20.12.2022
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Das Flüchtlingslager in den Warschauer Messehallen galt zeitweise als das größte Europas. Foto: Marc Speer

Vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine war Polen vor allem für seine harte und menschenrechtswidrige Behandlung von Geflüchteten bekannt. Während Polen an der Grenze zu Belarus weiterhin brutal gegen Schutzsuchende vorgeht, zeigt sich das Land gegenüber ukrainischen Kriegsflüchtlingen von seiner freundlichen Seite.

Nur wenig erin­nert im Sep­tem­ber 2022 in der pol­ni­schen Klein­stadt Prze­myśl noch an die chao­ti­schen Zustän­de der ers­ten Tage nach dem Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne. Hier, im äußers­ten Süd­os­ten Polens, dräng­ten sich damals Tau­sen­de ukrai­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge, die die Ukrai­ne Hals über Kopf ver­las­sen hat­ten, in den Klein­stadt­bahn­hof. Dazu kamen schnell etli­che frei­wil­li­ge Helfer*innen und Journalist*innen aus der gan­zen Welt.

Mitt­ler­wei­le ist am Bahn­hof zwar immer noch deut­lich mehr Betrieb als vor Kriegs­aus­bruch. Aber es ist eine Form von All­tag ein­ge­kehrt: Noch immer ste­hen Helfer*innen bereit, um die etwa 2.000 Geflüch­te­ten in Emp­fang zu neh­men, die täg­lich mit vier Zügen aus der Ukrai­ne ankom­men. Mobil­funk­be­trei­ber haben klei­ne Stän­de auf­ge­baut und ver­tei­len kos­ten­freie SIM-Kar­ten. Pol­ni­sche Fir­men wer­ben für Arbeits­plät­ze im Nied­rig­lohn­sek­tor. Und die pol­ni­sche Bahn­ge­sell­schaft sorgt mit zusätz­li­chen Mitarbeiter*innen für eine rei­bungs­lo­se Wei­ter­rei­se – auch wenn die Bahn­ti­ckets seit eini­ger Zeit nicht mehr kos­ten­los zu haben sind. Ein­zi­ge Aus­nah­me stellt ein Son­der­zug nach Han­no­ver dar, der nach wie vor alle paar Tage von Prze­myśl aus direkt nach Han­no­ver fährt.

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Vor der Pass­kon­trol­le zur Aus­rei­se in die Ukrai­ne bil­det sich in Prze­myśl jeden Tag eine lan­ge Schlan­ge. Foto: Marc Speer

Nach Polen und zurück

Was in Prze­myśl sofort auf­fällt, ist die lan­ge Schlan­ge von War­ten­den vor der Pass­kon­trol­le für Aus­rei­sen in die Ukrai­ne. Waren die Züge in der ers­ten Pha­se des Krie­ges fast leer in die Ukrai­ne zurück­ge­fah­ren, sind sie mitt­ler­wei­le gut gefüllt. Der Ein­druck, dass mitt­ler­wei­le genau­so vie­le Ukrainer*innen in die Ukrai­ne fah­ren, wie aus ihr nach Polen ein­rei­sen, bestä­tigt sich auch in War­schau. Am dor­ti­gen Bus­bahn­hof fah­ren jeden Tag etli­che voll­be­setz­te Bus­se in ver­schie­dens­te ukrai­ni­sche Städ­te ab.

Laut UNHCR-Sta­tis­tik sind seit Kriegs­aus­bruch bis Ende Novem­ber 2022 fast acht Mil­lio­nen Men­schen aus der Ukrai­ne nach Polen ein­ge­reist. Rund sechs Mil­lio­nen Men­schen haben Polen im sel­ben Zeit­raum in Rich­tung der Ukrai­ne ver­las­sen. Eine im Juni 2022 von der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM) ver­öf­fent­lich­te Stu­die, die auf der Befra­gung von knapp über 1.000 Rückkehrer*innen in Prze­myśl basiert, kommt zu dem Ergeb­nis, dass etwa 50 Pro­zent der Befrag­ten dau­er­haft in die Ukrai­ne zurück­keh­ren woll­ten. 30 Pro­zent streb­ten ledig­lich einen Besuch an und 17 Pro­zent waren noch unentschlossen.

