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Ungarn: Flüchtlinge im Teufelskreis eines Mängelsystems
Unter der Regierung Viktor Orbáns werden selbst anerkannte Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit entlassen, Asylsuchenden droht die Inhaftierung. Dies zeigt eine aktuelle Recherche, die auch auf mangelnde medizinische Versorgung von Flüchtlingen und rassistische Gewalt in Ungarn hinweist.
Schon Anfang 2012 hatten bordermonitoring.eu und PRO ASYL die rechtsstaatlich fragwürdige Inhaftierung von Asylsuchenden und Misshandlungen von inhaftierten Flüchtlingen durch Wachpersonal in Ungarn dokumentiert. Ein aktueller Recherchebericht zeigt, dass die schweren Mängel im ungarischen Asyl- und Aufnahmesystem fortbestehen. Angesichts steigender Asylantragszahlen droht das Aufnahmesystem vollends zu kollabieren.
Obdachlosigkeit und mangelnde medinzische Versorgung
Selbst für anerkannte Flüchtlinge hat sich die Lage nicht verbessert, sondern noch verschärft: Anerkannte Flüchtlinge, die nach sechs Monaten aus dem sogenannten „Pre-Integration Camp“ in Bicske entlassen werden sollten, berichten von einem regelrechten Teufelskreis: Die finanzielle Unterstützung im Anschluss an die Unterbringung reicht in der Regel nicht aus, um davon eine Wohnung und den Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Auszahlung der Unterstützungsleistungen ist an zumeist unerfüllbare Bedingungen geknüpft.
So werden Flüchtlinge faktisch in die Obdachlosigkeit entlassen. Nicht nur der Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung wird ihnen dadurch verwehrt, sie werden auch noch kriminalisiert: Unter der Orbán-Regierung kann das Nächtigen im Freien mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Insbesondere Familien mit Kindern finden keinen Zugang zu Obdachlosenunterkünften.
Jobbik mobilisiert gegen Flüchtlinge
An mehreren Orten mobilisierte die neofaschistische Partei Jobbik gegen Asylsuchende. Unter anderem veranstaltete die Partei im Mai 2013 in Debrecen einen Fackelmarsch, gefordert wurde die Schließung der dortigen Erstaufnahmeeinrichtung. Auch an anderen Orten gab es massive rassistische Proteste. Gleichzeitig wecken Berichte von Flüchtlingen Zweifel über den ausreichenden Schutz vor rassistischer Gewalt durch die ungarische Polizei. So wurde etwa ein Flüchtling in Balassargyamat nach einem Überfall durch eine Gruppe Skinheads von lokalen Polizeibeamten weggeschickt, ohne die Möglichkeit zu erhalten, eine Anzeige zu erstatten.
Wer einmal inhaftiert ist, bleibt in Haft
Asylsuchenden droht in Ungarn weiterhin die Inhaftierung. Nach einer neuen Gesetzeslage reicht etwa schon die „Behinderung des Asylverfahrens“ als Haftgrund aus. Da Flüchtlingen vorgeworfen werden kann, ihr Asylverfahren durch ihre Weiterwanderung behindert zu haben, dürften Dublin-Rückkehrer ohne Aufenthaltstitel von diesem Haftgrund besonders betroffen sein. Wer einmal inhaftiert ist, hat praktisch keine Chance, seine Freiheit zu erwirken. Individuelle Rechtsmittel sind nicht vorgesehen, eine richterliche Überprüfung der Haft erfolgt ausschließlich in 60-Tage-Intervallen. In den Jahren 2011 und 2012 wurde bei drei von insgesamt 5.000 Entscheidungen die Haft durch die zuständigen Gerichte beendet.
Aufgrund dieser Entwicklungen fordert PRO ASYL, dass Dublin-Abschiebungen nach Ungarn umgehend ausgesetzt werden. Betroffene müssen in Deutschland ein Asylverfahren erhalten.
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