23.04.2021

Die Entscheidung Dänemarks, hunderten syrischen Geflüchteten den Schutztitel zu entziehen und sie zur Ausreise nach Syrien zu nötigen, basiert auf Fehlinformationen über die Sicherheitslage im Land. Syrien ist nicht sicher! Die Bundesregierung muss deshalb von ihren Plänen, künftig auch Syrer*innen abschieben zu wollen, entschieden abrücken.

Vor weni­gen Wochen wur­de bekannt, dass die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Regie­rung Däne­marks geflüch­te­ten Syre­rin­nen und Syrern den Auf­ent­halts­ti­tel ent­zie­hen und sie zur Aus­rei­se ins Bür­ger­kriegs­land Syri­en drän­gen will. Damit hat sie bereits begon­nen: Däne­marks Migra­ti­ons­be­hör­de hat mitt­ler­wei­le mehr als 250 syri­schen Geflüch­te­ten den Schutz­ti­tel ent­zo­gen. Ange­sichts der anhal­ten­den Gräu­el­ta­ten im Land ist das unverantwortlich.

Das Aus­wär­ti­ge Amt in Ber­lin schrieb im März 2021 zur Situa­ti­on nach zehn Jah­ren Krieg: »Das syri­sche Regime setzt wei­ter­hin dar­auf, mit Unter­drü­ckung und mili­tä­ri­schen Mit­teln den Kon­flikt für sich zu ent­schei­den und ver­schleppt den von den Ver­ein­ten Natio­nen geführ­ten poli­ti­schen Pro­zess. Der eige­ne Macht­er­halt steht an ers­ter Stel­le – und zwar auf Kos­ten der syri­schen Bevöl­ke­rung. Die huma­ni­tä­re Lage in Syri­en ist indes­sen kata­stro­phal.« Wie konn­te die däni­sche Regie­rung also zu einer gänz­lich ande­ren Ein­schät­zung kommen?

Grund­la­ge der däni­schen Ent­schei­dung ist die fal­sche Behaup­tung, die Regi­on Damas­kus sei sicher. Die Regie­rung beruft sich dabei auf Lage­be­rich­te, doch däni­sche Recher­chen offen­ba­ren jetzt, dass die­se Lage­be­rich­te auf Mani­pu­la­tio­nen oder Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen beru­hen. Der Bericht, der Damas­kus als sicher ein­stuft, wird von meh­re­ren Expert*innen, die teils selbst als Quel­len die­ses Bericht fun­gier­ten, scharf kri­ti­siert. Däni­sche Medi­en legen nahe, dass der Bericht von Anfang an im Diens­te einer poli­ti­schen Agen­da stand. Däne­mark ist seit Jah­ren für sei­ne beson­ders restrik­ti­ve Asyl­po­li­tik bekannt.

Syrien-Experten distanzieren sich vom Bericht der dänischen Regierung

Däne­marks Regie­rung begrün­det den Ent­zug der Schutz­ti­tel mit zwei Syri­en-Lage­be­rich­ten von Febru­ar 2019 und Okto­ber 2020. Mitt­ler­wei­le haben sich alle der dar­in nament­lich als Quel­len ange­führ­ten unab­hän­gi­gen Syrien-Analyst*innen von den Schluss­fol­ge­run­gen distan­ziert, die die Behör­den aus den Berich­ten zie­hen. Acht der Analyst*innen haben sich mit einer öffent­li­chen Erklä­rung an die däni­schen Behör­den gewandt und for­dern die Regie­rung auf, ihre Ent­schei­dung zu revi­die­ren. Auch der Däni­sche Flücht­lings­rat, der einen der Berich­te mit­ver­ant­wor­tet, kri­ti­siert die Ent­schei­dung der Regierung.

Alle Lage­be­ur­tei­lun­gen der letz­ten Jah­re zei­gen, dass es in Syri­en kei­ne siche­ren Gebie­te gibt: Lan­des­weit kommt es zu will­kür-lichen Inhaf­tie­run­gen, Fol­ter und ande­ren Menschenrechtsverletzungen.

1.250

Syrer*innen sind in Däne­mark aktu­ell vom Ent­zug ihres Auf­ent­halts­ti­tels bedroht.

Aktu­ell droht bis zu 1250 Men­schen der Ent­zug ihres Auf­ent­halts­ti­tels. Die Betrof­fe­nen sol­len durch die Unter­brin­gung in Aus­rei­se­zen­tren sowie Arbeits- und Aus­bil­dungs­ver­bo­te zur Aus­rei­se genö­tigt wer­den. Die Maß­nah­me trennt Fami­li­en und zwingt bereits inte­grier­te Geflüch­te­te, ihre Arbeit, ihr Stu­di­um oder ihre Schul­aus­bil­dung auf­zu­ge­ben. Von Abschie­bun­gen sehen die däni­schen Behör­den ab, da Däne­mark davor zurück­schreckt, die nöti­gen Kon­tak­te zum Assad-Regime auf­zu­neh­men – noch.

Deutschland: BMI prüft Abschiebungen von Syrern

Nun zei­gen aktu­el­le Berich­te der ZEIT und der WELT, dass auch die Bun­des­re­gie­rung auf dubio­sen Wegen Abschie­bun­gen syri­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger vor­be­rei­tet. Unver­ständ­lich ist dies vor allem ange­sichts der poli­ti­schen Ein­schät­zun­gen, zu denen das Aus­wär­ti­ge Amt selbst kommt: Alle Lage­be­ur­tei­lun­gen der letz­ten Jah­re zei­gen, dass es in Syri­en kei­ne siche­ren Gebie­te gibt: Lan­des­weit kommt es zu will­kür­li­chen Inhaf­tie­run­gen, Fol­ter und ande­ren Menschenrechtsverletzungen.