Heimweh und Sehnsucht nach Familienangehörigen

Eine wei­te­re, vom Nor­we­gi­schen Flücht­lings­rat NRC durch­ge­führ­te Befra­gung brach­te im Juli 2022 zuta­ge, dass sich ein Drit­tel der befrag­ten Rückkehrer*innen län­ger als drei Mona­te außer­halb der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten hat­te. Ein wei­te­res Drit­tel hat­te die Ukrai­ne für ein bis drei Mona­te ver­las­sen, der Rest leb­te für weni­ger als einen Monat im Aus­land oder hat­te die Ukrai­ne bereits vor Aus­bruch des Krie­ges ver­las­sen. Als zen­tra­le Moti­ve für die Rück­kehr wur­den Heim­weh, der Wunsch nach Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung, beruf­li­che Not­wen­dig­kei­ten und die Aus­stel­lung oder Ver­län­ge­rung von Doku­men­ten genannt. Eine eher unter­ge­ord­ne­te Rol­le für die Rück­rei­se­ent­schei­dung spiel­ten die Lebens­be­din­gun­gen im Aufnahmestaat.

Es gehört zu den gro­ßen Vor­tei­len der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz (2001/55/EG), dass es für ukrai­ni­sche Geflüch­te­te pro­blem­los mög­lich ist, für kurz­zei­ti­ge Besu­che in die Ukrai­ne zurück­zu­keh­ren. Im Zuge lang­wie­ri­ger Asyl­ver­fah­ren wäre dies kaum mög­lich gewe­sen, da hier in aller Regel eine dau­er­haf­te Anwe­sen­heit vor­aus­ge­setzt wird. Und auch nach einer Schutz­ge­wäh­rung wäre ein Besuch im Hei­mat­land nur schwer mög­lich gewe­sen, da das Asyl­recht dies nur in Aus­nah­me­fäl­len vorsieht.

Polen nimmt die meisten ukrainischen Kriegsflüchtlinge auf

Bis Ende Novem­ber 2022 haben knapp über 1,5 Mil­lio­nen Ukrainer*innen in Polen vor­über­ge­hen­den Schutz gemäß der Richt­li­nie erhal­ten. Damit hat Polen inner­halb der EU mit Abstand die meis­ten Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne auf­ge­nom­men. Inner­halb Polens wur­den  über­pro­por­tio­nal vie­le Geflüch­te­te in den Groß­städ­ten War­schau (etwa 130.000), Bres­lau (etwa 50.000), Kra­kau und Posen (jeweils etwa 35.000) regis­triert. Das liegt nicht zuletzt dar­an, dass vie­le der lan­des­weit etwa eine Mil­li­on ukrai­ni­schen Arbeitsmigrant*innen, die bereits vor dem Krieg in den gro­ßen Städ­ten gelebt haben, nach Kriegs­aus­bruch Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge und Freund*innen auf­ge­nom­men haben. In Bres­lau stammt mitt­ler­wei­le ein Vier­tel der Bevöl­ke­rung aus der Ukrai­ne und an den War­schau­er Bahn­hö­fen infor­mie­ren Pla­ka­te dar­über, dass die gro­ßen pol­ni­schen Städ­te bereits über­füllt sei­en und die klei­ne­ren Städ­te daher bes­se­re Lebens­be­din­gun­gen bie­ten würden.

Schutz ohne »Papier«

Auf­grund der immensen Anzahl von Geflüch­te­ten, die ins­be­son­de­re kurz nach Beginn des Krie­ges nach Polen kamen, ent­schied sich die pol­ni­sche Regie­rung dazu, ukrai­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen, die nach dem 24. Febru­ar 2022 ein­ge­reist sind, pau­schal ein 18-mona­ti­ges Auf­ent­halts­recht gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz zu gewäh­ren. Anders als in ande­ren euro­päi­schen Län­dern muss hier­für kein geson­der­ter Antrag gestellt wer­den. Aller­dings ist die Bean­tra­gung einer soge­nann­ten Pesel-Num­mer not­wen­dig. Die­se per­sön­li­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer, die auch an pol­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ver­ge­ben und von der jewei­li­gen Gemein­de­ver­wal­tung aus­ge­stellt wird, wird für ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge mit dem Zusatz »UKR« versehen.

