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Ungarn hat mit dem Bau des Grenzzauns zu Serbien begonnen. In Budapest wurde vergangene Woche dagegen protestiert. Symbolisch wurde ein Zaun von Demonstranten eingerissen. Foto: Gustav Pursche

Vor einigen Tagen rollten die ersten Bagger an, der Grenzzaun zu Serbien soll nun schnell errichtet werden. Davon verspricht sich die ungarische Regierung, die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern. Doch das ist nicht die einzige flüchtlingsfeindliche Maßnahme von Regierungschef Viktor Orbán und seiner rechtskonservativen FIDESZ-Partei.

Raz­zi­en an den Grenz­or­ten, mas­sen­haf­te Inhaf­tie­run­gen, eine geplan­te Ver­schär­fung des Asyl­rechts, um Schnell­ab­schie­bun­gen nach Ser­bi­en voll­zie­hen zu kön­nen – und nun plant die unga­ri­sche Regie­rung sogar, städ­tisch gele­ge­ne Flücht­lings­la­ger zu schlie­ßen und Schutz­su­chen­de weit außer­halb von bewohn­ten Gebie­ten in Zel­ten unter­zu­brin­gen. Orbán begrün­det sei­ne Poli­tik damit, dass es sich bei den Flücht­lin­gen – die zum Groß­teil aus den Kriegs­ge­bie­ten in Syri­en, dem Irak oder Afgha­ni­stan stam­men – um „Wirt­schafts­flücht­lin­ge“ han­de­le, die „das christ­li­che Euro­pa […] zer­stö­ren“ wollten.

Die von Orbán ange­kün­dig­ten Maß­nah­men sol­len nicht nur ver­hin­dern, dass wei­te­re Flücht­lin­ge ins Land gelan­gen. Auch „die, die hier sind, sol­len nach Hau­se gehen“, so Orbán. Im Weg ste­hen ihm dabei nur die Richt­li­ni­en der Euro­päi­schen Uni­on, die Ungarns Minis­ter­prä­si­dent  auf euro­päi­scher Ebe­ne zu „bekämp­fen“ versprach.

Stim­men­fang am rech­ten Rand

Sol­che Äuße­run­gen von unga­ri­schen Regie­rungs­po­li­ti­kern sind nicht neu – neben einer von FIDESZ initi­ier­ten Pla­kat­kam­pa­gne, die Flücht­lin­ge auf unga­risch auf­for­dert, „die unga­ri­schen Geset­ze zu respek­tie­ren“ und „den Ungarn kei­ne Arbeits­plät­ze weg­zu­neh­men“, star­te­te die Regie­rung zur Recht­fer­ti­gung der eige­nen Poli­tik eine Bevöl­ke­rungs­um­fra­ge unter dem Titel „Natio­na­le Befra­gung zu Immi­gra­ti­on und Ter­ro­ris­mus“. Das Euro­päi­sche Par­la­ment kri­ti­sier­te dies unlängst scharf – die Umfra­ge sei unwis­sen­schaft­lich und vol­ler Suggestivfragen.

Ein Grund für die ver­schärf­te Rhe­to­rik von Vik­tor Orbán dürf­te sein: FIDESZ ist von Kor­rup­ti­ons­skan­da­len gebeu­telt und droht nach neu­es­ten Umfra­gen nicht nur die abso­lu­te Mehr­heit zu ver­lie­ren – die rechts­extre­me Par­tei Job­bik liegt gar nur noch weni­ge Pro­zent­punk­te hin­ter FIDESZ. Job­bik fällt seit Jah­ren durch mas­si­ve Het­ze gegen Min­der­hei­ten auf. Mit den jüngs­ten Maß­nah­men will FIDESZ offen­bar ver­su­chen, Wäh­ler­stim­men am rech­ten Rand zurückzugewinnen.

„Sor­ry about our Prime Minister“

Glück­li­cher­wei­se gibt es aber auch in Ungarn ande­re Stim­men. Am 16. Juli 2015 pro­tes­tier­ten ca. 1.000 Per­so­nen in Buda­pest gegen den Grenz­zaun. Zu der Demons­tra­ti­on hat­ten ver­schie­de­ne Grup­pen, dar­un­ter Migs­zol (Migrant Soli­da­ri­ty Group of Hun­ga­ry), auf­ge­ru­fen, auch vie­le Flücht­lin­ge betei­lig­ten sich. Die Demons­tra­ti­on zog von der Basi­li­ka vor das Par­la­ment, wo ein von den Akti­vis­ten sym­bo­lisch errich­te­ter Zaun von den Pro­tes­tie­ren­den zer­stört wur­de. Wie das Euro­pean Coun­cil on Refu­gees and Exi­les (ECRE) berich­tet, haben sich außer­dem in Buda­pest wie auch in eini­gen Grenz­or­ten Men­schen orga­ni­siert, um Lebens­mit­tel oder Klei­dung zu sam­meln und sich um die ankom­men­den Flücht­lin­ge zu kümmern.

