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Foto: Das damalige Haftlager Pagani auf Lesbos, 2009. Zehn Jahre später will Griechenland offenbar wieder auf geschlossene Lager setzen und das Elend der Geflüchteten damit noch weiter vergrößern.

Das BMI verkauft seine Inhaftierungspläne an den EU-Grenzen als großen Wurf. Das ist die de facto Abschaffung des Rechtsstaats. Bereits erprobte und gescheiterte Konzepte sollen zu Kernaspekten der Reform zu werden – mit dramatischen Konsequenzen für schutzsuchende Menschen in Europa.

Grie­chen­land will die Elend­sla­ger auf den grie­chi­schen Inseln in Haft­la­ger umwan­deln. Von dort aus soll abge­scho­ben wer­den. Weni­ge Tage zuvor berich­ten deut­sche Medi­en über See­ho­fers Eck­punk­te­pa­pier zu einer Reform genann­ten Ände­rung des Euro­päi­schen Asylsystems.

Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Inne­res (BMI) prescht im Vor­feld der deut­schen Rats­prä­si­dent­schaft im zwei­ten Halb­jahr 2020 mit Vor­schlä­gen für eine Reform des Euro­päi­schen Asyl­sys­tems vor­an. Kern­ele­men­te: Grenz­ver­fah­ren, geschlos­se­ne Zen­tren an den Gren­zen, Zwangs­ver­tei­lung ohne Rechts­schutz. Zwar erkennt das BMI an, dass die Dub­lin-Ver­ord­nung in ihrer bis­he­ri­gen Kon­zep­ti­on geschei­tert ist – doch erneut wird ein bereits geschei­ter­tes Modell als neu verkauft.

Vorsortierung an der Grenze in Haftlagern

Ein zen­tra­ler Aspekt des Vor­schlags des BMI sind beson­de­re Ver­fah­ren an den Gren­zen. Dafür gibt es unter­schied­li­che Über­le­gun­gen, die jedoch alle pro­ble­ma­tisch sind.

Statt eines Zugangs zum Recht auf Asyl gibt es eine Vor­sor­tie­rung. An den Gren­zen sol­len unter­schied­li­che Prü­fun­gen je nach der Schutz­quo­te des Her­kunfts­lan­des vor­ge­se­hen wer­den. Dem­nach wür­den Per­so­nen aus Län­dern mit einer hohen Schutz­quo­te, ver­mut­lich Syrer*innen und Eritreer*innen und wei­te­re je nach Limit, nur eine kur­ze Prü­fung durch­lau­fen und danach ein­rei­sen und ver­teilt wer­den. Hier wür­de wahr­schein­lich pri­mär die Regis­trie­rung, Sicher­heits­über­prü­fung und Ver­tei­lungs­ent­schei­dung stattfinden.

Für Staats­an­ge­hö­ri­ge von Län­dern mit nied­ri­gen Schutz­quo­ten wür­de eine inten­si­ve­re Prü­fung durch­ge­führt wer­den – oder gar die ein­zi­ge Prü­fung, wenn sie als »unzu­läs­sig« oder »offen­sicht­lich unbe­grün­det« abge­lehnt wer­den. Offen­sicht­lich unzu­läs­si­ge oder unbe­grün­de­te Anträ­ge sol­len unmit­tel­bar an der Außen­gren­ze abge­lehnt wer­den. Auch bei wider­sprüch­li­chen oder fal­schen Anga­ben soll die Ein­rei­se ver­wei­gert werden.

Eine Euro­päi­sche Asyl­agen­tur soll eigen­stän­dig die Vor­prü­fun­gen durch­füh­ren. Die Schutz­su­chen­den blei­ben in Haft.

Die kur­zen Fris­ten erschwe­ren es, gegen eine sol­che Ent­schei­dung vor­zu­ge­hen. So dro­hen Men­schen in Gefah­ren­si­tua­tio­nen abge­scho­ben zu werden.

