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Auch nach 6 Monaten harren tausende Ortskräfte in Afghanistan aus - auch weil deutsche Behörden die Aufnahme verzögern.

Die Bedrohung für afghanische Ortskräfte ist real und alltäglich. Anderslautende Behauptungen aus dem BMZ verschleiern, dass sehr viel mehr Menschen von den Taliban verfolgt werden, als es die Bundesregierung glauben machen will. Das verdeutlichen zahlreiche Fälle von früheren Mitarbeitern eines GIZ-Polizeiprojekts.

Es gibt Momen­te, die sprach­los machen – im nega­ti­ven Sin­ne. Die Nach­richt, die das Bun­des­ent­wick­lungs­mi­nis­te­ri­um (BMZ) am 20. Janu­ar ver­kün­de­te, war so ein Moment. Eine ziel­ge­rich­te­te Ver­fol­gung von afgha­ni­schen Orts­kräf­ten der deut­schen Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit habe sich nicht bestä­tigt, behaup­tet das Minis­te­ri­um. Ent­spre­chen­de Hin­wei­se lägen nicht vor. Hört man dem BMZ zu, gewinnt man den Ein­druck, afgha­ni­sche Orts­kräf­te sei­en gar nicht in Gefahr. »Da fragt man sich ungläu­big, woher das BMZ in den letz­ten Mona­ten sei­ne Infor­ma­tio­nen bezo­gen hat. Kom­men denn all die Hil­fe­ru­fe, die die Orts­kräf­te seit dem Trup­pen­ab­zug an die Minis­te­ri­ums-Email­adres­sen, ans Aus­wär­ti­ge Amt, an ihre ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­ber, an Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen und über sozia­le Netz­wer­ke sen­den, nicht an?«, kom­men­tiert eine Journalistin.

Seit Mona­ten erhält PRO ASYL ver­zwei­fel­te Nach­rich­ten aus Afgha­ni­stan von Men­schen, die um Leib und Leben fürch­ten, dar­un­ter vie­le ehe­ma­li­ge Mitarbeiter*innen deut­scher Insti­tu­tio­nen. »Jetzt sind die Kil­ler­kom­man­dos der Tali­ban bereit, ihre Mis­sio­nen zu star­ten. Sie haben schon mit dem Ver­such begon­nen, all jene Men­schen zu fin­den und zu ver­haf­ten, die mit Aus­län­dern zusam­men­ge­ar­bei­tet oder ihnen gehol­fen haben«, schreibt einer von ihnen. Und ergänzt: »Nun ist also auch mein Leben in Gefahr. Ein paar Mal haben die Tali­ban uns schon ange­grif­fen, mein Bru­der wur­de dabei lebens­ge­fähr­lich ver­letzt, aber ich konn­te ent­kom­men. Danach haben die Tali­ban uns erneut ange­grif­fen und mei­nen Cou­sin getö­tet. Jetzt schi­cken sie mir wie­der jeden Tag War­nun­gen und bezeich­nen mich als Spi­on und wol­len mich ver­haf­ten, um mich hinzurichten. «

Die Aus­sa­gen des BMZ offen­ba­ren ent­we­der eine erschre­cken­de Unkennt­nis der Lage oder aber bewuss­te Schön­fär­be­rei, um aus poli­ti­schen Grün­den die Zah­len der Afghan*innen, die nach Deutsch­land ein­rei­sen dür­fen, mög­lichst gering zu hal­ten. Beson­ders bri­sant: Bis­her wur­den immer­hin die aner­kann­ten Orts­kräf­te als gefähr­det ange­se­hen und »nur« jene mit indi­rek­ten Ver­trags­ver­hält­nis­sen nicht. Jetzt geht es soweit, dass das BMZ sogar die Gefähr­dung der ers­ten Grup­pe infra­ge stellt. Die Begrün­dung hier­für ist per­fi­de: Das Minis­te­ri­um führt an, ihm lägen kei­ne eige­nen, nach­prüf­ba­ren Erkennt­nis­se zur Bedro­hungs­la­ge ehe­ma­li­ger Mitarbeiter*innen vor und Berich­te von Afghan*innen könn­ten »nicht veri­fi­ziert« wer­den, weil kei­ne Deut­schen vor Ort sind. Eine sol­che Argu­men­ta­ti­on bestraft die bedroh­ten Men­schen gleich dop­pelt. Erst sehen sie sich mit dem Abzug der west­li­chen Trup­pen allein­ge­las­sen und den Tali­ban hilf­los aus­ge­lie­fert, und jetzt wird ihren ver­zwei­fel­ten Hil­fe­ru­fen von­sei­ten deut­scher Behör­den miss­traut – weil deut­sche Beam­te das nicht vor Ort nach­prü­fen können.

