14.12.2021
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Abschiebungen finden meistens Nachts und heimlich statt, daher gibt es selten Fotos. Hier deshalb eine Abschiebung, die schon 2015 vom Flughafen Leipzig/Halle stattfand. Foto: picture alliance / dpa / Sebastian Willnow

Neben einigen positiven Aspekten kündigt der Koalitionsvertrag auch eine »Rückführungsoffensive« an. Doch die gibt es schon längst. Anstatt die vielen Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre zurückzudrehen, soll die harte Abschiebepolitik also auch unter der Ampel weitergehen. Was das in der Praxis heißt? Das zeigen unsere Fallbeispiele 2021.

Zwi­schen Früh­jahr und Som­mer 2020 sorg­te die Coro­na-Pan­de­mie dafür, dass sogar die deut­sche Abschie­be­ma­schi­ne­rie gestoppt wur­de – und trotz­dem gab es in dem Jahr über 10.000 Abschie­bun­gen. Die­ses Jahr dürf­te die Zahl dem­zu­fol­ge noch ein­mal höher sein – und hin­ter jeder die­ser Zif­fern ste­cken mensch­li­che Schicksale.

Schon 2018, 2019 und 2020 haben wir die Abschie­be­po­li­tik der deut­schen Behör­den anhand einer Fall­samm­lung doku­men­tiert und auch 2021 pro­to­kol­lie­ren wir wie­der zehn Ein­zel­fäl­le, die wir oder unse­re Kolleg*innen in den Lan­des­flücht­lings­rä­ten bei unse­rer all­täg­li­chen Arbeit mitbekommen.

Damit nie­mand ver­gisst, was es letzt­end­lich bedeu­tet, wenn auch die neue Bun­des­re­gie­rung im Koali­ti­ons­ver­trag wei­ter mit mar­ki­gen Wor­ten auf ver­mehr­te Abschie­bun­gen setzt. Näm­lich, dass auch wei­ter­hin kran­ke und trau­ma­ti­sier­te Geflüch­te­te abge­scho­ben und sogar Fami­li­en nachts aus ihren Bet­ten geholt werden.

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*Name geän­dert

Fall #1: Dienstag ist Amins Erster Schultag. Montagabend kommt die Polizei

»Wir haben noch Klei­dung und Schul­sa­chen gekauft« sagt Roya Rafi­ye­va der Pas­sau­er Neu­en Pres­se, denn Mit­te Sep­tem­ber enden die baye­ri­schen Som­mer­fe­ri­en und der zehn­jäh­ri­ge Amin hat am 14.9. sei­nen ers­ten Schul­tag auf dem Gym­na­si­um im baye­ri­schen Sim­bach. Aber statt­des­sen ist er zu die­sem Zeit­punkt bereits gemein­sam mit sei­ner Mut­ter und sei­nen Geschwis­tern Shakir (16) und Jolie (2) in Baku, Aserbaidschan.

Von dort war Roya Rafi­ye­va auf­grund ihrer Arbeit als regime­kri­ti­sche Jour­na­lis­tin vor Jah­ren geflo­hen. Seit ihrer Abschie­bung wird sie dort nun ver­hört und bedroht, die Kin­der kön­nen noch nicht wie­der zur Schu­le gehen, wie Unterstützer*innen berich­ten. Shakir hät­te wäh­rend­des­sen in Deutsch­land Chan­cen auf ein Blei­be­recht nach §25a gehabt – aber die zwi­schen­zeit­lich ent­zo­ge­ne Dul­dung mach­te die Hoff­nun­gen zunich­te, obwohl er sonst alle Vor­aus­set­zun­gen erfüllte.

Und als wäre all das nicht schlimm genug, sorg­te die Abschie­bung auch noch für eine Fami­li­en­tren­nung: Der Vater der erst zwei­jäh­ri­gen Jolie stammt aus Afgha­ni­stan und befin­det sich wei­ter­hin in Deutsch­land, hier läuft sein Asylfolgeantrag.