Rechtsschutz soll ausgehebelt werden

Zudem stellt sich die Fra­ge, wie über­haupt an den EU-Außen­gren­zen Tau­sen­den ankom­men­de Men­schen der Rechts­weg eröff­net wer­den kann. Sol­che Prü­fun­gen in Grenz- oder Tran­sit­ver­fah­ren haben eins gemein­sam: Sie sol­len beson­ders schnell ablau­fen und auch die Rechts­be­helfs­fris­ten sind sehr kurz. Das erhöht die Chan­cen, dass eine schutz­be­dürf­ti­ge Per­son zu Unrecht abge­lehnt wird, beson­ders wenn ihr in dem Ver­fah­ren per se »schlech­te Aus­sich­ten« beschei­nigt wur­den. Die kur­zen Fris­ten erschwe­ren es, gegen eine sol­che Ent­schei­dung vor­zu­ge­hen und gera­de bei gro­ßen Lagern an der Gren­ze steht dafür kaum Unter­stüt­zung zur Ver­fü­gung. So dro­hen Men­schen in Gefah­ren­si­tua­tio­nen abge­scho­ben zu werden.

Wohin soll zurückgewiesen werden?

Das BMI scheint in sei­ner Kon­zep­tio­nie­rung davon aus­zu­ge­hen, dass man­che Asyl­su­chen­den über »siche­re Dritt­staa­ten« ein­rei­sen und des­we­gen dort Schutz in Anspruch neh­men kön­nen und die­sen in Euro­pa nicht brau­chen. Hier­zu emp­fiehlt sich ein Blick auf die Land­kar­te. Tat­säch­lich ist die EU gera­de von unsi­che­ren Dritt­län­dern umgeben.

Um nach euro­päi­schem Recht als »siche­rer Dritt­staat« zu gel­ten, müs­sen näm­lich fol­gen­de Kri­te­ri­en erfüllt wer­den: Das völ­ker­recht­li­che Abschie­bungs­ver­bot muss ein­ge­hal­ten wer­den (Non-Refou­le­ment-Gebot), die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) muss rati­fi­ziert sein und die Per­son die dar­in garan­tier­ten Rech­te in Anspruch neh­men kön­nen und ihr darf in dem Land kei­ne asyl­re­le­van­te Ver­fol­gung drohen.

Mit dem EU-Tür­kei Deal wur­de poli­tisch ent­schie­den, die Tür­kei sei ein sol­cher »siche­rer Dritt­staat«. Weder recht­lich noch fak­tisch ist sie dies, denn sie hat die GFK nur ein­ge­schränkt rati­fi­ziert und schiebt völ­ker­rechts­wid­rig Men­schen nach Syri­en ab. Die Rea­li­tät in der Tür­kei sieht so aus.

Transitzentren im Niemandsland?

Das BMI schlägt de fac­to vor, Tran­sit­zen­tren an euro­päi­schen Gren­zen ein­zu­rich­ten. Denn das BMI spricht davon, dass bei Schutz­su­chen­den, die über »siche­re Dritt­staa­ten« ein­ge­reist sind oder bei Per­so­nen, die angeb­lich fal­sche Anga­ben machen, die Ein­rei­se ver­wei­gert wer­den könn­te. Das erfor­dert einen Ort, der zwar schon auf euro­päi­schem Boden ist, der aber recht­lich aus­ge­klam­mert wird. Das ist bei­spiels­wei­se an Flug­hä­fen im Tran­sit­be­reich der Fall oder in den umstrit­te­nen unga­ri­schen Transitzentren.

Auch bei den soge­nann­ten See­ho­fer-Deals mit Grie­chen­land und Spa­ni­en wird eine Nicht­ein­rei­se fin­giert, obwohl die Betrof­fe­nen bereits in Deutsch­land ange­kom­men sind. Vor deut­schen Ver­wal­tungs­ge­rich­ten wer­den die­se Ein­rei­se­ver­wei­ge­run­gen aber zum Teil wie­der ein­ge­sackt. Die euro­pa­rechts­wid­ri­gen See­ho­fer-Deals waren ein Kom­pro­miss der Gro­ßen Koali­ti­on, nach­dem Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer eigent­lich Tran­sit­zen­tren an deut­scher Gren­ze durch­set­zen woll­te. Will er die­se Idee nun an euro­päi­schen Gren­zen durchsetzen?