Ein UN-Bericht, der der Nach­rich­ten­agen­tur AP vor­liegt und über den sie am 31. Janu­ar berich­te­te, kommt zu einer ande­ren Ein­schät­zung als das BMZ. Dar­in heißt es, die Tali­ban haben seit ihrer Macht­über­nah­me im August 2021 mehr als hun­dert ehe­ma­li­ge Regierungsmitarbeiter*innen und Orts­kräf­te der inter­na­tio­na­len Trup­pen in Afgha­ni­stan getö­tet. UN-Gene­ral­se­kre­tär Anto­nio Guter­res erläu­tert zudem, dass »Men­schen­rechts­ver­tei­di­ger und Medi­en­schaf­fen­de wei­ter­hin Angrif­fen, Ein­schüch­te­run­gen, Schi­ka­nen, will­kür­li­chen Ver­haf­tun­gen, Miss­hand­lun­gen und Tötun­gen aus­ge­setzt [sind] «.

Problematisch: Sehr viel mehr Ortskräfte als offiziell anerkannt

Noch immer ist ein Pro­blem unge­löst, auf das PRO ASYL seit Mona­ten hin­weist: Die Defi­ni­ti­on von Orts­kräf­ten ist von der Bun­des­re­gie­rung so eng gefasst, dass vie­le der bedroh­ten und ver­folg­ten Men­schen, die in der deut­schen Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit tätig waren, von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen wer­den. Wer als Hono­rar­kraft für deut­sche Insti­tu­tio­nen gear­bei­tet hat oder als Sub­un­ter­neh­mer tätig war, wird nicht berück­sich­tigt. So wie Said*, der zwei Jah­re lang als Hono­rar­kraft in einem GIZ‑Projekt gear­bei­tet hat und mehr­fach von den Tali­ban bedroht wur­de. Nach ihrer Macht­über­nah­me haben die Tali­ban nach ihm gesucht und ihm Droh­schrei­ben geschickt; sein Vater und Bru­der waren von ihnen getö­tet wor­den. Said gelang die Flucht nach Paki­stan, doch weil ihm das Geld aus­ging, ist der ehe­ma­li­ge GIZ-Mit­ar­bei­ter dort obdachlos.

»Es wird Tag für Tag ris­kan­ter für uns. Sie sind über­all und wir wis­sen nicht, wann ihr nächs­ter Angriff auf uns ist.«

Auch der fol­gen­de Fall wur­de PRO ASYL zuge­tra­gen: Als der Ehe­mann einer ehe­ma­li­gen GIZ-Mit­ar­bei­te­rin Ein­käu­fe holen ging und auf dem Heim­weg war, wur­de er von zwei Unbe­kann­ten ver­folgt. Die bei­den Män­ner ver­such­ten, ihn zu ent­füh­ren; als er sich wehr­te, schlu­gen sie ihn. Schließ­lich gelang es ihm, zu ent­kom­men, doch sei­ne Ver­fol­ger wie­der­hol­ten mehr­mals, dass sie noch nicht fer­tig sei­en und sie ihn nicht leben las­sen wür­den. Sei­ne Toch­ter schrieb an PRO ASYL: »Es wird Tag für Tag ris­kan­ter für uns. Sie sind über­all und wir wis­sen nicht, wann ihr nächs­ter Angriff auf uns ist. Die Beschäf­ti­gung mei­ner Mut­ter und die Zusam­men­ar­beit mit den Aus­län­dern haben dazu geführt, dass die­se Kata­stro­phen in unser Leben kamen. Wenn Sie nicht sofort Maß­nah­men für unse­re Eva­ku­ie­rung ergrei­fen, haben wir beim nächs­ten Mal mög­li­cher­wei­se bereits eines unse­rer Fami­li­en­mit­glie­der ver­lo­ren. Ich bit­te Sie, uns bei der Eva­ku­ie­rung zu hel­fen, bevor wir getö­tet werden.«

