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Sie nennen es »Verhaltenskodex«: EU will zivile Seenotrettungsorganisationen an die Kette legen
Italien hat einen sogenannten Verhaltenskodex für die zivile Seenotrettung vorgelegt. Es drohen massive Behinderungen und Verzögerungen von Rettungsoperationen mit fatalen Folgen: Noch mehr Tote im zentralen Mittelmeer.
Der über Statewatch öffentlich gewordene Entwurf für einen »Verhaltenskodex« für zivile Seenotretter ist alarmierend und reiht sich in die Diffamierungs-Kampagne der letzten Monate gegen zivilgesellschaftliche Rettungsorganisationen ein. Die Vorschläge stellen eine empfindliche Behinderung von Rettungseinsätzen dar – um die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern, werden weitere Tote in Kauf genommen.
NGOs übernehmen großen Teil der Seenotrettung
Rund 40% der Seenotrettungseinsätze werden von privaten Organisationen durchgeführt. Die couragierte und unverzichtbare Arbeit der zivilen Seenotorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Jugend Rettet e.V., Sea-Watch, Sea-Eye, SOS Méditerranée, u.a. weiter zu diffamieren und zu behindern, kommt einer Anstiftung zur Unterlassung von Hilfe gleich. Und auch trotz des Einsatzes der Seenotretter kamen 2017 bislang über 2.300 Menschen im zentralen Mittelmeer ums Leben.
Kodex zur Behinderung von Lebensrettung
Rettungsorganisationen, die den Kodex nicht unterzeichnen oder den Bestimmungen nicht nachkommen, soll die Anlandung in italienischen Häfen untersagt werden können. Besonders alarmierend sind folgende Bestimmungen:
- Verbot für zivile Seenotrettungsorganistionen, sich in libysche Gewässer zu begeben
- Verpflichtung keine Lichtsignale einzusetzen, was ermöglicht, Booten in Seenot den Standort von Rettungsbooten anzuzeigen
- Verpflichtung, gerettete Bootsflüchtlinge sogleich in einem sicheren Hafen auszuschiffen anstatt den Transfer auf ein anderes Rettungsboot vorzunehmen. Das würde wichtige Rettungskapazitäten für längere Zeit aus den Einsatzgebieten abziehen, in denen ihre Präsenz dringend benötigt wird
- Verpflichtung, Polizeibeamte an Bord zu lassen, um Ermittlungen zu Schleusern durchzuführen
- Weitergabe aller ermittlungsrelevanten Informationen an die italienischen Polizeibehörden.
Die im Verhaltenskodex formulierten Auflagen, die Rettungseinsätze behindern und verzögern können, verstoßen gegen die Verpflichtungen des internationalen Seerechts.
Auch sollen die NGOs verpflichtet werden, Rettungsoperationen der libyschen Küstenwache nicht zu behindern – eine schamlose Aufforderung angesichts brutaler Praktiken der libyschen Küstenwache gegen Bootsflüchtlinge auf See und schwerwiegender Gefährdungen von zivilen Seenotrettern von Seiten libyscher Einheiten.
Abwehr statt europäischer Solidarität
Man brauche europäische Unterstützung und Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme. Die Hilferufe und Drohungen aus Rom waren immer massiver geworden – zuletzt zog die italienische Regierung in Erwägung, aus der Operation Triton auszusteigen. Bereits Ende Juni hatte sie gedroht, Rettungsboote nicht mehr in italienischen Häfen anlanden zu lassen und gefordert, dass auch in Malta, Frankreich und Spanien Flüchtlinge an Land gebracht werden sollten.
Eine solche »Regionalisierung der Rettungsaktionen« stelle lediglich einen weiteren Sogeffekt dar, kommentierte der deutsche Bundesinnenminister de Maizière. Während des informellen Treffens der EU-Innenminister am 6. Juli wurden keine solidarischen Antworten diskutiert.
Stattdessen wurde erneut eine Intensivierung der Kooperation mit dem vollkommen destabilisierten Libyen forciert sowie die Entwicklung des Verhaltenskodex‘ diskutiert. Auch Frontex sprach sich für die Entwicklung eines entsprechenden Kodex aus, Fabrice Leggeri bot in einem Hearing des LIBE-Ausschusses im Europäischen Parlament am 12. Juli an, insbesondere technische Expertise einzubringen.
Internationales Seerecht einhalten!
Die im Verhaltenskodex formulierten Auflagen, die Rettungseinsätze behindern und verzögern können, verstoßen gegen die Verpflichtungen des internationalen Seerechts. Bereits im Februar 2017 haben die nicht-staatlichen Rettungsinitiativen gemeinsam mit der International Maritime Rescue Federation einen erweiterten Verhaltenskodex verabschiedet. Es braucht also keinen »neuen« Verhaltenskodex, sondern ernsthafte Initiativen, um das Massensterben im Mittelmeer zu beenden!
(jk)