20.10.2015
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In Elaionas kommen viele Flüchtlinge für einige Tage unter, bevor sie ihre Weiterreise fortsetzen. Vor allem alleinerziehende Mütter und Familien finden dort Schutz. Foto: Chrissi Wilkens

Unsere griechische Partnerorganisation, das Refugee Support Program Aegean (RSPA) berichtet über die Situation in der griechischen Hauptstadt. Täglich treffen dort mit den Fähren von den Ägäis-Inseln Tausende Flüchtlinge in Athen ein. Viele davon kaufen sich schon auf den Inseln Fahrkarten und steigen gleich im Hafen von Piräus in Busse, die sie direkt an die Grenze zu Mazedonien fahren. Von dort aus setzen sie schnellstmöglich ihre Reise Richtung Nordwesten fort. Manche bleiben jedoch länger in Athen - das Geld für die Weiterreise fehlt. Die staatlichen Strukturen sind mangelhaft, ohne ehrenamtliche Helfer wären viele Flüchtlinge hilflos.

„Wir müs­sen uns beei­len, bevor der Win­ter kommt“

Auf Les­bos erklärt uns eine jun­ge syri­sche Mut­ter: „Wir haben schon Bus­ti­ckets gekauft und fah­ren von Athen direkt wei­ter. Das Wet­ter wird von Tag zu Tag schlech­ter und wir haben Angst, dass die Situa­ti­on an der Gren­ze sich ver­schlech­tern könn­te. Nie­mand weiß, wie lan­ge die Gren­ze offen blei­ben wird. Wir haben drei klei­ne Kin­der dabei. Wir müs­sen uns beei­len bevor der Win­ter kommt.“ Die Fami­lie besteigt weni­ge Minu­ten spä­ter die Fäh­re. Für die schwie­ri­gen Wet­ter­be­din­gun­gen sind sie nicht aus­ge­rüs­tet, aber sie hof­fen auf Unter­stüt­zung von Soli­da­ri­täts­grup­pen unter­wegs. Dut­zen­de Bus­se star­ten täg­lich in den frü­hen Mor­gen­stun­den von Pirä­us und abends zusätz­lich vom Zen­trum Athens aus.

Ähn­lich wie die Tickets für die Son­der­fäh­ren für Flücht­lin­ge sind auch die Bus­fahr­kar­ten oft über­teu­ert. Laut der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM), fah­ren Anfang Okto­ber 70 Pro­zent der neu­an­kom­men­den Flücht­lin­ge direkt vom Ein­rei­se­ort an den Aus­rei­se­ort wei­ter. Die gesam­te Fahrt von Athen bis zur maze­do­ni­schen Gren­ze kos­te für eine syri­sche Fami­lie mehr als 700 Euro, so die Orga­ni­sa­ti­on. Mit­tel­lo­se Flücht­lin­ge sind jedoch nicht in der Lage ihre Rei­se so zügig fort­zu­set­zen und blei­ben gezwun­ge­ner­ma­ßen ein paar Tage län­ger in der grie­chi­schen Haupt­stadt, um auf Geld­über­wei­sun­gen von Ver­wand­ten oder Bekann­ten zu war­ten. Über­wie­gend han­delt es sich um afgha­ni­sche Fami­li­en, die zunächst zum Vik­to­ria-Platz im Zen­trum Athens gehen und sich von dort mit­hil­fe von Kon­tak­ten in der afgha­ni­schen Com­mu­ni­ty wei­ter orientieren.

