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Viele Flüchtlinge sind in provisorischen Unterkünften wie diesem Athener Stadion untergebracht. Die Zustände dort sind katastrophal, die Behörden verbieten Fotoaufnahmen aus dem Inneren. Foto: unbekannt

Eine Woche nach der Polizeioperation in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze bleibt die Situation in Athen angespannt. Die Zustände in den provisorischen Unterkünften sind unmenschlich, hunderte Flüchtlinge laufen Gefahr, obdachlos zu werden. Mitarbeiterinnnen des PRO ASYL-Projektes Refugee Support Program Aegean (RSPA) berichten über die aktuelle Lage.

Dis­kri­mi­nie­rung und neue Gefah­ren durch Grenzschließung 

Unter den ver­zwei­fel­ten Flücht­lin­gen und Migran­tIn­nen, die im Zuge der Poli­zei­raz­zia in Ido­me­ni nach Athen ver­bracht wor­den waren, hält sich das Gerücht einer erneu­ten Grenz­öff­nung. Vie­le ver­las­sen die grie­chi­sche Haupt­stadt und ver­su­chen über ande­re Grenz­ab­schnit­te nach Maze­do­ni­en oder Alba­ni­en zu gelan­gen, um von dort aus die Rei­se nach Mit­tel­eu­ro­pa fort­zu­set­zen. Alba­ni­sche Medi­en fürch­ten bereits, dass eine neue Bal­kan­rou­te über Alba­ni­en füh­ren wird. Ehren­amt­li­che Unter­stüt­ze­rIn­nen aus Maze­do­ni­en und Grie­chen­land berich­ten, dass immer mehr Men­schen die Leis­tun­gen von „Schleu­sern“ in Anspruch nehmen.

Über Sozia­le Medi­en wer­den täg­lich Berich­te von Flücht­lin­gen ver­brei­tet, die von Gewalt, Raub und ande­ren For­men von Miss­hand­lun­gen durch Schlep­per in Maze­do­ni­en berich­ten. „In der Regel wer­den sie (die Flücht­lin­ge) nicht zum ver­ab­re­de­ten Ziel­ort gebracht, son­dern irgend­wo auf dem Weg allein­ge­las­sen oder sogar an unbe­kann­ten Orten gegen ihren Wil­len fest­ge­hal­ten.“ Men­schen mit Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten, die die maze­do­nisch-grie­chi­sche Gren­ze offi­zi­ell nicht mehr pas­sie­ren dür­fen, wer­den oft in Maze­do­ni­en oder Ser­bi­en festgesetzt.

Sack­gas­se statt siche­rem Korridor 

Die Regie­rung  von Alexis Tsi­pras setzt heu­te auf die­sel­be Haft- und Abschie­be­po­li­tik, die sie als Oppo­si­ti­ons­par­tei  noch scharf kri­ti­sier­te. „Wir haben die Schaf­fung von siche­ren Kor­ri­do­ren in die EU ange­strebt. Da die­se nicht exis­tie­ren, kön­nen die­se Men­schen nicht mehr hier blei­ben. [Grie­chen­land] wäre damit kein siche­rer Kor­ri­dor, son­dern eine siche­re Sack­gas­se”, so Migra­ti­ons­mi­nis­ter Mou­z­a­las. Laut Medi­en­be­rich­ten hat die grie­chi­sche Poli­zei aus Brüs­sel eine Mil­li­on Euro zur Finan­zie­rung von Abschie­bun­gen sowie 1,4 Mil­lio­nen Euro für frei­wil­li­ge Rück­kehr­pro­gram­me erhalten.

Revi­val der Haft­zen­tren, Come­back der Abschiebungen 

Mehr als 120 Marok­ka­ner wur­den nach Aus­schrei­tun­gen am Sams­tag im Tae­kwon­do-Sta­di­on in Athen, das als Not­un­ter­kunft dien­te, ins Abschie­bungs­la­ger der Stadt Korin­thos gebracht. Der Vor­fall ver­weist auf eine voll­kom­men will­kür­li­che Hand­ha­bung  repres­si­ver Maß­nah­men. Den marok­ka­ni­schen Flücht­lin­gen droht jetzt die Abschie­bung. Die Inhaf­tier­ten berich­ten, dass sie gezwun­gen wer­den, eine Ein­ver­ständ­nis­er­klä­rung zur frei­wil­li­gen Rück­kehr in ihre Hei­mat zu unter­schrei­ben. Laut Infor­ma­tio­nen von Soli­da­ri­täts­grup­pen der Inseln Leros und Kos haben die Behör­den die­se Woche auch hier begon­nen, Marok­ka­ner in den loka­len Poli­zei­wa­chen zu inhaftieren.