Fall #2: Kein Schutz vor Zwangsheirat und Femizid für Arjana*

Arja­na* aus Alba­ni­en lebt in Gril­len­burg in einer Unter­kunft für beson­ders vul­nerable Geflüch­te­te. Am 21. Juli wird sie dort um Mit­ter­nacht gemein­sam mit einer wei­te­ren jun­gen Frau abge­holt – obwohl das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge erklärt hat­te, dass vor der gericht­li­chen Klä­rung über Rechts­mit­tel kei­ne Abschie­bung statt­fin­den würde.

»Neben der Tat­sa­che, dass das lau­fen­de gericht­li­che Ver­fah­ren über­gan­gen wur­de, ist sie jetzt der aku­ten und gegen­wär­ti­gen Ver­fol­gung durch ihre Fami­lie in Alba­ni­en aus­ge­setzt« schreibt der Säch­si­sche Flücht­lings­rat dazu, denn Arja­na war nach Deutsch­land geflo­hen, um der erzwun­ge­nen Hoch­zeit mit einem älte­ren, wohl­ha­ben­den Mann zu ent­ge­hen. Bereits nach­dem ihr ers­ter Asyl­an­trag abge­lehnt wor­den war, droh­te die Fami­lie ihr im Fal­le ihrer Rück­kehr nach Alba­ni­en mit dem Tod.

Fall #3: Omar F. Kurz vor dem Bleiberecht nach Somalia abgeschoben 

Omar F. lebt seit fast acht Jah­ren in Deutsch­land. Noch weni­ge Mona­te und er hät­te eine Auf­ent­halts­er­laub­nis erlan­gen kön­nen, da er bereits seit Jah­ren als Maschi­nen­füh­rer arbei­tet und sei­nen Lebens­un­ter­halt somit selbst sichern kann. Auch eine Beschäf­ti­gungs­dul­dung war in greif­ba­rer Nähe, nur auf­grund der Dau­er des Asyl­ver­fah­rens fehl­ten ihm noch ein paar Wochen mit »nor­ma­ler« Duldung.

»Es ist doch völ­lig absurd, jeman­den, der fast acht Jah­re in Deutsch­land lebt, her­vor­ra­gend inte­griert ist und seit Jah­ren in Voll­zeit arbei­tet, abzu­schie­ben, kurz bevor er von den Rege­lun­gen pro­fi­tie­ren kann, die extra für Men­schen wie ihn gemacht wurden.«

Tim­mo Sche­ren­berg, Hes­si­scher Flüchtlingsrat

Eben jene Dul­dung woll­te er am 15. Febru­ar auf der Aus­län­der­be­hör­de in Darm­stadt ver­län­gern – und war zwei Tage spä­ter schon in Moga­di­schu, denn er wur­de an Ort und Stel­le in Abschie­be­haft genom­men. Auch für sei­ne Arbeitskolleg*innen kommt das aus hei­te­rem Him­mel, der Chef sagt gegen­über dem Hes­si­schen Flücht­lings­rat: »Wir sind hier im Betrieb alle völ­lig scho­ckiert. Wir set­zen alles dar­an, dass Omar wie­der nach Deutsch­land kom­men kann, wür­den sogar das Ticket bezah­len«. Genau das ist aber lei­der schwie­rig – für ein Arbeits­vi­sum müss­te Omar eine sog. »qua­li­fi­zier­te Beschäf­ti­gung« aus­üben, die zwei­jäh­ri­ge Wie­der­ein­rei­se­sper­re abwar­ten und für die Kos­ten sei­ner Abschie­bung auf­kom­men. Statt­des­sen sitzt er nun also in Soma­lia, einem Staat, der seit Jahr­zehn­ten von Krieg, Ter­ror und Hun­ger gekenn­zeich­net ist.