Die Bean­tra­gung einer Pesel-Num­mer ist zwar nicht vor­ge­schrie­ben, jedoch not­wen­dig, um die mit der Auf­ent­halts­ge­wäh­rung ein­her­ge­hen­den Rech­te unein­ge­schränkt in Anspruch neh­men zu kön­nen.  Zwi­schen­zeit­lich wur­de zudem ein Ver­fah­ren ein­ge­führt, das es ukrai­ni­schen Geflüch­te­ten ermög­licht, über ihre Pesel-Num­mer auch einen elek­tro­ni­schen Auf­ent­halts­ti­tel zu bean­tra­gen, der auf dem Han­dy ange­zeigt wer­den kann.

Umfassender Zugang zu Sozialleistungen

Zu den Rech­ten, die sich aus einer Regis­trie­rung im »Pesel«-System erge­ben, zäh­len eine Ein­mal­zah­lung in Höhe von 300 Zło­ty (etwa 65 Euro) sowie der unein­ge­schränk­te Zugang zum Arbeits­markt, zur Gesund­heits­ver­sor­gung, zu Sozi­al­hil­fe und zu ver­schie­de­nen Fami­li­en­leis­tun­gen, die auch pol­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen gewährt wer­den. Hier spielt ins­be­son­de­re das Erzie­hungs­geld »500+« eine Rol­le, das 2016 ein­ge­führt wur­de und das die ein­kom­mens­un­ab­hän­gi­ge monat­li­che Aus­zah­lung von 500 Zło­ty (etwa 105 Euro) für jedes Kind vor­sieht. Wei­ter­hin besteht – bei Vor­lie­gen bestimm­ter Vor­aus­set­zun­gen – die Mög­lich­keit, staat­li­che Grund­si­che­rung zu erhal­ten: Die­se beträgt für Ein­zel­per­so­nen maxi­mal 701 Zło­ty (etwa 150 Euro) und für Fami­li­en maxi­mal 528 Zło­ty (etwa 110 Euro) pro Familienmitglied.

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Im Grenz­bahn­hof Prze­myśl kam es nach Beginn des Krie­ges zu teil­wei­se chao­ti­schen Zustän­den. Mitt­ler­wei­le ist dort Rou­ti­ne ein­ge­kehrt. Foto: Marc Speer

Von dem »Cash-Pro­gram«, das der UNHCR kurz nach Beginn des Krie­ges in Polen eta­bliert hat, kön­nen seit August 2022 nur noch beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Geflüch­te­te pro­fi­tie­ren. Bis dahin wur­den fast 100 Mil­lio­nen Euro an rund 250.000 Ukrainer*innen aus­ge­zahlt. Dabei erhiel­ten Ein­zel­per­so­nen monat­lich 700 Zło­ty (etwa 150 Euro) und jedes wei­te­re Fami­li­en­mit­glied 600 Zło­ty (etwa 130 Euro), wobei an jeden Haus­halt maxi­mal 2.500 Zło­ty (etwa 530 Euro) pro Monat aus­ge­zahlt wurden.

Einschränkungen bei längerfristiger Ausreise

Bei Ukrainer*innen, die Polen län­ger als einen Monat ver­las­sen, wird der Zusatz »UKR« der Pesel-Num­mer durch den Zusatz »NUE« ersetzt, was dem Sta­tus eines Aus­län­ders ent­spricht, der weder Bür­ger eines Mit­glied­staats der Euro­päi­schen Uni­on noch Fami­li­en­mit­glied eines EU-Bür­gers ist. Die Fol­ge davon ist unter ande­rem, dass kein Zugang zu Sozi­al­leis­tun­gen mehr besteht.