Unter­brin­gun­gen sind nicht auf län­ge­re Auf­ent­hal­te ausgelegt

Die Lebens­be­din­gun­gen für Schutz­su­chen­de und Aner­kann­te in dem schwer von der Kri­se betrof­fe­nen Land blei­ben höchst pro­ble­ma­tisch. Die neue Regie­rung hat zwar in der grie­chi­schen Haupt­stadt neue Ein­rich­tun­gen für die kurz­fris­ti­ge Unter­brin­gung von mehr als 2.500 neu­an­kom­men­den Flücht­lin­gen geschaf­fen, doch die­se sind kei­ne Lösung für einen lang­fris­ti­gen Auf­ent­halt ins­be­son­de­re in den Win­ter­mo­na­ten. „Es sind Ein­rich­tun­gen ohne die not­wen­di­ge Infra­struk­tur. Für ihren Betrieb sind sie auf Spen­den und Soli­da­ri­tät aus der Zivil­ge­sell­schaft ange­wie­sen. Falls die Gren­zen im Win­ter schlie­ßen soll­ten und tau­sen­de von Flücht­lin­gen in Grie­chen­land hän­gen blei­ben, wer­den wir eine enor­me huma­ni­tä­re Kri­se erle­ben“, so Nasim Loma­ni aus dem Netz­werk für die sozia­le Unter­stüt­zung von Flücht­lin­gen und Migran­ten. Migra­ti­ons­mi­nis­ter Gian­nis Mou­z­a­las kün­dig­te im Sep­tem­ber an, dass wei­te­re Orte mit „men­schen­wür­di­gen Bedin­gun­gen“ geschaf­fen wür­den. Besorg­nis­er­re­gend ist sei­ne Aus­sa­ge, dass im Not­fall auch das Inter­nie­rungs­la­ger Amyg­da­le­za für die Unter­brin­gung genutzt wür­de. Anfang Okto­ber hieß es auf ein­mal, dass Amyg­da­le­za doch nicht mehr für die Unter­brin­gung von Schutz­su­chen­den in Fra­ge käme.

Trotz­dem fürch­tet man, dass auch die links­ge­rich­te­te Regie­rung zukünf­tig auf eine Inhaf­tie­rungs­po­li­tik set­zen könn­te, wenn die Anzahl der Schutz­su­chen­den, die in Grie­chen­land blei­ben, stei­gen soll­te. „Die soge­nann­ten Hot­spots wer­den nichts ande­res als Abschie­be­la­ger sein. Außer­dem gibt es bereits ein gro­ßes Pro­blem mit der Haft von unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen. Die Haft wür­de sie vor Schlep­per­ban­den schüt­zen, so die Argu­men­ta­ti­on, um die unbe­glei­te­ten Kin­der und Jugend­li­chen in Poli­zei­sta­tio­nen und Flücht­lings­haft­la­gern auf den Inseln der Ägä­is und andern­orts für meh­re­re Tage und Wochen gefan­gen zu hal­ten, bis ein Platz in einem offe­nen Auf­nah­me­zen­trum gefun­den wird“, sagt Lomani.

Not­un­ter­künf­te in ehe­ma­li­gen Olym­pi­schen Anlagen

Ende Sep­tem­ber setz­ten in Athen hef­ti­ge Regen­fäl­le ein. Hun­der­te Flücht­lin­ge such­ten Schutz in der U‑Bahn Sta­ti­on von Vik­to­ria, in den Ein­gän­gen von Miet­häu­sern oder über­nach­te­ten schutz­los auf der Straße.

Das ers­te offe­ne Tran­sit-Lager, das Mit­te August in Elai­on­as eröff­net wur­de, war schnell über­füllt. Die Regie­rung ent­schied in Anbe­tracht der Not­la­ge, heu­te unge­nutz­te Anla­gen, die für die Olym­pi­schen Spie­le in 2004 gebaut wor­den waren, in pro­vi­so­ri­sche Auf­nah­me­la­ger umzu­funk­tio­nie­ren. Dar­un­ter das Hockey-Sta­di­on in Elli­ni­ko, eini­ge Kilo­me­ter vom Zen­trum Athens ent­fernt. Es öff­ne­te Ende Sep­tem­ber, um die­je­ni­gen Flücht­lin­ge unter­zu­brin­gen, die zuvor in einer ande­ren Sport­hal­le in Paleo Fali­ro unter­ge­bracht waren. Das Sta­di­on hat eine Maxi­mal­ka­pa­zi­tät zur Unter­brin­gung von 500 Per­so­nen. Am 7. Okto­ber waren dort etwa 150 Flücht­lin­ge, über­wie­gend aus Afghanistan.

