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Schneller Schutz für Ukrainer*innen in der Slowakei: Aber wie geht es weiter?
Im Rekordtempo vergeben slowakische Behörden den »vorübergehenden Schutz« an Ukrainer*innen. Die Erstversorgung für die geflohenen Menschen ist in diesem Nachbarland der Ukraine gut organisiert. Doch die Unterstützung danach ist minimal. Für viele Ukrainer*innen stellt sich drei Monate nach Kriegsbeginn die Frage: bleiben oder zurückkehren?
Etwa 400.000 Menschen sind nach Angaben der slowakischen Regierung seit Kriegsausbruch aus der Ukraine in das Nachbarland eingereist – eine riesige Herausforderung für das kleine Land. Die Slowakei ist etwa so groß wie Niedersachsen und hat eine Bevölkerung von etwas weniger als 5,5 Millionen Einwohner*innen.
Wie viele Ukrainer*innen mittlerweile aber tatsächlich noch in der Slowakei sind, ist schwer zu sagen: Die Weiterreise in andere EU-Staaten ist für Ukrainer*innen in rechtlicher Hinsicht unproblematisch und wegen kostenloser Bahntickets, die auch für den internationalen Bahnverkehr gelten, sehr leicht möglich. Hinzu kommt, dass laut offizieller Statistik seit Kriegsbeginn etwa 160.000 Menschen aus der Slowakei in die Ukraine eingereist sind. Zu berücksichtigen ist dabei, dass diese Ausreisezahl, ebenso die zuvor genannten 400.000 Einreisen, auch den kleinen Grenzverkehr umfasst, also auch Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen nur kurzfristig in der Slowakei aufgehalten haben.
Die durchaus beeindruckende humanitäre Infrastruktur, die es mittlerweile an den Grenzübergängen Vel’ké Slemence (Grenzübertritt nur zu Fuß) und Vyšné Nemecké (Grenzübertritt zu Fuß und mit Auto) gibt, wird aktuell kaum genutzt, wie PRO ASYL und bordermonitoring.eu bei einem Besuch dort Mitte Mai erfuhren. Ähnliches dürfte mittlerweile auch für den dritten Grenzübergang in Ubl‘a (Grenzübertritt zu Fuß und mit Auto) gelten.
Beim ersten Besuch von bordermonitoring.eu im März sah das noch ganz anders aus (siehe hier für den Bericht). Wie an allen anderen Grenzübergängen aus der Ukraine zeigt sich auch an jenen zur Slowakei mittlerweile, dass wesentlich weniger Menschen einreisen als in den ersten Wochen des Krieges. Doch das kann sich jederzeit wieder ändern, insbesondere dann, wenn sich die Kampfhandlungen nicht mehr wie derzeit nur auf den Süden und Osten der Ukraine beschränken.
Nicht alle bekommen Schutzstatus
Wie in allen EU-Mitgliedstaaten können aus der Ukraine fliehende Menschen in der Slowakei den »vorübergehenden Schutz« nach der EU-Richtlinie über den vorübergehenden Schutz (auch »Massenzustromsrichtlinie«) beantragen. Im Vergleich zu Deutschland ist die Gruppe, die in der Slowakei einen Anspruch auf den besonderen Schutzstatus hat, jedoch begrenzter. Hierzu gehören neben Ukrainer*innen, die vor dem Krieg geflohen sind:
- Ehepartner*innen von Schutzberechtigten
- In der Ukraine anerkannte Flüchtlinge
- Drittstaatsangehörige, die einen dauerhaften Aufenthalt in der Ukraine hatten
Wie an allen anderen Grenzübergängen aus der Ukraine zeigt sich auch an jenen zur Slowakei mittlerweile, dass wesentlich weniger Menschen einreisen als in den ersten Wochen des Krieges.
Nicht umfasst sind also Menschen anderer Nationalitäten, die in der Ukraine mit einem befristeten Aufenthalt gelebt haben (etwa Studierende) und nicht sicher und dauerhaft in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Sie dürfen zwar in die Slowakei einreisen und können sich 90 Tage legal im Land aufhalten, dann steht ihnen aber nur der Weg ins Asylverfahren offen.
Schutzstatus in wenigen Minuten
Wer sich dafür entscheidet, in der Slowakei einen Antrag auf vorübergehenden Schutz zu stellen, kann dies in Grenznähe in dem zentralen Registrierungszentrum in Michalove oder einem der Registrierungszentren in Žilina, Nitra oder Bratislava bei der »Border and Foreign Police« tun. Asylverfahren werden im Übrigen nur an einem Ort in der Slowakei bearbeitet und zwar in Humenné, im Osten des Landes, wo sich auch die einzige Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende befindet. Auch Ukrainer*innen, die keine Papiere vorlegen können (akzeptiert werden neben Reisepass auch Dokumente wie ID oder Geburtsurkunde), müssen für den Antrag auf vorübergehenden Schutz nach Humenné.
