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Dänemark entzieht syrischen Flüchtlingen den Schutzstatus. Schiebt auch Deutschland bald ab?
Die Entscheidung Dänemarks, hunderten syrischen Geflüchteten den Schutztitel zu entziehen und sie zur Ausreise nach Syrien zu nötigen, basiert auf Fehlinformationen über die Sicherheitslage im Land. Syrien ist nicht sicher! Die Bundesregierung muss deshalb von ihren Plänen, künftig auch Syrer*innen abschieben zu wollen, entschieden abrücken.
Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die sozialdemokratische Regierung Dänemarks geflüchteten Syrerinnen und Syrern den Aufenthaltstitel entziehen und sie zur Ausreise ins Bürgerkriegsland Syrien drängen will. Damit hat sie bereits begonnen: Dänemarks Migrationsbehörde hat mittlerweile mehr als 250 syrischen Geflüchteten den Schutztitel entzogen. Angesichts der anhaltenden Gräueltaten im Land ist das unverantwortlich.
Das Auswärtige Amt in Berlin schrieb im März 2021 zur Situation nach zehn Jahren Krieg: »Das syrische Regime setzt weiterhin darauf, mit Unterdrückung und militärischen Mitteln den Konflikt für sich zu entscheiden und verschleppt den von den Vereinten Nationen geführten politischen Prozess. Der eigene Machterhalt steht an erster Stelle – und zwar auf Kosten der syrischen Bevölkerung. Die humanitäre Lage in Syrien ist indessen katastrophal.« Wie konnte die dänische Regierung also zu einer gänzlich anderen Einschätzung kommen?
Grundlage der dänischen Entscheidung ist die falsche Behauptung, die Region Damaskus sei sicher. Die Regierung beruft sich dabei auf Lageberichte, doch dänische Recherchen offenbaren jetzt, dass diese Lageberichte auf Manipulationen oder Fehlinterpretationen beruhen. Der Bericht, der Damaskus als sicher einstuft, wird von mehreren Expert*innen, die teils selbst als Quellen dieses Bericht fungierten, scharf kritisiert. Dänische Medien legen nahe, dass der Bericht von Anfang an im Dienste einer politischen Agenda stand. Dänemark ist seit Jahren für seine besonders restriktive Asylpolitik bekannt.
Syrien-Experten distanzieren sich vom Bericht der dänischen Regierung
Dänemarks Regierung begründet den Entzug der Schutztitel mit zwei Syrien-Lageberichten von Februar 2019 und Oktober 2020. Mittlerweile haben sich alle der darin namentlich als Quellen angeführten unabhängigen Syrien-Analyst*innen von den Schlussfolgerungen distanziert, die die Behörden aus den Berichten ziehen. Acht der Analyst*innen haben sich mit einer öffentlichen Erklärung an die dänischen Behörden gewandt und fordern die Regierung auf, ihre Entscheidung zu revidieren. Auch der Dänische Flüchtlingsrat, der einen der Berichte mitverantwortet, kritisiert die Entscheidung der Regierung.
Alle Lagebeurteilungen der letzten Jahre zeigen, dass es in Syrien keine sicheren Gebiete gibt: Landesweit kommt es zu willkür-lichen Inhaftierungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen.
Aktuell droht bis zu 1250 Menschen der Entzug ihres Aufenthaltstitels. Die Betroffenen sollen durch die Unterbringung in Ausreisezentren sowie Arbeits- und Ausbildungsverbote zur Ausreise genötigt werden. Die Maßnahme trennt Familien und zwingt bereits integrierte Geflüchtete, ihre Arbeit, ihr Studium oder ihre Schulausbildung aufzugeben. Von Abschiebungen sehen die dänischen Behörden ab, da Dänemark davor zurückschreckt, die nötigen Kontakte zum Assad-Regime aufzunehmen – noch.
Deutschland: BMI prüft Abschiebungen von Syrern
Nun zeigen aktuelle Berichte der ZEIT und der WELT, dass auch die Bundesregierung auf dubiosen Wegen Abschiebungen syrischer Staatsangehöriger vorbereitet. Unverständlich ist dies vor allem angesichts der politischen Einschätzungen, zu denen das Auswärtige Amt selbst kommt: Alle Lagebeurteilungen der letzten Jahre zeigen, dass es in Syrien keine sicheren Gebiete gibt: Landesweit kommt es zu willkürlichen Inhaftierungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen.
