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Die Crew der Sea-Watch bei einem ihrer Rettungseinsätze. Über 500 Menschen wurden in den letzten beiden Wochen bereits von der Sea-Watch gerettet. Foto: <a href="http://sea-watch.org">Sea-Watch</a>

Während zivile, spendenfinanzierte Seenotrettungsinitiativen mittlerweile beachtliche Arbeit leisten, droht im Zuge der EU-Militäroperation EUNAVFOR Med, dass die Seenotrettung durch europäische Marine- und Küstenwacheschiffe zurückgefahren wird – für die EU steht die Schlepperbekämpfung im Vordergrund, die Seenotrettung droht zur Nebensache zu verkommen.

Aktu­ell wer­den vie­le Ret­tungs­ein­sät­ze über zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment und pri­va­te Ret­tungs­in­itia­ti­ven sicher­ge­stellt. Initia­ti­ven wie die Sea-Watch, Méde­cins Sans Fron­tiè­res oder MOAS, die jeweils mit Ret­tungs­boo­ten im Ein­satz sind, wie auch das Alarm­pho­ne für Boots­flücht­lin­ge in See­not leis­ten dort unschätz­ba­re Hil­fe, wo euro­päi­sche Staa­ten ihren huma­ni­tä­ren Ver­pflich­tun­gen nicht nachkommen.

Am 14. Juli 2015 fand Sea-Watch Initia­tor Harald Höpp­ner kla­re Wor­te: „Wir füh­len uns von der Euro­päi­schen Uni­on und von der Bun­des­re­gie­rung im Stich gelas­sen“. Wäh­rend der Ein­satz­fahrt der Sea-Watch Anfang Juli fand sich die Crew zeit­wei­se allei­ne im See­ge­biet vor der liby­schen Küste.

1.867 Tote im ers­ten Halbjahr

UNHCR geht bis Ende Juni 2015 von 1.867 Men­schen aus, die bei der Über­fahrt nach Euro­pa im Mit­tel­meer ums Leben gekom­men sind. Im sel­ben Zeit­raum in 2014 waren 588 Todes­fäl­le regis­triert wor­den. In den ers­ten vier Mona­ten 2015 war Todes­ra­te bei Über­fahr­ten so hoch wie noch nie. Allein im April ertran­ken 1.308 Flücht­lin­ge auf dem Weg nach Europa.

Auf­grund des mas­si­ven öffent­li­chen Drucks  sahen sich die EU-Staats – und Regie­rungs­chefs gezwun­gen, eine Ver­drei­fa­chung des Bud­gets der Fron­tex-Ope­ra­ti­on Tri­ton und Posei­don zu beschlie­ßen sowie den Ein­satz geo­gra­phisch aus­zu­wei­ten. Auch die Bun­des­re­gie­rung änder­te nach den Kata­stro­phen im April prompt ihre Posi­ti­on zum The­ma See­not­ret­tung: Wur­de noch Mit­te April eine Stär­kung der See­not­ret­tung abge­lehnt, ent­sand­te die Bun­des­wehr kurz dar­auf zwei Schif­fe ins zen­tra­le Mittelmeer.

See­not­ret­tung als Nebensache

Doch die Grund­pro­ble­ma­tik bleibt: Fron­tex ist kei­ne See­not­ret­tungs­agen­tur und ver­fügt nicht über das not­wen­di­ge Man­dat, um eine umfas­sen­de pro­ak­ti­ve See­not­ret­tung sicher­zu­stel­len. Die Abwehr an Euro­pas Außen­gren­zen lässt sich mit der Ret­tung und dem Schutz von Flücht­lin­gen nicht ver­ein­ba­ren. Der Ein­satz­zweck von Fron­tex-Ope­ra­tio­nen ist Grenz­über­wa­chung, nicht See­not­ret­tung. Der Ein­druck, die zusätz­li­chen Mit­tel für Fron­tex kämen allein der See­not­ret­tung zugu­te, ist Augen­wi­sche­rei: Wich­ti­ge Auf­ga­be der Fron­tex-Beam­ten ist die Unter­stüt­zung der ita­lie­ni­schen Behör­den bei der Regis­trie­rung von Fin­ger­ab­drü­cken auf­ge­grif­fe­ner Flücht­lin­ge sowie Befra­gun­gen zur Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung über Schleusernetzwerke.