Das Support & Information Centre in Bratislava war früher ein Busstation, dann ein Impfzentrum – und ist heute eine Art »one-stop-shop« für neu ankommende Ukrainer*innen. Es gibt erste psychosoziale Unterstützung, einen Spielraum für Kinder und auch eine Schlafecke für diejenigen, die spät abends ankommen. Zuerst registrieren sich die Menschen. Wer will, kann danach mit Unterstützung von Rechtsanwält*innen der Human Rights League online den »vorübergehenden Schutz« beantragen – und kurz danach bei der »Border and Foreign Police« abholen. Diese überprüft die vorgelegten Dokumente, nimmt die biometrischen Daten auf und stellt direkt im Anschluss ein A4-Dokument über den »vorübergehenden Schutz« aus. Dauer des Prozedere: rund zehn Minuten. Aus deutscher Sicht rekordverdächtig, dauert es in Deutschland doch vielfach etliche Wochen, um überhaupt nur einen Termin zur Beantragung des »vorübergehenden Schutzes« zu erhalten.
Dauer des Prozedere: rund zehn Minuten. Aus deutscher Sicht rekordverdächtig, dauert es in Deutschland doch vielfach etliche Wochen, um überhaupt nur einen Termin zur Beantragung des »vorübergehenden Schutzes« zu erhalten.
Laut Angaben der slowakischen Regierung haben bis zum 15. Mai etwas mehr als 76.000 Menschen den vorübergehenden Schutz in der Slowakei bekommen. Der Titel bleibt auch bei zwischenzeitlicher Rückkehr in die Ukraine oder Weiterreise in ein anderes EU-Land bestehen.
Geringe staatliche Unterstützung nach Anerkennung
Eine Frage jedoch, die mit der Dauer des Krieges an Relevanz noch zunehmen wird, ist die der staatlichen Unterstützung nach der Anerkennung. Wie Unterstützer*innen berichteten, sind viele Menschen mit nicht viel mehr als dem, was sie am Leib trugen, aus der Ukraine in die Slowakei geflohen. Andere konnten zumindest noch ein paar Taschen packen. Auch das mitgebrachte Geld ist vielen schnell ausgegangen. Denn die Lebenshaltungskosten zumindest in Bratislava sind nicht viel geringer als in westeuropäischen Ländern.
Die finanzielle Hilfe, die zunächst vom slowakischen Staat, nun vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR und für manche Personengruppen vom Roten Kreuz, ausgezahlt wird, beträgt für Erwachsene 80 Euro pro Monat, für Kinder ab drei Jahren 60 Euro pro Monat und für Kinder unter drei Jahren 160 Euro pro Monat. Ein Anspruch auf weitere Leistungen, wie etwa Kindergeld, besteht nicht. In der Regel dürfte dies kaum ausreichen, um Lebensunterhalt und Miete bestreiten zu können. Die reguläre Sozialhilfe in der Slowakei liegt auf ähnlich niedrigem Niveau. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die meisten Slowak*innen in ihren eigenen vier Wänden leben. Laut Eurostat traf dies im Jahr 2020 für über 90 Prozent der Bevölkerung zu. Unterstützer*innen berichten, dass ukrainische Frauen zum Teil Pfandflaschen sammeln, um ihren Kindern zumindest eine kleine Freude bereiten zu können.
Die Erstversorgung funktioniert, doch langfristige Aussichten fehlen
Medizinische Versorgung für Menschen mit »vorübergehendem Schutz« ist auf dringende und lebensrettende Behandlung beschränkt. In solchen Fällen werden sie in Krankenhäusern behandelt, in denen zunehmend auch ukrainisches Personal arbeitet. Auch soll es in der Theorie möglich sein, normale Ärzt*innen zu besuchen. Doch in der Praxis kommt es zum Beispiel bei Zahnbehandlungen zu Problemen. Hinzu kommt, dass Medikamente in Apotheken recht teuer sind und auch für verschreibungspflichtige Medikamente oft ein Eigenanteil bezahlt werden muss.
Auch der Wohnungsmarkt in der Slowakei ist schwierig. Laut einer Unterstützerin wollen viele Vermieter*innen auch nicht mehr an Ukrainer*innen vermieten. Gab es zu Beginn des Krieges noch eine große Welle der Hilfsbereitschaft, so ist diese auch bei den Vermieter*innen mittlerweile abgeflaut: Zu unklar erscheint vielen, ob die Miete überhaupt dauerhaft bezahlt werden kann und ob die ukrainischen Mieter*innen dauerhaft in der Slowakei bleiben werden.
Gab es zu Beginn des Krieges noch eine große Welle der Hilfsbereitschaft, so ist diese auch bei den Vermieter*innen mittlerweile abgeflaut.