Eine Grup­pe von jun­gen Afgha­nen steht vor dem gro­ßen grau­en Sta­di­on in Elli­ni­ko. Man­che von ihnen tra­gen in Vor­be­rei­tung auf ihre bal­di­ge Wei­ter­rei­se über den Bal­kan schon Win­ter­klei­dung. Die meis­ten wol­len nach Deutsch­land und fra­gen nach der aktu­el­len Lage dort. „Ist es wirk­lich so voll? Wir lesen im Inter­net, dass sich die Lage dort ver­schlech­tert hat.“ Inner­halb des Gebäu­des lie­gen Decken am Boden, auf denen erschöpf­te Fami­li­en schla­fen. Es gibt kei­ne Matrat­zen oder Bet­ten. Ande­re haben ihre Zel­te, die sie von den Inseln mit­ge­bracht haben, in den Räu­men auf­ge­baut. Zwei jun­ge Frau­en, die sich ehren­amt­lich enga­gie­ren wol­len, sind gera­de gekom­men. Sie wol­len mit den Kin­dern einer afgha­ni­schen Fami­lie spie­len. Ein Ehe­paar bringt einen gro­ßen Korb mit Äpfeln als Spen­de. Kurz zuvor hat eine Bür­ger­initia­ti­ve Lebens­mit­tel vor­bei­ge­bracht. “Stän­dig brin­gen uns Men­schen Spen­den“, sagt eine Hel­fe­rin. Der Boden vor dem Gebäu­de ist über­sät von Schu­hen. Das ein­zi­ge, was hier momen­tan fehlt, sind Schlaf­sä­cke. Es fällt auf, dass kei­ne Poli­zei anwe­send ist.

„Die wich­tigs­te Funk­ti­on, die sie je hatten“

In Galat­si, im Wes­ten Athens sind wei­te­re 1.000 Flücht­lin­ge eben­falls in einem ehe­ma­li­gen Olym­pia-Sta­di­on unter­ge­bracht. Das Gebäu­de ist mit 2.500 Qua­drat­me­tern weit­aus grö­ßer als das in Elli­ni­ko. In einer gro­ßen Hal­le schla­fen Fami­li­en auf Decken oder in Zel­ten, in einer ande­ren näch­ti­gen allein­ste­hen­de Män­ner. Auch dort gibt es eine gro­ße Men­ge an Spen­den von der Zivil­ge­sell­schaft, vor allem Klei­dung aber auch Lebensmittel.

Moha­me­di Ali ist unter­wegs mit sei­ner Frau. Der jun­ge Afgha­ne hat von dem Relo­ca­ti­on Pro­gramm der EU erfah­ren und fragt wie er dar­an teil­neh­men kann. “Gibt es kei­nen ande­ren lega­len Ein­rei­se­weg nach Deutsch­land?“, fragt er besorgt. Dann macht er sich auf die Suche nach Mit­ar­bei­tern des UN-Flücht­lings­kom­mis­sa­ri­ats, um mehr Infos zu bekommen.

Die Medi­en berich­ten über die neue Nut­zung der ehe­ma­li­gen Sport­ein­rich­tun­gen zur Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen. “Dies ist die wich­tigs­te Funk­ti­on, die sie je hat­ten”, sagt ein Ange­stell­ter der regio­na­len Ver­wal­tung Atti­ka, der wie vie­le ande­re Grie­chIn­nen seit Jah­ren wegen des Leer­stands die­ser Gebäu­de frus­triert war und die­se als Sym­bol der Geld­ver­schwen­dung der vori­gen Regie­run­gen beschreibt, sar­kas­tisch. Laut Medi­en­be­rich­ten über­legt die Regie­rung die kom­men­den Wochen wei­te­re Unter­brin­gungs­ein­rich­tun­gen in Athen in den Vor­or­ten Lio­sia und Lavrio zu eröffnen.

