabad (Pakistan) einen Termin für die Beantragung eines Visums für den Familiennachzug seiner Ehefrau und seiner zwei Kinder. Weil die Familie nach der Machtübernahme der Taliban zunehmend Angst bekam, flohen sie in den angrenzenden Iran – es war einfacher, für den Iran ein Visum zu bekommen als für Pakistan. Bis heute hat er lediglich eine Wartenummer erhalten. Nach derzeitigen Wartezeiten muss bis zu 28 Monate gerechnet werden, bis Herr Ahmadi und seine Frau überhaupt einen Antrag stellen können. Und damit ist erst der erste Schritt in einem oft jahrelangen Verfahren getan.
Da die lange Dauer der Familiennachzugsverfahren für Flüchtlinge neben gesetzlichen Einschränkungen schon lange ein Problem sind, hat PRO ASYL gemeinsam mit terre des hommes die Aktion #VergissMeinNicht zum Tag der Familie am 15. Mai 2023 gestartet, um die Bundesregierung an ihre Versprechen im Koalitionsvertrag zu erinnern, den Familiennachzug zu vereinfachen und zu beschleunigen. Hier gibt es mehr Informationen zur Aktion und zu Beteiligungsmöglichkeiten.
Du bist schon seit 2015 in Deutschland. Wie kam es dazu, dass deine Familie noch nicht einreisen konnte?
Nach meiner Einreise wurde mein Asylantrag zuerst abgelehnt. Erst 2021 habe ich eine Anerkennung erhalten. Danach habe ich den Termin bei der Botschaft in Islamabad (Pakistan) gebucht.
Damals hatten meine Frau und meine Kinder noch keine Reisepässe. Sie mussten drei Tage und drei Nächte in der Schlange vor der Passstelle stehen. Dann haben sie Pässe bekommen.
Meine Frau ist dann mit unseren Kindern in den Iran gereist, weil sie es in Afghanistan nicht mehr aushalten konnten und viel Angst hatten. Ich habe dann einen neuen Termin im Iran gebucht.
Wie geht es deiner Familie heute?
Meine Frau und die Kinder leben jetzt schon seit neun Monaten in Iran. Leider läuft das Visum am 15.05.2023 ab. Wir hoffen, dass wir das Visum noch einmal verlängern können.
Normalerweise bekommt man nur ein Visum für 90 Tage, aber wegen der Behandlung von meiner Frau konnten wir es schon zwei Mal verlängern. Sie hat Depression und Ängste bekommen. Die lange Trennung ist ganz schwer für sie.
In Iran gibt es für meine Familie viele Probleme. Ohne eine männliche Begleitung ist es für Frauen in Iran sehr schwierig, darum ist mein Schwager auch dort. Trotzdem gibt es dort viele Probleme für Afghanen. Vor kurzem musste meine Familie die Wohnung verlassen, weil der Vermieter einfach ohne Grund gekündigt hat.
»Vor kurzem musste meine Familie die Wohnung verlassen, weil der Vermieter einfach ohne Grund gekündigt hat.«
Trotzdem können sie nicht zurück nach Afghanistan. Dort ist es sehr gefährlich. Ich habe bereits einen Neffen verloren. Ich möchte nicht, dass meine Frau und Kinder nach Afghanistan zurückgehen müssen. Ich kann die Verantwortung dafür nicht tragen. Meine Frau hat große Angst. Meine Kinder sind mittlerweile schon acht und neun Jahre alt. Sie können schon viel verstehen und haben Angst vor den Taliban.
Wie ist es für dich, so lange von deiner Familie getrennt zu sein?
Für mich ist es auch sehr schwer. Ich bin erst 35 Jahre alt und hatte vor kurzem einen Schlaganfall. Mein Arzt sagt, ich soll Stress reduzieren, aber ich glaube, der Schmerz kommt von meinem Herz. Ich habe wegen meiner Krankheit meinen Job im Sicherheitsdienst verloren. Zum Glück konnte ich schnell einen neuen Job finden. Jetzt arbeite ich in einem Lager. Geld verdienen ist sehr wichtig für mich, weil das Leben in Iran für meine Frau sehr, sehr teuer ist. Auch die Medikamente muss man selbst zahlen. Am Samstag habe ich zusätzlich einen Minijob.
Was erwartest du von der Bundesregierung?
Ich möchte einfach meine Familie wiedersehen. So lange Trennungen, das macht die Leute kaputt.
Hintergrundinfo:
Der Rechtsanwalt von Najib Ahmadi* hat ärztliche Atteste der Ehefrau über ihre Depression und ihrer Ängste an die Botschaft geschickt, in der Hoffnung, dass sie einen vorgezogenen Termin erhält. Das ist bislang nicht der Fall.
Das Interview führte Annika Hesselmann vom Flüchtlingsrat Niedersachsen am 10. Mai 2023. PRO ASYL finanziert ein Projekt zum Familiennachzug beim Flüchtlingsrat Niedersachsen.
* Name zum Schutz geändert