Die Haft­be­din­gun­gen in den fünf Abschie­bungs­la­gern sowie in den Poli­zei- und Grenz­wa­chen, in denen unre­gis­trier­te Schutz­su­chen­de und Asyl­be­wer­ber noch bis zum Regie­rungs­wech­sel zu Tau­sen­den auf ihre Abschie­bung war­ten muss­ten, wur­den in der Ver­gan­gen­heit mehr­fach vom Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te als unmensch­lich ver­ur­teilt. Jetzt sol­len die im Früh­jahr nahe­zu geleer­ten Inter­nie­rungs­la­ger mit etwa  5.400 Plät­zen wie­der stär­ker  genutzt wer­den – vor allem sol­len dort abge­lehn­te Asyl­be­wer­ber bis zu ihrer Abschie­bung unter­ge­bracht werden.

Bereits am Diens­tag haben Migran­tin­nen im Haft­la­ger in Elli­ni­ko, ein paar Kilo­me­ter vom Tae­kwon­do- Sta­di­on ent­fernt, einen Hun­ger­streik gestar­tet. Seit meh­re­ren Mona­ten sind sie inhaf­tiert. Sie kla­gen über men­sch­un­wür­di­ge Lebens­be­din­gun­gen, schlech­tes Essen, kal­te Zel­len, kaput­te Tele­fo­ne, sowie drei­mo­na­ti­ge Haft­ver­län­ge­run­gen und  gewalt­sa­me Abschiebungen.

Zwi­schen Pro­vi­so­ri­en hin- und her geschoben 

In Athen ver­sucht die Regie­rung der­weil eine neue Lösung für die Unter­brin­gung der übri­gen etwa 1.200 Flücht­lin­ge aus Ido­me­ni zu fin­den, die das Tae­kwon­do-Sta­di­on am Don­ners­tag wegen eines Sport­events ver­las­sen müs­sen. Der zustän­di­ge Migra­ti­ons­mi­nis­ter Gian­nis Mou­z­a­las kün­dig­te die Nut­zung des Sta­di­ons in Elli­ni­ko als nächs­te vor­läu­fi­ge Lösung für drei Mona­te an, aller­dings hat die­ses nur eine Kapa­zi­tät zur Unter­brin­gung von 1.000 Men­schen. Wo die übri­gen Schutz­su­chen­den hin sol­len, bleibt wei­ter­hin unklar, da auch das offe­ne Tran­sit­la­ger Elai­on­as voll ist. Zudem kom­men täg­lich neue Schutz­su­chen­de nach Athen.  Bereits im Herbst warn­te Pro Asyl vor den Fol­gen der man­geln­den staat­li­chen Unter­brin­gungs­struk­tu­ren in der grie­chi­schen Hauptstadt.

Schutz­su­chen­de, die auf den Inseln falsch regis­triert wor­den sind, über­le­gen aus Man­gel an Alter­na­ti­ven dort­hin zurück­zu­fah­ren, um ihre Daten von den zustän­di­gen Behör­den kor­ri­gie­ren zu las­sen. Wie im Fall von R., einem syri­schen Paläs­ti­nen­ser, den RSPA-Mit­ar­bei­te­rin Chris­si Wil­kens bereits vor kur­zer Zeit in Ido­me­ni antraf. Er wur­de auf Chi­os als Paläs­ti­nen­ser regis­triert. In Ido­me­ni wur­de ihm dann von Mit­ar­bei­te­rIn­nen inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen gera­ten, nach Athen zu fah­ren, um sei­ne Papie­re berich­ti­gen zu las­sen. Dazu müs­se er Beweis­do­ku­men­te aus Syri­en beschaf­fen. “Ich habe fünf klei­ne Kin­der. Die Lebens­be­din­gun­gen im Sta­di­on sind sehr schlecht. Jetzt sol­len wir auch noch in ein ande­res Sport­sta­di­on umzie­hen. Wir wer­den hin- und her gescho­ben wie läs­ti­ge Gegen­stän­de. Uns bleibt kei­ne Wahl. Wir müs­sen uns sel­ber einen Ort zum Über­nach­ten suchen, bis wir end­lich wei­ter­rei­sen kön­nen. Unser Ziel ist Deutsch­land”, sagt der Mann, der phy­sisch und psy­chisch am Boden ist.

