16.12.2016
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Mit dieser Maschine wurden am Mittwochabend 34 Afghanen vom Frankfutrer Flughafen aus abgeschoben. Foto: dpa

Am Mittwoch ist ein Abschiebeflieger vom Flughafen Frankfurt gestartet. 34 Menschen wurden trotz breitem Protest nach Afghanistan abgeschoben, einige Abschiebungen konnten im letzten Moment gestoppt werden - unter anderem vom Bundesverfassungsgericht. Aber wer sind die Betroffenen?

Seit Mona­ten kri­ti­siert PRO ASYL, dass Innen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re den Plan vor­an­treibt, mas­sen­haft Men­schen nach Afgha­ni­stan abzu­schie­ben – nun ist die poli­ti­sche Wen­de trau­ri­ge Rea­li­tät gewor­den. Bald sol­len wei­te­re Abschie­be­flü­ge folgen.

Wer sind die Betroffenen?

Im Ver­lau­fe des gest­ri­gen Mitt­wochs gelang­ten suk­zes­si­ve mehr Infor­ma­tio­nen über die von der Abschie­bung Bedroh­ten an die Öffent­lich­keit. Vor allem Flücht­lin­ge aus Baden-Würt­tem­berg, Bay­ern, Hes­sen, Nord­rhein-West­fa­len und Ham­burg waren betrof­fen – ande­re Bun­des­län­der  wie  Bran­den­burg, Bre­men, Ber­lin, Nie­der­sach­sen, Rhein­land-Pfalz, Thü­rin­gen und Schles­wig-Hol­stein haben poli­ti­sche Beden­ken gegen die Abschie­bung von Afghan*innen erhoben.

Eini­ge der Abschie­bun­gen konn­ten in letz­ter Sekun­de noch durch Eil­an­trä­ge ver­hin­dert wer­den, letzt­end­lich waren 34 der geplan­ten 50 Men­schen an Bord. Die  Fäl­le, die öffent­lich bekannt sind, zei­gen die Här­te und die Will­kür­lich­keit des Vorgehens.

Abschiebung um jeden Preis

Der baye­ri­sche Flücht­lings­rat berich­tet von 15 geplan­ten Abschie­bun­gen aus Bay­ern: »Abge­scho­ben wer­den soll­te zum Bei­spiel der Ange­stell­te einer All­gäu­er Bäcke­rei, für des­sen Blei­be­recht sich die gan­ze Fir­ma ein­ge­setzt hat­te. Abge­scho­ben wur­de ein lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter der Lands­hu­ter Bau­fir­ma Mon­zel. Die­se Men­schen zwangs­wei­se abzu­schie­ben ist in unse­ren Augen poli­ti­scher Unfug und mensch­lich nicht vertretbar.«

Teil­wei­se wur­den Flücht­lin­ge dabei auch direkt aus der Psych­ia­trie zum Abschie­be­flie­ger gebracht. In einem Fall erlitt ein Afgha­ne beim Flucht­ver­such durch einen Sprung aus meh­re­ren Metern Höhe offen­bar schwe­re­re Ver­let­zun­gen. Eini­ge der geplan­ten Abschie­bun­gen konn­ten gestoppt werden.

»Bei den Fäl­len in Bay­ern han­delt es sich teils um Flücht­lin­ge, die fünf oder sechs Jah­re hier sind, die in fes­ten Arbeits­ver­hält­nis­sen ste­hen und gut inte­griert sind.«

Ste­phan Dünn­wald, Baye­ri­scher Flüchtlingsrat

Abschiebung religiöser Minderheiten

Aus Ham­burg waren offen­bar sie­ben der Abge­scho­be­nen, dar­un­ter auch ein 24-jäh­ri­ger Hin­du, des­sen Fami­lie und Freun­de unter den Demons­trie­ren­den am Frank­fur­ter Flug­ha­fen waren. Er wur­de bereits letz­te Woche fest­ge­nom­men, als er bei der Aus­län­der­be­hör­de sei­ne Dul­dung ver­län­gern woll­te, und in Abschie­be­haft nach Nord­rhein-West­fa­len ver­bracht. Nach Infor­ma­tio­nen des NDR leben nur noch rund 1.000 Hin­dus in Afgha­ni­stan, sie fin­den nur Schutz in ihren »wirt­schaft­lich und sozi­al geschlos­se­nen Gemein­den«, die aber durch den jahr­zehn­te­lan­gen Krieg gelit­ten haben.

»Ich kann nicht schla­fen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich dort ankom­me. Erst­mal muss ich mich schüt­zen, denn ich habe dort nie­man­den mehr, der mir hilft.«

Samir Narang, Hin­du aus Afgha­ni­stan, gegen­über dem NDR

Abschiebung nach 21 Jahren in Deutschland?