Der Flücht­lings­rat Nie­der­sach­sen berich­te­te bereits Anfang Dezem­ber, dass 161 afgha­ni­sche Orts­kräf­te, die für die GIZ tätig waren, ihr Recht auf Eva­ku­ie­rung ein­for­der­ten. Ihre Fäl­le hät­ten sich BMZ, Aus­wär­ti­ges Amt und GIZ gegen­sei­tig zuge­scho­ben. Auch in den sozia­len Netz­wer­ken schil­dern ehe­ma­li­ge Orts­kräf­te ihre Situa­ti­on. Am 4. Janu­ar twit­ter­te jemand: »Jede Nacht schla­fen wir, das loka­le Team des GIZ-Poli­zei­pro­jekts, in der Hoff­nung, dass wir irgend­wann nachts eine Bestä­ti­gungs­nach­richt [der deut­schen Regie­rung] erhal­ten. Aber mor­gens ist immer noch nichts da. Dann ver­geht der Tag mit der­sel­ben ent­täusch­ten Hoff­nung.« Die Ver­zweif­lung und Fas­sungs­lo­sig­keit ange­sichts der jüngs­ten BMZ-Äuße­run­gen ist den Bei­trä­gen anzu­mer­ken. »Wie lan­ge wollt ihr noch lügen?«, lau­tet ein Tweet, adres­siert ans BMZ, das Innen­mi­nis­te­ri­um, die GIZ, Außen­mi­nis­te­rin Baer­bock und Ent­wick­lungs­mi­nis­te­rin Schul­ze. »Für Sie sind die Leben von uns loka­len Mit­ar­bei­tern in Afgha­ni­stan bedeutungslos!«

Polizei-Kooperationsprojekt: Rund 3000 Mitarbeiter, die das BMZ nicht als Ortskräfte identifiziert

Die Mit­glie­der der oben erwähn­ten Twit­ter-Grup­pe sind einer beson­ders gefähr­de­ten Grup­pe zuzu­rech­nen, aus des­sen Umfeld PRO ASYL vie­le Hil­fe­ru­fe erhält: Dem Poli­ce Coope­ra­ti­on Pro­ject, kurz PCP. Dabei han­del­te es sich um ein Koope­ra­ti­ons­pro­jekt zwi­schen dem afgha­ni­schen Innen­mi­nis­te­ri­um und der GIZ. Ziel war es, afgha­ni­sche Poli­zei­kräf­te aus­zu­bil­den. Im Auf­trag der GIZ brach­ten afgha­ni­sche Leh­rer den Poli­zis­ten Lesen und Schrei­ben bei, aber auch Grund­la­gen von Staats- und Straf­recht sowie Gen­der- und Umwelt­the­men. Seit dem Pro­jekt­start 2014 waren laut einer GIZ-Spre­che­rin rund 3000 Per­so­nen ein­ge­setzt, der aller­größ­te Teil als Einzelgutachter*innen. Auf­grund die­ses Ver­trags­ver­hält­nis­ses zäh­len sie offi­zi­ell nicht als GIZ-Ange­stell­te und sind daher nicht für die Auf­nah­me als Orts­kräf­te vor­ge­se­hen – obwohl vie­le von ihnen die Beschäf­ti­gung über Jah­re hin­weg aus­ge­übt haben.

»Acht Stun­den haben die Tali­ban ihn an einem Baum auf­ge­hängt, bis bei­de Arme gebro­chen waren.«

Die Zei­tung »neu­es deutsch­land« hat fünf die­ser Ein­zel­gut­ach­ter in Afgha­ni­stan getrof­fen, dar­un­ter einen Mann, der sich Abdul­rah­man nennt. »Acht Stun­den haben die Tali­ban ihn an einem Baum auf­ge­hängt, bis bei­de Arme gebro­chen waren. Acht Stun­den haben sie ihn geschla­gen, bis sei­ne Rip­pen gebro­chen waren, sei­ne Mut­ter und Schwes­ter miss­han­delt. Das Haus der Fami­lie wur­de von den Tali­ban ent­eig­net, heu­te betrei­ben sie dort eine Koran­schu­le«, heißt es in dem Pres­se­be­richt vom 13. Janu­ar 2022. Abdul­rah­man sei danach nach Kabul geflo­hen, wo er bis heu­te ver­steckt lebt. Gegen­über dem Jour­na­lis­ten sag­te er, das Schmer­zens­geld der GIZ in Höhe von umge­rech­net 750 Euro habe er nie erhal­ten, es sei in den Taschen ande­rer ver­schwun­den. Jeder der fünf Män­ner, die in dem ver­las­se­nen Haus in Kabul von ihrem Schick­sal erzäh­len, habe wäh­rend sei­ner Tätig­keit für die GIZ bereits Todes­dro­hun­gen durch die Tali­ban erhalten.

