21.05.2014
Image
Syrisches Mädchen im Libanon. Eine Perspektive haben Flüchtlinge dort kaum. Viele Kinder gehen schon lange nicht mehr zur Schule. Bild: UNHCR/Lindsay Addario

2,7 Millionen Menschen sind vor dem syrischen Bürgerkrieg ins Ausland geflohen. Die meisten befinden sich in auswegloser Lage. Europa schaut dem nicht einfach nur zu, es schottet sich gegen die Schutzsuchenden systematisch ab. Dabei könnten Deutschland und Europa einen gewaltigen Beitrag zur Hilfe für die Flüchtlinge leisten.

Maya Alk­he­chen kam mit sechs Jah­ren nach Deutsch­land. Sie ist hier auf­ge­wach­sen, hat hier Abitur gemacht, ging spä­ter zurück nach Syri­en, hei­ra­te­te, bekam zwei Kin­der. Dann kam der Bür­ger­krieg. 2012 floh sie mit ihrer Fami­lie über den Liba­non nach Ägyp­ten. Ihr Bru­der Fadi, der in Deutsch­land geblie­ben war, woll­te sei­ne Schwes­tern zu sich holen. Er stell­te für Maya einen Auf­nah­me­an­trag im Rah­men des  1. Bun­des­pro­gramms zur Auf­nah­me syri­scher Flücht­lin­ge. Der Antrag schei­ter­te. Maya ver­such­te, über die deut­sche Bot­schaft in Ägyp­ten ein Visum zu bekom­men. Ohne Erfolg.  Maya sah kei­ne ande­re Chan­ce, als die lebens­ge­fähr­li­che Flucht  mit einem Boot nach Ita­li­en zu wagen und sich von dort nach Deutsch­land durchzuschlagen.

Die Geschich­te der Fami­lie Alk­he­chen, dem syri­schen Bür­ger­krieg, den ver­schlos­se­nen Gren­zen Euro­pas und den büro­kra­ti­schen, viel zu knapp bemes­se­nen Auf­nah­me­pro­gram­men Deutsch­lands hat damit noch lan­ge kein Hap­py End. Maya und Fadi Alk­he­chen Schwes­tern Hana und Rima sit­zen seit 2012 mit ihren Fami­li­en in Liby­en fest. Rimas  Mann ist nie­ren­krank, sie haben kei­nen Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung. Alle Ver­su­che von Fadi und Maya Alk­he­chen, ihren  Schwes­tern eine lega­le Ein­rei­se­mög­lich­keit nach Deutsch­land zu erwir­ken, sind geschei­tert. Die Schwes­tern in Liby­en sind inzwi­schen so ver­zwei­felt, dass sie erwä­gen, mit ihren Fami­li­en die Flucht per Boot nach Ita­li­en zu wagen.

Am 11. Okto­ber 2013 star­ben zwi­schen der liby­schen Küs­te und Lam­pe­du­sa rund 260 syri­sche Flücht­lin­ge, vie­le von ihnen Kin­der. Seit­her wur­den über 60 wei­te­re Todes­fäl­le auf der Rou­te von Liby­en nach Lam­pe­du­sa  bekannt. Trotz­dem wäh­len mehr und mehr Schutz­su­chen­de aus Syri­en die lebens­ge­fähr­li­che Über­fahrt über das zen­tra­le Mit­tel­meer. Warum?

Kaum Mög­lich­kei­ten zur lega­len und siche­ren Einreise

In Deutsch­land leben im Mai 2014 laut Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um rund 64.000 Men­schen aus Syri­en sowie eine unbe­kann­te Zahl deut­scher Staats­bür­ger syri­scher Her­kunft. Das ist die größ­te syrisch­stäm­mi­ge Com­mu­ni­ty in der EU. Vie­le die­ser größ­ten­teils seit lan­gem in Deutsch­land leben­den Men­schen wol­len Ange­hö­ri­ge zu sich ret­ten, die in Syri­en in Lebens­ge­fahr sind oder in Syri­ens Nach­bar­staa­ten in exis­ten­ti­el­ler Not leben. Groß­zü­gi­ge und unbü­ro­kra­ti­sche Rege­lun­gen eines erwei­ter­ten Fami­li­en­nach­zugs wären ein Gebot der Mensch­lich­keit, doch die Rea­li­tät sieht anders aus:

