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Streitkräfte der “European Union Naval Force Somalia” nähern sich einem Boot am Horn von Afrika. Die Antipiraterie-Mission ist das Vorbild der EU-Militäraktion „EUNAVFOR Med“, die sich gegen Schleuser richtet – in der Konsequenz aber auch gegen Flüchtlinge. Foto: flickr / European Union Naval Force Somalia Operation Atalanta

Heute beschlossen die EU-Außenminister die EU-Militäraktion EUNAVFOR Med gegen Schleusernetzwerke - einen Militäreinsatz, der völkerrechtswidrig ist, Menschenleben von Flüchtlingen und Zivilisten gefährdet und sich letztlich nicht nur gegen Schleuser, sondern gegen Flüchtlinge wendet. Nun startet die erste Phase des Einsatzes.

Es sieht der­zeit noch nicht danach aus, als könn­te die EU-Außen­be­auf­trag­te Fede­ri­ca Mog­he­ri­ni ihre Plä­ne für einen EU-Mili­tär­ein­satz gegen Schleu­ser zeit­nah in vol­lem Umfang umset­zen: Das für eine mili­tä­ri­sche Ope­ra­ti­on in liby­schen Gewäs­sern oder gar auf liby­schen Boden nöti­ge Man­dat des Uno-Sicher­heits­rats schei­tert bis­lang an Ein­wän­den Russlands.

Dass sich die EU von die­sen Ein­wän­den davon abbrin­gen lässt, den geplan­ten Mili­tär­ein­satz „EUNAVFOR Med“ wei­ter vor­an­zu­trei­ben, ist jedoch unwahr­schein­lich: Heu­te star­te­ten die EU-Mit­glied­staa­ten die ers­te Pha­se des Ein­sat­zes, die die Auf­klä­rung von Schleu­ser­netz­wer­ken in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern  vor­sieht. Die wei­te­ren drei Pha­sen der Ope­ra­ti­on, die die  Beschlag­nah­me von Boo­ten auf Hoher See, die Zer­stö­rung von Boo­ten und die Über­ga­be der Bekämp­fung von Schleu­sern an die liby­sche Küs­ten­wa­che vor­se­hen, wer­den man­gels Zustim­mung Liby­ens und man­gels UN-Man­dat zurück­ge­stellt – vorerst.

Doch schon im Vor­feld der heu­ti­gen Sit­zung mach­te EU-Außen­be­auf­trag­te Fede­ri­ca Mog­he­ri­ni ihre Posi­ti­on klar: Die Ope­ra­ti­on sol­le kom­plett durch­ge­führt wer­den – eine Beschrän­kung des Ein­sat­zes auf die nun gestar­te­te ers­te Pha­se rei­che nicht. Eine rei­ne Auf­klä­rungs­mis­si­on kön­ne „fal­sche Anrei­ze für die Schlep­per“ lie­fern, so Mog­he­ri­ni, die offen­bar fürch­tet, die Daten der Auf­klä­rungs­dro­nen könn­te auch dazu füh­ren, dass Flücht­lin­ge in See­not geret­tet wer­den müs­sen. Laut Mog­he­ri­ni bedür­fe es daher der effek­ti­ven Zer­stö­rung der Schleuserboote.

Bun­des­re­gie­rung zeigt Skep­sis – spielt aber mit

Dass die mili­tä­ri­sche Mis­si­on erheb­li­che Gefah­ren birgt und das Pro­blem, dass Tau­sen­de Schutz­su­chen­de auf der Flucht nach Euro­pa ihr Leben ver­lie­ren, nicht lösen wird, scheint der Bun­des­re­gie­rung bewusst zu sein. „Wir wis­sen, dass die Mis­si­on kei­ne Ant­wort ist, die das Flücht­lings­pro­blem in irgend­ei­ner Form besei­tigt“, kom­men­tier­te Bun­des­au­ßen­mi­nis­ter Stein­mei­er (SPD) den Beschluss zur Ope­ra­ti­on „EU Nav­for Med“.

Anstatt der berech­tig­ten Skep­sis sei­tens der Bun­des­re­gie­rung wäre jedoch ein kla­res Nein gegen­über den Plä­nen Mog­her­inis ange­bracht – und zwar aus vie­len gewich­ti­gen Grün­den: Der geplan­te Mili­tär­ein­satz ver­stößt gegen Völ­ker- und Ver­fas­sungs­recht, er gefähr­det das Leben von Flücht­lin­gen und Zivi­lis­ten und droht in Liby­en in höchs­ter Gefahr fest­sit­zen­den Flücht­lin­gen die Chan­ce zur Flucht zu nehmen.