Elai­on­as: Das ers­te offe­ne Tran­sit­la­ger Griechenlands 

Im Stadt­teil Vota­ni­kos exis­tiert seit Mit­te August das ers­te offe­ne Tran­sit­la­ger Grie­chen­lands: Elai­on­as. Seit der Eröff­nung bis Anfang Okto­ber haben hier über 7.200 Schutz­su­chen­de für weni­ge Tage Unter­schlupf gefun­den. In den 92 Con­tai­nern kön­nen bis zu 720 Per­so­nen unter­ge­bracht wer­den. In jeden Con­tai­ner pas­sen 8 Per­so­nen. Für die Essens­ver­sor­gung sor­gen die grie­chi­sche Mari­ne und die NGO Nos­tos. Die Poli­zei ist nur außer­halb des Lagers prä­sent. UNHCR und die grie­chi­sche Asyl­be­hör­de infor­mie­ren die Schutz­su­chen­den über ihre Rech­te und ande­re Orga­ni­sa­ti­on hel­fen ent­we­der mit Per­so­nal oder mit Frei­wil­li­gen. Ärz­te und Kran­ken­schwes­tern vom staat­li­chen Gesund­heits­zen­trum KEELPNO sind eben­falls vor Ort. Es sind zumeist afgha­ni­sche und syri­sche Flücht­lin­ge, die hier durch­schnitt­lich zwei bis drei Tage blei­ben, bis sie ihre Rei­se fort­set­zen kön­nen, erklärt Anthi Kar­an­ge­li, Lei­te­rin der Einrichtung.

Die Sozio­lo­gin und Kin­der­gärt­ne­rin hat bereits Erfah­rung mit offe­nen Lagern, da sie eine der Haupt­in­itia­to­rIn­nen des offe­nen Will­kom­mens­zen­trums PIKPA auf Les­bos war. Nun arbei­tet sie im Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um und ist ver­ant­wort­lich für den Betrieb von Elai­on­as. Wir sit­zen in der Kan­ti­ne des Lagers. Es ist ein gro­ßes Zelt mit meh­re­ren Tischen und Stüh­len, wo sich Flücht­lin­ge tags­über auf­hal­ten. Neben­an befin­det sich ein ande­res gro­ßes Zelt, das als Kin­der­spiel­platz ein­ge­rich­tet ist. Frau­en sit­zen ent­spannt zusam­men und die Kin­der spie­len mit ehren­amt­li­chen Hel­fern. Vie­les was hier umge­setzt wird, wur­de durch die posi­ti­ven Erfah­run­gen im Will­kom­mens­zen­trum PIKPA ermög­licht. “Wir ver­su­chen die Flücht­lin­ge in den All­tag mit­ein­zu­bin­den, wie z.B. bei der Rei­ni­gung, und ihre Mei­nung bei wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen mit­ein­zu­be­zie­hen. Wich­tig ist Ver­trau­en in der grie­chi­schen Gesell­schaft her­zu­stel­len. Zu zei­gen, dass die­se Men­schen kei­ne Bedro­hung sind. Ein wich­ti­ger Schritt ist bereits getan“, meint Kar­an­ge­li. Denn die Poli­tik hat die Rech­te der Schutz­su­chen­den selbst immer wie­der her­vor­ge­ho­ben und die Bür­ge­rIn­nen reagie­ren entsprechend.

“Wir sind über­rascht wie vie­le kom­men, um zu spen­den oder zu hel­fen. Eines Mor­gens ist ein Vater mit sei­nen zwei Kin­dern gekom­men. Der Klei­ne hat­te im Fern­se­hen eine Sen­dung über das Lager gese­hen und woll­te unbe­dingt vor der Schu­le vor­bei kom­men, um sein Crois­sant einem Flücht­lings­kind zu geben.“ Leh­rer brin­gen ihre Schü­ler hier­her, um sie mit der Flücht­lings­pro­ble­ma­tik ver­traut zu machen.

Vie­le allein­er­zie­hen­de Müt­ter fin­den dort Schutz

Was man sehr oft in die­sem Lager trifft, sind allein­er­zie­hen­de Müt­ter mit ihren Kin­dern. Die Schutz­su­chen­den kön­nen blei­ben bis ihre Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung ver­fällt –  meis­tens 30 Tage nach ihrer Registrierung.