PRO ASYL liegt der Brief eines afgha­ni­schen Inge­nieurs vor, der eben­falls über fünf Jah­re für das GIZ-Poli­zei­pro­jekt tätig war. Am 12. Janu­ar 2022 schreibt Mohe­bull­ah*: »Ich erhal­te häu­fig Anru­fe von ver­schie­de­nen Unbe­kann­ten, die mich direkt bedro­hen. Nach dem Fall Afgha­ni­stans haben die Tali­ban die Adres­se mei­ner Fami­lie her­aus­ge­fun­den und mei­nen Vater miss­han­delt, um von ihm zu erfah­ren, wo ich sei. Glück­li­cher­wei­se war ich zu die­sem Zeit­punkt nicht zuhau­se. Nach die­sem Vor­fall ist mei­ne gan­ze Fami­lie in eine ande­re Stadt geflo­hen. Seit­dem wech­seln wir regel­mä­ßig unse­ren Wohn­ort und ver­ste­cken uns immer woan­ders.« Bereits im Juni 2015, ein hal­bes Jahr nach Been­di­gung sei­ner Arbeit für die Deut­schen, erhielt Mohe­bull­ah nach eige­nen Anga­ben ein Schrei­ben von den Tali­ban. »Dar­in droh­ten sie, mich zu töten, weil ich mit der deut­schen Regie­rung zusam­men­ge­ar­bei­tet und Poli­zei­sta­tio­nen mit­auf­ge­baut habe. Aus ihrer Sicht war ich ein Spi­on der deut­schen Regie­rung. Nach dem Zusam­men­bruch der vor­he­ri­gen Regie­rung sind mei­ne Fami­lie und ich in größ­ter Gefahr. Wir ver­ste­cken uns, um zu über­le­ben. « Ande­re Afgha­nen mei­den die Fami­lie, fährt er in sei­nen Schil­de­run­gen fort, um nicht selbst zum Ziel der Tali­ban zu wer­den. Aus die­sem Grund hät­ten er und sei­ne Ange­hö­ri­gen auch ihre Arbeits­plät­ze ver­lo­ren, sodass die Fami­lie kein Ein­kom­men habe. »Unse­re Erspar­nis­se sind auf­ge­braucht. Wenn wir uns durch Zufall vor den Tali­ban ret­ten kön­nen, wird uns der Hun­ger über­all in Afgha­ni­stan beglei­ten. Wenn wir nicht so schnell wie mög­lich an einen siche­ren Ort zie­hen, wer­den wir in Afgha­ni­stan nicht über­le­ben können.«

»Wenn wir nicht so schnell wie mög­lich an einen siche­ren Ort zie­hen, wer­den wir in Afgha­ni­stan nicht über­le­ben können.«

Mohe­bull­ah ist bei wei­tem nicht der Ein­zi­ge: PRO ASYL hat Kennt­nis von wei­te­ren Men­schen, die frü­her für das GIZ-Poli­zei­pro­jekt tätig waren und von den Tali­ban bedroht, zusam­men­ge­schla­gen oder gefol­tert wur­den.  Eini­ge sind unter­ge­taucht, ande­re ille­gal nach Paki­stan geflo­hen, wei­te­re muss­ten erfah­ren, dass auf­grund ihrer Tätig­keit für die Deut­schen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von den Tali­ban ermor­det wurden.

Juristische Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland

Dass sich dar­aus auf mora­li­scher Ebe­ne eine Schutz­pflicht Deutsch­lands für die­se Men­schen ergibt, liegt auf der Hand. Doch wie sieht es juris­tisch aus? Eine Publi­ka­ti­on des Deut­schen Insti­tuts für Men­schen­rech­te von Janu­ar 2022 zeigt auf, inwie­fern als Fol­ge des inter­na­tio­na­len Mili­tär­ein­sat­zes und des Abzugs der inter­na­tio­na­len Trup­pen grund- und men­schen­recht­li­che Schutz­pflich­ten Deutsch­lands gegen­über den Men­schen in Afgha­ni­stan ent­stan­den sind. »Die­se Schutz­pflich­ten resul­tie­ren aus den im Grund­ge­setz und in Men­schen­rechts­ver­trä­gen ver­an­ker­ten Rech­ten auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit«, schreibt Pro­fes­so­rin Dr. Bea­te Rudolf, Direk­to­rin des Insti­tuts. »Aus­gangs­punkt grund­ge­setz­li­cher Schutz­pflich­ten Deutsch­lands gegen­über schutz­be­dürf­ti­gen Afghan*innen ist die Aus­übung von deut­scher Hoheits­ge­walt. Die Grund­rech­te bin­den deut­sche Ent­schei­dungs­trä­ger umfas­send, auch in extra-ter­ri­to­ria­len Kon­stel­la­tio­nen gegen­über ande­ren Staats­an­ge­hö­ri­gen. Dies gilt auch für den Bereich der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik. Grund­rech­te kön­nen daher auch zuguns­ten Betrof­fe­ner in Afgha­ni­stan grei­fen«, heißt es in der Ana­ly­se mit Ver­weis auf ein Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 19.5.2020. Expli­zit ange­spro­chen wird dar­über hin­aus, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Schutz­pflich­ten nicht nur gegen­über der offi­zi­ell als Orts­kräf­te defi­nier­ten Per­so­nen­grup­pe hat, son­dern auch für wei­te­re Afghan*innen (sie­he S. 15f).

