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Grenzen dicht, Puffer drumherum: Ergebnisse des EU-Gipfels im Überblick
Die EU-Innenminister beschlossen bei ihrem Treffen am Dienstag die „Notumsiedlung“ von 120.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien – gegen den Willen einiger EU-Staaten. Beim kurz darauf folgenden EU-Sondergipfel der Regierungschefs versuchten die EU-Staaten, den Dissens zu kitten – durch gemeinsame Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr.
Gegen den Widerstand von Tschechien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei setzen am Dienstag die übrigen EU-Innenminister das Vorhaben durch, aus Griechenland und Italien, wo die meisten Flüchtlinge anlanden, 120.000 Flüchtlinge gemäß einer Quotenregelung auf alle EU-Staaten zu verteilen – auch auf jene, die sich gegen die Umverteilung wehren. 15.600 Flüchtlinge sollen zunächst aus Italien, 50.400 aus Griechenland umverteilt werden. Die übrigen 54.000 Plätze, die ursprünglich für eine Relocation aus Ungarn vorgesehen waren, werden in einem Jahr vermutlich ebenso für eine Umsiedlung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien genutzt – außer die Fluchtrouten haben sich bis dahin entscheidend geändert. Schon im September war eine Relocation von 40.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten beschlossen worden, allerdings nur nach freiwilliger Zustimmung der EU-Staaten.
Der von der Kommission sowie der Bundesregierung unterstützte Plan, künftig nicht nur im Rahmen von Notfallmaßnahmen, sondern ganz generell Flüchtlinge, die es in die EU schaffen, nach einer verbindlichen Quotenregelung auf alle EU-Staaten zu verteilen, stieß abermals auf scharfe Abwehr einiger EU-Staaten. Trotz der Notumsiedlung bleibt die Dublin-Verordnung daher weiter in Kraft. „Die Quote ist tot“, resümiert das SPD-Magazin vorwärts.
Tropfen auf den heißen Stein
Die Notumsiedlung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien ist angesichts der knapp 350.000 Ankünfte in Griechenland und 128.000 Anlandungen in Italien bis zum 21. September 2015 immer noch eine unverhältnismäßig geringe Anzahl. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem „Tropfen auf den heißen Stein“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière zeigte sich dennoch zufrieden: Unterm Strich stelle die Notumsiedlung eine Entlastung für Deutschland dar, das insgesamt rund 31.000 Aufnahmen zusagte. Ansonsten, so die Befürchtung des Innenministers, „wären noch viel mehr zu uns gekommen“.
Zwangsverteilung ist zum Scheitern verurteilt
Dass sich Flüchtlinge nicht wie Waren von einem Land ins andere verschieben lassen, kann spätestens nach den Sommermonaten niemand mehr leugnen. Die aktuelle Situation zeigt, wie realitätsfern die europäischen „Lösungsansätze“ tatsächlich sind. Flüchtlinge haben das legitime Interesse, dorthin zu fliehen, wo sie Anknüpfungspunkte haben – oft sind das Verwandte oder Bekannte, die bereits in der EU leben – und wo sie aufgrund sozioökonomischer Faktoren gute Integrationschancen haben. Eine, wie auch immer geartete, Zwangsverteilung ist daher zum Scheitern verurteilt.
Hot Spots: Wartezonen an Europas Rändern
Um die Umverteilung der Flüchtlinge vorzunehmen, sind Maßnahmen notwendig, die schwere Menschenrechtsverletzungen befürchten lassen: In den sogenannten „Hotspots“ in Griechenland und Italien sollen Flüchtlinge zunächst registriert und einem Screening unterzogen werden. Frontex und das Europäische Asylunterstützungsbüro stehen den italienischen und griechischen Beamten helfend zur Seite. Einige Flüchtlinge mit guten Schutzperspektiven (EU-weite Anerkennungsquote über 75 Prozent) sollen weiterverteilt, alle anderen sollen schnellstmöglich abgeschoben werden – mit Hilfe von Frontex.