Und auch auf die Pla­ka­te der Regie­rung gibt es mitt­ler­wei­le eine Ant­wort: Eine unga­ri­sche Sati­re­par­tei hat eine eige­ne Kam­pa­gne gestar­tet. Nun wer­den im gan­zen Land Slo­gans wie „Sor­ry about our Prime Minis­ter“  oder „Feel free to come to Hun­ga­ry, we alre­a­dy work in Eng­land“ pla­ka­tiert. Für eine Ent­war­nung ist dies aller­dings noch kein Anlass:  Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten der Orga­ni­sa­ti­on Mené­dek und ande­rer Initia­ti­ven war­nen vor ver­brei­te­ter ras­sis­ti­scher Stim­mung in der Bevöl­ke­rung, die durch die Agi­ta­ti­on der Regie­rung immer wei­ter ver­schlim­mert werde.

Rech­te Rhe­to­rik sorgt für brei­te­re Akzeptanz

In vie­len EU-Staa­ten, auch in Deutsch­land, wird von Poli­ti­kern die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass man ras­sis­tisch gesinn­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­gern den Wind aus den Segeln neh­men kann, indem man die „Sor­gen der Bevöl­ke­rung“ ernst nimmt. Zum Wahl­sieg von Vik­tor Orbán schrieb die CDU/CSU in einer Pres­se­mit­tei­lung, dass „dass die rechts­ra­di­ka­le Par­tei Job­bik“ durch den kla­ren Wahl­sieg von FIDESZ kei­ne Chan­ce habe, „ihre extre­mis­ti­schen Ideen umzusetzen“.

Das Bei­spiel Ungarn zeigt aber viel­mehr: Wird rech­ter Het­ze gegen Flücht­lin­ge nicht ent­schie­den genug ent­ge­gen getre­ten, ver­schärft das oft­mals ihre Res­sen­ti­ments und ver­schafft ihnen Zulauf.

In Ungarn mobi­li­sie­ren rechts­extre­me, para­mi­li­tä­ri­sche Orga­ni­sa­tio­nen mitt­ler­wei­le mas­siv und rufen unter dem Slo­gan „Nur der Tod kann der Lohn sein für Ein­wan­de­rer“ offen zur Jagd auf Flücht­lin­ge auf. Auch ehe­ma­li­ge Job­bik-Abge­ord­ne­te sind dabei, wenn an den Bahn­hö­fen gegen Flücht­lin­ge demons­triert und patrouil­liert wird.

Deutsch­land plant wei­ter­hin Abschie­bun­gen nach Ungarn

Unge­ach­tet des­sen möch­te Deutsch­land auf der Grund­la­ge von Dub­lin III wei­ter­hin nach Ungarn abschie­ben – so sehr sich Ungarn auch mit popu­lis­ti­schen Dro­hun­gen, aus dem Dub­lin-Sys­tem aus­zu­stei­gen, gegen sol­che Rück­über­stel­lun­gen wehrt.  Im ers­ten Quar­tal 2015 wur­den knapp 3.000 Über­nah­me­ersu­chen von Deutsch­land an Ungarn gestellt, um Abschie­bun­gen nach Ungarn durch­zu­füh­ren – obwohl dort Schutz­su­chen­den Obdach­lo­sig­keit, ras­sis­ti­sche Über­grif­fe oder Inhaf­tie­rung droht. Auch aner­kann­te Flücht­lin­ge haben in Ungarn so gut wie kei­ne Chan­ce auf eine Lebens­per­spek­ti­ve – vie­le lan­den in der Obdach­lo­sig­keitImmer wie­der wer­den des­halb Abschie­bun­gen nach Ungarn von den Betrof­fe­nen und ihren Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zern durch zivi­len Unge­hor­sam verhindert.

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Ungarn: Flücht­lin­ge im Teu­fels­kreis eines Män­gel­sys­tems (28.10.13)