Außer­dem wer­den zuneh­mend Schif­fe in den Dienst der Mili­tär­ope­ra­ti­on zur Schlep­per­be­kämp­fung EUNAVFOR Med gestellt, wie im Fal­le der Bun­des­wehr­schif­fe „Schles­wig-Hol­stein“ und „Wer­ra“. Hat­ten die Bun­des­wehr­schif­fe, die seit Ende April 2015 zur See­not­ret­tung ins Mit­tel­meer ent­sandt wor­den waren, bis zum 23. Juni 2015  in elf Ret­tungs­ein­sät­zen 5.884 Men­schen aus See­not geret­tet, so wur­den die Ein­sät­ze dar­auf­hin plötz­lich ein­ge­stellt. Erst am 16. Juli nahm das Ver­sor­gungs­schiff „Wer­ra“  erneut 211 Boots­flücht­lin­gen an Bord.

EUNAVFOR MED – Schlepperbekämpfung 

Am 22. Juni 2015 hat­ten die EU-Außen­mi­nis­ter den Beginn der ers­ten Pha­se der Mili­tär­ope­ra­ti­on EUNAVFOR Med beschlos­sen: Zunächst sol­len Infor­ma­tio­nen über Netz­wer­ke und Rou­ten der Schleu­ser gesam­melt wer­den, um auf die­ser Grund­la­ge Schlep­per­boo­te zu iden­ti­fi­zie­ren, zu beschlag­nah­men und zu zer­stö­ren – auf hoher See, in liby­schen Gewäs­sern und  auf liby­schem Ter­ri­to­ri­um. Kriegs­schif­fe, Hub­schrau­ber, Aufklärungs­flugzeuge, U‑Boote, Droh­nen und eine Trup­pe von 1.000 Sol­da­tIn­nen sol­len zum Ein­satz kom­men – für die ers­ten zwei Mona­te lässt sich die EU das Kriegs­sze­na­rio im Mit­tel­meer 11,8 Mil­lio­nen Euro kosten.

Inzwi­schen wur­den bereits Was­ser- und Luft­fahr­zeu­ge im zen­tra­len Mit­tel­meer in Stel­lung gebracht – Pha­se eins hat begon­nen. Die Gerät­schaf­ten wer­den von den Regie­run­gen in Bel­gi­en, Finn­land, Deutsch­land, Grie­chen­land, Frank­reich, Ungarn, Ita­li­en, Litau­en, Luxem­burg, den Nie­der­lan­den, Slo­we­ni­en, Spa­ni­en, Schwe­den und Groß­bri­tan­ni­en bereit­ge­stellt.

Lega­le und gefah­ren­freie Flucht­we­ge statt Abwehrpolitik

Wäh­rend die EU unbe­irrt ihre Abwehr­stra­te­gie gegen Schutz­su­chen­de mit mili­tä­ri­schen Mit­teln vor­an­treibt und wei­te­re Todes­fäl­le in Kauf nimmt, ist längst klar: Flücht­lin­ge kön­nen durch Zäu­ne, Mau­ern und Kriegs­schif­fe nicht dar­an gehin­dert wer­den, wei­ter in Euro­pa nach Schutz zu suchen.

Nach wie vor ster­ben Men­schen bei dem Ver­such, in Euro­pa Schutz zu fin­den. Der Druck zivil­ge­sell­schaft­li­cher Akteu­re muss auf­recht­erhal­ten wer­den, um die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs in die Pflicht zu neh­men: See­not­ret­tung kann nicht die Auf­ga­be zivil­ge­sell­schaft­li­cher Akteu­re sein – eine zivi­le euro­päi­sche See­not­ret­tung muss instal­liert wer­den. Erst lega­le und gefah­ren­freie Wege für Flücht­lin­ge kön­nen das Ster­ben an Euro­pas Gren­zen tat­säch­lich beenden.

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