In der Pra­xis sind dies­be­züg­lich vor allem län­ger­fris­ti­ge Aus­rei­sen aus dem Schen­gen­raum rele­vant, da in die­sem Fall Ein- und Aus­rei­se­da­ten grund­sätz­lich vom pol­ni­schen Grenz­schutz erfasst und wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Dies bedeu­tet, dass auch im Fal­le einer Rück­kehr in die Ukrai­ne nach Ablauf eines Monats zwar in der Regel eine Wie­der­ein­rei­se mög­lich ist, die spe­zi­el­le Pesel-Num­mer für ukrai­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge jedoch deak­ti­viert ist. Der »UKR-Sta­tus« kann jedoch wie­der­her­ge­stellt wer­den, wenn die betref­fen­de Per­son erklärt, dass der Auf­ent­halt außer­halb Polens nicht län­ger als einen Monat gedau­ert hat oder krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen ursäch­lich für die Wie­der­ein­rei­se waren. Mit­tels schrift­li­cher Erklä­rung kann auch der Ver­zicht auf die Pesel-Num­mer erklärt wer­den, was die Auf­ent­halts­ge­wäh­rung gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz in einem ande­ren EU-Staat mög­li­cher­wei­se beschleunigt.

Langfristige Aufenthaltssicherung bereits wenige Monate nach Einreise möglich

Zudem wur­de beschlos­sen, das Auf­ent­halts­recht von ukrai­ni­schen Staatsbürger*innen, die sich bereits vor dem 24. Febru­ar 2022 in Polen auf­ge­hal­ten haben – und die damit nicht unter die Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz fal­len – pau­schal bis min­des­tens zum 31. Dezem­ber 2022 zu verlängern.

Beson­ders posi­tiv ist her­vor­zu­he­ben, dass Ukrainer*innen, denen ein Auf­ent­halts­recht gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz gewährt wur­de, in Polen bereits neun Mona­te nach ihrer Ein­rei­se ein drei­jäh­ri­ges Auf­ent­halts­recht bean­tra­gen kön­nen – sogar unab­hän­gig davon, ob sie einen Job gefun­den haben. Aller­dings wird aktu­ell dis­ku­tiert, die­sen spe­zi­el­len Auf­ent­halts­ti­tel für ukrai­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge wie­der abzuschaffen.

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Direkt am nahe­ge­le­ge­nen Grenz­über­gangs boten im Som­mer etli­che Orga­ni­sa­tio­nen ihre Hil­fe an. Foto: Marc Speer

Kaum Perspektiven für ausländische Studierende 

Beson­ders gro­ße Auf­merk­sam­keit rich­te­te sich kurz nach Beginn des Krie­ges auf den Umgang mit Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen, die sich in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten hat­ten und denen die Ein­rei­se nach Polen ver­wei­gert wur­de. In Reak­ti­on auf hef­ti­ge Kri­tik an die­sem Vor­ge­hen, von dem ins­be­son­de­re die etwa 60.000 aus­län­di­schen Stu­die­ren­den in der Ukrai­ne betrof­fen waren, wur­de nach kur­zer Zeit eine Rege­lung ein­ge­führt, die vor­sieht, dass auch Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge nach Polen ein­rei­sen dür­fen und sich anschlie­ßend bis zu 15 Tage legal dort auf­hal­ten kön­nen. Eine län­ger­fris­ti­ge Auf­ent­halts­ge­wäh­rung gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz ist für Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen jedoch nur mög­lich, wenn sie sich bereits vor dem 24. Febru­ar 2022 mit einer dau­er­haf­ten Auf­ent­halts­er­laub­nis in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten haben.

Bei Asylantrag kann Inhaftierung drohen

Aus­län­di­sche Stu­die­ren­de sind von einer Auf­ent­halts­ge­wäh­rung gemäß Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz somit in aller Regel aus­ge­schlos­sen, da sie nur einen befris­te­ten Auf­ent­halts­sta­tus in der Ukrai­ne hat­ten. Für sie und ande­re Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge, die kei­ne dau­er­haf­te Auf­ent­halts­er­laub­nis für die Ukrai­ne vor­wei­sen kön­nen, sind die Auf­ent­halts­mög­lich­kei­ten in Polen äußerst begrenzt: Ihnen bleibt, wenn sie nicht in ihr Her­kunfts­land zurück­keh­ren wol­len, in vie­len Fäl­len nur die Opti­on, einen Asyl­an­trag zu stel­len. Dabei muss man wis­sen, dass Asylantragsteller*innen in Polen grund­sätz­lich Gefahr lau­fen, inhaf­tiert zu werden.