In einem Con­tai­ner tref­fen wir die 24-jäh­ri­ge Pari­sa mit ihrer Mut­ter. Sie sind aus dem Iran geflo­hen und mit einem Schlauch­boot auf der Insel Les­bos ange­kom­men. Sie muss­ten im Hafen schla­fen. “Ich konn­te die gan­ze Nacht nicht ein­schla­fen. Ich hat­te Angst, dass uns etwas zustößt, weil wir allei­ne sind“, sagt die Mut­ter. Die zwei Frau­en füh­len sich jetzt sicher in dem Lager, wis­sen aber, dass sie sich in ein paar Tagen wie­der auf dem Weg machen müs­sen. Sie wol­len nach Schwe­den, wo es bereits eine ande­re Toch­ter hin­ge­schafft hat. Gera­de haben sie gehört, dass Schwe­den anfan­gen wird, afgha­ni­sche Flücht­lin­ge in ihr Her­kunfts­land abzu­schie­ben und fra­gen besorgt, was sie dage­gen machen kön­nen. Immer wie­der unter­bricht die Mut­ter das Gespräch, um für das Wohl der Euro­pä­er, die den Flücht­lin­gen hel­fen, zu beten.

“Der schwers­te Moment ist, wenn man sich von ihnen ver­ab­schie­den muss. Sie sind froh und umar­men uns. Wir wis­sen aber, dass sie eine sehr schwie­ri­ge Rei­se vor sich haben“, so Karangeli.

Ant­wort auf die feh­len­den staat­li­chen Struk­tu­ren: Haus­be­set­zung als Flüchtlingsunterkunft

Die Beset­zung in der Nota­ra Stra­ße 26 besteht seit Ende Sep­tem­ber als Ant­wort auf die feh­len­den staat­li­chen Auf­nah­me­struk­tu­ren für Flücht­lin­ge. Am fünf­stö­cki­gen Gebäu­de im Stadt­teil Exarch­eia konn­ten Anfangs 35 Per­so­nen unter­ge­bracht wer­den, dann stieg die Anzahl auf 45 und am 10. Okto­ber, als RSPA den Ort besuch­te, waren es schon 70 Per­so­nen. Das ehe­ma­li­ge Gebäu­de der Ver­si­che­rungs­kas­se (ΕΤΕΑΜ), das jah­re­lang leer stand, wur­de von Soli­da­ri­täts­grup­pen in eine Unter­kunfts­ein­rich­tung für Flücht­lin­ge umge­wan­delt, die farb­lo­sen Büro­räu­me sind zu einem war­men Will­kom­mens­zen­trum geworden.

Ehren­amt­li­che sor­gen dafür, dass in jedem Raum eine begrenz­te Anzahl von Per­so­nen schläft. Matrat­zen lie­gen auf Holz­lat­ten, es gibt sau­be­re Bett­wä­sche, Decken sowie Klei­dung und war­mes Essen für die Bewoh­ne­rIn­nen. Ein Spiel­platz mit Kin­der­hort, ein Ess­raum, sowie ein klei­ne Arzt­pra­xis und eine Apo­the­ke ergän­zen das Ange­bot. Am Ein­gang befin­det sich eine Art 24-Stun­den-Rezep­ti­on der Akti­vis­tIn­nen, die die Neu­an­ge­kom­me­nen auf die Schlaf­plät­ze ver­tei­len. Jeden Nach­mit­tag kön­nen die Bewoh­ne­rIn­nen und Akti­vis­tIn­nen im Ple­num gemein­sam dis­ku­tie­ren und Ent­schei­dun­gen tref­fen. Die Flücht­lin­ge blei­ben auch hier nur ein paar Tage und zie­hen dann wei­ter. Mit­glie­der der Soli­da­ri­täts­grup­pe fin­den auf dem Vik­to­ria Platz oder anders­wo obdach­lo­se Flücht­lin­ge und brin­gen sie in das besetz­te Haus. Frei­wil­li­ge Ärz­te, Kran­ken­schwes­tern, Psy­cho­lo­gen, Sozi­al­ar­bei­ter und Über­set­zer sind vor Ort, um das Pro­jekt zu unter­stüt­zen. “Anfangs waren die Men­schen in der Umge­bung skep­tisch. Jetzt hält jede 20 Minu­ten ein Auto, um uns Tüten mit Spen­den zu brin­gen“, so ein Mit­glie­der der Soli­da­ri­täts­grup­pe. Laut Medi­en­be­rich­ten ste­hen Dut­zen­de staat­li­che Gebäu­de wie die­ses leer und könn­ten für die Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen benutzt werden.