Auch wenn bislang nur von Abschiebungen von Straftätern oder sogenannten Gefährdern die Rede ist, drohen schwere Menschenrechtsverletzungen sowie ein intendierter Tabubruch: Danach ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis auch Abschiebungen anderer Gruppen als neue Maßnahme ins Spiel gebracht werden.
Schiebt die Bundesregierung Menschen bald in Kurdengebiete ab?
Die Journalisten der ZEIT haben recherchiert, dass die Bundesregierung derzeit keine Abschiebungen in Regionen plant, die vom Assad-Regime kontrolliert werden, oder in den von dschihadistischen Milizen dominierten Nordwesten. Es gebe jedoch Sondierungen von Abschiebungen in den kurdisch geprägten Nordosten. Auch die »kurdischen Gebiete im Nordirak und in der Türkei« würden in Betracht gezogen.
Offensichtlich drohen weitere, dem Wahlkampf geschuldete dubiose Deals mit Akteuren wie der Türkei, die in Syrien völkerrechtswidrig agiert – und möglicherweise auch mit der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien. Pikant daran ist, dass diese bislang von der Bundesregierung überhaupt nicht anerkannt wird. Bei Abschiebungen in von ihr kontrollierte Gebiete müsste die Bundesregierung aber mit ihr zusammenarbeiten. Solche rechtlichen und außenpolitischen Vorhaben sind fragwürdig. Deutsche Behörden müssen stattdessen auch mit syrischen Straftätern und Gefährdern in Deutschland auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien verfahren – auch wenn dies gesellschaftlich nicht immer einfach zu kommunizieren ist.
Wie sehr das populistische Ziel, unbedingt nach Syrien abzuschieben, zulasten rechtsstaatlicher Prinzipien geht, zeigt auch der Sachverhalt, dass das Bundesinnenministerium laut dem Bericht der WELT plant, syrische Häftlinge mit dem Versprechen einer Haftzeitverkürzung zur Ausreise zu bewegen.
EU-Parlament: Syrien ist nicht sicher
Dabei hatte das Europäische Parlament die EU-Mitgliedstaaten erst im März in einer Resolution daran erinnert, »dass Syrien kein sicheres Land für eine Rückkehr ist« und alle EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, »von einer Verlagerung der nationalen Politik in Richtung der Aberkennung des Schutzstatus für bestimmte Kategorien von Syrern abzusehen und diesen Trend umzukehren, wenn sie eine solche Politik bereits verfolgt haben.«
»Das Europäische Parlament fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, von einer Verlagerung der nationalen Politik in Richtung der Aberkennung des Schutzstatus für bestimmte Kategorien von Syrern abzusehen.«
Auch im derzeit laufenden Al-Khatib-Prozess am Oberlandesgericht Koblenz wird deutlich, welchem Horror viele Syrerinnen und Syrer in ihrer Heimat ausgesetzt waren und teilweise bis heute sind. Patrick Kroker, Rechtsanwalt und Vertreter der Nebenklage gegen den Hauptangeklagten Anwar R., sagte angesichts des kürzlich gesprochenen Urteils gegen einen weiteren Angeklagten: »Mit dem heutigen Urteil bestätigt erstmals ein Gericht: Die Taten der syrischen Regierung und ihrer Mitarbeiter sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aussagen von Folterüberlebenden und Geheimdienstmitarbeitern oder die Caesar-Fotos belegen das Ausmaß und die Systematik von ‚Verschwindenlassen‘, Folter und sexualisierter Gewalt in Syrien.« Der Prozess in Koblenz ist weltweit das erste Verfahren, um die Verbrechen in Syrien aufzuarbeiten.
Keine Abschiebungen nach Syrien!
Ob Dänemark oder Deutschland: Es gilt die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie verbietet Abschiebungen in Staaten, in denen Folter oder entwürdigende Behandlung droht. Wird dies nun aufgeweicht, existieren Schutzrechte bald nur noch auf dem Papier. Die Bundesregierung muss daher von den ihren in den Medien kolportierten Plänen von Abschiebungen nach Syrien sofort abrücken!