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Rassismus und Antisemitismus in Ungarn: Bericht des Europarates übt massive Kritik
Der Europarat kritisiert in einem aktuellen Bericht die ungarische Regierung mit klaren Worten. Flüchtlinge würden inhaftiert und misshandelt. Hetze gegen Roma, Juden, MigrantInnen und Homosexuelle seien an der Tagesordnung. Trotzdem schiebt Deutschland weiter Flüchtlinge ab.
Ein am Montag veröffentlichte Bericht des Ausschuss gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats dokumentiert massive rassistische Hetze in Ungarn.
Rassismus und Übergriffe gegen Roma und Asylsuchende
Der Rassismus gegen Roma stelle eines der drängendsten Probleme in Ungarn dar. Paramilitärische Gruppen organisierten immer wieder Demonstrationen und illegale Patrouillen in Dörfern, um dort wohnhafte Roma zu bedrohen und einzuschüchtern.
Der Ausschuss des Europarates kritisiert auch den Umgang Ungarns mit Asylsuchenden mit deutlichen Worten. Mehr als ein Fünftel aller Schutzsuchenden sei in Haftlagern untergebracht. Dort seien sie physischen und verbalen Angriffen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt, der Zugang zu Anwältinnnen und Anwälten sowie zu Hilfsorganisationen werde kaum gewährt.
Der Europarat fordert von der ungarischen Regierung, gegen antisemitische und rassistische Hetze mit aller Deutlichkeit vorzugehen. Auch strafrechtliche Maßnahmen müssten effektiv ergriffen werden.
Hasstiraden gegen Einwanderer, Flüchtlinge, Roma, Juden und Homosexuelle
Ausführlich werden menschenverachtende antisemitische und rassistische Äußerungen der rechtsextremen Partei Jobbik dokumentiert, die bei den Parlamentswahlen 2014 über 20% der Stimmen auf sich vereinigen konnte. 2012 forderte ein Abgeordneter der Jobbik, eine Liste von Menschen jüdischer Herkunft zu erstellen, da diese eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellten. Die von Jobbik verbreitete Hetze bleibt im Normalfall unbehelligt von den Strafverfolgungsbehörden.
Doch Hetzreden seien nicht nur unter Parteimitgliedern der extremen Rechten salonfähig, so der Bericht. Auch im weiteren politischen Spektrum sei rassistische Hetze gegen Roma, Jüdinnen und Juden sowie Flüchtlinge und MigrantInnen gängige Praxis. In (staatlichen) Medien würden offenkundig rassistische Berichte veröffentlicht, Hetze im Internet sei weitverbreitet. Ein bekannter Journalist und Parteimitglied der Regierungspartei Fidesz habe beispielsweise in einem Artikel vom Januar 2013 Roma und Sinti als „Tiere“ bezeichnet, die „nicht existieren dürften“.
Hetzkampagne gegen Flüchtlinge
Die Ergebnisse des Berichts sind im Hinblick auf die aktuelle rassistische Kampagne von Premierminister Viktor Orban umso eklatanter. Der rechtsnationale Politiker hatte mit seinem Vorstoß einer offenkundig politisch motivierten Befragung rassistische Ressentiments weiter befeuert. Fragen wie „Wussten Sie, dass Wirtschaftsflüchtlinge die Grenze illegal überqueren und deren Zahl zuletzt um das Zwanzigfache gestiegen ist?“ lassen sich in dem Fragebogen zur „Nationalen Konsultation“ finden. Die Gruppe für Solidarität mit MigrantInnen und Flüchtlingen MigSzol hatte für den 19. Mai zu einer Kundgebung gegen den Fragebogen aufgerufen, an der 200 Menschen teilnahmen.
Auch mit seinen gängigen Forderungen nach einem „Einwanderungsstopp“ aufgrund der wachsenden Terrorismusgefahr und einer weiter verschärften Inhaftierungspraxis lässt Viktor Orbán keinen Zweifel daran, dass weitere flüchtlingsfeindliche Maßnahmen zu erwarten sind. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten lehnte Orbán mit der Begründung ab, der Vorschlag sei vollkommen „irrsinnig“ und „grenze an Wahnsinn“. Zwar sind die vorgeschlagenen Quoten tatsächlich kritikwürdig, da sie die Bedürfnisse der Flüchtlinge nicht berücksichtigen. Orbán befürchtet jedoch für einmal mehr eine Zunahme der Flüchtlingszahlen. Die tatsächliche Bedrohung, die von dem virulenten Rassismus und Antisemitismus in weiten Teilen der ungarischen Bevölkerung ausgeht, interessiert hingegen nicht: Die Vorwürfe aus dem Europaratsbericht wies die ungarische Regierung zurück.
Flüchtlinge werden weiterhin aus Deutschland abgeschoben
Trotz der Hetze und Gewalt finden weiterhin Rückführungen aus Deutschland statt. Ungarn wird ein immer wichtigeres Ersteinreiseland für Flüchtlinge die über die Ostroute nach Europa kommen. Im Jahr 2014 wurden 42.777 Asylanträge gestellt. Eine Verzwanzigfachung gegenüber 2012 – damals waren es gerade einmal 2.157 Anträge. Aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen und des verbreiteten Rassismus, reisen die meisten Flüchtlinge jedoch schon nach wenigen Tagen weiter. Kommen sie nach Deutschland droht ihnen die Abschiebung. Laut Dublin-Verordnung ist das EU-Land für den Asylantrag zuständig, welches ein Flüchtling zuerst betreten hat. In 2014 fragte Deutschland in 3.913 Fällen Ungarn um Übernahme von Flüchtlingen an. 178 Flüchtlinge wurden abgeschoben. Immer wieder stoppen Verwaltungsgerichte Abschiebungen nach Ungarn, Menschrechtsorganisationen fordern seit langem einen Überstellungsstopp. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hält jedoch weiterhin an der Auffassung fest, dass Ungarn für Flüchtlinge sicher genug sei.
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