19.10.2016
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Flüchtlingskind in einer behelfsmäßigen Siedlung in Kabul. Foto: Flickr / DVIDSHUB / cc-by-2.0

Die Europäische Union plant, massenhaft Afghanen abzuschieben. Auch aus Pakistan werden bereits hunderttausende Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeschickt. Dabei steigt dort die Zahl der Binnenvertriebenen ohnehin immer weiter an. Wohin die Rückkehrer sollen, wie man auch nur ihre Basisversorgung sicherstellen will, bleibt völlig unklar.

Im April 2016 sprach Amnes­ty Inter­na­tio­nal von bereits 1,2 Mil­lio­nen Bin­nen­ver­trie­be­nen in Afgha­ni­stan. Schon in den drei Jah­ren zuvor war die Zahl jeweils um 200.000 neue Bin­nen­ver­trie­be­ne ange­stie­gen, die Ten­denz bleibt wei­ter stei­gend. Von Janu­ar bis April sol­len 37.000 Fami­li­en inner­halb Afgha­ni­stans aus ihrer Hei­mat geflo­hen sein und in der Pro­vinz Bagh­lan ist die Rede von 70.000 Bin­nen­ver­trie­be­nen allei­ne im Juni 2016.

Ende 2016: 1,5 Millionen Binnenvertriebene?

Es ist also anzu­neh­men, dass die Zahl heu­te noch höher ist. Höher als die 1,17 Mil­lio­nen Bin­nen­ver­trie­be­nen, die die UN Ende 2015 zähl­te und auch höher als die 1,2 Mil­lio­nen aus dem Amnes­ty-Bericht von April 2016: Bis Ende 2016 wird es rund 400.000 neue Bin­nen­ver­trie­be­ne geben, schät­zen die Ver­ein­ten Natio­nen. Die Zahl läge dann bei über 1,5 Millionen.

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* Pro­gno­se für 2016: Schät­zung der Ver­ein­ten Natio­nen. Zah­len­quel­len: UNAMA Annu­al Reports. Gra­fik: PRO ASYL

Hunderttausende werden aus Pakistan zurückgeschickt

Dazu kom­men Mil­lio­nen Afghan*innen, die in die Nach­bar­län­der Paki­stan und Iran geflo­hen sind und dort teil­wei­se bereits seit vie­len Jah­ren leben. Auch von dort star­ten nun aber Rück­füh­run­gen im gro­ßen Stil: In der ver­gan­ge­nen Woche wur­den 52.000 Flücht­lin­ge aus Paki­stan nach Afgha­ni­stan zurück­ge­schickt, ins­ge­samt sind es damit die­ses Jahr laut UN bereits über 370.000.

Immer neue Fluchtgründe

Auch in Afgha­ni­stan selbst gibt es immer neue Flucht­grün­de – zuletzt der erneu­te Tali­ban-Angriff auf die Pro­vinz­haupt­stadt Kun­duz, der 24.000 Men­schen zur Flucht getrie­ben hat. Aber nicht nur in Kun­duz, über­all im Land schla­gen die Tali­ban der­zeit zu. Nicht umsonst warn­te auch der Wehr­be­auf­trag­te des Bun­des­tags, Hans-Peter Bartels, bereits im Sep­tem­ber, der Afgha­ni­stan-Ein­satz der Bun­des­wehr wer­de immer gefährlicher.

Schierer Irrsinn: Die EU-Abschiebepläne

In die­se pre­kä­re Situa­ti­on hin­ein möch­te die Euro­päi­sche Uni­on nun mit Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan im gro­ßen Stil begin­nen: Bis zu 80.000 afgha­ni­sche Flücht­lin­ge sol­len in ihr Hei­mat­land zurück, das ist das erklär­te Ziel. Dabei wer­den finan­zi­el­le Hilfs­mit­tel für Afgha­ni­stan an die Bereit­schaft des Lan­des zur Rück­über­nah­me von Flücht­lin­gen geknüpft. Doch Geld allein hilft in die­ser Lage nicht.

Es ist bereits völ­lig unklar, wohin die vie­len Rück­keh­rer aus Paki­stan sol­len und wie eine dau­er­haf­te Per­spek­ti­ve für sie geschaf­fen wer­den kann. Schon jetzt drän­gen vie­le der Bin­nen­flücht­lin­ge nach Kabul und in die grö­ße­ren Städ­te, in denen zumin­dest auf kur­ze Sicht halb­wegs siche­re Ver­hält­nis­se herr­schen – wenn man denn, wie das Bun­des­amt es tut, eine rela­tiv gro­ße Zahl von Anschlä­gen für irrele­vant hält.

Nun auch noch mit mas­sen­haf­ten Abschie­bun­gen von Afghan*innen aus Euro­pa zu begin­nen, ist ange­sichts der chao­ti­schen und unsi­che­ren Lage im Land schie­rer Irr­sinn, eine Über­for­de­rung mit Ansage.