Fall #4: Um 3 Uhr nachts holt die Polizei Oma und Opa ab

Selj­ve­ta und Sel­a­tin Isla­mi leben seit 30 Jah­ren im Land­kreis Göt­tin­gen. Ihre Kin­der sind hier gebo­ren und auf­ge­wach­sen, die meis­ten woh­nen mit ihrer eige­nen Fami­lie gemein­sam mit ihnen unter einem Dach. Bis zum 30. Juni 2021, als um 3 Uhr nachts die Tür auf­ge­bro­chen wird. Die Groß­el­tern wer­den in Hand­schel­len zum Flug­zeug gebracht und nach Ser­bi­en abge­scho­ben – obwohl sie als Roma aus dem Koso­vo kaum ser­bisch sprechen.

Auch haben sie dort kei­ne Ver­wand­ten mehr, die gan­ze Fami­lie lebt in Deutsch­land. Ein­zig ein Bru­der von Selj­ve­ta wur­de eben­falls vor eini­gen Jah­ren abge­scho­ben, wie der Nie­der­säch­si­sche Flücht­lings­rat berich­tet – er wur­de kurz spä­ter in Pris­ti­na von einem alba­ni­schen Natio­na­lis­ten ermor­det. Mit Kund­ge­bun­gen und einer Peti­ti­on kämp­fen die ande­ren Fami­li­en­mit­glie­der und Unterstützer*innen jetzt für die Rück­kehr des Ehepaars.

Über einen sehr ähn­li­chen Fall hat­ten wir bereits im ver­gan­ge­nen Jahr berich­tet. Damals waren Sali K. und Mire G. nach 28 Jah­ren aus Biber­ach, Baden-Würt­tem­berg abge­scho­ben wor­den. Nur fünf Mona­te nach der Abschie­bung ist Sali K. auch auf­grund man­geln­der medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung im Koso­vo lei­der verstorben.

Fall #5 Ahmad (7) – Aus dem Unterricht zum Abschiebeflieger

Ahmad T. ist am 30. Novem­ber auf dem Weg von sei­ner Grund­schu­le in Delitzsch in den Hort als er unter den Augen sei­ner Mitschüler*innen vom Lehr­per­so­nal und der Poli­zei in einen Ein­satz­wa­gen gebracht wird. Sei­ne Mut­ter war gemein­sam mit ihm vor dem gewalt­tä­ti­gen Vater aus Tsche­tsche­ni­en geflüch­tet, nun sol­len sie in ihren EU-Erst­ein­rei­se­staat Polen zurück­ge­bracht werden.

»Vor allen ande­ren Schul­kin­dern einen Erst­kläss­ler in ein Poli­zei­au­to zu ste­cken, kann doch nicht nor­mal sein!«

Hort­lei­tung

Auch in Polen wur­de sie von Mit­tels­män­nern ihres Man­nes jedoch wei­ter­hin bedroht, wes­halb sie mehr­fach ver­such­te, in Deutsch­land Sicher­heit zu fin­den. Dort hat­ten Ahmad und sie sich sehr gut ein­ge­lebt, wie Ahmads Erzie­he­rin dem Säch­si­schen Flücht­lings­rat erzählt: »Es gab nie Pro­ble­me mit ihm oder sei­ner Mut­ter, bei­de waren sehr engagiert.«

Ab dem 11. Dezem­ber wäre Deutsch­land für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig gewe­sen, kurz zuvor führ­ten die Behör­den doch noch die Abschie­bung durch – so wird zumin­dest ver­mu­tet, denn der Kon­takt der Unterstützer*innen zu Ahmads Mut­ter ist seit­her abgerissen.

Fall #6: Trotz Votum der Härtefallkommission WIRD Familie Deda* ABGESCHOBEN

Frau Deda* liegt am 21. April in einer Bon­ner Kli­nik, sie ist sui­zid­ge­fähr­det. Ihre zwei klei­ne­ren Kin­der sind daher in Sieg­burg in einem Kin­der­heim unter­ge­bracht. Der ältes­te Sohn befin­det sich in der Fami­li­en­woh­nung in Hennef. Um 4 Uhr nachts taucht die Poli­zei an allen Orten auf und schiebt die Fami­lie sofort von Düs­sel­dorf nach Alba­ni­en ab.

