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„Migrationshaft“ heißt jetzt „Asylhaft“: Warum Abschiebungen nach Ungarn immer noch die Mensche
Verstoßen Abschiebungen von Flüchtlingen nach Ungarn gegen die Menschenrechte? Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof urteilte neulich in einem Fall eines afghanischen Flüchtlings, dass sei nicht der Fall. Dabei ist die Menschenrechtssituation von Flüchtlingen in Ungarn nach wie vor desaströs. Das zeigt ein neuer Bericht des Ungarischen Helsinki Komitees.
Sind Abschiebungen von Flüchtlingen nach Ungarn mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vertretbar? Das suggeriert ein Gerichtsurteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR), der am 3. Juli 2014 über den Fall eines minderjährigen afghanischen Flüchtlings urteilte, der von Österreich nach Ungarn abgeschoben werden soll.
Die Frage ist brisant – sie betrifft Tausende Flüchtlinge in der EU, denen im Rahmen der Dublin-Verordnung die Abschiebung aus anderen EU-Staaten nach Ungarn droht, weil sie in Ungarn erstmals die EU betreten haben. Allein Deutschland hat 2013 Ungarn um die „Übernahme“ von 2441 Flüchtlingen gebeten – ihnen allen droht damit die Abschiebung nach Ungarn.
„Migrationshaft“ heißt jetzt „Asylhaft“
Ein Bericht des PRO ASYL-Projektpartners Hungarian Helsinki Committee (HHC), der noch nicht in das Urteil des EGMR einging, zeigt, dass die Situation von Flüchtlingen und Schutzsuchenden in Ungarn nach wie vor gravierend ist: Zwar hatte Ungarn nach scharfer Kritik von HHC, UNHCR, dem EGMR und der Europäischen Kommission Anfang 2013 die sogenannte „Migrationshaft“ beendet, die Asylsuchende in Ungarn regelmäßig ins Gefängnis brachte – aber mittlerweile wird wieder inhaftiert: Im Juli 2013 wurde in Ungarn ein neues „Asylhaftregime“ eingeführt.
Etliche Asylsuchende, die zum ersten Mal einen Asylantrag in Ungarn stellen – mitinbegriffen Schutzsuchende, die im Rahmen von Dublin nach Ungarn abgeschoben wurden –, werden nun wieder inhaftiert, teilweise während ihres gesamten Asylverfahrens. Zwischen dem 1. Juli 2013 und dem 17. April 2014 hat die zuständige Behörde insgesamt 2.372 Haftanordnungen erlassen, Anfang April 2014 waren über 40 Prozent aller männlichen neuen Asylsuchenden inhaftiert.
Haft wird willkürlich verhängt
Und wer einmal in Haft ist, kommt nicht so schnell wieder frei: Zwar erfolgt eine regelmäßige rechtliche Überprüfung der Asylhaft, aber das nur alle 60 Tage, und in der Praxis ist die Prüfung wirkungslos: Bei der Verlängerung der Haft werden pauschal Textbausteine aneinander gereiht – es wird nicht im Einzelfall geprüft bzw. begründet, warum die Haft verlängert wird. Und das ist auch schon bei der Haftanordnung der Fall – eine individuelle Prüfung, ob und warum der oder die Betroffene in Haft genommen wird, findet nicht statt.
Die Gründe, aus denen Haft angeordnet werden kann, wurden im Zuge der Gesetzesänderung im Juli 2013 massiv ausgeweitet und orientieren sich an der EU-Aufnahmerichtlinie, die 2013 überarbeitet wurde: Die Befürchtung, dass die in der Richtlinie festgelegten Gründe zu einer Ausweitung der Inhaftierung von Asylsuchenden führen werde, hat sich am Beispiel Ungarn leider voll bestätigt.
Dublin-Abschiebungen nach Ungarn sofort aussetzen
Die maximale Dauer der „Asylhaft“ beläuft sich auf sechs Monate. Trotz des Verbots der Inhaftierung von unbegleiteten Minderjährigen hat HHC immer wieder Fälle dokumentiert, in denen minderjährige Asylsuchende gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert wurden. Die hygienischen Bedingungen in Haft gelten als sehr schlecht. Inhaftierte berichten immer wieder über Schläge und Misshandlungen durch das Gefängnispersonal. Immer wieder kommt es zu Protesten von Flüchtlingen und Aktivistinnen und Aktivisten gegen das Haftregime.
Neben den miserablen Lebensbedingungen, unter denen Asylsuchende und Flüchtlinge in Ungarn leiden, ist die Inhaftierung von Schutzsuchenden der zentrale Grund, weiterhin eine sofortige Aussetzung von Dublin-Abschiebungen nach Ungarn zu fordern. Flucht ist kein Verbrechen.
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