„Nach 45 Tagen Rei­se haben wir end­lich einen siche­ren Ort gefunden“

Auch der 40-jäh­ri­ge Taher hat hier mit sei­ner Frau und ihren zwei klei­nen Kin­dern Zuflucht gefun­den. Sie sind heu­te ange­kom­men nach einer wochen­lan­gen Rei­se vom Iran bis nach Athen. Als sie ver­such­ten in der Tür­kei ein Schlauch­boot zu bestei­gen, wur­den sie mehr­mals von der tür­ki­schen Poli­zei abge­fan­gen und in die Tür­kei zurück­ge­schickt. Sie schaff­ten es schließ­lich in einem über­füll­ten Boot nach Les­bos. “Wir haben für einen leich­ten Tod gebe­tet. Wir waren uns sicher, wir wür­den ster­ben. Das Boot war voll mit Was­ser”, sagt die Frau von Taher. Nun sit­zen sie im klei­nen Raum, den die Soli­da­ri­täts­grup­pe für sie ein­ge­rich­tet hat. Eine impro­vi­sier­te Wand trennt sie von einer ande­ren afgha­ni­schen Fami­lie. „Hier haben wir ein gutes Gefühl gegen­über den Men­schen. Wir füh­len uns wohl”, sagt Taher.

Shaba­tal­lah, ein ande­rer Fami­li­en­va­ter, ist Mit­te Okto­ber mit sei­ner Frau und ihrer zwei­jäh­ri­gen Toch­ter von Les­bos in die­se Ein­rich­tung gekom­men. Sie muss­ten sechs Tage lang im Lager Moria in der Schlan­ge ste­hen und auf ihre Papie­re war­ten. Sie wur­den wie ande­re Flücht­lin­ge von Bereit­schafts­po­li­zei mit Trä­nen­gas atta­ckiert und bru­tal zurück­ge­drängt. „Drei­mal haben Sie Trä­nen­gas gegen uns ein­ge­setzt. Das Cha­os ist aus­ge­bro­chen und die Men­schen sind in jede Rich­tung geflo­hen, um sich und ihre Kin­der zu schüt­zen. Dann muss­ten wir uns wie­der neu in der Rei­he anstel­len“, sagt der Vater. Die Fami­lie muss­te außer­halb des Lagers schla­fen. „Sie haben uns eine wei­ße Plas­tik­pla­ne gege­ben, damit wir uns vor dem Wind schüt­zen. Unse­re Klei­der und Decken waren nass vom Regen. Essen gab es nur ein­mal am Tag und wir blie­ben hung­rig.” Die Fami­lie will nach die­ser kur­zen Ruhe­pau­se gleich heu­te Nach­mit­tag in den Bus stei­gen, um an die grie­chisch-maze­do­ni­sche Gren­ze zu gelan­gen. “Nach 45 Tagen Rei­se haben wir end­lich einen siche­ren Ort gefun­den. Wir müs­sen aber wie­der los, in ein ande­res Land. Es ist uns egal wohin. Haupt­sa­che, es ist dort bes­ser als hier in Grie­chen­land“ sagt Taher.