Nur Mindeststandards für Drittstaatsangehörige

Für Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge, die eine Auf­ent­halts­er­laub­nis gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz bean­tra­gen, wur­de zudem ein geson­der­tes Prüf­ver­fah­ren ein­ge­führt: Im Gegen­satz zur Rege­lung für ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ist die pol­ni­sche Migra­ti­ons­be­hör­de für die Prü­fung zustän­dig. Die­se prüft dann, ob der/die Antragsteller*in tat­säch­lich Inhaber*in einer unbe­fris­te­ten Auf­ent­halts­er­laub­nis war und ob die Mög­lich­keit besteht, sicher in das Her­kunfts­land zurück­zu­keh­ren. Falls die pol­ni­sche Migra­ti­ons­be­hör­de ein Auf­ent­halts­recht gemäß der Richt­li­nie zum vor­über­ge­hen­den Schutz gewährt, gel­ten dar­über hin­aus ledig­lich die in der EU-Richt­li­nie defi­nier­ten Min­dest­stan­dards. Kon­kret bedeu­tet das, dass zwar unbe­schränk­ter Zugang zum Arbeits­markt besteht, der Zugang zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung und Sozi­al­lei­tun­gen jedoch im Ver­gleich zu ukrai­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen deut­lich ein­ge­schränkt ist.

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In einem ehe­ma­li­gen Tes­co-Super­markt in Prze­myśl wur­den zeit­wei­lig Tau­sen­de Kriegs­flücht­lin­ge unter­ge­bracht. Foto: Marc Speer

Nur weni­ge Geflüch­te­te leben in Sammelunterkünften

Nur rela­tiv weni­ge ukrai­ni­sche Geflüch­te­te leben in Polen in Sam­mel­un­ter­künf­ten. Der stell­ver­tre­ten­de Innen­mi­nis­ter Paweł Sze­fer­na­ker äußer­te dies­be­züg­lich Anfang Okto­ber 2022, dass lan­des­weit etwa 80.000 ukrai­ni­sche Geflüch­te­te in Sam­mel­un­ter­künf­ten leben wür­den, davon etwa 2.000 im Mes­se­zen­trum in Nadar­zyn. Die­ses befin­det sich vor den Toren War­schaus und galt zeit­wei­lig als das größ­te Flücht­lings­la­ger Euro­pas. Haupt­säch­lich dient es der kurz­fris­ti­gen Ver­sor­gung und Unter­brin­gung neu ankom­men­der Geflüch­te­ter, bis die­se inner­halb Polens oder in ande­re EU-Län­der wei­ter­rei­sen. Hier­zu wur­de eigens ein Bus­bahn­hof ein­ge­rich­tet, von dem aus jeden Tag etli­che kos­ten­freie Bus­se in die ver­schie­dens­ten Län­der Euro­pas abfuh­ren. Mitt­ler­wei­le fah­ren von dort jedoch kaum noch Bus­se ab.

Ähn­li­ches gilt für einen rie­si­gen, ehe­ma­li­gen Tes­co-Super­markt am Ran­de von Prze­myśl, der nach Aus­bruch des Krie­ges kur­zer­hand zum Auf­nah­me­la­ger umfunk­tio­niert wur­de. Auch hier reih­ten sich Tau­sen­de Feld­bet­ten anein­an­der, auf denen sich ukrai­ni­sche Geflüch­te­te vor ihrer Wei­ter­rei­se mit Rei­se­bus­sen und pri­va­ten PKWs aus­ru­hen konn­ten. Orga­ni­siert wur­de der Wei­ter­trans­port nicht zuletzt von frei­wil­li­gen Helfer*innen, die aus ganz Euro­pa ange­reist waren. Nach­dem das Auf­nah­me­la­ger Ende August 2022 für eini­ge Zeit geschlos­sen wur­de, steht es nun unter der Ver­wal­tung des Roten Kreu­zes und nur noch weni­ge gro­ße Orga­ni­sa­ti­on wie UNICEF oder die IOM haben Zutritt.