Obwohl die Här­te­fall­kom­mis­si­on von Nord­rhein-West­fa­len und der Peti­ti­ons­aus­schuss des Land­ta­ges für ein huma­ni­tä­res Blei­be­recht für Fami­lie Deda votiert hat­ten – die Aus­län­der­be­hör­de Rhein-Sieg zog die Abschie­bung trotz­dem durch. Denn ein Ersu­chen der Här­te­fall­kom­mis­si­on ist nicht bin­dend. Obwohl, wie die Dia­ko­nie An Rhein und Sieg berich­tet, der gewalt­tä­ti­ge Ex-Mann von Frau Deda zwi­schen­zeit­lich sogar nach Deutsch­land reis­te, um sie dort zu bedro­hen – und von der Poli­zei der Woh­nung ver­wie­sen wer­den muss­te. Obwohl die in Alba­ni­en vor­lie­gen­de Bedro­hung also auch für die deut­schen Behör­den offen­sicht­lich gewe­sen sein muss.

Für die Abschie­bung aus­schlag­ge­bend war u.a., dass die Fami­lie ihren Lebens­un­ter­halt nicht selbst­stän­dig sichern kön­ne – dabei hat­ten die Behör­den selbst Frau Deda ver­wei­gert, eine Aus­bil­dung zur Pfle­ge­hel­fe­rin anzutreten.

Fall #7: Milad (16) und seine Schwester – Von Unterschleißheim nach Rom

Milads Leh­re­rin ist scho­ckiert, als sie mor­gens auf­wacht und die Nach­rich­ten von ihrem 16-jäh­ri­gen Schü­ler aus Afgha­ni­stan liest. Seit Okto­ber 2020 leben er und sei­ne Schwes­ter in Deutsch­land, bis sie am 8. Novem­ber abge­scho­ben wer­den – denn Euro­pa erreich­ten die bei­den mit einem Flücht­lings­boot. Gemäß Dub­lin-Regu­la­ri­en ist damit der Erst­ein­rei­se­staat Ita­li­en zustän­dig – und die Behör­den nah­men wie so oft kei­ne Rück­sicht auf den beweg­ten Lebens­weg der Geschwister.

»Milad hat eine Chan­ce ver­dient, er war gut ver­netzt. Es ist unmensch­lich, dass er wie­der ent­wur­zelt wird, nach dem, was er in Afgha­ni­stan und auf der Flucht erlebt hat« sagt auch die drit­te Bür­ger­meis­te­rin von Milats Wohn­ort Unter­schleiß­heim zu den Vor­gän­gen. Denn dass Milad und sei­ne Schwes­ter Schutz in Euro­pa erhal­ten wer­den, ist auf­grund der Situa­ti­on in Afgha­ni­stan sehr wahr­schein­lich. In Ita­li­en müs­sen sie jetzt aller­dings wie­der von vor­ne anfan­gen – und dort erhal­ten Geflüch­te­te oft kaum Unterstützung.

Fall #8: »Shayon gehört nach Nümbrecht«

Der acht­jäh­ri­ge Shayon lebt schon seit drei Jah­ren gemein­sam mit sei­nem Vater, der Stief­mut­ter und dem hier gebo­re­nen Halb­bru­der in Nüm­brecht, Nord­rhein-West­fa­len – und spielt lei­den­schaft­lich ger­ne Fuß­ball. Des­we­gen ist die Empö­rung in sei­nem Fuß­ball­ver­ein auch rie­sig, als Shayon am 30. Sep­tem­ber zusam­men mit der Stief­mut­ter und dem Halb­bru­der mor­gens um 6 Uhr von der Poli­zei abge­holt und nach Ban­gla­desch abge­scho­ben wird. Der Vater ist da aus Angst vor der Abschie­bung schon seit eini­gen Wochen verschwunden.