Viele ukrainische Geflüchtete sind daher auf staatliche Hilfe bei der Unterbringung angewiesen. Im Support & Information Centre kann ihnen zwar eine Unterkunft vermittelt werden – mittlerweile sind dies hauptsächlich Notunterkünfte wie Turnhallen. Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt jedoch nur zehn Tage. Unterstützung bei den Mietzahlungen gibt es für ukrainische Geflüchtete nicht, allerdings können Privatpersonen, die ihre Wohnung für Geflüchtete geöffnet haben, staatliche Kompensationszahlungen in Anspruch nehmen. Gerade zu Beginn des Krieges öffneten viele slowakische Familien ihre Türen und brachten Ukrainer*innen unter, was in aller Regel jedoch nicht dauerhaft möglich sein dürfte.
Klappt ein Wechsel von Notversorgung zu Integration?
Je länger der Krieg dauert und die Vertreibung anhält, desto mehr wird sich die Frage nach mittel- und langfristigen Integrationsmöglichkeiten für ukrainische Geflüchtete in der Slowakei stellen. Mit dem »vorübergehenden Schutz« dürfen die Geflüchteten in der Slowakei arbeiten, wie auch von der EU-Richtlinie vorgesehen. Im medizinischen Bereich klappt dies wohl durchaus gut, da bei Ärzt*innen und Pflegepersonal Fachkräftemangel herrscht. Hinzu kommt eine sprachliche Nähe zwischen Slowakisch und Ukrainisch. Bei Berufen, die auf der geschriebenen Sprache basieren, wird es aber schon deutlich schwieriger.
Auch in der Slowakei sind es meist Frauen und Kinder, die aus der Ukraine geflohen sind. Damit spielt auch der Zugang zu Schulen und Kindergärten eine wichtige Rolle – nicht zuletzt auch mit Blick auf den Zugang zum Arbeitsmarkt: Denn wie soll eine alleinerziehende Frau (Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen nach wie vor nicht aus der Ukraine ausreisen) einem Job nachgehen, wenn die Betreuung der Kinder nicht gesichert ist?
Bei den Kindergärten gibt es in der Slowakei jedoch lange Wartezeiten von bis zu zwei Jahren. Und die Schulpflicht wurde von der slowakischen Regierung für ukrainische Kinder kurzerhand ausgesetzt. Die Begründung: Viele verfolgten online den Schulunterricht in der Ukraine. Das mag zum Teil stimmen. Doch spätestens, wenn auch in der Herkunftsregion die Bomben fallen, ist es mit dem Unterricht vorbei – und ersetzt auch nicht die soziale Komponente eines Schulbesuchs. Der Schulzugang wird aber nicht grundsätzlich verweigert. Voraussetzung dafür ist jedoch, eine aufnahmebereite Schule zu finden, was sich zunehmend schwieriger gestaltet.
Viele Familien wollen bald in die Ukraine zurück
Drei Monate nach Kriegsbeginn denken viele über eine Rückkehr nach. Im Gespräch mit PRO ASYL und bordermonitoring.eu berichtet hiervon eine ukrainische Frau, die mit ihren zwei Kindern seit gut zwei Monaten in Bratislava lebt. Sie dachte, erzählt sie, dass sie nur für zwei Wochen dort sein würde. Im Vergleich zu anderen hat sie noch Glück im Unglück: Über private Kontakte ihrer Schwiegermutter konnte sie eine kostenfreie Bleibe finden, sie kann online weiter arbeiten und die Kinder sind in der Schule. Aber sie und die Kinder vermissen den Ehemann beziehungsweise Vater, der in der Ukraine bleiben muss. Zwar gefällt es der Tochter gut in Bratislava, wie sie sagt. Aber die Ukraine sei besser und sie vermisse ihren Vater. Daher plant die Familie, bald in die Ukraine zurückzukehren.
Damit steht die Familie nicht allein. Wie bereits zu Beginn erwähnt, kehren mittlerweile mehr Menschen aus der Slowakei in die Ukraine zurück, als aus dieser in die Slowakei einreisen. In Betracht kommt dies in der Regel dabei sicherlich nur für Menschen, die aus – zumindest momentan – relativ sicheren Gebieten in der Ukraine stammen. Nicht unterschätzt werden sollte hierbei auch das Wissen darum, dass eine erneute Flucht in die EU, sollte sich die Situation in der Heimatregion wieder verschärfen, relativ unproblematisch möglich ist. Umso wichtiger ist es, dass diese Option auch in Zukunft bestehen bleibt.
Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass für viele andere eine (zeitweilige) Rückkehr in die Ukraine gegenwärtig keine Option darstellt – insbesondere dann, wenn sie aus umkämpften oder von Russland annektierten Gebieten stammen. Ob diese Personengruppe dauerhaft in der Slowakei bleiben wird, wird insbesondere davon abhängig sein, wie sich dort die Möglichkeiten des Zugangs zu Arbeit, Unterkunft, finanzieller Unterstützung sowie Kinderbetreuung und Schule in den nächsten Monaten entwickeln werden.
(wj / Marc Speer (bordermonitoring.eu))
Marc Speer berichtet im Rahmen eines gemeinsamen Projekts von PRO ASYL und bordermonitoring.eu über die Situation von ukrainischen Geflüchteten in den Nachbarstaaten der Ukraine.