Ein wei­te­rer Mann aus Ham­burg, der im Abschie­be­flie­ger sit­zen soll­te, lebt seit 21 Jah­ren mit Dul­dung in der Han­se­stadt, ist voll berufs­tä­tig und seit weni­gen Mona­ten Vater. Sei­ne Abschie­bung konn­te im letz­ten Moment ver­hin­dert wer­den, auch er war zuvor aber bereits mit­ten in der Nacht von der Poli­zei abge­holt wor­den.

»Wir durf­ten nicht mit ihm reden, sie sag­ten uns nicht, wo sie ihn hin­brin­gen. Wie einen Schwer­ver­bre­cher haben sie ihn abgeführt.«

Sani­ta Sade­qie, Schwes­ter des Betrof­fe­nen, gegen­über der taz

Bundesverfassungsgericht stoppt eine Abschiebung

Ein 29-jäh­ri­ger saß bereits seit Anfang Novem­ber in Abschie­be­haft. Er arbei­te­te in einem Mün­che­ner Hotel und stell­te nach einem vor 30 Mona­ten abge­lehn­ten Asyl­an­trag Anfang die­ses Jah­res einen wei­te­ren. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­hin­der­te nun die Abschie­bung zunächst, bevor durch die Abschie­be­be­hör­den ein­fach Fak­ten geschaf­fen wer­den konnten.

»Das ist nicht ein­fach nur ein flei­ßi­ger, zuver­läs­si­ger und enga­gier­ter Mit­ar­bei­ter, das ist ein Freund«

Chef von Sabur Fro­tan, gegen­über der SZ

Was erwartet die Menschen in Afghanistan?

Sicher ist es fast nir­gend­wo in Afgha­ni­stan: Selbst das BAMF spricht in inter­nen Doku­men­ten davon, dass »in allen Tei­len Afgha­ni­stans ein inner­staat­li­cher bewaff­ne­ter Kon­flikt in Form von Bür­ger­kriegs­aus­ein­an­der­set­zun­gen und Gue­ril­la­kämp­fen zwi­schen afgha­ni­schen Sicher­heits­kräf­ten und den Tali­ban sowie ande­ren oppo­si­tio­nel­len Kräf­ten [herrscht]« (Quel­le: ZEIT online). Auch die Men­schen­rechts­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung sieht kei­ne siche­ren Gebie­te.

»Ich habe bis­her kei­nen Bericht gese­hen, der mir den Ein­druck ver­mit­telt, es gebe in Afgha­ni­stan siche­re Regionen«

Bär­bel Kof­ler, Men­schen­rechts­be­auf­trag­te der Bundesregierung 
Über 5.100

Zivi­lis­ten wur­den im 1.Halbjahr 2016 Opfer der Kämpfe

Mehr als 5.100 Zivi­lis­ten wur­den allein im ers­ten Halb­jahr 2016 Opfer die­ser Kampf­hand­lun­gen (seit 2009 sind es ins­ge­samt deut­lich über 60.000) und die Ver­ein­ten Natio­nen schät­zen, dass Ende des Jah­res bis zu 1,5 Mil­lio­nen Men­schen inner­halb Afgha­ni­stans auf der Flucht sein könnten.

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Pla­kat auf der Demo gegen Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan. Foto: PRO ASYL

Keine Sicherheit in AFGHANISTAN!

Auch die weni­gen als »sicher« dekla­rier­ten Gebie­te bie­ten kei­ne dau­er­haf­te Sicher­heit, wie auch der Anschlag auf die deut­sche Bot­schaft in Mazar-i-Sha­rif zeigt. Ein Fern­seh­team des Maga­zins Moni­tor, das kürz­lich in der angeb­lich siche­ren Regi­on Balkh unter­wegs war, kam ohne­hin zu einer gänz­lich ande­ren Bewer­tung.

»Um in den angeb­lich sichers­ten Teil Afgha­ni­stans zu fah­ren, benö­tigt man vor allem zwei­er­lei: eine Schutz­wes­te Stu­fe IV (bal­lis­tisch). Und eine Begleit­mann­schaft, deren Kampf­geist durch den Respekt vor Geset­zen nicht gehemmt wird.«

Moni­tor-Jour­na­lis­ten nach ihrem Besuch in Balkh im Dezember

Nicht umsonst rät auch das Aus­wär­ti­ge Amt drin­gend von Rei­sen nach Afgha­ni­stan ab. » Der Auf­ent­halt in wei­ten Tei­len des Lan­des bleibt gefähr­lich. Jeder län­ger­fris­ti­ge Auf­ent­halt ist mit zusätz­li­chen Risi­ken behaf­tet« heißt es in der Rei­se­war­nung. Und: Einer Deut­schen, die ein Hilfs­pro­jekt in Afgha­ni­stan lei­tet, wur­den kürz­lich Rei­sen nach Afgha­ni­stan gänz­lich unter­sagt, ein Sperr­ver­merk im Rei­se­pass ein­ge­tra­gen. Begrün­dung: Ihre Sicher­heit sei dort nicht gewähr­leis­tet (Quel­le: Braun­schwei­ger Zei­tung).