»Mir fehlt mei­ne Schu­le und mein Fuß­ball. Ich will zurück nach Deutsch­land. Ich bin traurig.«

Shayon
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Shayons Mitspieler*innen der SSV Hom­burg-Nüm­brecht und des TuS Hom­burg-Bröl­tal. Foto: Frank Hottmeyer

Seit­her sitzt die Roh­in­gya-Fami­lie in Dha­ka fest, es geht es ihnen nicht gut, die Stief­mut­ter ist erkrankt – und Shayon ver­misst sei­nen Fuß­ball. Dort, bei der SG Nümbrecht/Bröltal, ver­misst man ihn genau­so und des­halb wer­den jetzt alle Hebel in Bewe­gung gesetzt, um die Fami­lie zurück­zu­ho­len – oder ihr zumin­dest Geld für Lebens­mit­tel und Medi­ka­men­te zukom­men zu lassen.

Fall #9: Bring back our neighbours. Familie Imerlishvili ist kein Einzelfall!

Auch am 10. Juni 2021 steht die Poli­zei um 1 Uhr nachts wie­der vor der Tür einer Fami­lie, um sie aus ihrem gewohn­ten Leben zu rei­ßen. Dies­mal han­delt es sich um Fami­lie Imer­lish­vi­li aus Pir­na. Seit acht Jah­ren lebt sie in Deutsch­land, fünf der Kin­der sind hier gebo­ren und spre­chen über­haupt kein Geor­gisch, die Eltern gehen einer gere­gel­ten Arbeit nach. Auch die Här­te­fall­kom­mis­si­on spricht sich noch gegen die Abschie­bung aus – da ist es aller­dings schon zu spät.

Aber ihre Freund*innen aus Deutsch­land neh­men das nicht still­schwei­gend hin. »Wir haben bereits eine ande­re, eige­ne Woh­nung für sie. Die Eltern kön­nen ihre alten Jobs wie­der auf­neh­men und das Ein­kom­men der Fami­lie über­wie­gend sel­ber sichern. Die Kin­der kön­nen zurück in ihre Klas­sen« schrei­ben sie auf der eigens ein­ge­rich­te­ten Web­sei­te bringbackourneighbours.de. Und sie haben tat­säch­lich Erfolg: Schon Mit­te August urteilt das OVG Sach­sen, dass Fami­lie Imer­lish­vi­li zurück­ge­holt wer­den muss. Die zwei ältes­ten Kin­der hät­ten »Anspruch auf Ertei­lung einer ver­fah­rens­be­zo­ge­nen Dul­dung« gehabt.

Weni­ge Tage spä­ter sind die Imer­lish­vi­lis zurück in Deutsch­land. Ihre Nachbar*innen berich­ten: »Die Fami­lie hat sich mitt­ler­wei­le wie­der ein­ge­lebt in Schu­le, Beruf und All­tag. Ihr Auf­ent­halt ist noch nicht sicher, aber da blei­ben wir dran!«

Fall #10: Die kleine Djuliana* – Trotz Schwerbehinderung abgeschoben

Dju­lia­na* wur­de 2015 in Cel­le gebo­ren. Der Nie­der­säch­si­sche Flücht­lings­rat schreibt zu ihr: »Das Mäd­chen lei­det unter einer schwe­ren Hör­min­de­rung mit ver­bun­de­ner Sprach­er­werbs­stö­rung, einer Mikro­ze­pha­lie und einer Hüft­dys­pla­sie. Das Lan­des­so­zi­al­amt hat­te des­we­gen bei ihr einen Grad der Behin­de­rung von 90 fest­ge­stellt.«

»Die Cel­ler Behör­den schie­ben ein 6‑jähriges schwer­be­hin­der­tes Mäd­chens aus Cel­le nachts mit sei­ner Mut­ter in ein für sie völ­lig unbe­kann­tes Land ab. Sie neh­men dafür eine schwe­re Kin­des­wohl­ge­fähr­dung bil­li­gend in Kauf.«