Die Anwält*innen Mat­thi­as Leh­nert und Susan­ne Gies­ler gehen nun juris­tisch gegen die Untä­tig­keit der Bun­des­re­gie­rung vor, die frü­he­re Mit­ar­bei­ter des GIZ-Poli­zei­pro­jekts auf­grund der spe­zi­el­len Ver­trags­ver­hält­nis­se nicht als  Orts­kräf­te schützt. Sie ver­tre­ten mit Unter­stüt­zung von PRO ASYL meh­re­re afgha­ni­sche Klä­ger aus die­ser Per­so­nen­grup­pe vor Gericht. Die afgha­ni­schen Klä­ger führ­ten Schu­lun­gen für afgha­ni­sche Polizist*innen durch und arbei­te­ten dabei nach genaus­ten Vor­ga­ben der GIZ. Zudem unter­la­gen sie nach dem Arbeits­ver­trag einem Neben­be­schäf­ti­gungs­ver­bot. Nach der Recht­spre­chung des EuGH han­delt es sich damit um einen Arbeits­ver­trag, denn der EuGH stell­te in einem Urteil vom 22. April 2020 klar: »Die Arbeit­neh­mer­ei­gen­schaft im Sin­ne des Uni­ons­rechts wird des­halb nicht dadurch geschwächt, dass eine Per­son aus steu­er­li­chen, admi­nis­tra­ti­ven oder ver­wal­tungs­recht­li­chen Grün­den als selbst­stän­di­ger Dienst­leis­tungs­er­brin­ger beschäf­tigt wird, sofern sie nach Wei­sung ihres Arbeit­ge­bers han­delt, ins­be­son­de­re was ihre Frei­heit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt ihrer Arbeit angeht. « Die­ser Linie fol­gend müss­te das BMZ die Mitarbeiter*innen des Poli­zei­pro­jekts eben­falls als Orts­kräf­te aner­ken­nen. Zudem steht Deutsch­land in der Pflicht, da die Gefähr­dung eine Fol­ge der Tätig­keit für deut­sche Orga­ni­sa­tio­nen ist. In den Augen der Tali­ban han­delt es sich um Kol­la­bo­ra­teu­re. Hier­für ist die Art des Arbeits­ver­tra­ges nicht ent­schei­dend. Hier­aus mögen arbeits­recht­lich unter­schied­li­che Für­sor­ge­pflich­ten ent­ste­hen. Ver­fas­sungs­recht­li­che Schutz­pflich­ten ori­en­tie­ren sich aber unab­hän­gig davon am gefähr­de­ten Rechts­gut – hier Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit – und einem tat­säch­lich hin­rei­chend engen Bezug zu Deutschland.

Doch bis es zu einem Gerichts­ur­teil kommt, wird ver­mut­lich viel Zeit ver­ge­hen – Zeit, die die bedroh­ten afgha­ni­schen Orts­kräf­te nicht haben. Sowohl im Koali­ti­ons­ver­trag als auch im »Akti­ons­plan Afgha­ni­stan« des Aus­wär­ti­gen Amts hat die neue Bun­des­re­gie­rung den Afghan*innen ver­spro­chen, sie nicht im Stich zu las­sen. Ihr Umgang mit den Orts­kräf­ten ist ein Lack­mus­test dafür. Denn der Aus­sa­ge, Deutsch­lands Sicher­heit wer­de auch am Hin­du­kusch ver­tei­digt, ist eine wei­te­re hin­zu­zu­fü­gen: Deutsch­lands Glaub­wür­dig­keit wird auch am Hin­du­kusch unter Beweis gestellt.

(er)
*Die Namen sind aus Sicher­heits­grün­den anonymisiert.