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Aus War­schau fah­ren jeden Tag Dut­zen­de Bus­se in die Ukrai­ne. Foto: Marc Speer

Große ukrainische Community und private Aufnahme

Dass in Polen, auch im Ver­gleich zu den ande­ren ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten, nur rela­tiv weni­ge Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne in Sam­mel­la­gern leben, hat meh­re­re Grün­de: Zunächst ein­mal ist her­vor­zu­he­ben, dass vie­le Geflüch­te­te bei Ange­hö­ri­gen der gro­ßen ukrai­ni­schen Com­mu­ni­ty unter­ge­kom­men sind, die bereits vor Aus­bruch des Krie­ges in Polen leb­ten. Dar­über hin­aus begeg­net die pol­ni­sche Gesell­schaft ukrai­ni­schen Geflüch­te­ten bis­her mit offe­nen Armen.

Beein­dru­ckend vie­le Men­schen haben Ukrainer*innen bei sich auf­ge­nom­men. Bei einer Tele­fon­um­fra­ge des »Polish Eco­no­mic Insti­tu­te«, die zwi­schen April und Mai 2022 statt­fand, gaben gan­ze sie­ben Pro­zent der Befrag­ten an, ukrai­ni­sche Geflüch­te­te bei sich unter­ge­bracht zu haben. Bei einer Befra­gung ukrai­ni­scher Geflüch­te­ter durch den UNHCR im August 2022 gab jeweils etwa ein Drit­tel der Befrag­ten an, bei Gastgeber*innen zu woh­nen oder selbst Wohn­raum ange­mie­tet zu haben. Der Rest gab an, ent­we­der in Sam­mel­la­gern zu leben oder nicht dau­er­haft in Polen blei­ben zu wollen.

Die gro­ße Auf­nah­me­be­reit­schaft der pol­ni­schen Gesell­schaft wur­de auch dadurch beför­dert, dass Pri­vat­haus­hal­te für die Auf­nah­me ukrai­ni­scher Geflüch­te­ter einen staat­li­chen Zuschuss in Höhe von  40 Zło­ty (etwa 8,50 Euro) pro Tag und auf­ge­nom­me­ner Per­son bean­tra­gen konn­ten. Laut Schät­zun­gen der pol­ni­schen Regie­rung haben von die­sem Zuschuss allei­ne im April 2022 etwa 600.000 Ukrainer*innen pro­fi­tiert. Mitt­ler­wei­le wur­de die­ses För­der­pro­gramm jedoch been­det. Dar­über hin­aus plant die pol­ni­sche Regie­rung, dass sich die­je­ni­gen Geflüch­te­ten, die sich län­ger als vier Mona­te in Sam­mel­un­ter­künf­ten auf­hal­ten, zukünf­tig an der Hälf­te der Unter­brin­gungs­kos­ten betei­li­gen müs­sen. Zudem wird dis­ku­tiert, den Zugang zu Sozi­al­leis­tun­gen und hier ins­be­son­de­re zu dem im Ver­gleich rela­tiv hohen Erzie­hungs­geld »500+« zu beschränken.

Viele Ukrainer*innen gehen bereits einer Beschäftigung nach 

Vor die­sem Hin­ter­grund liegt es auf der Hand, dass es für ukrai­ni­sche Geflüch­te­te zukünf­tig von noch grö­ße­rer Bedeu­tung sein wird, eine Erwerbs­tä­tig­keit auf­zu­neh­men. Laut Regie­rungs­an­ga­ben haben bis Sep­tem­ber 2022 400.000 ukrai­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge eine Arbeits­stel­le in Polen gefun­den. Eine durch­aus beacht­li­che Zahl, wenn man bedenkt, dass es sich bei etwa 40 Pro­zent der aus der Ukrai­ne stam­men­den Geflüch­te­ten um Min­der­jäh­ri­ge han­delt und wei­te­re sie­ben Pro­zent bereits älter als 60 Jah­re sind. Dies bedeu­tet, dass etwa die Hälf­te der ukrai­ni­schen Kriegs­flücht­lin­ge, die dem pol­ni­schen Arbeits­markt grund­sätz­lich zu Ver­fü­gung ste­hen, bereits einer Beschäf­ti­gung nachgehen.