Den Bun­des­län­dern lie­gen für das 2. Bun­des­pro­gramm zur Auf­nah­me von Syri­en-Flücht­lin­gen Anträ­ge für 76.000 Men­schen vor, für die in Deutsch­land leben­de Ange­hö­ri­ge um Ein­rei­se­er­laub­nis bit­ten. Den 76.000 Men­schen ste­hen im Rah­men die­ses 2. Bun­des­pro­gramms nur 5.000 Auf­nah­me­plät­ze gegen­über. Auch die der­zeit poli­tisch dis­ku­tier­te Auf­sto­ckung um wei­te­re 10.000 Plät­ze wäre nur eine äußerst gering­fü­gi­ge Ver­bes­se­rung. Groß­zü­gig wäre etwas ande­res. Und „unbü­ro­kra­tisch“ auch: Nach einem Jahr sind die letz­ten der 5.000 Men­schen aus dem ers­ten Bun­des­pro­gramm ein­ge­reist. Über das im Dezem­ber 2013 beschlos­se­ne zwei­te Pro­gramm sind erst 100 ange­kom­men. Wer akut in Not ist – etwa mit gesund­heit­li­chen Pro­ble­men auf der Flucht in einem Land wie Liby­en stran­det – kann nicht so lan­ge warten.

Gna­den­lo­se Abschot­tung statt Aufnahme

Es fehlt in Euro­pa jedoch nicht ein­fach nur an Auf­nah­me­plät­zen (aktu­ell in der gesam­ten EU weni­ger als 20.000). Die Euro­päi­sche Uni­on hat ihre Gren­zen gegen­über syri­schen Schutz­su­chen­den sys­te­ma­tisch ver­schlos­sen – vor allem durch die Abrie­ge­lung der bul­ga­risch-tür­ki­schen und der grie­chisch-tür­ki­schen EU-Land­gren­zen. Schutz­su­chen­de aus Syri­en, die vor Not, Unsi­cher­heit und Per­spek­tiv­lo­sig­keit in den Erst­auf­nah­me­staa­ten nach Euro­pa flie­hen, sehen sich daher mehr und mehr gezwun­gen, die Flucht über das Meer zu ris­kie­ren. Zuletzt hat sich die Flucht­rou­te syri­scher Flücht­lin­ge ver­stärkt auf das zen­tra­le Mit­tel­meer und die Ägä­is ver­la­gert. In der Ägä­is sind seit der Abrie­ge­lung der tür­kisch-grie­chi­schen Land­gren­ze im August 2012 über 230 Flücht­lin­ge gestor­ben. Erst am 6. Mai star­ben vor Samos min­des­tens 22 Flücht­lin­ge, dar­un­ter auch Syre­rin­nen und Syrer.

An den Außen­gren­zen Bul­ga­ri­ens und Grie­chen­lands kommt es zu sys­te­ma­ti­schen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den. Syri­sche Flücht­lin­ge sind aktu­ell auch Opfer völ­ker­rechts­wid­ri­ger Push Backs von Ita­li­en nach Grie­chen­land. Die EU schaut nicht nur weg – sie reagiert auf die größ­te Flücht­lings­kri­se seit dem zwei­ten Welt­krieg mit gna­den­lo­ser Abschot­tung unter Miss­ach­tung des inter­na­tio­na­len Flücht­lings­rechts. Seit Kriegs­aus­bruch im Früh­jahr 2011 konn­ten sich nur knapp 95.000 Schutz­su­chen­de aus Syri­en auf eige­ne Faust nach Euro­pa durch­schla­gen und hier einen Asyl­an­trag stel­len. Zum Ver­gleich: Im EU-Nach­bar­land Tür­kei leben bereits über eine Mil­li­on Flücht­lin­ge aus Syri­en, im Liba­non sind es eben­falls über eine Mil­li­on, in Jor­da­ni­en rund 600.000, im Irak über 220.000 und knapp 140.000 in Ägypten.

For­de­run­gen von PRO ASYL zur Syri­schen Flücht­lings­kri­se:
Pres­se­er­klä­rung „Schutz­su­chen­de auf­neh­men – Euro­pas Abschot­tung beenden“

 »Für mich hieß es: Kom­men Sie erst­mal ille­gal rein« (28.05.14)

 Syri­sche Flücht­lings­kri­se: Schutz­su­chen­de auf­neh­men – Euro­pas Abschot­tung been­den (21.05.14)

 Türen auf für syri­sche Flücht­lin­ge! – War­um Trip­pel­schrit­te nicht aus­rei­chen (20.05.14)

 Auf­nah­me syri­scher Flücht­lin­ge (14.05.14)