Dro­hen­de Obdach­lo­sig­keit für Schutzsuchende

M. aus Soma­lia hat das Sta­di­on schon ver­las­sen. Er wohnt zusam­men mit Dut­zen­den ande­ren Flücht­lin­gen in einer Bil­lig­un­ter­kunft im Athe­ner Zen­trum  und ver­sucht sich mit der Hil­fe von NGOs mit etwas Essen zu ver­sor­gen. “Wir füh­len uns wie Gei­seln Euro­pas. Einer­seits haben wir ein Papier, auf dem steht, wir sol­len Grie­chen­land in sechs Mona­ten ver­las­sen – obwohl sie wis­sen, dass wir nicht nach Soma­lia zurück­keh­ren kön­nen. Und ander­seits ver­sper­ren sie uns jeden Weg, um von hier weg­zu­kom­men!” Der jun­ge Mann hat bereits ver­sucht, sich in einer Hafen­stadt West-Grie­chen­lands unter einem LKW zu ver­ste­cken und unbe­merkt auf einer Fäh­re nach Ita­li­en zu gelan­gen. Er wur­de jedoch von der Poli­zei erwischt. “Ich bin scho­ckiert, wie vie­le Poli­zis­ten den Hafen kon­trol­liert haben. Wir hat­ten kei­ne Chan­ce durch­zu­kom­men!“ Ver­zwei­felt sucht der jun­ge Mann wei­ter nach einem Aus­weg. In Athen zu blei­ben und in Grie­chen­land Asyl zu bean­tra­gen, zieht er nicht in Betracht.“ Es gibt kein Leben für uns hier. Kei­ne Arbeit, kei­ne staat­li­che Hil­fe, kei­ne men­schen­wür­di­ge Unter­kunft, kei­ne Mög­lich­keit zu Über­le­ben.“ Der jun­ge Mann ist akut von Obdach­lo­sig­keit bedroht.

Von den 20.000 Unter­kunfts­plät­zen, die das UN-Flücht­lings­kom­mis­sa­ri­at (UNHCR) durch Pro­gram­me für Miet­woh­nun­gen und Gut­schei­ne für Hotels und Pfle­ge­fa­mi­li­en in Grie­chen­land plant, exis­tie­ren bis­lang nur 500 Plät­ze. Bis Ende Janu­ar sol­len wei­te­re 10.000 dazu­kom­men. Das mit 80 Mil­lio­nen Euro aus Brüs­sel finan­zier­te Pro­gramm soll Flücht­lin­ge durch die vor­läu­fi­ge Siche­rung einer Unter­kunft dazu moti­vie­ren, in Grie­chen­land zu blei­ben und nicht wei­ter in Rich­tung Nor­den zu reisen.

Immer wei­ter ster­ben Men­schen in der Ägäis

Gehen die Plä­ne der EU auf, wer­den die Neu­an­kom­men­den unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen in Grie­chen­land fest­sit­zen: Dem UNHCR zufol­ge sind bis Mit­te Dezem­ber 797.000 Flücht­lin­ge, vor allem aus Syri­en, in Grie­chen­land ange­kom­men – allei­ne im Novem­ber waren es laut den Ver­ein­ten Natio­nen 140.000 Men­schen. Im Dezem­ber lan­de­ten bis­lang etwa 30.000 Men­schen auf den grie­chi­schen Inseln an – obwohl die Über­fahrt auf­grund der schlech­te­ren Wet­ter­be­din­gun­gen und ver­stärk­ter Kon­trol­le an der tür­ki­schen Küs­te noch gefähr­li­cher gewor­den ist.

25 Men­schen star­ben allein bei zwei Schiffs­un­glü­cken inner­halb der letz­ten zwei Wochen, ins­ge­samt kamen im Sep­tem­ber und Okto­ber 300 Schutz­su­chen­de ums Leben.

„Grie­chen­land ist jetzt unser Gefäng­nis“: Poli­zei räumt Camp in Ido­me­ni (09.12.15)

„Macht die Gren­ze auf!“ – die Situa­ti­on in Ido­me­ni spitzt sich zu (03.12.15)

End­sta­ti­on Ido­me­ni  (25.11.15)