Auch wenn bis­lang nur von Abschie­bun­gen von Straf­tä­tern oder soge­nann­ten Gefähr­dern die Rede ist, dro­hen schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen sowie ein inten­dier­ter Tabu­bruch: Danach ist es ver­mut­lich nur eine Fra­ge der Zeit, bis auch Abschie­bun­gen ande­rer Grup­pen als neue Maß­nah­me ins Spiel gebracht werden.

Schiebt die Bundesregierung Menschen bald in Kurdengebiete ab?

Die Jour­na­lis­ten der ZEIT haben recher­chiert, dass die Bun­des­re­gie­rung der­zeit kei­ne Abschie­bun­gen in Regio­nen plant, die vom Assad-Regime kon­trol­liert wer­den, oder in den von dschi­ha­dis­ti­schen Mili­zen domi­nier­ten Nord­wes­ten. Es gebe jedoch Son­die­run­gen von Abschie­bun­gen in den kur­disch gepräg­ten Nord­os­ten. Auch die »kur­di­schen Gebie­te im Nord­irak und in der Tür­kei« wür­den in Betracht gezogen.

Offen­sicht­lich dro­hen wei­te­re, dem Wahl­kampf geschul­de­te dubio­se Deals mit Akteu­ren wie der Tür­kei, die in Syri­en völ­ker­rechts­wid­rig agiert – und mög­li­cher­wei­se auch mit der kur­di­schen Selbst­ver­wal­tung in Nord­ost­sy­ri­en. Pikant dar­an ist, dass die­se bis­lang von der Bun­des­re­gie­rung über­haupt nicht aner­kannt wird. Bei Abschie­bun­gen in von ihr kon­trol­lier­te Gebie­te müss­te die Bun­des­re­gie­rung aber mit ihr zusam­men­ar­bei­ten. Sol­che recht­li­chen und außen­po­li­ti­schen Vor­ha­ben sind frag­wür­dig. Deut­sche Behör­den müs­sen statt­des­sen auch mit syri­schen Straf­tä­tern und Gefähr­dern in Deutsch­land auf der Grund­la­ge rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en ver­fah­ren – auch wenn dies gesell­schaft­lich nicht immer ein­fach zu kom­mu­ni­zie­ren ist.

Wie sehr das popu­lis­ti­sche Ziel, unbe­dingt nach Syri­en abzu­schie­ben, zulas­ten rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en geht, zeigt auch der Sach­ver­halt, dass das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um laut dem Bericht der WELT plant, syri­sche Häft­lin­ge mit dem Ver­spre­chen einer Haft­zeit­ver­kür­zung zur Aus­rei­se zu bewegen.

EU-Parlament: Syrien ist nicht sicher

Dabei hat­te das Euro­päi­sche Par­la­ment die EU-Mit­glied­staa­ten erst im März in einer Reso­lu­ti­on dar­an erin­nert, »dass Syri­en kein siche­res Land für eine Rück­kehr ist« und alle EU-Mit­glied­staa­ten auf­ge­for­dert, »von einer Ver­la­ge­rung der natio­na­len Poli­tik in Rich­tung der Aberken­nung des Schutz­sta­tus für bestimm­te Kate­go­rien von Syrern abzu­se­hen und die­sen Trend umzu­keh­ren, wenn sie eine sol­che Poli­tik bereits ver­folgt haben.«

»Das Euro­päi­sche Par­la­ment for­dert alle EU-Mit­glied­staa­ten auf, von einer Ver­la­ge­rung der natio­na­len Poli­tik in Rich­tung der Aberken­nung des Schutz­sta­tus für bestimm­te Kate­go­rien von Syrern abzusehen.«

Ent­schlie­ßung des Euro­päi­schen Par­la­ments vom 11. März 2021

Auch im der­zeit lau­fen­den Al-Kha­tib-Pro­zess am Ober­lan­des­ge­richt Koblenz wird deut­lich, wel­chem Hor­ror vie­le Syre­rin­nen und Syrer in ihrer Hei­mat aus­ge­setzt waren und teil­wei­se bis heu­te sind. Patrick Kro­ker, Rechts­an­walt und Ver­tre­ter der Neben­kla­ge gegen den Haupt­an­ge­klag­ten Anwar R., sag­te ange­sichts des kürz­lich gespro­che­nen Urteils gegen einen wei­te­ren Ange­klag­ten: »Mit dem heu­ti­gen Urteil bestä­tigt erst­mals ein Gericht: Die Taten der syri­schen Regie­rung und ihrer Mit­ar­bei­ter sind Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit. Aus­sa­gen von Fol­ter­über­le­ben­den und Geheim­dienst­mit­ar­bei­tern oder die Cae­sar-Fotos bele­gen das Aus­maß und die Sys­te­ma­tik von ‚Ver­schwin­den­las­sen‘, Fol­ter und sexua­li­sier­ter Gewalt in Syri­en.« Der Pro­zess in Koblenz ist welt­weit das ers­te Ver­fah­ren, um die Ver­bre­chen in Syri­en aufzuarbeiten.

Keine Abschiebungen nach Syrien!

Ob Däne­mark oder Deutsch­land: Es gilt die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on. Sie ver­bie­tet Abschie­bun­gen in Staa­ten, in denen Fol­ter oder ent­wür­di­gen­de Behand­lung droht. Wird dies nun auf­ge­weicht, exis­tie­ren Schutz­rech­te bald nur noch auf dem Papier. Die Bun­des­re­gie­rung muss daher von den ihren in den Medi­en kol­por­tier­ten Plä­nen von Abschie­bun­gen nach Syri­en sofort abrücken!