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Mit Zelten in die Pampa: Ungarns Umgang mit Flüchtlingen
Vor einigen Tagen rollten die ersten Bagger an, der Grenzzaun zu Serbien soll nun schnell errichtet werden. Davon verspricht sich die ungarische Regierung, die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern. Doch das ist nicht die einzige flüchtlingsfeindliche Maßnahme von Regierungschef Viktor Orbán und seiner rechtskonservativen FIDESZ-Partei.
Razzien an den Grenzorten, massenhafte Inhaftierungen, eine geplante Verschärfung des Asylrechts, um Schnellabschiebungen nach Serbien vollziehen zu können – und nun plant die ungarische Regierung sogar, städtisch gelegene Flüchtlingslager zu schließen und Schutzsuchende weit außerhalb von bewohnten Gebieten in Zelten unterzubringen. Orbán begründet seine Politik damit, dass es sich bei den Flüchtlingen – die zum Großteil aus den Kriegsgebieten in Syrien, dem Irak oder Afghanistan stammen – um „Wirtschaftsflüchtlinge“ handele, die „das christliche Europa […] zerstören“ wollten.
Die von Orbán angekündigten Maßnahmen sollen nicht nur verhindern, dass weitere Flüchtlinge ins Land gelangen. Auch „die, die hier sind, sollen nach Hause gehen“, so Orbán. Im Weg stehen ihm dabei nur die Richtlinien der Europäischen Union, die Ungarns Ministerpräsident auf europäischer Ebene zu „bekämpfen“ versprach.
Stimmenfang am rechten Rand
Solche Äußerungen von ungarischen Regierungspolitikern sind nicht neu – neben einer von FIDESZ initiierten Plakatkampagne, die Flüchtlinge auf ungarisch auffordert, „die ungarischen Gesetze zu respektieren“ und „den Ungarn keine Arbeitsplätze wegzunehmen“, startete die Regierung zur Rechtfertigung der eigenen Politik eine Bevölkerungsumfrage unter dem Titel „Nationale Befragung zu Immigration und Terrorismus“. Das Europäische Parlament kritisierte dies unlängst scharf – die Umfrage sei unwissenschaftlich und voller Suggestivfragen.
Ein Grund für die verschärfte Rhetorik von Viktor Orbán dürfte sein: FIDESZ ist von Korruptionsskandalen gebeutelt und droht nach neuesten Umfragen nicht nur die absolute Mehrheit zu verlieren – die rechtsextreme Partei Jobbik liegt gar nur noch wenige Prozentpunkte hinter FIDESZ. Jobbik fällt seit Jahren durch massive Hetze gegen Minderheiten auf. Mit den jüngsten Maßnahmen will FIDESZ offenbar versuchen, Wählerstimmen am rechten Rand zurückzugewinnen.
„Sorry about our Prime Minister“
Glücklicherweise gibt es aber auch in Ungarn andere Stimmen. Am 16. Juli 2015 protestierten ca. 1.000 Personen in Budapest gegen den Grenzzaun. Zu der Demonstration hatten verschiedene Gruppen, darunter Migszol (Migrant Solidarity Group of Hungary), aufgerufen, auch viele Flüchtlinge beteiligten sich. Die Demonstration zog von der Basilika vor das Parlament, wo ein von den Aktivisten symbolisch errichteter Zaun von den Protestierenden zerstört wurde. Wie das European Council on Refugees and Exiles (ECRE) berichtet, haben sich außerdem in Budapest wie auch in einigen Grenzorten Menschen organisiert, um Lebensmittel oder Kleidung zu sammeln und sich um die ankommenden Flüchtlinge zu kümmern.
Und auch auf die Plakate der Regierung gibt es mittlerweile eine Antwort: Eine ungarische Satirepartei hat eine eigene Kampagne gestartet. Nun werden im ganzen Land Slogans wie „Sorry about our Prime Minister“ oder „Feel free to come to Hungary, we already work in England“ plakatiert. Für eine Entwarnung ist dies allerdings noch kein Anlass: Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation Menédek und anderer Initiativen warnen vor verbreiteter rassistischer Stimmung in der Bevölkerung, die durch die Agitation der Regierung immer weiter verschlimmert werde.
Rechte Rhetorik sorgt für breitere Akzeptanz
In vielen EU-Staaten, auch in Deutschland, wird von Politikern die Auffassung vertreten, dass man rassistisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern den Wind aus den Segeln nehmen kann, indem man die „Sorgen der Bevölkerung“ ernst nimmt. Zum Wahlsieg von Viktor Orbán schrieb die CDU/CSU in einer Pressemitteilung, dass „dass die rechtsradikale Partei Jobbik“ durch den klaren Wahlsieg von FIDESZ keine Chance habe, „ihre extremistischen Ideen umzusetzen“.
Das Beispiel Ungarn zeigt aber vielmehr: Wird rechter Hetze gegen Flüchtlinge nicht entschieden genug entgegen getreten, verschärft das oftmals ihre Ressentiments und verschafft ihnen Zulauf.
In Ungarn mobilisieren rechtsextreme, paramilitärische Organisationen mittlerweile massiv und rufen unter dem Slogan „Nur der Tod kann der Lohn sein für Einwanderer“ offen zur Jagd auf Flüchtlinge auf. Auch ehemalige Jobbik-Abgeordnete sind dabei, wenn an den Bahnhöfen gegen Flüchtlinge demonstriert und patrouilliert wird.
Deutschland plant weiterhin Abschiebungen nach Ungarn
Ungeachtet dessen möchte Deutschland auf der Grundlage von Dublin III weiterhin nach Ungarn abschieben – so sehr sich Ungarn auch mit populistischen Drohungen, aus dem Dublin-System auszusteigen, gegen solche Rücküberstellungen wehrt. Im ersten Quartal 2015 wurden knapp 3.000 Übernahmeersuchen von Deutschland an Ungarn gestellt, um Abschiebungen nach Ungarn durchzuführen – obwohl dort Schutzsuchenden Obdachlosigkeit, rassistische Übergriffe oder Inhaftierung droht. Auch anerkannte Flüchtlinge haben in Ungarn so gut wie keine Chance auf eine Lebensperspektive – viele landen in der Obdachlosigkeit. Immer wieder werden deshalb Abschiebungen nach Ungarn von den Betroffenen und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern durch zivilen Ungehorsam verhindert.
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