Ehren­amt­li­che neh­men Flücht­lin­ge bei sich auf

Über­ra­schend schnell hat sich in den letz­ten Mona­ten in Athen die Soli­da­ri­täts­be­we­gung für Flücht­lin­ge aus­ge­wei­tet. Gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung zei­gen sich soli­da­risch – trotz der schwie­ri­gen Lage, in der sich vie­le Grie­chIn­nen sel­ber befinden:

Es begann mit der Ver­sor­gung der obdach­lo­sen Flücht­lin­ge im Park Pedi­on tou Are­os, ‚itt­ler­wei­le gibt es in Athen sogar die Initia­ti­ve „Refu­gees Wel­co­me“, wo Grie­chIn­nen mit der Hil­fe von Akti­vis­tIn­nen Flücht­lin­ge bei sich zuhau­se auf­neh­men. Bis jetzt haben schon dut­zen­de Fami­li­en Inter­es­se bekun­det oder bereits Schutz­su­chen­de auf­ge­nom­men ohne gro­ßes Auf­se­hen zu erzeu­gen. So eine brei­te Unter­stüt­zungs­struk­tur und Soli­da­ri­täts­be­we­gung war vor einem Jahr noch unvor­stell­bar, als die Medi­en­het­ze gegen Flücht­lin­ge und Migran­ten in der grie­chi­schen Gesell­schaft Miss­trau­en und Frem­den­feind­lich­keit schürte.

Aber auch die Migran­ten­com­mu­ni­ties haben sich mobi­li­siert, um den Flücht­lin­gen Unter­stüt­zung zu bie­ten. Das Migran­tIn­nen­net­werk „Melis­sa“ (Deutsch: Bie­ne) in Athen, war auch im Park Pedi­on tou Are­os bei der Essen­ver­sor­gung von Flücht­lin­gen aktiv. Die letz­ten Wochen berei­ten sie klei­ne Rei­se­ta­schen für Flücht­lings­kin­der vor, die Rich­tung Bal­kan auf­bre­chen. Dar­in zu fin­den sind: Stif­te, Hef­te, selbst­ge­mach­te Spiel­zeu­ge, aber auch lebens­wich­ti­ge Din­ge für die klei­nen Rei­sen­den wie Jacken, Schu­he, eine Taschen­lam­pe, eine Pfei­fe, sowie eine klei­ne Not­fall­apo­the­ke. Die Taschen wer­den den Kin­dern vor ihrer Abrei­se in Athen übergeben.

EU-Plä­ne zu „Hot­spots“ könn­ten die Zustän­de noch verschlimmern

Trotz die­ser brei­ten pri­va­ten Unter­stüt­zung aus der grie­chi­schen Bevöl­ke­rung droht sich im Win­ter die huma­ni­tä­re Not­la­ge zu ver­schlim­mern – auch in der Tran­sit­zo­ne Athen. Noch ist nicht abzu­se­hen, dass die grie­chi­schen Behör­den in der Lage sein wer­den, men­schen­wür­di­ge Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten für Schutz­su­chen­de zu schaffen.

Die Plä­ne der Euro­päi­schen Uni­on, Flücht­lin­ge mit­tels soge­nann­ter „Hot­spots“ mas­sen­haft in den Län­dern an der EU-Außen­gren­ze unter­zu­brin­gen, sind auch ange­sichts sol­cher Zustän­de höchst bedenk­lich: Flücht­lin­ge sol­len an der Wei­ter­rei­se gehin­dert und in „War­te­zo­nen“ ein­ka­ser­niert wer­den – wie die Berich­te zei­gen, rei­chen die staat­li­chen Struk­tu­ren zur Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen aktu­ell jedoch nicht ein­mal für den klei­nen Teil der Flücht­lin­ge, die län­ge­re Zeit in Grie­chen­land bleiben.

Die­ser Bericht aus Grie­chen­land ent­stand mit Unter­stüt­zung des „Refu­gee Sup­port Pro­gram Aege­an“, dem PRO ASYL – Pro­jekt in Grie­chen­land. Das RSPA ist vor allem auf den grie­chi­schen Inseln in der Flücht­lings­hil­fe aktiv und infor­miert regel­mä­ßig über die Akti­vi­tä­ten vor Ort.

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