18.08.2022
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Flüchtlingshelfer Teodor Nemțeanu. Foto: privat

Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind mehr als 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Rumänien geflohen. Am Bahnhof in Bukarest kümmern sich seit Monaten freiwillige Helfer*innen um Ruhezonen, eine erste Versorgung mit Nahrung und Windeln sowie die Weiterreise der Geflüchteten. Teodor Nemțeanu ist von Beginn an dabei.

Kannst du kurz beschrei­ben, wie dein Enga­ge­ment am Buka­res­ter Nord­bahn­hof begon­nen hat? 

In der Nacht auf den 26. Febru­ar, kurz nach Aus­bruch des Krie­ges, war ich am Bahn­hof, um Obdach­lo­se zu ver­sor­gen. Ich bin aus­ge­bil­de­ter Sani­tä­ter und fah­re mit mei­ner Ambu­lanz seit drei Jah­ren regel­mä­ßig zum Bahn­hof. Ich mache das ehren­amt­lich, vor allem nachts. Um vier Uhr mor­gens woll­te ich eigent­lich schon nach Hau­se fah­ren. Dann kamen die Leu­te vom städ­ti­schen Sozi­al­dienst und fra­gen mich, ob ich nicht noch eine Stun­de län­ger blei­ben kann. Sie sag­ten, in der Ukrai­ne sei Krieg aus­ge­bro­chen und bald wür­den die ers­ten Geflüch­te­ten am Bahn­hof ankom­men. Bis dahin hat­te ich den Kriegs­aus­bruch gar nicht rich­tig mitbekommen.

Was pas­sier­te dann? 

Um kurz nach fünf Uhr kam der ers­te Zug an. Aus ihm stie­gen 45 Geflüch­te­te aus. Im nächs­ten Zug saßen dann schon 100, im drit­ten Zug 400 Men­schen. Fast nur Frau­en und Kin­der. Alle hat­ten gro­ße Angst, vie­le haben geweint. Plötz­lich waren sie in einem frem­den Land, des­sen Spra­che sie nicht ver­stan­den haben. Im ers­ten Zug waren gera­de ein­mal zwei Frau­en, die Eng­lisch spre­chen konn­ten. Und von uns konn­te nie­mand rus­sisch oder ukrai­nisch spre­chen. Des­we­gen haben wir die Kriegs­flücht­lin­ge zunächst mit Zei­chen­spra­che in den War­te­raum für Pas­sa­gie­re der zwei­ten Klas­se geleitet.

Wie wur­den die Geflüch­te­ten versorgt?

Es hat nicht lan­ge gedau­ert, bis Restau­rants und Hotels Essen vor­bei­ge­bracht haben. Mobil­funk­an­bie­ter haben kos­ten­lo­se Sim-Kar­ten ver­teilt. Das war sehr wich­tig, damit die Frau­en ihre Ehe­män­ner in der Ukrai­ne kon­tak­tie­ren kön­nen. Auch ganz nor­ma­le Bürger*innen sind mit Nah­rungs­mit­teln vor­bei­ge­kom­men, die sie extra gekauft hat­ten. Es war unglaub­lich. So vie­le Leu­te sind gekom­men und haben ihre Hil­fe ange­bo­ten. In den ers­ten Wochen wur­den die Men­schen aus­schließ­lich durch pri­va­te Spen­den ver­sorgt. Von der Stadt, dem Staat oder den gro­ßen Orga­ni­sa­tio­nen kam fast nichts, obwohl per­ma­nent Züge mit Geflüch­te­ten ange­kom­men sind. Es gab Züge, aus denen mehr als 1.000 Geflüch­te­te gestie­gen sind. Einen Monat lang habe ich den Bahn­hof fast nicht mehr ver­las­sen. Ich habe in mei­nem Ambu­lanz­wa­gen geschla­fen, der am Bahn­hof geparkt war.

Wie konn­te das Ver­stän­di­gungs­pro­blem gelöst werden? 

In Buka­rest gibt es vie­le Stu­die­ren­de aus Mol­dau, die rus­sisch spre­chen kön­nen und zum Bahn­hof gekom­men sind, um ihre Hil­fe anzu­bie­ten. In der ers­ten Zeit waren es vor allem die Stu­die­ren­den, die die Ver­stän­di­gung ermög­licht haben. Spä­ter sind dann auch Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne dazu gekom­men, die in Buka­rest geblie­ben sind und jetzt beim Über­set­zen helfen.