Sebas­ti­an Rose, Flücht­lings­rat Niedersachsen

Das hält die Behör­den in Cel­le aber eben­so­we­nig wie die psych­ia­tri­sche Behand­lung der Mut­ter oder ein lau­fen­der Här­te­fall­an­trag davon ab, die bei­den Roma Ende Juni nach Ser­bi­en abzu­schie­ben. Natür­lich wie­der ein­mal mit­ten in der Nacht und ohne Vor­ankün­di­gung. Der AK Asyl und Migra­ti­on Cel­le ist wei­ter mit ihnen in Kon­takt und sam­melt Spen­den für den Lebens­un­ter­halt – denn in Ser­bi­en bekom­men sie kei­ner­lei Unterstützung.

EXTRA: Es geht auch anders – Abschiebung von Nazdar E. verhindert!

Im April die­sen Jah­res wird Naz­dar E. aus ihrer Unter­kunft in Kas­sel abge­holt, ihre Abschie­bung in die Tür­kei steht kurz bevor – unglaub­lich, denn dort war die poli­tisch akti­ve Kur­din aus Ciz­re bereits fünf Jah­re lang inhaf­tiert, wei­te­re Ankla­gen lau­fen. Fai­re Ver­fah­ren hat sie in der aktu­el­len poli­ti­schen Situa­ti­on nicht zu erwar­ten, das zei­gen die vie­len Mel­dun­gen über inhaf­tier­te kur­di­sche Politiker*innen und Aktivist*innen.

Die unmit­tel­ba­re Abschie­bung wird wegen ihres pas­si­ven Wider­stan­des abge­bro­chen, Naz­dar E. lan­det im Abschie­be­ge­fäng­nis. Unter ande­rem über Twit­ter machen Freund*innen und Unterstützer*innen den Fall bekannt, es gibt meh­re­re Kund­ge­bun­gen und Soli­da­ri­täts­ak­tio­nen – auch PRO ASYL wird dar­auf aufmerksam.

Nach vie­len Inter­ven­tio­nen wird Naz­dar E. eine Woche spä­ter aus der Abschie­be­haft ent­las­sen, wie der Hes­si­sche Flücht­lings­rat am 15. April ver­mel­det. Dar­auf­hin gelingt es mit juris­ti­scher Unter­stüt­zung, das Asyl­ver­fah­ren mit einem Asyl­fol­ge­an­trag wie­der in Gang zu brin­gen. Nach einer neu­er­li­chen Anhö­rung kommt im Sep­tem­ber dann die erlö­sen­de Nach­richt: Naz­dar E. erhält end­lich Schutz in Deutschland!

(mk)

*Namen geändert


Die geschil­der­ten Geschich­ten sind bei­spiel­haf­te Fäl­le – aber lei­der kei­ne Ein­zel­fäl­le. Abschie­bun­gen kom­men in Deutsch­land jeden Tag vor. Manch­mal kön­nen sie im letz­ten Moment noch abge­wen­det oder sogar nach­träg­lich auf­wän­dig rück­gän­gig gemacht wer­den. Oft ist das auch dem Enga­ge­ment von Freund*innen, Unterstützer*innen oder unab­hän­gi­gen Bera­tungs­stel­len zu ver­dan­ken. Wir freu­en uns daher über jede Spen­de an Struk­tu­ren, die Geflüch­te­ten in sol­chen Situa­tio­nen ent­schei­dend zur Sei­te ste­hen. Ganz egal, ob sie an PRO ASYL, einen der Lan­des­flücht­lings­rä­te oder kom­mu­na­le & loka­le Flücht­lings­in­itia­ti­ven geht. Denn nur mit einem sol­chen brei­ten Netz­werk kön­nen wir wei­ter­hin etwas gegen bru­ta­le und unmensch­li­che Abschie­bun­gen unternehmen!