Pro­ble­ma­tisch ist jedoch, dass vie­le Jobs im Nied­rig­lohn­sek­tor ange­sie­delt sind, mit denen der Lebens­un­ter­halt für eine Fami­lie nur schwer bestrit­ten wer­den kann. Dabei ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass vor allem in den Groß­städ­ten die Mie­ten auf­grund der deut­lich erhöh­ten Nach­fra­ge stark gestie­gen sind.

Wei­ter­hin ist Kin­der­be­treu­ung für vie­le ukrai­ni­sche Geflüch­te­te von ele­men­ta­rer Bedeu­tung, um über­haupt einer Arbeit nach­ge­hen zu kön­nen: Kin­der­gar­ten­plät­ze sind auch in Polen Man­gel­wa­re und längst nicht alle ukrai­ni­schen Kin­der im schul­pflich­ti­gen Alter besu­chen eine Schu­le. Im letz­ten Schul­jahr haben etwa 180.000 geflüch­te­te Kin­der am pol­ni­schen Schul­un­ter­richt teil­ge­nom­men, mit 200.000 bis 300.000 wei­te­ren ukrai­ni­schen Schüler*innen wird für die­ses Schul­jahr gerechnet.

Kommende Herausforderungen im Winter 

Trotz aller berech­tig­ten Kri­tik am Umgang Polens mit Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen, die nicht die ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit haben, hat die gro­ße Wel­le der Soli­da­ri­tät gegen­über ukrai­ni­schen Geflüch­te­ten in Polen durch­aus Aner­ken­nung ver­dient. Im Gegen­satz zu ande­ren Nach­bar­staa­ten der Ukrai­ne wie etwa Ungarn ist das Land kei­nes­wegs pri­mär ein Tran­sit­land für die Wei­ter­rei­se nach Wes­ten, son­dern der mit Abstand wich­tigs­te Auf­nah­me­staat für Ukrainer*innen inner­halb der EU. Ursäch­lich dafür ist vor allem, dass es in Polen bereits vor Kriegs­aus­bruch eine gro­ße ukrai­ni­sche Com­mu­ni­ty gab.

Ob die Wel­le der Soli­da­ri­tät auch in den kom­men­den Mona­ten Bestand haben wird, bleibt abzu­war­ten. Denn es zeigt sich bereits jetzt, dass zuneh­mend weni­ger Bereit­schaft besteht, ukrai­ni­sche Geflüch­te­te, die nicht in der Lage sind, ihren Lebens­un­ter­halt in Polen eigen­stän­dig durch Erwerbs­tä­tig­keit zu sichern, dau­er­haft zu unterstützen.

Dies gibt Anlass zur Sor­ge: Vie­les spricht dafür, dass im Win­ter ange­sichts der zuneh­men­den Zer­stö­rung der Infra­struk­tur in der Ukrai­ne erneut vie­le Men­schen aus der Ukrai­ne flüch­ten müs­sen. Dar­un­ter könn­ten auch zahl­rei­che Men­schen aus mar­gi­na­li­sier­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen sein, die sich nicht leicht in den pol­ni­schen Arbeits­markt inte­grie­ren las­sen, son­dern drin­gend auf staat­li­che Unter­stüt­zung ange­wie­sen sind. Es bleibt zu hof­fen, dass die pol­ni­sche Gesell­schaft auch die­sen Men­schen gegen­über auf­nah­me­be­reit bleibt.

Marc Speer (bordermonitoring.eu)

Marc Speer berich­tet im Rah­men eines gemein­sa­men Pro­jekts von PRO ASYL und bordermonitoring.eu über die Situa­ti­on von Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne in den Nach­bar­staa­ten der Ukraine.