»Ich glau­be, dass die Hil­fe durch staat­li­che und städ­ti­sche Stel­len immer weni­ger wer­den wird. Wir wol­len auf alle Fäl­le weitermachen.«

Teo­dor Nemțeanu

Kannst du noch was zu den ver­schie­de­nen Berei­chen für die Geflüch­te­ten sagen, die am Bahn­hof ein­ge­rich­tet wurden?

Ganz am Anfang gab es nur den War­te­raum für Pas­sa­gie­re der zwei­ten Klas­se, der zu einem Auf­ent­halts­raum aus­schließ­lich für Geflüch­te­te umfunk­tio­niert wur­de. Ich ken­ne vie­le Club- und Bar­be­sit­zer, weil ich lan­ge in die­sem Bereich gear­bei­tet habe. Vor dort haben wir inner­halb kür­zes­ter Zeit Din­ge wie Hei­zun­gen, Kaf­fee­ma­schi­nen und Kabel bekom­men, um den Raum aus­zu­stat­ten. Eines Nachts, Anfang März, war die­ser Raum voll­kom­men über­füllt und es sind immer mehr Leu­te gekom­men. Ich habe dann die Tür zu einem leer­ste­hen­den Schnell­re­stau­rant direkt dane­ben auf­ge­bro­chen. Die­ser Raum wird von uns bis heu­te als Auf­ent­halts­raum für Müt­ter mit klei­nen Kin­dern genutzt. Wir ver­tei­len dort auch Geträn­ke, Lebens­mit­tel, Baby­nah­rung, Win­deln und Hygie­ne­ar­ti­kel. Es gibt noch einen wei­te­ren Auf­ent­halts­raum für Fami­li­en mit Kin­dern, der von Save the Child­ren und dem Roten Kreuz betrie­ben wird. Davor war dies der War­te­raum für Pas­sa­gie­re der ers­ten Klasse.

Was hat es mit dem beson­de­ren Bereich für Schwan­ge­re und Frau­en mit Babys in eurem Raum auf sich?

Die­ser Bereich ist im ers­ten Stock und aus­schließ­lich für schwan­ge­re Frau­en und Frau­en mit Babys zugäng­lich. Vie­le sind tage­lang unter­wegs gewe­sen, extrem erschöpft und konn­ten sich lan­ge nicht waschen. Des­we­gen haben wir die­sen geschütz­ten Bereich ein­ge­rich­tet. Es gibt dort zwei Toi­let­ten, eine Dusche, eine Wasch­ma­schi­ne und eine Wickel­kom­mo­de. Es ist unglaub­lich wich­tig, dass sich die Frau­en und die Babys waschen und ein paar Stun­den aus­ru­hen kön­nen, nach­dem sie in Buka­rest ankom­men sind.

Wie geht es wei­ter mit den Geflüch­te­ten, die am Buka­res­ter Bahn­hof ankommen? 

Die­je­ni­gen, die in Buka­rest blei­ben wol­len, wer­den von der Feu­er­wehr in Not­un­ter­künf­te gebracht. Vie­le wol­len jedoch schnell wei­ter. Nach Ita­li­en, nach Spa­ni­en, nach Deutsch­land, in alle mög­li­chen Län­der. Aus Buka­rest ver­keh­ren Direkt­zü­ge nach Wien, Buda­pest und Sofia. Von dort aus kön­nen sie dann wei­ter fah­ren. Die Tickets für die Züge nach Buda­pest und Wien sind umsonst. Wir hel­fen ihnen dabei, das rich­ti­ge Ticket zu bekom­men und brin­gen sie oft auch zum Zug.

Was erwar­test du von der Zukunft? 

Ich glau­be, dass die Hil­fe durch staat­li­che und städ­ti­sche Stel­len immer weni­ger wer­den wird. Wir wol­len auf alle Fäl­le wei­ter­ma­chen. Dafür ist es natür­lich wich­tig, dass wir einen Raum haben. Wie lan­ge wir noch in unse­rem Raum blei­ben kön­nen, ist aller­dings unklar. Es kann sein, dass der bald wie­der ver­mie­tet wer­den soll. Viel­leicht besteht die Mög­lich­keit, dass wir den Raum offi­zi­ell anmieten.

Das Inter­view führ­te Marc Speer, der im Rah­men eines gemein­sa­men Pro­jekts von PRO ASYL und bordermonitoring.eu über die Situa­ti­on von ukrai­ni­schen Geflüch­te­ten in den Nach­bar­staa­ten der Ukrai­ne berich­tet, zum Bei­spiel auch über die Lage in Rumä­ni­en.