Allerdings sind unter den Staaten, deren EU-weite Anerkennungsquote unter 75 Prozent liegt, etliche Länder wie etwa Afghanistan, aus denen zahlreiche Flüchtlinge stammen und die im Asylverfahren in den EU-Staaten auch hohe Anerkennungschancen haben. Daher ist zu vermuten, dass eine große Zahl jener, die keine Chance auf einen der wenigen Relocation-Plätze haben, aber auch nicht abgeschoben werden können, auf unbestimmte Zeit in den Hotspots festgehalten werden: Es drohen Masseninternierungslager. Auch eine weitere Brutalisierung der Abwehr an den EU-Außengrenzen ist als Folge der Maßnahmen absehbar. Rapid Border Intervention Teams von Frontex sollen beispielsweise sobald wie möglich an bestimmten Grenzabschnitten zum Einsatz kommen.
Hilfen für WFP und UNHCR: Flüchtlinge in den Nachbarregionen halten
Die Situation in den Flüchtlingslagern der Erstaufnahmestaaten ist seit langem desaströs. Das Welternährungsprogramm und das UNHCR, die die Flüchtlinge in und um Syrien versorgen, vermeldeten wieder und wieder, nicht ausreichend Mittel zur Verfügung zu haben. Die EU-Staaten hatten in 2015 ihre Zahlungen für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), dass bei der Versorgung syrischer Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielt, um fast die Hälfte auf 157 Millionen Euro gekürzt. Das WFP sah zuletzt nur 53 Prozent des Bedarfs in Syrien gedeckt, nur 21 Prozent in der gesamten Region. Vielerorts mussten die Tagesrationen der Schutzsuchenden halbiert werden.
Erst jetzt, wo die Flüchtlingszahlen in Europa steigen, reagiert die EU auf die Not der Betroffenen. Sigmar Gabriel besuchte Anfang der Woche das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien, in dem über 80.000 syrische Flüchtlinge leben – er zeigte sich berührt und forderte mehr finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge in Syriens unmittelbarer Nachbarschaft. Die EU-Staats- und Regierungschefs kündigten eine Aufstockung der Mittel für syrische Flüchtlinge in der Nachbarregion an. Die EU-Regierungschefs beschlossen daher, WFP und UNHCR mit mindestens einer Milliarde Euro zusätzlich zu unterstützen und weitere Mittel aufzustocken. So richtig diese Maßnahme ist: Ihre Intention ist es, die Weiterflucht nach Europa zu verhindern und auf eine Regionalisierung von Flüchtlingskrisen zu drängen.
Türkei und Balkanstaaten als Türsteher Europas
Zentrales Anliegen der EU-Regierungschefs ist die „Verstärkung des Dialogs mit der Türkei auf allen Ebenen (…) um unsere Zusammenarbeit bei der Bewältigung und Steuerung der Migrationsströme auszubauen“. Ziel ist es, die Türkei dazu zu bewegen, Schutzsuchende auf dem Weg Richtung Griechenland von der Flucht abzuhalten. Ebenso blicken die EU-Mitgliedstaaten auf die westlichen Balkanstaaten – diese sollen unter anderem im Rahmen einer Konferenz am 8. Oktober motiviert werden, bei der „Bewältigung der Flüchtlingsströme“ mitzuwirken.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen
Doch vertrauen die EU-Staaten nicht allein auf die Idee, die Union durch einen Puffer von in die Fluchtverhinderung eingespannten Drittstaaten zu umgeben. „Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren“, sagte Gipfelchef Donald Tusk laut der taz. „Das Chaos an unseren Außengrenzen muss ein Ende nehmen.“ Hierzu soll vor allem die Europäische Grenzagentur Frontex mehr Mittel bekommen. Zur „Bewältigung der dramatischen Lage an unseren Außengrenzen“ sollen Frontex, EASO und Europol finanziell gestärkt werden und mehr Personal und Ausrüstung aus den Mitgliedstaaten erhalten. Vor dem Hintergrund der Maßnahmen der EU erinnert Bundeskanzlerin Merkels Aussage, Grenzzäune seien kein Mittel, das Problem zu lösen, fatal an den berühmten Spruch Walter Ulbrichts: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Dokumente von EU-Rat und EU-Kommission zu den Beschlüssen:
Eklärung der Informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs, 23. September 2015“
European Commission – Fact Sheet „Refugee Crisis – Q&A on Emergency Relocation”
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