Ungarische Transitzonen: Essen nur nach Klage

In Ungarn wur­den unter dem rechts­po­pu­lis­ti­schen Regie­rungs­chef Orbán Tran­sit­zo­nen an der Gren­ze zu Ser­bi­en ein­ge­rich­tet. An zwei Grenz­über­gän­gen wer­den Asyl­su­chen­de in Con­tai­nern inter­niert – jeden Tag dür­fen nur weni­ge über­haupt in die Zone, wo sie wäh­rend der Prü­fung inhaf­tiert sind. Mehr­fach ist es bereits dazu gekom­men, dass das Unga­ri­sche Hel­sin­ki Komi­tee bis zum Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te zie­hen muss­te, damit die­se mit einer Eil­ent­schei­dung anord­nen, dass in den Tran­sit­zo­nen unter­ge­brach­te Per­so­nen Essen bekom­men. Das zeigt, dass sol­che Zonen schnell zu Zonen der Ent­rech­tung werden.

Zwangsverteilung und ewige Zuständigkeit

Das BMI kon­sta­tiert zu Recht, dass das Dub­lin-Sys­tem geschei­tert ist. Das Sys­tem ist bis­lang so kon­zi­piert, dass die Erst­ein­rei­se­staa­ten – also pri­mär Grie­chen­land, Ita­li­en, Spa­ni­en – in der Regel für die Asyl­ver­fah­ren zustän­dig sind. Nur auf­grund von Vor­schrif­ten zum Fami­li­en­nach­zug, Fris­ten­ab­lauf und Mög­lich­kei­ten zum Selbst­ein­tritt ist dies in der Pra­xis so bis­lang nicht gesche­hen. Es hät­te auch zum Kol­laps der Asyl­sys­te­me und Auf­nah­me­mög­lich­kei­ten geführt – schon so sind die­se beson­ders in Grie­chen­land und Ita­li­en sehr schlecht. Das BMI igno­riert völ­lig, dass in Euro­pa Gerich­te wie­der­holt wegen Ver­let­zun­gen der EMRK Über­stel­lun­gen etwa nach Grie­chen­land gestoppt haben. Ist eine Zustän­dig­keit ein­mal fest­ge­legt, soll die­ses Land auf ewig zustän­dig bleiben.

Das BMI igno­riert völ­lig, dass in Euro­pa Gerich­te wie­der­holt wegen Ver­let­zun­gen der EMRK Über­stel­lun­gen etwa nach Grie­chen­land gestoppt haben.

Kriterien der Verteilung

Dem BMI schwebt nun ein euro­päi­sches Ver­tei­lungs­sys­tem ähn­lich dem deut­schen König­stei­ner Schlüs­sel vor, nach dem ent­spre­chend einer fest­ge­leg­ten Quo­te Asyl­su­chen­de in ganz Euro­pa ver­teilt wer­den. Das Pro­blem am Kon­zept: Die berech­tig­ten Inter­es­sen der Asyl­su­chen­den wer­den aus­ge­blen­det. Das Zustän­dig­keits­re­gime soll rigo­ros durch­ge­setzt wer­den. Wer einen zustän­di­gen Staat ver­lässt, soll nach einem soge­nann­ten »Noti­fi­zie­rungs­ver­fah­ren« auf schnellst mög­li­chem Wege zurück­ver­frach­tet werden.

Die Ver­tei­lung soll mit dras­ti­schen Mit­teln erzwun­gen wer­den: Es soll kei­nen Rechts­schutz gegen eine Ver­teil­ent­schei­dung geben und sozia­le Leis­tun­gen wür­den nur im zuge­teil­ten Staat gezahlt werden.

Wenn im zuge­teil­ten Zustän­dig­keits­staat den Betrof­fe­nen unmensch­li­che Behand­lung droht oder der Staat sys­te­mi­sche Män­gel auf­weist, haben die Betrof­fe­nen kei­ner­lei Mög­lich­keit, gegen die Zwangs­über­stel­lung in den besag­ten Staat effek­tiv zu klagen.

(gb/wj/kk)