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Die Schicksale hinter den Zahlen – warum Abschiebungen scheitern
Abschiebungen scheitern aus verschiedenen Gründen. In der öffentlichen Debatte wird nur über Untertauchen und Widerstand diskutiert, wobei es auch andere, gute Gründe gibt. Der Blick auf den Einzelfall zeigt die Komplexität des Themas, dem nicht einfach durch immer neue Gesetzesverschärfungen begegnet werden kann.
Wieder einmal wird die Debatte um Abschiebungen durch Bundesinnenminister Seehofer angeheizt. Dieses Mal im Fokus der Debatte: die Anzahl der gescheiterten Abschiebeversuche.
Wir wollen den Blick auf die Geschichten hinter diesen Zahlen richten, um nicht zu vergessen, worum es wirklich geht: Menschen. Die Beispiele zeigen auch, dass mit den Zahlen zu angeblich vereitelten Abschiebungen ein Bedrohungsszenario geschaffen wird, das so nicht besteht. Denn Abschiebungen können aus guten Gründen scheitern und Durchführungen wären rechtswidrig gewesen. Oftmals gelingt es nur mit Hilfe eines glücklichen Zufalls, überhaupt noch einen Rechtsbeistand zu erhalten und eine rechtswidrige Abschiebung zu verhindern.
Rechtsschutz in letzter Minute
Das Grundgesetz schützt in seinem Artikel 6 die Familie. Deshalb dürfen Menschen auch nicht einfach abgeschoben werden, wenn sie zum Beispiel sich um ihre kleinen Kinder kümmern und von diesen auf unbestimmte Zeit getrennt würden. Im Falle eines zweifachen Vaters aus Äthiopien wurde dies von der Ausländerbehörde und sogar vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt. Dabei hatten er und seine Partnerin die Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame Sorgerechtserklärung vorgelegt. Trotzdem wurde rechtswidrig die Abschiebung eingeleitet und der Mann bereits zum Flughafen gebracht. Nur dank des außerordentlichen Einsatzes eines Rechtsbeistandes konnte die Abschiebung in letzter Minute durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt werden.
Abschiebung, bevor das Kind zur Welt kommt?
Ähnlich dramatisch trug sich ein Fall in Thüringen zu. Während seine Frau bereits in den Wehen lag und kurz davor war, ihr gemeinsames Kind zur Welt zu bringen, wurde ein junger Mann aus dem Krankenhaus geholt, um ihn unter Protest der Hebammen nach Italien (als für das Asylverfahren zuständigen EU-Staat) abzuschieben. Auch in diesem Fall wussten die Behörden über die Familienumstände Bescheid, da ihnen bereits eine vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung vorlag. Erst am Flughafen wurde die Abschiebung abgebrochen, der junge Mann konnte zu seiner Familie zurück.
»Mit einem Knall treten die Beamten am frühen Morgen die Tür ein, die zwei und vier Jahre alten Mädchen wachen auf & fangen an zu schreien.«
Reise(un)fähigkeit
Auch die Reisefähigkeit, bzw. die Reiseunfähigkeit, ist ein relevanter Faktor, ob eine Abschiebung stattfinden darf. Dass dies nicht immer von den Behörden angemessen berücksichtigt wird, zeigt der Fall von Fatima A. Wie Medien berichten, sollte die hochschwangere Frau trotz ärztlich bestätigter Risikoschwangerschaft und Reiseunfähigkeit gemeinsam mit Mann und zwei kleinen Kindern nach Algerien abgeschoben werden. Im Flugzeug beklagt sich Fatima A. über Schmerzen. Dass das Flugzeug dann doch ohne sie abhob, ist dem Piloten zu verdanken, der die Gesundheit von Fatima A. als schwer gefährdet sah. Bei einem solchen Fall stellt sich die Frage, warum die Behörde überhaupt entgegen ärztlicher Erkenntnisse und Warnungen eine Abschiebung durchführen will.
In diesen drei Fällen sind die Abschiebungen fehlgeschlagen und sie gehen entsprechend in die Statistik ein. Dass sie aus guten Gründen gescheitert sind, wird in der Debatte aber oft vergessen.
Nicht anwesend = untergetaucht?
Ebenfalls kommt es vor, dass Abschiebungen nicht durchgeführt werden können, weil die Person nicht angetroffen wird. Hier wird in der öffentlichen Diskussion oft reflexhaft darauf getippt, dass all diese Personen »untergetaucht« seien. Dabei werden aber weitaus harmlosere Erklärungen übergangen: es kann schlicht Zufall sein, dass die Person genau zu der Zeit nicht zu Hause war. Seit 2015 dürfen die Behörden den Zeitpunkt einer Abschiebung nicht mehr ankündigen. Die Person weiß also gar nicht, wann sie zu Hause sein soll. Pauschal allen Menschen, die bei einer unangekündigten Abschiebung nicht zu Hause waren, ein Untertauchen zu unterstellen, ist reiner Populismus.
Das neue, sogenannte »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« sieht zahlreiche Verschärfungen vor!
Gesetzeshektik als Reaktion
Die Debatte um das angebliche »Vollzugsdefizit« bei Abschiebungen führt zu immer neuen Gesetzesverschärfungen. Im Juni 2017 trat das erste Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht in Kraft, nun kommt das Bundesinnenministerium bereits mit einem zweiten Gesetz um die Ecke. Das neue, sogenannte »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« sieht zahlreiche Verschärfungen vor: Eine uferlose Ausweitung der Abschiebehaftgründe, die Einführung eines neuen Nicht-Status unterhalb der Duldung, die Kriminalisierung der Bekanntgabe von Abschiebeterminen und die Möglichkeit, Personen zum Zweck der Abschiebung kurzfristig ohne richterliche Erlaubnis festzuhalten.
Eine erste Einschätzung von PRO ASYL zu diesen europa- und verfassungsrechtlich kritischen Vorschlägen findet sich hier. Ob die Änderungen des ersten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht überhaupt etwas bewirkt haben, wurde währenddessen gar nicht erst untersucht.
(wj)