11.12.2014
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Juni 2014: Die italienische Marine rettet im Rahmen der Operation "Mare Nostrum" Flüchtlinge von einem überfüllten Boot. Bundesinnenminister DeMaizière setzte sich für ein Ende der Rettungsaktion ein, weil sie sich als "Brücke nach Europa" erwiesen habe. Foto: UNHCR / Italian Navy/M.Sestini

Neue Zahlen von UNHCR zeigen: Aufgrund fehlender legaler Fluchtwege flohen bis Ende November dieses Jahres 163.368 Menschen über das Mittelmeer – unter Lebensgefahr. 45 Prozent aller in Italien anlandenden flohen vor dem gewaltvollen Konflikt in Syrien oder vor Verfolgung durch die Militärdiktatur Eritrea. Über 3.420 Menschen starben bei der Flucht über das zentrale Mittelmeer.

Von Janu­ar bis Novem­ber 2014 erreich­ten vier­mal mehr Flücht­lin­ge die ita­lie­ni­schen Küs­ten als im sel­ben Zeit­raum in 2013. Von den ins­ge­samt 163.368 ange­lan­de­ten Men­schen waren 37.301 (24 Pro­zent) vor dem Bür­ger­krieg in Syri­en geflo­hen, 34.189 Schutz­su­chen­den (21 Pro­zent) aus Eri­trea – dar­un­ter 3.394 unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge. Mali­sche Flücht­lin­ge bil­de­ten mit 9.505 Ankünf­ten die dritt­größ­te Gruppe.

Dele­gie­ren der Ret­tung an pri­va­te Schiffseigner

Am 12. Novem­ber 2014, kurz nach­dem die Fron­tex-Ope­ra­ti­on Tri­ton begon­nen und das Ende der Ret­tungs­ope­ra­ti­on der ita­lie­ni­schen Küs­ten­wa­che „Mare Nos­trum“ bis Ende des Jah­res ange­kün­digt wor­den war, hat­te Vin­cent Coche­tel, Lei­ter des UNHCR Büros Euro­pa, sich der Kri­tik zahl­rei­cher Flücht­lings- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen ange­schlos­sen. Die Ent­wick­lun­gen sei­en besorg­nis­er­re­gend und droh­ten zu mehr Todes­fäl­len im Mit­tel­meer zu führen.

Coche­tel äußer­te eine wei­te­re Befürch­tung: Die ita­lie­ni­sche Mari­ne habe bis­lang die Füh­rung bei der See­not­ret­tung über­nom­men. „Jetzt wird die Ver­ant­wor­tung an pri­va­te Schiffs­eig­ner wei­ter gege­ben – wer­den sie ihre Signa­le an- oder aus­schal­ten, wenn sie einen Anruf vom Ret­tungs­zen­trum in Rom erhal­ten?“ Klar ist: Zur See­not­ret­tung sind alle Schif­fe ver­pflich­tet. Doch die See­not­ret­tung der Ver­ant­wor­tung pri­va­ter und kom­mer­zi­el­ler Akteu­re auf See zu über­las­sen, wird die Todes­ra­te wei­ter erhöhen.

Kaum See­not­ret­tung durch Frontex

Anga­ben von UNHCR stüt­zen die­se Ver­mu­tung und zei­gen außer­dem, dass die Fron­tex-Ope­ra­ti­on Tri­ton für die statt­fin­den­den See­not­ret­tungs­ein­sät­ze kaum eine Rol­le spielt: Von den 30 Ret­tungs­ak­tio­nen, die im Novem­ber durch­ge­führt wur­den und bei denen Flücht­lin­ge nach Sizi­li­en ver­bracht wor­den waren, wur­den nur drei Aus­schif­fun­gen durch ein por­tu­gie­si­sches Schiff im Fron­tex-Ein­satz vor­ge­nom­men. 12 Ret­tungs­ein­sät­ze waren durch pri­va­te und kom­mer­zi­el­le Schif­fe erfolgt, sie­ben durch die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che, sechs durch die ita­lie­ni­sche Mari­ne im Rah­men von Mare Nos­trum und zwei unab­hän­gi­ge Ret­tungs­ak­tio­nen wur­den zusätz­lich regis­triert. Durch die schritt­wei­se Ein­stel­lung von Mare Nos­trum schei­nen kom­mer­zi­el­le und pri­va­te Schif­fe tat­säch­lich häu­fi­ger für Such- und Ret­tungs­ak­tio­nen in Anspruch genom­men zu werden.

Euro­päi­sche See­not­ret­tung jetzt!

Es ist ein Armuts­zeug­nis und Aus­druck des Ver­sa­gens der euro­päi­schen Regie­run­gen: Anstatt end­lich einen euro­päi­schen See­not­ret­tungs­dienst ein­zu­set­zen setzt Euro­pa auf die Grenz­agen­tur Fron­tex, deren Man­dat die Grenz­kon­trol­le und nicht die See­not­ret­tung ist. Dass die zen­tra­le Auf­ga­be der See­not­ret­tung zudem fak­tisch pri­va­ten Akteu­ren über­las­sen wird, ist eine wei­te­re fata­le Dimen­si­on der euro­päi­schen Poli­tik. Einer Poli­tik, die den Schutz der eige­nen Gren­zen über den Schutz von Men­schen­le­ben stellt. Die For­de­rung bleibt bestehen: Ein euro­päi­scher See­not­ret­tungs­dienst muss end­lich beschlos­sen und umge­setzt wer­den. Lega­le Wege nach Euro­pa blei­ben schluss­end­lich die ein­zi­ge tat­säch­li­che Abkehr von einer Flücht­lings­po­li­tik mit Todesfolge.

Zur Peti­ti­on „Wie vie­le Tote noch? – See­not­ret­tung jetzt!“ 

 Wie vie­le Tote noch? See­not­ret­tung statt Abwehr! (20.04.15)

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 Euro­pas Schan­de: „Tri­ton“ und „Mare Nos­trum“ im Ver­gleich (17.10.14)

 Inter­ne EU-Plä­ne: Mehr Abschot­tung, weni­ger See­not­ret­tung (09.10.14)

 Mail­ak­ti­on: See­not­ret­tung jetzt! (30.09.14)