Haar­sträu­ben­de Begrün­dung des gefor­der­ten UN-Mandats

Für Mili­tär­ein­satz in und an der Küs­te Liby­ens bedarf es eines UN-Man­dats, das nach Art. 39 der UN-Char­ta eine „Bedro­hung des Frie­dens“ vor­aus­setzt. Die EU-Außen­be­auf­trag­te kon­stru­iert die­se Bedro­hung, indem Sie die angeb­li­che Desta­bi­li­sie­rung der EU-Staa­ten durch hohe Flücht­lings­zah­len anführt. Die­se Argu­men­ta­ti­on ist mit inter­na­tio­na­lem Recht nicht zu ver­ein­ba­ren: Die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen ist eine völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tung und kei­ne Gefahr für den Frieden.

Dass der geplan­te Mili­tär­ein­satz völ­ker­rechts­wid­rig ist, zeigt auch eine recht­li­che Exper­ti­se deut­scher Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, die im Forum Men­schen­rech­te zusam­men­ar­bei­ten. Der Zusam­men­schluss von über 50 Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen in Deutsch­land for­dert die EU daher in einem Posi­ti­ons­pa­pier auf, mili­tä­ri­sche Ein­sät­ze und Abschot­tung zu unter­las­sen und statt­des­sen lega­le Ein­rei­se­we­ge für Flücht­lin­ge zu schaffen.

Ein­satz der Bun­des­wehr wäre verfassungswidrig

Kom­men im Rah­men der Mis­si­on „EU Nav­for Med“ Bun­des­wehr­sol­da­ten zum Ein­satz, wider­sprä­che dies auch dem deut­schen Grund­ge­setz. Art. 87a Abs. 2 Grund­ge­setz sta­tu­iert ein Tren­nungs­ge­bot zwi­schen Poli­zei und Mili­tär. Schleu­sung ist nach den völ­ker­recht­li­chen Ver­trä­gen ein pri­va­tes Straf­de­likt, dem allei­ne mit dem Straf­recht und durch poli­zei­li­che Ermitt­lun­gen begeg­net wer­den kann. Umso irri­tie­ren­der ist die Ent­sen­dung von deut­schen Bun­des­wehr­sol­da­ten nach Rom, die dort den Mili­tär­ein­satz pla­nen sollen.

Inter­ne Papie­re der EU wei­sen auf dro­hen­de „Kol­la­te­ral­schä­den“ hin

Dar­über, wie gefähr­lich der geplan­te Mili­tär­ein­satz ist, weiß die EU selbst Bescheid. In inter­nen Papie­ren haben die EU-Orga­ne „Euro­päi­scher Aus­wär­ti­ger Dienst (EEAS)“ und das „Poli­ti­sche und Sicher­heits­po­li­ti­sche Komi­tee“ (PSK bzw. PMG) ein­ge­stan­den, dass der Mili­tär­ein­satz unkal­ku­lier­ba­re Risi­ken mit sich bringt, mit hoher Wahr­schein­lich­keit zu „Kol­la­te­ral­schä­den“ füh­ren wird und den Bür­ger­krieg in Liby­en anzu­hei­zen droht. Die ein­zi­ge Ant­wort, die die EU auf die inter­ne selbst­kri­ti­sche Ein­schät­zung hat, ist eine PR-Stra­te­gie gegen den dro­hen­den Reputationsverlust.

War­um der Krieg gegen Schleu­ser ein Krieg gegen Flücht­lin­ge ist

Die EU-Doku­men­te las­sen kei­nen Zwei­fel dar­an, dass sich der angeb­li­che Krieg gegen die Schlep­per­or­ga­ni­sa­tio­nen zu einem Krieg gegen die Flücht­lin­ge aus­zu­wei­ten droht. Neben der Gefahr, dass Flücht­lin­ge als „Kol­la­te­ral­schä­den“ getö­tet oder ver­letzt wer­den, droht die Mili­tär­ope­ra­ti­on der EU, ihnen die letz­te Chan­ce auf die Flucht aus Liby­en zu rauben.

Wie Recher­chen u.a. von Amnes­ty Inter­na­tio­nal zei­gen, dro­hen Schutz­su­chen­den dort Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Fol­ter, Ent­füh­run­gen, bru­ta­le Aus­beu­tung und Ver­fol­gung durch Mili­zen und kri­mi­nel­le Ban­den. Statt Schleu­ser mili­tä­risch zu bekämp­fen muss die EU drin­gend in Liby­en fest­sit­zen­de Flücht­lin­ge und Migran­ten eva­ku­ie­ren und Flücht­lin­gen die lega­le Ein­rei­se in die EU ermöglichen.

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